Ökologische Bildungstheorie

Der Begriff $ Umweltbildung hat sich ab 1986 primär als konzept- und bereichsunabhängiger Sammelgriff für die zahlreichen umweltpädagogischen Konzepte durchgesetzt, lediglich einzelne Ansätze beinhalten eine stärkere Betonung moderner Bildungsaspekte (z.B. $ kulturorientierte Umweltbildung). Der Diskurs über die $ Ökologische Krise hat auf sehr unterschiedlichen theoretischen Grundlagen Versuche hervorgebracht, auch Bildung und Bildungstheorie (B.) als ökologische neu zu bestimmen oder ihre Möglichkeit kritisch zu reflektieren: naturalistische, systemökologische und normativ-ethische  Ansätze standen jedoch im Widerspruch zu Prinzipien eines humanistischen oder emanzipatorischen Bildungsverständnisses, Kritische Theorie und materialistische Ansätze reduzierten die ökologische Herausforderung allzusehr auf gesellschaftskritische Perspektiven von Bildung (z.B. Bernhard). In der weitverbreiteten Allgemeinbildung von Klafki ist die ökologische Krise lediglich ein „epochaltypisches Schlüsselthema“. Die Diskurse und Rekonstruktionsversuche eines neuen Bildungsdenkens seit Mitte der 80er Jahre thematisierten die ökologische Frage nur am Rande, die Auseinandersetzungen mit Systemtheorie, Postmodernismus, Pluralismus und Konstruktivismus eröffneten gleichwohl wichtige Problemhorizonte  und Anschlußmöglichkeiten zur ökologischen Frage. Man kann die $ Ökologische Krise als eine umfassende und komplexe Krise der individuellen und gesellschaftlichen $ Mensch-Natur-Verhältnisse ansehen, die es historisch und kritisch in ihrer Widersprüchlichkeit zu reflektieren, neu zu konzeptionieren und in Zukunft als ständige Aufgabe in einer weiterhin vielfältigen Form zu gestalten gilt. Eine solche dialektische Naturtheorie ($ Naturphilosophie) bietet für jede gesellschaftliche Praxis und damit jede B. eine vertiefte, kaum verzichtbare ökologische Grundlage. Weiterführend und orientierend ist der Diskurs über $ nachhaltige Entwicklung ($ Sustainable Development) und ihre Leitbilder, der jede zukunftsorientierte Bildung in den Kontext sozialer, ökonomischer, kultureller und ethischer Fragen im Spannungsfeld von Globalität und Regionalität stellt. Gegenüber der unübersichtlichen Fülle von neben- und gegeneinander existierenden Konzepten zur Umweltbildung könnte ökologische bzw. nachhaltige B. auch integrierende Funktion gewinnen: Natur-, kommunikations-, partizipations- und lebensweltorientierte, soziokulturelle, ökonomische, ethische, $ urbane u.a. Ansätze kann man als Dimensionen eines umfassenderen Gesamtkonzeptes und als didaktische Schwerpunktsetzungen in der konkreten Praxis verstehen, sie erlangen dadurch eine erweiterte und zugleich relativierte Bedeutung. Als offener, interdisziplinärer Prozeß auf naturtheoretischer Basis ist eine solche B. nicht als widerspruchsfreie Einheit denkbar. Dies nützt in der Praxis einer differenzierten Subjektwerdung der Menschen und tritt der instrumentellen Verkürzung der Umweltbildung entgegentreten, die sich bei ihrer politischen Wertschätzung (z.B. Gutachten des Sachverständigenrates 1994) im Kontext nachhaltiger Entwicklung deutlich zeigt. GB

Lit.:

Haan, Gerhard de: Natur und Bildung. Weinheim  1985;

Becker, Gerhard: Nicht nur ökologische Akzente setzen. Bildungstheoretische Perspektiven angesichts der Ökologischen Krise. In: Widersprüche  H. 20 (1986), S. 52-62; Bernhard, Armin u.a. (Hg.): Überleben durch Bildung. Weinheim  1995

Becker, Gerhard: Urbane Umweltbildung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung. Theoretische Grundlagen und schulische Perspektiven. Osnabrück 1999 (Ms), Opladen 2001 (im Druck)

 

Quelle: Gerhard Becker in: Kleber, Eduard W./Brilling, Oskar (Hg.): Hand-Wörterbuch Umweltbildung. Baltmannsweiler 1999, S. 33-34

$ = Querverweis im Handbuch