GERHARD BECKER

Rund um das Heilige Meer

Nachhaltige Umweltbildung und Internet in der Baikalregion *

Neun Flugstunden von Deutschland entfernt erstreckt sich in Ostsibirien der berühmte Baikalsee. Bei einem dreiwöchigen Besuch im Sommer 2004 fand ich dort eine erstaunlich entwickelte und kreative Umweltbildung vor, die dort von sehr engagierten Menschen realisiert wird. Der folgende Bericht basiert auf eigenen Recherchen vor Ort, und auf aktuellen Texten von Nina Dagbaeva, Elvira Narchinova und Elena Sakhinova (s. Kasten unten).

Der Baikalsee ist der älteste, tiefste und wasserreichste See der Welt (20 % der globalen Süßwasserreserven) und zählt zum Weltnaturerbe der UNESCO. Die Bedeutung des riesigen und äußerst eindrucksvollen Gewässers für die Region kommt in der traditionellen Bezeichnung „Heiliges Meer“ zum Ausdruck. Es erstaunt deshalb kaum, dass sich etliche Gruppen in der Baikalregion gegen eine ökologische Gefährdung des Baikalsees engagieren.

Am Ostufer des Baikalsees liegt die in Westeuropa noch relativ unbekannte russische Republik Burjatien mit ihrer Hauptstadt Ulan-Ude. Umweltbildung wird dort unter den schwierigen materiellen Bedingungen einer sich in einer ernsten wirtschaftlichen Krise befindlichen Region durchgeführt und  gehört zum staatlichen Bildungsauftrag der 500 allgemeinbildenden Schulen in dieser Republik. 70 davon sind sehr aktiv und erklärten Umweltbildung zur Hauptrichtung ihrer Bildungsziele. Eine konzeptionelle Besonderheit besteht in Burjatien darin, dass die Bewusstmachung, Erhaltung und Umsetzung der natur- und umweltrelevanten kulturellen und religiösen Traditionen der Urbevölkerung Sibiriens als wichtige Dimension einer ethnisch orientierten Umweltpädagogik verstanden wird.

Mit GRAN ...

Verbreitung und Erfolg der Umweltbildung ist zu einem wesentlichen Teil einer der wenigen nichtstaatlichen Umweltorganisationen, dem „Baikal Informationszentrum GRAN“ zu verdanken, das seit Jahren vorwiegend umweltpädagogische Arbeit leistet.

Einen Durchbruch
in mehrfacher Hinsicht erzielte diese sehr aktive Einrichtung durch das entwicklungspolitische Projekt „Erlebnisorientierte Umweltbildung über das Internet“ der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ): Zum einen beteiligten sich etwa 30 Schulen aus der ganzen Republik, die zum Teil vorbildliche handlungsorientierte Projekte mit lokaler Ausrichtung und Bedeutung durchführten. Die Projekte wurden von GRAN initiiert, unterstützt und koordiniert. Diese Aktivitäten richten sich über die Schulen hinaus an einen breiten Adressatenkreis und stellen gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur regionalen Umweltkommunikation und Bewusstseinsbildung in der burjatischen Baikalregion dar.

... und Internet

Darüber hinaus wurden von GRAN schon früh internationale Kontakte in verschiedene Länder geknüpft und Kooperationen aufgebaut. Dabei wurde das Internet mit all seinen Möglichkeiten genutzt. Gleichzeitig dient das Internet auch zur Kommunikation innerhalb Burjatien, jedenfalls soweit dies die jeweilige technische Ausstattung mit Computern und eine funktionierende Telefonverbindungen dieses zulässt. Große Unterschiede bestehen hier zwischen verschiedenen Bevölkerungsgeschichten und zwischen Stadt und Land. Vielfach sind Internetverbindungen nicht vorhanden oder für moderne Webseiten ungenügend (langsame, unzuverlässige Modemanschlüsse, zu hohe Kosten). 

 

Das gewählte Thema „Wasser“ war angesichts des Baikalsees naheliegend, aber auch, weil alle Umweltprobleme Burjatiens meistens mit dem Wasser verbunden sind. Gleichzeitig fand eine Einbindung in die internationalen Projekte „Water for life“ und „Living Lakes“ statt.

Die Hauptbausteine des zweijährigen Projektes „Water for lifein Burjatien :waren:

  • Sammeln von Legenden, Märchen, Sagen über Flüsse, Seen, Wasserquellen vor Ort: nicht aus Büchern oder anderen schon bekannten Publikationen, sondern als „oral history“ aus Gesprächen mit Älteren (s. auch internationaler Wettbewerb)

  • Phänologische Wetterkalender, Veränderungen in der Natur beim Wechseln der Jahreszeiten und Erarbeiten eines  phänologischen Kartierens der Baikalegion. Die Natur um den Baikal ist durch extremes Wetter und  entsprechende Naturerscheinungen geprägt

  • Wasserqualität, Pflanzen und Tierwelt der beobachteten Gewässer: Untersuchungsarbeiten mit Mini-Labors, unmittelbar am Ufer des Flusses, Baches, eines Sees.

  • Projektabschluss: Internationale Eco-Week am Baikalsee im Juli 2004 (s. Kasten)

Internationaler Wettbewerb: "The Best Christmas Story About Water"

We are announcing a contest! (Englische Version)

„We suggest your writing a composition "The best Christmas story about water", where you should reflect the history of the basin you are writing about, peoples' wisdom, legends, customs and rituals connected with water usage. 
Your works will be evaluated by the international jury, consisting of famous environmentalists, scientists, writers, and journalists from Russia, Germany, and some others countries. The volume of work - 3 pages. The composition can be supplied with pictures and photos.

Es wurden 2003 über 80 Arbeiten eingereicht. Aus der engeren Auswahl von 25 Arbeiten, die ins Englische übersetzt wurden, wählte die internationale Jury aus Deutschland, Japan, USA Nepal, Mexico, Kenya, Russland und Frankreich die Preisträger aus. Die Geschichten werden alle auf der Webseite des Projektes veröffentlicht.

 

Impulse für die Umweltpolitik

Dieser vorläufige Höhepunkt zeigte, dass mittlerweile ein sehr innovatives und kreativ arbeitendes Projekt mit zunehmender interkultureller Ausrichtung auf Nachhaltige Entwicklung entstanden war. Deutlich ist, dass das Projekt und das Engagement von GRAN sich sehr positiv auf die gesamte burjatische Umweltbildung ausgewirkt. Vielleicht wurden auch der burjatischen Umweltpolitik Impulse gegeben – vor allem in den Fällen, wo sich Schulen auf lokaler Ebene mit kommunalen Problemen beschäftigten (s. Beispiel). In jedem Fall haben die Schüler gelernt, „für ihr Leben zu lernen“.

 

  Beispiel

für eines der zahlreichen handlungs- und aktionsorientierten Umweltbildungsprojekte, die sich mit aktuellen lokalen Problemen forschend beschäftigten

Schüler der Mittelschule in der burjatischen Kleinstadt Onochoj haben an die Verwaltung einen Brief geschickt (Originalübersetzung aus der Schule):

„...Wir Schüler wenden uns an Sie, mit der Bitte, ihre Aufmerksamkeit auf die illegale Ausholzung des Waldes in der sanitären Schutzzone um die Kläranlagen zu richten und dringend Maßnahmen zu treffen. Wenn der Wald als Filter der Kläranlagen (weiter) ausgeholzt wird, dann droht als Folge die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichtes nicht nur des Grundwassers, sondern auch der ganzen Umgebung. Da das Grundwasser auch als Trinkwasser genutzt wird, führt das alles zur lokalen ökologischen Katastrophe ..."

Internationale Eco-Week im Juli 2004

 Die Eco-Week Anfang Juli 2004 fand am östlichen Ufer des Baikalsees nahe der kleinen Gemeinde Maximika statt (Bild). Etwa 50 Jugendliche aus Russland, Kasachstan, Japan und Deutschland und einige Lehrer und Wissenschaftler aus diesen Ländern  trafen sich dort. 

Die meisten der jugendlichen Teilnehmer hatten sich bereits mit besonderem Erfolg an den ersten drei Bausteinen des Projektes beteiligt. Die Mitglieder von GRAN hatten ein sehr vielfältiges Programm vorbereitet, das die intensive Beschäftigung aller Teilnehmer mit der Flora, Fauna und Hydrologie des Baikal umfasste. 

 

Die Ergebnisse der Exkursionen und Workshops wurden elektronisch mit Hilfe von Powerpoint-Präsentationen, aber auch künstlerischen Mitteln dargestellt. Dazwischen gab es auch viele Möglichkeiten für Spiele und kleine Wettbewerbe

 

Das Wichtigste war jedoch die interkulturelle Dimension der gemeinsamen Arbeit und des gemeinsamen Vergnügens. Bei den jugendlichen Teilnehmern, aber auch bei den Erwachsenen wurde die Kommunikation untereinander, die Atmosphäre jeden Tag besser. Anfängliche Hemmungen beim Umgang mit dem Problem der sprachlichen Verständigung wurden schnell abgebaut. Am Ende hatten sich zahlreiche Freundschaften gebildet und es wurden weitere Kontakte vereinbart – insbesondere auch die Durchführung eines gemeinsamen internationalen Projekts zum Thema Wasser, das die jugendlichen Teilnehmer vollständig eigenständig in einem halbtägigen Workshop entwickelt hatten.

Der große Erfolg der Eco-Week ermuntert die Beteiligten auch, auch die internationale und interkulturelle Kommunikation und Kooperation im Bereich Umweltbildung und Nachhaltige Entwicklung fortzuführen – sowohl über das Internet vermittelt (vielleicht auch über die in Erprobung befindliche Internetplattform BioDets als auch durch direkte Begegnungen. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der beginnenden weltweiten UNESCO-Dekade Bildung für eine Nachhaltige Entwicklung (2005-2014). Die Eco-Week 2004 zeigte allerdings auch, dass ein multimediales Internet, das für internationale Kommunikation sehr wichtig ist, die direkte persönliche Begegnung und das direkte Erleben anderer Länder nicht ganz ersetzen kann.

Zahlreiche weitere Fotos von der Eco-Week und von Burjatien findet man hier  und demnächst auch auf der GRAN-Webseite des Projektes.


Baikal Informationscenter GRAN

Dr. Nina Dagbaeva (Projektleiterin)

Dr. Elvira Narchinova

Elena Sakhinova

http://gran.baikal.net

http://gran.baikal.net/water4life/

Kontakt: ecoinfo@ulan-ude.ru


* Dieser Text wird in ähnlicher Form im November in der Zeitschrift Umwelt & Bildung mit dem gleichen Titel veröffentlicht

Die Fotos stammen vom Autor, die Logos von GRAN

Dr. Gerhard Becker, Universität Osnabrück, Fachgebiet Umweltbildung gbecker@uos.de Webseite