Mit dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 17.10.1980 der damaligen Bundesrepublik (KMK 1980)[1] wurde Umwelterziehung offiziell zur neuen schulischen Aufgabe erklärt. Bereits zuvor, aber vor allem in der Folgezeit, entstanden für dieses neue, umwelt- und naturbezogene pädagogische Handlungsfeld, das auf immer mehr Bildungsbereiche ausgedehnt wurde, zahlreiche Konzepte. Diese wurden in der Literatur mit immer neuen Begriffen versehen: Naturschutzerziehung, Umweltschutzerziehung, Umwelterziehung, Ökologisches Lernen, Ökopädagogik, Ökologische Bildung, Umweltlernen, Naturbezogene Pädagogik, Mitweltpädagogik, Umweltbildung u. a. (s. Kapitel 2). Die heute dominierende Bezeichnung Umweltbildung entstand 1986 im Kontext der Bildungs- und Umweltpolitik, die ebenfalls die Bedeutung des Umweltthemas für alle Bildungsbereiche erkannte (vgl. 2.3.5). Seither hat sich dieser Begriff im Sinne eines bildungsbereichs- und konzeptübergreifenden Sammel- und Oberbegriffs für alle pädagogisch-praktische Aktivitäten im Bereich Natur und Umwelt zunehmend durchgesetzt. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Umweltbildung zum einen in diesem Sinne verwendet, zum anderen zur Bezeichnung bestimmter konzeptioneller Ansätze oder Richtungen – auch meines eigenen Ansatzes.[2] Verschränkt mit der Praxis- und Konzeptentwicklung ist die Theorie(entwicklung) der Umweltbildung und die Umweltbildungsforschung, die sich seit 1996 in bundesweit organisierter Form konstituiert hat.[3]
Mit der UNCED-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 und dem dort von über 170 Staaten beschlossenen Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert, der Agenda 21[4], ist der Begriff Sustainable Development weltweit und in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu einem Schlüsselbegriff der 90er Jahre geworden, der insbesondere für die Umweltbildung eine grundlegende Neuorientierung impliziert. Der Grundgedanke einer nachhaltigen Entwicklung stellt einen erstaunlichen globalen politischen Kompromiß dar, der allerdings sehr unterschiedlichen Interpretationen[5] unterliegt. Im Kern geht es um den Versuch, die vielgestaltigen und dramatischen Weltprobleme und Krisen in einem integrierten Ansatz einer Lösung für das 21. Jahrhundert näher zu bringen oder besser gesagt: handhabbar zu machen. In der am häufigsten verwendeten Formulierung wird von einem Dreieck von Ökologie, Ökonomie und sozialem Bereich gesprochen, das zur Grundlage des Denkens und Handelns und damit auch der Bildung gemacht werden soll (s. 3.1.3 und 3.2).
In der Agenda 21 kommt dem Bildungsbereich große Bedeutung zu. Bildung wird dort in einem weiten Sinne verstanden und schließt die öffentliche Bewußtseinsbildung, etwa durch Massenmedien ein. Dabei ist Bildung nicht nur Thema des speziell dafür vorgesehenen Kapitels 36 der Agenda 21: In allen Aufgabenbereichen und in fast allen anderen Kapiteln der Agenda 21 werden immer wieder Informations- und Beratungsangebote für Bürgerinnen und Bürger sowie begleitende Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen gefordert. In der Agenda 21 ist eine dreifache Bildungsstrategie festzustellen:
– Intensivierung der Forschung und Verbesserung des Forschungstransfers sowie Weiterentwicklung der beruflichen Kompetenzen von Fachleuten und Entscheidungsträgern
– Einbeziehung und Sensibilisierung sowie Qualifizierung der betroffenen Bevölkerungsgruppen
– Schulische Grundbildung als langfristig wirksam werdende ‚dritte Säule‘.[6]
Als Folge der Agenda 21 wurde inzwischen der ganze Bildungsbereich von der Debatte um Nachhaltigkeit, Agenda 21 und Lokale Agenda 21 (LA 21)[7] erfaßt. In Deutschland, wo sich wohl vor allem der Begriff Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung gegenüber anderen deutschsprachigen Begriffsschöpfungen (Zukunftsfähigkeit, dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung u. ä.)[8] endgültig durchsetzt, wird inzwischen von staatlicher Seite in Kommissionen, Programmen und wissenschaftlichen Gutachten einhellig eine Neuausrichtung der Umweltbildung auf eine nachhaltige Entwicklung empfohlen, so daß die anfangs durchaus kritische Diskussion (vgl. 5.1.) allmählich ihren Stellenwert verloren hat. Zur Kennzeichnung dieser neuen Perspektive wurde seit Mitte der 90er Jahre zunehmend der Begriff Bildung für nachhaltige Entwicklung[9] verwendet, der nun dabei ist, den gerade etablierten Begriff Umweltbildung abzulösen.[10] Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist der Orientierungsrahmen Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, der von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) im Juni 1998 für die Bereiche Kindertagesstätte, Schule, Berufliche Bildung, Hochschule und Allgemeine Weiterbildung vorgelegt wurde. Dieser Orientierungsrahmen wurde zuvor bereits mit den Umwelt- und Kultusministerien der Länder abgestimmt und richtet sich an „alle Verantwortlichen in der Bildungspolitik, Bildungsverwaltung und mit Fragen der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung befaßten gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen“ (BLK 1998,S. 5).[11] Darauf aufbauend hat die BLK 1999 ein Fünfjahresprogramm für den Schulbereich aufgelegt, das „21“ genannt wird,[12] und dafür 25 Mill. DM zur Verfügung gestellt.
Über die daraus entstehenden Modellversuche hinaus stellt die Perspektive der nachhaltigen Entwicklung zweifellos eine neue Herausforderung für die Schule (und für andere Bildungsbereiche) sowie die Umweltbildung dar.[13] Vor allem auf der lokalen Ebene und neuerdings im dortigen Kontext der Prozesse der Lokalen Agenda 21 bieten sich zweifellos große Entwicklungschancen (vgl. 1.1.3, Becker 1998b u. 2000a).
Nicht erst und nur diese globale Menschheitsperspektive der nachhaltigen Entwicklung gibt Anlaß, über schulische Umweltbildung – in Analogie zu einer Formulierung von Hentigs (1994) – „neu (zu) denken“ und in denpraktischen Konsequenzen auch ‚neu zu machen‘. Vielmehr lassen sich aus bisherigen Erfahrungen mit schulischer Umweltbildung – auch aus eigenen Praxiserfahrungen – und wegen konzeptioneller Mängel der schulischen Umweltbildung eine Reihe weiterer Gründe für eine Neukonzeptionierung nennen. Die meisten bekannten, aber unerledigten Probleme, die auf verschiedenen Ebenen liegen, hängen untereinander zusammen:
– ungenügende institutionelle und gesellschaftliche Verankerung
– geringe Wirkung bei den Adressaten
– didaktisch-methodische Mängel
– inhaltliche Vernachlässigung der Region, insbesondere der städtischen Umwelt und urbanen Lebenswelt
– fehlender konzeptioneller Pluralismus
– fehlende Integration der Umweltbildung in ein Gesamtkonzept schulischer Allgemeinbildung.
Die damit verbundenen Probleme werden nicht ohne weiteres im Rahmen der neuen Perspektive einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung ‚automatisch‘ gelöst, vielmehr werden sie dort in modifizierter Form wieder auftreten, wenn sie nicht von vornherein bei der konzeptionellen und bildungspolitischen Entwicklung der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung berücksichtigt werden. Daher werde ich auf diese Gründe und Probleme sowie mögliche Lösungen in den folgenden Abschnitten dieses Kapitels, das im wesentlichen eine einleitende Funktion hat, kurz eingehen (1.1-1.4).
Im Mittelpunkt der weiteren Kapiteln stehen die theoretische Aufarbeitung der Grundlagen für eine zukunftsorientierte Umweltbildung, die sich an neuen gesellschaftlichen und bildungspolitischen Trends orientiert und die Überprüfung damit verbindbarer Perspektiven. In diesem Sinne wird in Kapitel 2 Umweltbildung bildungstheoretisch, in Kapitel 3 partizipationstheoretisch, in Kapitel 4 erkenntnistheoretisch und schließlich in Kapitel 5 im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung rekonstruiert (s. auch 1.5).
Es sei an dieser Stelle betont, daß hinter dieser grundlagentheoretischen Schwerpunktsetzung als Erkenntnismotiv und Interesse letztlich meine eigene Berufspraxis steht, in der ich seit etwa zwanzig Jahren einen lokalen und stadtbezogenen Umweltbildungsansatz entwickelt habe, der seit 1988 in dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt Natur und Umweltbildung in der Stadt Osnabrück (NUSO) zum Ausdruck kommt. Dieses Projekt bezieht sich vor allem auf die Bereiche der Universität, Schule und Lehrerfortbildung und hat seit einigen Jahren mit der nachhaltigen Stadtentwicklung und der Lokalen Agenda 21 eine neue Orientierung gefunden.[14] Die durchaus zwiespältigen Erfahrungen in Osnabrück (s. 1.6), dessen LA 21 überregional als erfolgreiches Beispiel gilt, haben zu grundlegenden Fragen geführt, die bereits in einigen früheren Aufsätzen angesprochen wurden (z. B. Becker 1997a, 1998b u. 2000a). Diesen Fragen wird in dieser Arbeit systematischer und theoriebezogen nachgegangen.
Die betont bildungstheoretische Ausrichtung dieser Gesamtarbeit und mein Verständnis einer zukunftsorientierten Umweltbildung tritt einer engen ökologisch-normativen Ausrichtung und einem umweltpolitischem Instrumentalismus entgegen. Beides findet sich in der umweltpädagogischen und umweltpolitischen Debatte, in der oft die erforderliche allgemeine politische und gesellschaftliche Begründung und Legitimation der Umweltbildung mit ihrer pädagogischen Konzeptionierung verwechselt wird. Die Perspektivierung der Umweltbildung als Bildung soll hier eine Gewichtsverschiebung zum pädagogischen Denken hin signalisieren und bewirken! (s. These 2.5 in Abschnitt 2.6.5). Dies gilt ebenfalls für die in der Diskussion befindliche konzeptionelle Fortentwicklung der Umweltbildung zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung: schon die Verwendung der Präposition für in der Begriffsbildung zeigt die Gefahr einer instrumentellen Orientierung. Eine bildungstheoretische Orientierung liefert für die eingangs vorgeschlagene Bevorzugung des Begriffs Umweltbildung einen weiteren Grund: Durch die Betonung des zweiten Wortteils UmweltBildung (vgl. Titel von Kapitel 2) kann die Bildungsdimension herausgestellt werden, und Umweltbildung kann schon von seiner Begrifflichkeit her als konstitutiven und zentralen Teil eines modernen Bildungsbegriffs bzw. einer modernen schulischen Allgemeinbildung verstanden werden.
Eine kritische Bilanz der ersten drei Jahrzehnte schulischer Umweltbildung muß meiner Ansicht nach zu einem leider ernüchternden Ergebnis einer relativen gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit kommen:
Für diese Aussage, die die offizielle Legitimation der Umweltbildung bedroht, sprechen einige Argumente und empirischen Untersuchungen. In 1.1.1 werden zunächst vier mögliche Ursachen genannt, weitere folgen in 1.1.2.[15] Die Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung bietet für einen Teil der alten Probleme konzeptionelle und praktische Chancen ihrer Bewältigung, bringt aber auch neue Probleme hervor. Es stellt sich in dieser Arbeit die Frage, unter welchen zu präzisierenden Bedingungen Chancen bestehen.
Ein erstes, rein quantitatives Argument bezieht sich auf die geringe institutionelle Verankerung in der Schule. Die Umweltbildung kommt – selbst wenn man ein sehr weites Verständnis zugrundegelegt – statistisch mit 1,2 Themen pro Klasse und Jahr[16] nicht über eine kleine ‚Bereichspädagogik‘ hinaus. Legt man qualitative Maßstäbe einer Umweltbildung im Sinne ihrer eigenen anspruchsvollen Zielsetzungen und favorisierten Methoden an, kommt man trotz einiger positiver Tendenzen und Einzelbeispiele[17] zu einem weitgehend negativen Gesamturteil. Die zeitweise stark geförderten Modellversuche der letzten Jahre ändern grundsätzlich wenig an einer solchen Bilanz, da die Rückwirkung der Modellversuche auf die Lehrpläne und Alltagspraxis von ‚normalen‘ Schulen minimal zu sein scheint.[18] Eine Umweltbildung, die ihren Namen verdient und allein die Chance bietet, die angestrebten Ziele zu erreichen, bleibt also weiter eine schulische Randerscheinung. Schon aus diesem Grund kann die gesellschaftliche Breitenwirkung nicht groß sein.[19] Bei dieser Einschätzung ist noch nicht berücksichtigt, welche tatsächliche Wirkung durchgeführte schulische Umweltbildung (oder die anderer Institutionen) auf das Umweltbewußtsein und -handeln der betroffenen Schülerinnen und Schüler[20] kurz- und langfristig hat. Diese Wirkung wird von der neueren Umweltbildungsforschung in Frage gestellt, jedenfalls soweit die jeweilige Zielsetzung im Verhaltensbereich als Maßstab dient, also ein umweltfreundliche(re)s oder umweltbewußte(re)s Verhalten. Die bisher benutzten Lernmodelle, die einen engen linearen Kausalzusammenhang zwischen Wissen, Einstellungen und Verhalten unterstellten, erwiesen sich als kaum haltbar. Die mutmaßlich begrenzte, ja sogar ausbleibende Wirkung im Sinne einer Zielsetzungen, die das zweite Argument für die eingangs formulierte These 1.1 darstellt, hat komplexe Ursachen, die in jüngster Zeit vor allem durch überfällige Rezeption der psychologischen und sozial-wissenschaftlichen Umweltbewußtseins- und Umweltverhaltensforschung in den Blick kommen (vgl. 5.5).
Umstritten sind die Konsequenzen dieser empirischen Erkenntnisse für die Umweltbildung, insbesondere hinsichtlich des Stellenwertes der Aneignung von Umweltwissen. Kann aus der Tatsache, daß für das alltägliche Verhalten die Aneignung von Wissen offenbar eine geringe Rolle spielt, generell auf die sekundäre Bedeutung von Wissen geschlossen werden? Gegenüber vorschnellen Schlußfolgerungen muß folgendes bedacht werden: (Sach)begründetes Verhalten und die Beurteilung komplexer Situationen, die für ökologische Problemlagen charakteristisch sind, erfordern auch ein Wissen um relevante Zusammenhänge.[21] Gerade in einer Zeit, die mit der Nachhaltigkeitsdebatte eine weitere Komplexitätsstufe und gesteigerte Ansprüche an Gesellschaft, Bildung und insbesondere Schule stellt, ist es dringend erforderlich, sich diesen Fragen des Bewältigens der Komplexität auf allen Ebenen zu stellen (s. 4.7 und 5.6).
Die Ziele der Umweltbildung im allgemeinbildenden Bereich könnten hinsichtlich der Komplexität von Problemsituationen von Anfang an unrealistisch gewesen sein. Vielleicht wurden besonders von Seiten der Politik zu hohe Erwartungen formuliert.[22] Dies könnte das Wirkungsdefizit erklären.
Außerdem ist ungeklärt, welchen Beitrag die Schule zum tatsächlich feststellbaren Umweltbewußtsein und dem positiven Umwelthandeln von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gehabt hat. Vermutlich haben die Massenmedien mehr erreicht. Zumindest wurden Probleme und Kontroversen einem breiten Publikum, auch Kindern und Jugendlichen bekannt gemacht, wenngleich in einer medientypischen Art und Beschränkung (z. B. de Haan 1995a). Vermutlich hat die Schule in der Gesamtheit der Bildungsinstanzen und Sozialisationsfaktoren einen geringen Stellenwert.
Man kann daraus eine ‚umweltpädagogische Bescheidenheit‘ in der Schule ableiten, d. h. eine generelle Reduktion ursprünglich angestrebter und begründeter Ziele im Bewußtsein und Handeln der Einzelnen vornehmen. Dies wäre meiner Auffassung nach jedoch voreilig und resignativ, denn Umweltbildung wurde nicht mit den gesellschaftlichen und staatlichen Anstrengungen sowie mit den Rahmenbedingungen betrieben, die die meisten Vertreter erforderlich halten und auch genauer wissenschaftlich hätten überprüft werden können. Welcher qualitative Aufwand für eine erfolgreiche Umweltbildung sinnvoll ist, wird in der vorliegenden Arbeit vor allem für die lokale Ebene unter dem Begriff lokale pädagogische Infrastruktur angesprochen (s. These 1.8 in 1.1.3).[23] Erkenntnisse der umweltpädagogischen Rezeption soziologischer Lebensstilforschung[24] nähren zudem die Hoffnung, daß sich durch subjekt- und lebensstilbezogene Differenzierungen der pädagogischen Arbeit günstigere Wirkungen der Umweltbildung einstellen. Bisher gibt es kaum praktische pädagogische Versuche, geschweige denn empirische Untersuchungen, die diese Hoffnung bestätigen oder widerlegen. Zusammenfassend möchte ich folgende These formulieren, die sich freilich an bestimmten – vielleicht zu hohen – Erwartungen mißt:
Für den defizitären Zustand bisheriger schulischer Umweltbildung werden in der umweltpädagogischen Literatur eine Reihe von ‚externen‘ Ursachen genannt, vor allem in dem Bereich der institutionellen Bedingungen der Schule und des öffentlichen Bildungssystems. Wenn die theoretischen Ansprüche der Umweltbildung einerseits und die reale umweltpädagogische Praxis sowie die gesamtgesellschaftliche Wirkung der Umweltbildung andererseits nicht weiter auseinander klaffen sollen, müssen für eine zukünftige Umweltbildung, für die sich die Ansprüche mit dem weitgehenden und komplexen Ziel der nachhaltigen Entwicklung erheblich erhöhen, verstärkt die Bedingungen und Hindernisse erfolgreicher Umweltbildung thematisiert, wissenschaftlich untersucht und daraus praktische Folgerungen gezogen werden.[25]
Meiner Ansicht nach gibt es neben den externen Ursachen der mangelnden Verankerung der Umweltbildung auch ebenso gravierende interne, also konzeptionelle Ursachen der wenig erfreulichen Situation und Wirkungskraft der Umweltbildung (vgl. Berchtold und Stauffer in 1.3). Meine eigene Einschätzung der schulischen Umweltbildung möchte ich über das bisher Gesagte hinaus mit Hilfe von weiteren Thesen umreißen, die nicht zuletzt meinen langjährigen Erfahrungen entsprechen. Einige der Thesen werden in den folgenden Abschnitten näher erläutert, andere zusätzlich in den folgenden Kapiteln der vorliegenden Arbeit theoretisch vertieft und differenziert:
Angesichts der Fülle umweltpädagogischer Literatur erscheint diese These vielleicht als eine überraschende Behauptung. Die Sichtung dieser Literatur zeigt jedoch, daß nach dem didaktischen Konzept von Eulefeld, Frey und Haft (1981), das in 2.2.2 vorgestellt wird, kaum ein umfassenderes Werk zu diesem Thema in Deutschland erschienen ist.[26] Für die meist mit ‚pragmatischen‘ Zielsetzungen betriebene Umweltbildung in den Schulen scheint es ausgereicht zu haben, daß in einigen fachdidaktischen Zeitschriften mehr oder weniger regelmäßig praxisanleitende Beispiele und unsystematisch kleine theoretische Abhandlungen nachzulesen waren, die mit dem parallel laufenden, umfänglichen und unübersichtlichen, theoretischen Umweltbildungsdiskurs nur sehr wenig zu tun hatten (s. These 1.4 zur ‚Unübersichtlichkeit‘). Vielleicht ließ auch diese Situation der schulpraxisbezogenen umweltpädagogischen Literatur keine andere Praxis zu. Dieser ‚fachdidaktische‘ Charakter schulischer Umweltbildung, der sich in Laufe der Jahre immerhin auf etliche Schulfächer und wissenschaftliche Bezugsdisziplinen ausgedehnt hat, war und ist ein entscheidendes Hemmnis der Entwicklung einer Theorie schulischer Umweltbildung, die ihrem Grundpostulat der Interdisziplinarität gerecht wird. Fehlende, übergreifende Institutionalisierungsformen, sowohl in der Schulpraxis als auch auf der Ebene der universitären Bezugsfächer oder der Ebene der Medien und Fachzeitschriften[27], haben einen notwendigen allgemeinen und systematischen Diskurs über die Fachgrenzen hinaus sowie eine systematische Rezeption relevanter allgemeiner Erkenntnisse aus anderen relevanten Wissenschaften (Soziologie, Psychologie u. a.) erschwert oder verhindert.
Vor diesem Hintergrund erstaunt es kaum, daß ökologisches Denken, verstanden als die Fähigkeit eines Denkens in komplexen Zusammenhängen, selten in Praxismodelle umgesetzt oder gar auf die Umweltbildung als sehr komplexen Lernprozeß angewendet wurde: Lange Zeit herrschte eine schlichte lineare und mechanische Auffassung des Lernprozesses: Man muß nur entsprechendes Wissen vermitteln, um zu ökologischen Einstellungen und dann zum angestrebten (‚richtigen‘) Umweltverhalten zu kommen (s. 1.1.1). Anderslautende Erkenntnisse der Umweltpsychologie[28], die schon in den 80er Jahren vorlagen, wurden kaum berücksichtigt (s. auch 5.5). Offenbar wollten Umweltpädagogen diese Erkenntnisse nicht wahrhaben, die große Teile der praktizierten Umweltbildung und damit die jeweils eigene Arbeit in Frage gestellt hätten.
Die konzeptionellen Mängel der Praxis spiegeln auch den mangelhaften Zustand einer schulbezogenen Theorie der Umweltbildung wider. Eine wesentliche Ursache liegt im überregionalen Umweltbildungsdiskurs und seinen Bedingungen: Träger dieses Diskurses war und ist ein sehr heterogener Kreis von Personen, die ihre lokale Praxis in sehr unterschiedlichen Handlungssituationen und institutionellen Bedingungen primär aus persönlichem Engagement heraus betreiben, weniger aus Gründen beruflicher Notwendigkeit. So gibt es im Hochschulbereich bis heute fast keine Stellen mit einer Denomination, die Umweltbildung explizit umfaßt. Damit haben die Universitäten und die staatliche Wissenschaftspolitik, die auch 20 Jahre nach dem allgemeinen Beschluß der Einführung der Umwelterziehung bzw. Umweltbildung bisher keine Voraussetzungen ihrer universitären Umsetzung geschaffen haben, den Beweis für fehlende Innovationsfähigkeit in diesem Bereich erbracht. Erst 1996 hat sich ein Teil der im Umweltbildungsbereich engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher fachlicher Herkunft formell im Rahmen der DGfE als AG Umweltbildung organisiert und ein langfristiges Forschungsprogramm entwickelt (vgl. Fußnote 3). Diese Heterogenität der Akteure des Umweltbildungsdiskurses hat eine Vielzahl von Ideen freigesetzt, aber auch zu einer extremen Unübersichtlichkeit der Diskurse (s. These 1.4)geführt, die die Rezeption für Außenstehende erschwerte. Nachträglich betrachtet haben sich die in den 80er Jahren in unfruchtbaren Formen ausgetragenen internen Kontroversen noch gravierender ausgewirkt: Zwischen der schulischen Umwelterziehung als staatliche Veranstaltung, die sich in Theorie und Praxis den Prämissen des gegebenen Schulsystems weitgehend anpaßte und einer Grundsatzkritik daran, die radikal politisch-gesellschaftskritisch und z. T. auch radikal schulkritisch ausgerichtet war, blieb kein Raum für Zwischenwege[29] im Sinne einer kritischen und konstruktiven Fortentwicklung schulischer Umweltbildung. Statt dessen herrschte damals ein ausgeprägtes und verbreitetes Abgrenzungsbemühen in der theoretisch ausgerichteten umweltpädagogischen Literatur.[30]
Interessierten und engagierten Pädagogen fällt es deshalb oft schwer, erforderliche Orientierungen gewinnen, sich selbst zu qualifizieren und den theoretischen Ansätzen gemäße Praxisansätze zu realisieren.[31] Die Komplexität der Nachhaltigkeitsdiskussion droht diese Situation für die Umweltbildung noch zu verschärfen. In dieser Arbeit soll die Perspektive eines integrierten Ansatzes von Umweltbildung entfaltet und vorgeschlagen werden, für den auch ein höherer Grad an ‚Übersichtlichkeit‘ spricht.
Das Problem der Anschlußfähigkeit[32] trifft besonders für interdisziplinäre Konzepte zu, die in der Regel den formulierten Ansprüchen der Umweltbildung entsprechen, und für zukünftige, sich auf die nachhaltige Entwicklung beziehende Themen. Bei diesen Themen müssen zusätzlich inhaltliche Verknüpfungen mit anderen Bereichen und anderen epochal-typischen Schlüsselproblemen (Klafki) geleistet werden, wofür noch erheblicher Entwicklungs- und Praxisforschungsbedarf besteht.[33] In dieser Arbeit können hierzu nur allgemeine curriculare Vorüberlegungen getätigt werden (vgl. 5.10). Den in diesem Unterabschnitt 1.1.2 skizzierten internen Problemen der schulischen Umweltbildung soll also mit verstärkten konzeptionellen Anstrengungen begegnet werden, die die didaktische Stagnation durch integrierte, anschlußfähige Konzepte zu überwinden versucht.
Anschlußfähigkeit soll hier jedoch nicht als Anpassung an bestehende schulische Strukturen und Bedingungen verstanden werden (vgl. 1.3), denn die mangelnde Anschlußfähigkeit von Konzepten hat auch, vielleicht sogar primär, politische, also ‚externe‘ Ursachen: Die bisher kaum reformbereite Bildungs- und Schulpolitik und die immer noch weitgehend fehlende oder unzureichende Umweltbildungspolitik versäumten es, die viel kritisierten innerschulischen Strukturen hinreichend zu ändern, einzelschulbezogene Schulentwicklung zu fördern und weitere schulübergreifende infrastrukturelle Voraussetzungen zu schaffen (s. These 1.8).
Dies gilt insbesondere für die Überwindung der Vernachlässigung der regionalen bzw. lokalen Um- und Lebenswelt, der in dieser Arbeit das besondere praxisbezogene Interesse gilt. Gegenüber der wirkungsvollen Bildungsfunktion der Massenmedien im Umweltbereich, die in ihrer Wirkung kaum über bloße „Bewußtseinsbildung im Wohnzimmer“ hinauskommt (vgl. de Haan 1995a), hat lokale Bildungs- und Unterrichtsarbeit die wichtige Funktion komplementärer Ergänzung.
Ob sich die in den letzten Jahren ansatzweise zu beobachtenden reformerischen Tendenzen der Schulentwicklung, wie Öffnung der Schule[34] und stärkere Autonomie durchsetzen werden, ist derzeit schwer zu prognostizieren. Jedenfalls können heranwachsende Schülergenerationen mit der Schule in ihrer gegenwärtigen Verfassung – vielleicht auch mit der real existierenden Umweltbildung in ihrer jetzigen Form – offenbar immer weniger anfangen. In engem Zusammenhang zu These 1.6 steht die folgende These:
In Kapitel 3 wird ausführlich gezeigt, daß umfassende Partizipation einen weltgeschichtlichen Trend darstellt, der insbesondere die nachhaltige Entwicklung und die Agenda 21 auf allen Handlungsebenen charakterisiert. Im Rahmen dieser Arbeit interessiert vorrangig die lokale bzw. regionale Ebene, die meinen eigenen langjährigen Praxiserfahrungen entspricht.
Gerade für einen lokalen Ansatz der Umweltbildung mit seiner potentiellen Handlungs- und Alltagsorientierung bieten Prozesse der LA 21 (s. 3.4 und 3.5) im Zuge einer nachhaltigen Stadt- oder Gemeindeentwicklung erheblich verbesserte Entfaltungsmöglichkeiten. Es stellt sich allerdings heraus, daß die breite Nutzung dieser Chancen an einige Voraussetzungen gebunden ist, die auch schon für die bisherige Umweltbildung galten. Dieser Gedanke, der meinen Erfahrungen in Osnabrück entspricht, kommt in der folgenden These zum Ausdruck, die in den Kapiteln 2, 3 und 5 aus verschiedenen Gesichtspunkten entfaltet und diskutiert wird:
Die Chancen und Herausforderungen können sonst leicht zu einer Überforderung werden, wenn es nicht gelingt, die Schulen und Bildungseinrichtung auf verschiedenen Ebenen und mit wohl beträchtlichem Aufwand zu unterstützen (5.8 und 5.10). Dies ist der Hauptzweck meiner praktischen Arbeit in Osnabrück (s. Becker 1998b u. 2000a). Neben der lokalen Infrastruktur gilt es schließlich auch, die subjektiven, professionellen Voraussetzung bei den Lehrkräften zu schaffen:[35]
Im Anschluß an These 1.5 ergeben die folgenden Überlegungen eine all-gemeinere Perspektive für eine gesellschaftlich erfolgreiche Umweltbildung. Das derzeitige gesellschaftliche Umfeld bzw. das ‚geistige Klima‘ ist – trotz häufiger politischen Bekundungen – noch nicht hinreichend dafür entwickelt, aus den kaum bestrittenen ökologischen und gesellschaftlichen Krisendiagnosen die politischen und bildungspolitischen Konsequenzen ziehen zu können, ohne die die Umweltbildung als pädagogisches Handeln ihr Potential kaum entfalten und zur Wirkung kommen lassen kann. Der zunehmende und einseitige Ökonomismus im politischen Denken („Wirtschaftsstandort Deutschland“ u. ä.) stellt sogar einen Gegentrend dar. Diese Situationseinschätzung trifft erst recht für die Perspektive einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung zu.
Es gilt, in verschiedenen Bereichen unterstützungswürdige gesellschaftliche Tendenzen aufzuspüren, die für eine zukunftsorientierte Umweltbildung förderlich sein könnten und die selbst von Umweltbildung unterstützt werden. Dabei gilt es, das Problem einer bloßen Anpassung an die Gesellschaft in denjenigen Aspekten zu verhindern und zu reflektieren, die zu den Ursachen der Krisenphänomene gehören, zu deren Beseitigung gerade die Umweltbildung beitragen will. In der vorliegenden Arbeit werden in diesem Sinne Anschlußfähigkeiten einer zukunftsorientierten Umweltbildung an Trends der Modernisierung in folgenden Bereichen gesucht und diskutiert:
– der anhaltende Bildungsdiskurs (s. Kapitel 2 und 5)
– die weltweite Entwicklung zu mehr Partizipation, die insbesondere in der Agenda 21 und den Demokratiebewegungen, aber auch in modernen Tendenzen der Pädagogik zum Ausdruck kommt (s. Kapitel 3)
– der Konstruktivismus als erkenntnistheoretische Tendenz (s. Kapitel 4).
Diesen drei Tendenzen wird mindestens je ein eigenes Kapitel gewidmet. Die ähnliche Funktionen der Anschlußfähigkeit einnehmenden Aspekte der Urbanität/ökologische Stadtentwicklung, Lokalität/Regionalität und Individualisierung werden an verschiedenen Stellen dieser Arbeit behandelt. All diese Aspekte stellen durchgehende Schwerpunkte dieser Arbeit dar und wurden schon in einigen meiner früheren Veröffentlichungen herausgestellt.[36] Zusammenfassend läßt sich also im Hinblick auf Anschlußfähigkeit folgendes formulieren:
Analoge Überlegungen gelten auch innerhalb des Bildungsbereichs und sind schon in einigen Thesen (Thesen 1.6-1.9) in 1.1.3 enthalten.
Deshalb sind für die erfolgreiche Weiterentwicklung schulischer Umweltbildung zusätzlich Impulse, Erkenntnisse aus neueren Diskursen und Trends der allgemeinen (schul)pädagogischen und bildungspolitischen Diskussion und der Praxis im Hinblick auf damit verbundene Anschlußfähigkeiten und -möglichkeiten besonders wichtig. Dazu gehören die Bereiche: Theorie der Allgemeinbildung, Schultheorie- und -entwicklung, Didaktik und Methodik, Curriculumtheorie und -entwicklung (vgl. 5.9), sowie schulische Reformtendenzen wie Öffnung (These 1.6), Autonomie u. ä., die an verschiedenen Stellen der Kapitel 2, 3 und 5 eine wichtige Rolle spielen.
Mit so einem ‚strategischen‘ Ansatz, der an reale Reform- und Veränderungstendenzen anknüpft, wird ein Weg bestritten zwischen den beiden bisher dominierenden grundlegenden Optionen, die ich vereinfachend so beschreiben möchte: Aus den konstatierten institutionellen Hemmfaktoren einer ambitionierten Umweltbildung werden abstrakte Forderungen an eine ‚Idealschule‘ gestellt. Da sie nicht erfüllt werden, kann sich Umweltbildung nicht im Sinne dieser Ansprüche entwickeln; eine konzeptionelle Weiterentwicklung kommt gar nicht erst in den Blick. Zum etwa gleichen Ergebnis kommt eine ‚pragmatische Position‘, die sich von vornherein auf das jeweils pädagogisch und institutionell Machbare beschränkt (s. auch 1.3.).
Die Umweltbildungsdiskussion wird von der universitären Schulpädagogik, ja der wissenschaftlichen Pädagogik immer noch weitgehend ignoriert. Dies zeigt die sehr kleine Zahl einschlägiger Artikel in den erziehungs-wissenschaftlichen Zeitschriften der letzten Jahre. Umgekehrt werden in der Umweltbildung pädagogische Entwicklungen und Debatten noch zu wenig zur Kenntnis genommen. Diese Trennung der pädagogischen und umwelt-pädagogischen Diskurse, die wissenschaftssoziologisch erklärbar ist, hat für innovative Praxis- und Theorieentwicklung große Nachteile. Eine intensivierte gegenseitige Rezeption und Kritik könnte fruchtbare Anregungsfunktion für beide Seiten haben und speziell für die Umweltbildung eine breite Diskussionsbasis schaffen. Im Hinblick auf das Verhältnis von Umweltbildung und Bildungstheorie bzw. Theorie der Allgemeinbildung ist diese Ebene möglicher Anschlußfähigkeit ein Grundgedanke des Kapitels 2, der eine zentrale Bedeutung in der Gesamtargumentation meiner Arbeit hat.
Die Überlegung, solche bedeutenden gesellschaftlichen bzw. soziokulturellen, politischen, erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen, bildungspolitischen bzw. schultheoretischen Trends im Hinblick auf die wechselseitigen Verknüpfungsmöglichkeiten und „Resonanzen“ mit der Umweltbildung zu thematisieren, hat die Grundstruktur meiner Arbeit wesentlich mitbestimmt.[37]
Anregend wirkte dabei die Idee, die de Haan in Varianten (z. B. 1996a u. 1998a) im Hinblick auf die Verbreitung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Diskussion eingebracht hat: Die dazu erforderliche „Revision und Reform der Organisationsstruktur und Inhalte von Bildung und Erziehung“ sollen nicht nur auf direktem Wege erfolgen, d. h. über neue inhaltliche Themen in den Bildungseinrichtungen, sondern durch die aktive Nutzung und Thematisierung seiner basalen Theoreme, die er als fortgeschrittenste und innovativste Theorien, Techniken, Werturteile und kulturelle Trends identifiziert. De Haan zählt ebenfalls die Partizipation, den Konstruktivismus, die Individualisierung dazu, außerdem Leitbilder als Orientierungsmuster, die reflexive Modernisierung und den Gerechtigkeitsdiskurs. Im Sinne dieser Argumentation werden in meiner Arbeit (s. These 1.11) Urbanität und Lokalität/Regionalität zusätzlich als wichtige basale Theoreme der nachhaltigen Entwicklung angesehen.[38]
Die wichtige Suche nach positiv wirkenden Resonanzen darf nicht den Blick versperren vor ebenso existierenden Trends und gesellschaftlichen Entwicklungen, die die Umweltbildung behindern, gleichsam blockierende ‚Dissonanzen‘ erzeugen; man denke nur an den schon erwähnten, scheinbar unaufhaltsam fortschreitenden Ökonomismus, der die vieldiskutierte Globalisierung[39] derzeit kennzeichnet. Im Grundsatz gilt es, auch diese kontraproduktiven Aspekte zu analysieren und mit den Anschlußfähigkeiten zu bilanzieren, sonst besteht die Gefahr, daß Perspektiven aufgebaut werden, die sich in ein paar Jahren als Illusionen erweisen könnten.
Die Suche von Berchtold und Stauffer (1997) nach Anschlußfähigkeit für schulische Umweltbildung geht meiner Auffassung nach zu weit in Richtung bloßer Anpassung. Gleichwohl haben beide Autoren mit ihrer Analyse und ihren Vorschlägen einen wichtigen Beitrag für schulische Umweltbildung vorgelegt, der eine längst überfällige und detaillierte Kritik der Umweltbildung aus schulischer Perspektive enthält. Die Auseinandersetzung damit dient vor allem der Verdeutlichung meiner eigenen Perspektive.
Für die beiden Autoren bestand für große Teile der Umweltbildung die paradoxe Situation, daß einerseits der Schule „wenig Konstruktives“ zugetraut, gleichzeitig aber die Möglichkeit der Schule überschätzt wurde. Sie kritisieren die ihrer Auffassung nach vorherrschende Position, die Ursache schulischer Defizite der Umweltbildung einzig bei den institutionellen Strukturen zu suchen, die dann entweder als unveränderlich angesehen werden oder deren Veränderung als unverzichtbare Voraussetzung für erfolgreiche Umweltbildung gefordert werden muß. Berchtold und Stauffer sehen die Ursache der Schwierigkeiten schulischer Umwelterziehung[40] in deren begrifflichen und konzeptionellen Unzulänglichkeit, „weil pädagogische Reformerfahrungen nicht berücksichtigt, pädagogische und psychologische Theorien und Erfahrungstatbestände nicht beachtet und empirische Studien, wenn überhaupt, einseitig interpretiert werden.“ Die Autoren kritisieren die „begriffliche Opulenz“ zur Bezeichnung von Konzepten sowie problematische und illusionäre Prämissen hinsichtlich erreichbarer Ziele. Sie mahnen das Fehlen praktikabler methodisch-didaktischer Gesamtkonzepte an, die inhaltliche Auswahlprobleme angehen (statt didaktische Beliebigkeit zu betreiben), die „Vernetzungspostulate“ einlösen und die „Projektmethodenfixierung“ überwinden.
Die Schule braucht keine ökologisch-naturbezogene-pflegerische Umwelterziehungsbildungspädagogik, sondern Klärungen und Konkretisierungen in umweltpädagogischen Konzepten. (Berchtold/Stauffer 1997, S. 58)
Aus ihrer kritischen Analyse der schulischen Umweltbildung fordern Berchtold und Stauffer in diesem Sinne eine Neubestimmung des Verhältnisses von Schule und Umwelterziehung. In provozierender Formulierung kehren sie die einseitige These (vgl. These 1.2) von den ‚externen Ursachen‘ der Defizite schulischer Umweltbildung um und fordern die Anpassung der Umwelterziehung an die schulischen Bedingungen. Wenn damit der bestehende Zustand der Schule gemeint ist, wäre dies unter dem Aspekt einer ohnehin dringend erforderlichen Schulreform eine ebenso einseitige wie fragwürdige Aussicht für die Umweltbildung. Deutlicher wird die neue konzeptionelle Perspektive auf der Ebene der drei geforderten Hauptkonsequenzen dieser Autoren:
– Erstellung eines „Lernprogramm der Umwelterziehung“
– Methodenvielfalt
– interdisziplinäres „Zeitgefäß Umwelterziehung“.
Das Lernprogramm soll die unkoordinierte und fragmentarische Behandlung von Umweltthemen verhindern und systematische Möglichkeiten bieten, Aspekte zu berücksichtigen, die im Rahmen traditioneller Schulfächer kaum behandelt werden (Geschichtlichkeit ökologischer Systeme, Handlungswissen u. a.). Diese Forderung nach Methodenvielfalt richtet sich vor allem gegen die Vorstellung der Projektmethode als ideale, inhalts-unabhängige Unterrichtsmethode (etwa im Sinne von Kilpatrick oder Frey). Statt dessen wird das umfassendere Modell der „Werkstatt“ vorgeschlagen. Damit hängt eng die Forderung zusammen, die herrschende Vorstellung der Umwelterziehung als didaktisches bzw. unterrichtliches Prinzip, die als ineffektiv angesehen wird, durch ein interdisziplinäres Zeitgefäß zu ersetzen: Dies wäre „für jene spezifischen Inhalte und Methoden der Umwelterziehung vorzusehen, für die im Rahmen des üblichen Unterrichts aus methodischen, zeitlichen und themenspezifischen Gründen kaum Platz zu finden ist.“ Die Umwelterziehung hätte dann „verpflichtenden Charakter“ und würde „einen didaktisch begründbaren, systematischen Aufbau begünstigen und Kontinuität gewährleisten.“ Dies würde die Qualifikation der Lehrkräfte erheblich mehr fördern, aber auch erfordern als dies heute der Fall ist (Berchtold/Stauffer 1997, S. 286f).
Obwohl diese Argumentation einige bedenkenswerte Aspekte enthält, insbesondere in curricularer und schulorganisatorischer Hinsicht, ist die Forderung nach Zeitgefäßen, für die es in der Schweiz für verschiedene neue Aufgaben der Schule bereits praktische Ansätze in den Lehrplänen gibt, in Deutschland zur Zeit nicht im Gespräch. Im Sinne eines offenen und regionalen bzw. schulbezogenen Verständnisses ist die curriculare Perspektive – aus durchaus ähnlichen Gründen – Teil des in dieser Arbeit entwickelten Konzeptes (vgl. 5.9).
Statt einer Anpassung der Umweltbildung an die Schule wird entsprechend meiner bisherigen Argumentation für eine erfolgreiche, sich stärker auf schulische Bedingungen und Möglichkeiten einlassende Umweltbildung nur dann eine Chance gesehen, wenn es gelingt, positive Verknüpfungen mit partiell sichtbaren Tendenzen einer reformerischen Schulentwicklung, aber auch bestimmten außerschulischen gesellschaftlichen Entwicklungen (z. B. nachhaltige Entwicklung) und nicht zuletzt mit den Interessen und Motiven der Lernenden (Prinzip der Partizipation) herzustellen. Dieser strategische Grundgedanke verzichtet – im Unterschied zu Berchtold und Stauffer – nicht von vornherein auf Teile des kritischen und vielfältigen Umweltbildungsdiskurses der letzten 20 bis 25 Jahre und damit zusammenhängender, weitgehenderer Ansprüche, Aspekte und Ideen (vgl. Kapitel 2). Um nicht illusionären Vorstellungen über die Möglichkeiten schulischer Umweltbildung anzuhängen, muß gerade eine Theorie, die sich kritisch gegenüber der Praxis versteht, sich sehr genau mit den Realisierungsbedingungen und -möglichkeiten von Umweltbildung beschäftigen. Auf eine lokale Ebene begrenzt, entspricht die Frage nach den Realisierungsbedingungen meinem spezifischen Erkenntnisinteresse und auch einem Hauptziel meines praktischen Engagements vor Ort in Osnabrück.
Eine Beschränkung auf den Blickwinkel Schule erscheint mir, im Sinne der Argumentation um Anschlußfähigkeiten und Verknüpfungen sowie Einschätzungen von Chancen und Hindernissen u. ä. wenig sinnvoll. In dieser grundlagentheoretischen Arbeit steht das gesellschaftliche Um- und Bedingungsfeld der Schule im Vordergrund. Gleichwohl besteht für die schulische Umweltbildung ein großer innovativer Forschungs-, Entwicklungs-, Erprobungs- und Evaluationsbedarf, der in dieser Arbeit nicht systematisch diskutiert wird. Perspektiven sind vor allem den curricularen Überlegungen in 5.9 zu entnehmen.
Die am Anfang dieses Kapitels vorgeschlagene Sprachregelung, sich auf den Begriff Umweltbildung zu beschränken, ändert nichts an der real existierenden Pluralität von Konzepten. Für Einzelkonzepte liegen meist durchaus gute oder zumindest nachvollziehbare Begründungen vor, aber auch Kritiken. Allzu häufig wird das eigene Konzept jedoch von der jeweiligen Autorin bzw. dem jeweiligen Autor als allein richtiger Ansatz verabsolutiert. Mit solchen Grundhaltungen ist weder ein demokratischer Konsens herzustellen noch ein Konzept der Allgemeinbildung für die Schulen im Bereich Umwelt zu begründen. Auch wird damit der Unterschiedlichkeit der Lernenden nicht Rechnung getragen. Dies kann man z. B. an der Naturerlebnispädagogik verdeutlichen: Für sie sprechen – je nach Kontext – etliche nachvollziehbare und akzeptable Gründe, aber auch bedenkenswerte und grundsätzliche Kritiken. Unabhängig vom Expertendiskurs hat dieser Ansatz aus der Perspektive einzelner Lernender mit Sicherheit unterschiedliche Bedeutung und Wirkung. Als Gesamtkonzept ist die Naturerlebnispädagogik in jedem Fall einseitig, weil ihr beispielsweise die unverzichtbare politische Dimension fehlt. Umgekehrt ist die fehlende politische Dimension kein Grund, Naturerlebnispädagogik grundsätzlich oder als Grundlage einzelner Lern- und Bildungsangebote abzulehnen, sondern zunächst nur ein Argument dafür, daß Naturerlebnispädagogik für sich allein nicht ausreichend ist – wie eine rein politisch ausgerichtete Umweltbildung auch nicht ausreicht.
Man kann nun mit dem Problem bzw. der Tatsache der Vielfalt der Ansätze – um die in These 1.4 konstatierte Unübersichtlichkeit einmal positiv zu formulieren oder zu interpretieren – in zweierlei Formen konstruktiv umgehen, die beide zwei Varianten eines pluralistischen Modells darstellen: Die erste Möglichkeit wäre ein pragmatisches oder auch bewußt ‚post-modernes‘ Herangehen[41] eines ‚Alles-ist-möglich‘. In der Konsequenz käme dabei ein schlicht additives Modell von unterschiedlichen Ansätzen heraus, die nichts miteinander zu tun hätten. Dies entspräche einer Legitimierung des derzeitigen faktischen Zustands der Umweltbildung.
Der andere Weg, der von mir favorisiert wird, ist der Versuch einer begründeten Integration. Dabei müssen die verschiedenen vorliegenden Konzepte als Teilkonzepte, als sich ergänzende Vorschläge und Dimensionen eines offenen Gesamtkonzeptes angesehen werden, die für verschiedene Situationen, Adressaten und Altersgruppen unterschiedliche Bedeutung haben können. Eine solche integrative Umweltbildung bedeutet aber nicht notwendig, daß es sich um ein harmonisches und festes Ganzes handelt, das alle Probleme und Differenzen beseitigt oder vergessen lassen will. Dies wäre nicht nur in einem theoretischen Sinne unredlich, sondern im Sinne einer praktischen Perspektive unrealistisch. Es geht also um ein offenes, plural(istisch)es (Rahmen)konzept der Umweltbildung.
Gerade für Bildungsinstitutionen wie die Schule bietet sich ein solcher integrierter Ansatz unter anderem deshalb an, weil er dort als eine Folge von abgestimmten Umweltbildungsaktivitäten – ggf. über die ganze Schulzeit verteilt – realisierbar ist. Dies bedarf der Planung eines offenen Gesamtcurriculums der Umweltbildung, zumindest auf der Ebene der Einzelschulen und der Biographien von Lernenden.
Die Frage eines spezifischen Umwelt-Curriculums (vgl. 5.9) ist letztlich kaum ohne Berücksichtigung des schulischen Gesamtcurriculums zu lösen. Auch wenn sich die Konstruktion eines Gesamtcurriculums im Sinne der Curriculumdebatte der 70er Jahre unter den damaligen wissenschaftlichen und bildungspolitischen Prämissen als nicht realisierbar erwiesen hat, verweist diese Tatsache auf die Notwendigkeit einer Neustrukturierung der schulischen Allgemeinbildung. Der Bezug zur Allgemeinbildung ist aber auch deshalb erforderlich, weil sich gemäß der neueren Diskussion zur nachhaltigen Entwicklung, Umweltthemen immer weniger von Themen aus anderen gesellschaftlichen Problembereichen trennen lassen.
Bisher gibt es kaum systematische Ansätze einer solchen integrativen Betrachtung, geschweige denn Begründungen eines möglichen theoretischen Rahmens. Ansätze dazu finden sich implizit bei Reißmann (1998a) undgelegentlich stößt man in der Literatur über Charakterisierungen der Umweltbildung auf Listen von Merkmalen, die z. T. faktisch bestimmte Einzelkonzepte repräsentieren (z. B. Niedersächsisches Kultusministerium 1993, S. 8-17). In Kapitel 2 soll aus einer bildungstheoretischen Perspektive bzw. aus einer Theorie schulischer Allgemeinbildung, die in der Tradition Kritischer Theorie steht, durch eine historische Rekonstruktion der Umweltbildung ein Versuch gemacht werden, Umrisse eines begründeten Gesamtkonzeptes zu entwickeln, das zumindest einen großen Teil vorliegender Ansätze als Dimensionen integriert (s. 2.9).
Sicherlich gibt es mehrere Möglichkeiten für ein integriertes Umweltbildungskonzept, vor allem unter unterschiedlichen politischen oder bildungstheoretischen Prämissen. In einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft kann ein Gesamtkonzept von Umweltbildung, das gesellschaftliche Geltung beanspruchen will, deshalb immer nur ein Rahmenkonzept mit seinen Dimensionen darstellen, das verschiedene Begründungen, Interpretationen und Umsetzungsmöglichkeiten einschließt, insbesondere auch ‚kritische‘ und ‚konservative‘ Ausprägungen zuläßt. Diese Grenzen des Rahmens sind nicht allein theoretisch bestimmbar, sondern letztlich Ergebnis gesellschaftlicher und insbesondere bildungspolitischer Diskurse und von Aushandlungsprozessen, deren partizipatorischer Charakter gewährleistet oder von den Beteiligten erkämpft werden muß. Man kann also mindestens zwei Ebenen theoretischer Arbeit unterscheiden: Die Erstellung und ‚Aushandlung‘ eines Rahmenkonzepts und die Entwicklung von unterschiedlichen Ausprägungen von Umweltbildung mit jeweils spezifischen Begründungen sowie unterschiedlichen ‚Hintergrundtheorien‘.
An dieser Stelle möchte ich meine allgemeinen theoretischen Präferenzen für diese Arbeit zur Umweltbildung offenlegen. Zum einen sei hier ein Denken in der Tradition ‚Kritischer Theorien‘[42]genannt. Meine zweite Präferenz liegt im ‚pluralistischen Denken‘, das unter anderem in der Verwendung des Diskursbegriffes zum Ausdruck kommt. Diesbezüglich lehne ich mich in der neueren pädagogischen Literatur m. E. an Hansmann und Marotzki (1988b) an, die sich ihrerseits eher von Foucault als z. B. von Habermas inspirieren ließen und den Diskursbegriff in folgendem Sinne benutzen: Es geht in einem sehr neuen noch zu entfaltenden, fachüber-greifenden Themenfeld, unter anderem um eine „Pluralität von Bezügen“ und um Verbindungen zu anderen, auch fachfremden Diskursen („Geflecht von Diskursen“), um Diskontinuität und Offenheit. Diese beiden Autoren formulieren ihre Einschätzung so:
Die Vorsicht gegenüber überzogenen Universalisierungs- und Absolutheitsansprüchen führt eher zum konsequenten Anerkennen einer gewissen Polymorphie, zu einer konsequent positiven Haltung gegenüber Differenz, die zwar immer nur Differenz in einer Einheit ist – das scheint uns unhintergehbar gegeben zu sein – aber darum doch nicht, ... auf diese Einheit zu reduzieren ist. Wir begreifen die Aufgebrochenheit nicht nur als defizienten Modus der Geschlossenheit. (Hansmann/Marotzki 1988b, S. 12f)
All dies ist nach Auffassung der beiden Autoren Voraussetzung für die Ermöglichung einer Identität der Erziehungswissenschaften und einer wechselseitigen Prüfung und Korrektur. In diesem Sinne ist es unwahrscheinlich, ja nicht wünschenswert, Umweltbildung als geschlossenes System zu konzipieren. Es geht vielleicht auch nur darum, eine ‚Diskurslandschaft‘ abzustecken.
Derzeit ist diese Diskurslandschaft jedoch noch sehr unübersichtlich (vgl. These 1.4), zumal wenn sich Umweltbildung auf die hier im Mittelpunkt stehenden Begriffe wie Bildung, Nachhaltigkeit, Partizipation, Konstruktivismus usw. bezieht, die ihrerseits ebenfalls von einer begrifflichen Unübersichtlichkeit gekennzeichnet sind. Dazu kommt, daß in der Literatur zur Umweltbildung die Grundlagen und Begriffe der jeweiligen Autorinnen und Autoren häufig sehr unklar sind.[43] Diesen unbefriedigenden Zustand im Rahmen einespluralistischen Ansatzes zu verbessern, transparenter und kommunizierbarer zu machen, gehört zu den wichtigen und schwierigen Aufgaben der weiteren Theorieentwicklung der Umweltbildung. In dieser Arbeit wird an etlichen Stellen versucht, die explizite, implizite und potentielle Differenzierung der Begriffsbedeutungen und ‑verwendungen wenigstens ansatzweise bewußt zu machen. Insbesondere gilt dies für Umweltbildung und verwandte Begriffe (Kapitel 2), weiterhin für die Begriffe Partizipation und nachhaltige Entwicklung (Kapitel 3), Konstruktivismus (Kapitel 4) sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung (Kapitel 5).
Der grundlagentheoretische Schwerpunkt der Arbeit kommt in allen folgenden Kapiteln zum Ausdruck. Die allgemeine Funktion der Kapitel 2 bis 4 in dieser Arbeit wurde bereits im Kontext des Gedankens der Anschlußfähigkeit bestimmt. Die Erörterung der schulischen Umweltbildung im Sinne der schulbezogenen Thesen dieses Kapitels erfolgt im weiteren nur noch im Thematisierungskontext dieser Kapitel. Die notwendigen Konkretisierungen auf schultheoretischer und didaktisch-curricularen Ebenen sowie die lokale Praxis evaluierende Forschungsarbeiten sind für die Zukunft vorgesehen. Mit dieser Arbeit wird im übrigen in einem ersten Schritt eine theoriebezogene Bilanz und Weiterentwicklung meiner eigenen Überlegungen und theoretischen Ansätze aus den letzten 20 Jahren vollzogen, die Teil einer universitären und überregional vernetzten Praxis waren und die sich in zahlreichen Veröffentlichungen niedergeschlagen haben.[44]
In Kapitel 2, das das umfangreichste ist, erfolgt eine historische Rekonstruktion der Umweltbildung in oben skizzierter ‚integrativer‘ und bildungs-theoretisch fundierender Absicht, deren methodisches Vorgehen in der Einleitung des Kapitels erläutert wird. Hier sei nur angekündigt, daß versucht wird, Bezüge und Zusammenhänge der Umweltbildung zu dem z. T. zeitlich parallel verlaufenden Bildungsdiskurs und zu anderen als relevant angesehen Diskursen (Postmodernismus, Pluralismus) herzustellen und argumentativ zu nutzen. Diese Rekonstruktionsarbeit wird in Kapitel 2 zunächst nur bis Mitte der 90er Jahre geführt. Ausgeklammert wird dort die danach einsetzende Rezeption des in Gang gekommenen Nachhaltigkeitsdiskurses, der Gegenstand von Kapitel 3 ist. Die Rekonstruktion wird auf Basis von Erkenntnissen und Überlegungen der Kapitel 3 und 4 in Kapitel 5 mit der neuen Perspektive auf eine nachhaltige Entwicklung fortgesetzt.
Kapitel 3 handelt vom Prinzip Partizipation, die einen zentralen Grundgedanken des Nachhaltigkeitsdiskurses darstellt und der für die zukünftige Umweltbildung bzw. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung überragende Bedeutung zugemessen wird. Um die weltgeschichtliche Bedeutung zu verdeutlichen, wird die Vorgeschichte und die umfassende Bedeutung der Partizipation in verschiedenen Bereichen entfaltet, insbesondere ihre Rolle in der Agenda 21 differenziert dargestellt sowie in verschiedenen aktuellen pädagogischen Strömungen, Tendenzen und Handlungskontexten, aber auch reformpädagogischen Traditionen gezeigt. Die Städte, in denen die Partizipation ihre historischen Wurzeln hat, bieten der Partizipation und der Bildung für nachhaltige Entwicklung herausragende Entfaltungsmöglichkeiten. Deshalb wird der Aspekt Stadtentwicklung und Urbanität besonders betont. Die sehr unterschiedlichen Bedeutungen und Reichweiten der Partizipation lassen sich mit der Vielfalt von Begriffen und Strategien im Nachhaltigkeitsdiskurs verbinden. Bei der Diskussion über die Unterschiedlichkeit der Konzepte der nachhaltigen Entwicklung wird die übliche Dreidimensionalität des Verständnisses von Nachhaltigkeit durch zwei ausdifferenzierte eigenständige Dimensionen erweitert und begründet: Partizipation und Bildung. Begrifflich werden dadurch demokratie- und bildungsbezogene Unterscheidungen von Konzepten der Nachhaltigkeit ermöglicht. Praktisch soll dies das Demokratieprinzip stärken und zudem dem Bildungsbereich mehr Eigenständigkeit und Nachdruck verschaffen, weil dieser Bereich – wie eingangs diesen Kapitels bereits konstatiert – immer in Gefahr steht, einseitig politisch instrumentell verwendet zu werden.
Auf dieser Basis kann zum einen eine differenzierte Begründung für die Bedeutung der Partizipation geliefert, zum anderen eine genaue Einschätzung der Anschlußfähigkeiten jeweils damit verbundener Perspektiven gewonnen werden, insbesondere für die bisher noch unterentwickelte partizipatorische Umweltbildung. Insgesamt erweist sich, daß eine partizipative Pädagogik, die durchaus eine Vorgeschichte vorweisen kann, Teil einer welthistorischen Entwicklung zu Demokratie und Humanität ist.
Wenn mit Kapitel 4 ein eigenes Kapitel über den Konstruktivismus verfaßt wird, dann erfolgt dies nicht primär als Eingehen auf einen aktuellen, vielleicht sogar nur modischen Diskurs, wie kritisch eingewendet werden könnte. Die sachliche Bedeutung ergibt sich aus der bisher zu wenig thematisierten Frage nach dem Gegenstand der Umweltbildung, der weithin und unreflektiert als gegeben angenommen wird, seien es die (‚ewige‘) Natur, die ‚Umwelt‘ oder die doch scheinbar unzweifelhaft existierenden ‚Umweltprobleme‘. Die Beschäftigung mit dem Konstruktivismus zeigt, daß die Rede von dem Konstruktivismus ziemlich inhaltsleer ist: Es gibt viele Ansätze, die sich selbst konstruktivistisch nennen, sich aber untereinander z. T. grundlegend widersprechen. Zudem gibt es wissenschafts- und erkenntnistheoretische Theoriestränge, die sich zwar selbst nicht als konstruktivistisch bezeichnen, aber in einem sachlichen Bezug zur gegenstands- und wirklichkeitskonstitutiven Fragestellung des Kapitels stehen. Die Frage nach der Bedeutung des Konstruktivismus für die Umweltbildung kann man deshalb nur differenziert betrachten und zu beantworten versuchen. In zwei Thesen (4.1 und 4.3) wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen der realen und weiter voranzutreibenden Partizipation auf allen Handlungsebenen, die ja auch die Umweltbildung bestimmen soll und der Anerkennung einer grundsätzlichen Konstruktivität der Wirklichkeit, die man konstruktivistisches Denken nennen mag. [45]
Im abschließenden Kapitel 5 wird die Rekonstruktion der Umweltbildung aus Kapitel 2 im Kontext des Diskurses über nachhaltige Entwicklung und des Diskurses über Bildung für nachhaltige Entwicklung fortgesetzt und die pädagogischen Chancen zwischen kritischer reflexiver Funktion und gesellschaftlicher Modernisierung thematisiert. Einen Übergang zum Bereich Schule stellen die Abschnitte im mittleren Teil des Kapitels über die epochaltypischen Schlüsselprobleme und die Schlüsselkompetenzen dar. Im dritten Teil wird die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung für den Umweltbereich der Schule thematisiert. Dabei wird vor allem an die Thesen aus 1.1.3, an meine praktischen Erfahrungen in Osnabrück sowie an den schulbezogenen Aspekten in den Kapiteln 2 bis 4 angeknüpft. Es wird die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehende praktische Frage vertieft, inwieweit und unter welchen lokalen Bedingungen die Lokale Agenda 21 eine Chance für die schulische Umweltbildung und Schulreform (Öffnung der Schule) sowie für schülerorientierte Projekte sein kann. Es geht dabei vor allem um die Frage nach einer lokalen (umwelt)pädagogischen Infrastruktur und ihr Verhältnis zur LA 21 (s. 1.1.3), um offene, lokale (städtische) Curricula, um lokale Vernetzung und Lehreraus- und Lehrerfortbildung als Voraussetzungen erfolgreicher Umweltbildung.[46] Es werden einige oben formulierte Thesen aufgenommen und konkretisiert.
Zum Abschluß des Überblicks über die Kapitel meiner Arbeit möchte ich einige allgemeine methodologische Anmerkungen formulieren: Im Rahmen einer einzelnen Arbeit kann das Ziel, die Umweltbildungsdebatte in größere Zusammenhänge und auf eine breitere Basis zu stellen sowie Anknüpfungsmöglichkeiten in unterschiedlichen fachlichen und gesellschaftlichen Bereichen zu finden, nur ansatzweise erfolgen. Die dazu erforderliche diskurs- und disziplinübergreifende Herangehensweise kann eine ‚vollständige‘ Verarbeitung der gesamten Literatur nicht beanspruchen. Außerdem können ‚fachwissenschaftliche Standards‘ in einer fächerübergreifenden Thematisierung keine eindeutigen Maßstäbe liefern. Schließlich handelt es sich bei den Theorien aus anderen Wissenschaftsbereichen, auf die Bezug genommen wird, ausnahmslos um ‚unfertige‘ Ansätze oder Theorieskizzen, die selbst noch mit vielen Fragezeichen zu versehen sind bzw. bereits in kontroversen Diskursen z. T. grundsätzlichen Kritiken ausgesetzt sind. Auf solchen Grundlagen kann kein geschlossenes oder auch nur widerspruchsfreies Theoriegebilde als Ergebnis geliefert werden, ja es wird auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sein. Auf ein zusammenfassendes Schlußkapitel wird deshalb verzichtet.[47] Ein ängstlicher Verzicht auf solche ‚riskanten‘ interdisziplinären Verknüpfungen und Thematisierungen ist jedoch keine Lösung für die hier angesprochenen theoretischen Fragen von hoher Praxisrelevanz. Hier kann ich an von Hentig anknüpfen: Für das Neudenken kommt es seiner Auffassung nach weniger oder gar nicht darauf an, eine weitere Theorie zu entwickeln, die sich in häufig umständlicher, für Nicht-Insider meist wenig verständlicher und penibler Form primär mit allen bisherigen Ansätzen auseinandersetzt und dagegen eine neue Theorie stellt, die den Anspruch hat oder ihm nah kommen soll, möglichst widerspruchsfrei, also ‚aus einem Guß‘ oder unfreundlich-kritisch ausgedrückt: eine Dogmatik zu sein. Einer wirklichen Erneuerung der Praxis kommt man damit kaum näher. Fruchtbarer im Sinne von Hentigs sind Theorien, die gegenwärtige grundlegende Probleme, Orientierungen und Streitpunkte um die schulische Umweltbildung und damit auch um die Schule zwischen den verschiedenen Akteuren erörterbar machen: Zwischen Laien und Experten, zwischen Praktikern und Theoretikern, zwischen Pädagogen und Politikern – Theorie wird als ein System von Argumenten verstanden (von Hentig 1994, S. 185). Auf einer solchen Basis können dann erfolgsversprechend wirkliche und wirksame Umsetzungen von pluralen Konzepten geplant und realisiert werden.
Zum Schluß dieses einleitenden Kapitels möchte ich den bereits erwähnten praktischen Hintergrund meiner Arbeit in Osnabrück umreißen und an typischen Beispielen auf strukturelle Probleme einer wirksamen lokalen Umweltbildung im Kontext einer nachhaltigen Stadtentwicklung und Lokalen Agenda 21 eingehen, die motivgebend für diese Arbeit waren (s. 5.9 und 5.10).
Die LA 21 in Osnabrück gilt als einer der frühen und erfolgreichen Beispiele in Deutschland. Sie ist von ihrer Entstehung her stark mit entwicklungspolitischer Arbeit verknüpft, was in Deutschland ein untypisches Profil einer LA 21 ist. Parallel dazu gibt es von meiner Seite seit über zwölf Jahren Bemühungen um den Aufbau einer spezifisch urbanen Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit sowie einer dazugehörigen lokalen Infrastruktur im Bereich der Stadt Osnabrück. Beide Bereiche bieten über eine verstärkte Zusammenarbeit ein hervorragendes, aber bei weitem noch nicht ausgeschöpftes Entwicklungspotential, insbesondere für eine Umweltbildung in der Perspektive einer nachhaltigen Stadtentwicklung von Osnabrück.
Jahrelange Vorerfahrungen mit regionaler Umweltbildung – vor allem an der Universität und in Kooperation mit Lehrkräften – zeigten Chancen, aber auch Bedingungen eines solchen Ansatzes. Dies führte 1988 zur Gründung des Forschungs- und Entwicklungsprojektes Natur und Umweltbildung in der Stadt Osnabrück (NUSO), das sich zunächst um eine systematische Aufarbeitung umweltbezogener Fragen der lokalen Stadtentwicklung kümmerte. Bei dem sich herausbildenden umweltgeschichtlichen und städtischen Schwerpunkt standen von Anfang an kommunalpolitische, soziokulturelle Aspekte des Umgangs mit städtischer Natur und Umwelt sowie der öffentliche Diskurs in den Lokalzeitungen im Vordergrund (vgl. Becker 1991b, S. 17f). Gemeinsam mit einem Trägerverein[48] wurde nach ersten öffentlichen Erfolgen angefangen, lokalbezogene Umweltbildung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen zu initiieren und mit verschiedenen umweltpädagogischen Dienstleitungsangeboten zu unterstützen (Lokale Archive, Didaktische Materialien, Publikationen, Lehrerfortbildung, Beratung u. a.).[49] Außerdem wurde eine lokale umweltpädagogische Infrastruktur und Vernetzung aufgebaut, zu der ein Kooperationsprojekt zwischen verschiedenen Trägern, das stadtbezogenes Umweltbildungszentrum (UBZ)[50], gehört.
Auf der lokalen Ebene wurde von der LA 21-Initiative als erster Arbeitsschwerpunkt das Thema Wohnen und Siedlungsentwicklung gewählt. Neben einem Arbeitskreis Ökologisch Bauen und Wohnen erstanden vor dem Hintergrund des grundlegenden Partizipationsgedankens adressatenspezifische weitere Arbeitskreise zu diesem Themenbereich: Kinder/Jugendliche, Frauen, Senioren und Migranten. Neben Betroffenen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern arbeiten unterschiedliche Organisationen, Institutionen und Initiativen mit. Dazu wurde ein geeignetes und exemplarisches Modellprojekt in einem Stadtteil gesucht, was sich als nur schwer realisierbar erwies.[51]
Nach unfruchtbaren, aber charakteristischen verwaltungsinternen Sach-, Macht- und Zuständigkeitskonflikten wurden von der kommunalen Umweltverwaltung in ihrer Verantwortung ein halbes Dutzend zusätzlicher Schwerpunkte zu relevanten Umweltthemen vorgeschlagen und dazu Arbeitskreise eingerichtet, in denen neben engagierten Einzelpersonen hauptsächlich interessierte Organisationen mitarbeiten. Obwohl sich hier ein großes Potential für die institutionalisierte Bildung eröffnet, ist der Bildungs-, insbesondere der Schulbereich in der LA 21 kaum systematisch vertreten. So ist es nicht erstaunlich, daß in den ersten drei Jahren nur wenige bekanntgewordene pädagogische Projekte inner- und außerhalb der Schule realisiert wurden, d. h. eine Breitenwirkung ist noch nicht eingetreten.[52] Nach einer punktuellen Kooperation mit der entwicklungspolitischen Dritte-Welt-Bilanz, die zeitlich vor der LA 21 stattfand, hat NUSO als Kooperationsprojekt zwischen der Universität und dem Trägerverein sich in den letzten Jahren zunehmend mit der LA 21 in Osnabrück beschäftigt und für die Zukunft dort seinen Arbeitsschwerpunkt definiert.
Was bedeutet eine umweltpädagogische Ausrichtung auf die LA 21? Einer instrumentell verkürzten Vorstellung von Umweltbildung – wie sie vor allem im politischen Raum häufig vertreten wird - ginge es lediglich darum, in der Schule die reale LA 21-Arbeit und ihre Arbeitsergebnisse zu diesem Thema didaktisierend zu reproduzieren, insgesamt die Agenda 21 und ihre Grundgedanken durch Formen direkter Vermittlung bekannter zu machen, zu ‚popularisieren‘. Dies wäre phantasielos, pädagogisch fragwürdig und deshalb letztlich vermutlich wenig wirksam. Wer sollte und könnte einen ‚Transfer‘ von den realen LA 21-Prozessen in breiter Form, d. h. in eine größere Zahl von Schulen leisten? Da dies weder von einzelnen Lehrkräften noch von den jeweiligen Arbeitsgruppen der LA 21 zu erwarten ist, bietet sich eigentlich das Osnabrücker Umweltbildungszentrum mit seinen Kooperationspartnern als vermittelnde Einrichtung an, zumal die Beschäftigung mit der LA 21 zu den offiziellen inhaltlichen Aufgaben des UBZs gehört. In der Praxis allerdings stellte sich die Situation aus verschiedenen Gründen leider erheblich ungünstiger dar – dazu ein Beispiel zum Thema Wohnen/Stadtentwicklung:
Obwohl das Rahmenthema Wohnen ursprünglich von der LA 21-Initiative ohne pädagogische Beteiligung ausgewählt wurde, erschien es NUSO pädagogisch sehr geeignet zu sein, da es viele spannende, lebenswelt- und interessenbezogene Zugänge sowie Vergleiche für alle Altersstufen zuläßt. Auch die amtlichen Empfehlungen zur Umweltbildung in allgemeinbildenden Schulen (Niedersächsisches Kultusministerium 1993) für Niedersachsen sehen diesen Themenbereich explizit vor.[53] Schwierigkeiten gibt es eher von Seiten der gültigen Rahmenrichtlinien, an denen sich viele Lehrkräfte allzu eng orientieren. Die Konzentration auf einen Themenbereich war wegen begrenzter personeller Möglichkeiten geboten.[54] Wir wollten Lehrkräfte anregen und unterstützen, das Thema Wohnen in ihrer Schule aufzugreifen. Systematisch ging es NUSO beispielsweise um folgende Aspekte:[55]
– Wohnen zu verschiedenen Zeiten in Osnabrück – Geschichte als Voraussetzung gegenwärtiger Wohnverhältnisse
– Unterschiedliche Wohnumfelder in verschiedenen Osnabrücker Stadtteilen (insbesondere in ihrer Bedeutung für Kinder und Jugendliche, für eine ökologische bzw. nachhaltige Stadt(entwicklung), für Freiräume, Stadtnatur, Verkehr ...)
– Unterschiedliche Wohnformen, soziale Wohnbedingungen und Wohnbedürfnisse (in der Wohnung)
– Architektur
– Aktuelle Stadtplanung – nachhaltige Stadtentwicklung? Beispiele
– Ökologie des Wohnens
– Gute Beispiele ökologisch orientierter Wohnformen
– Partizipation bei der Wohnumfeldgestaltung (Kinder, Jugendliche und Erwachsene)
– Wohnen in anderen Staaten – im Vergleich (West- und Osteuropa, Dritte Welt)
– Verknüpfung mit den (adressatenbezogenen) Tätigkeitsfeldern der Osnabrücker LA 21.
Diese und ggf. weitere Themen sollten im Laufe der Zeit - z. T. in Kooperation mit anderen lokalen Akteuren und ggf. in Abstimmung mit interessierten Lehrkräften - inhaltlich aufgearbeitet und dazu geeignete Lernorte in Osnabrück identifiziert werden. Bei diesen curricularen Überlegungen und didaktischen Anregungen sollten neuere Lernformen und Zielsetzungen berücksichtigt bzw. weitervermittelt werden. Lehrkräfte sollten motiviert und gewonnen werden, mit unterschiedlichen, selbst gewählten Facetten - etwa im Stadtteil der Schule – sich dieses Themas in Form von schulischen Projekten phantasievoll anzunehmen, wobei hinsichtlich der Methoden auch neuere Ansätze entfaltet und erprobt werden sollten. Im Rahmen einer seit 1995 laufenden Veranstaltungsreihe zur Lehrerfortbildung[56], die mit wechselnden lokalen Themen interessierte Lehrende an lokale Umweltbildung heranführte und unterstützte, sollte zusätzlich das Thema Wohnen mit der neuen Orientierung der Umweltbildung im Kontext von Nachhaltigkeit und LA 21 thematisiert und im breiteren Rahmen des UBZ mit anderen Kooperationspartnern des UBZs und weiteren relevanten und interessierten Akteuren zusammen organisiert werden. Schließlich sollten Arbeitsergebnisse und Praxiserfahrungen als Material angeboten bzw. für Beratungszwecke bereitgehalten werden. Die vorbereitenden Aktivitäten und praktischen pädagogischen Projekte sollten über das UBZ koordiniert werden.
Leider ist dieser erste Versuch, ein LA 21-Thema im Bildungsbereich mit anspruchsvollen Inhalten und auf Basis der Kooperation zwischen fast allen außerschulischen Umweltbildungsakteuren fruchtbar werden zu lassen, fast vollständig gescheitert. Die auftauchenden Probleme waren zwar sehr spezifisch, jedoch letztlich durchaus typisch für umweltpädagogische Handlungsverläufe und -bedingungen: Zunächst zeigte sich das unterschätzte Problem der zeitlichen und inhaltlichen Koordination von pädagogischer Planung und kaum berechenbarer Entwicklung einer jungen, ungefestigten gesellschaftlichen Bewegung des LA 21-Prozesses! Bei einigen Kooperationspartnern und NUSO selbst traten Probleme der Arbeitskapazität[57] auf, die uns schließlich zwangen, das Thema ad hoc auf Fragen der Wohnökologie und Energie[58] umzudefinieren und einzuschränken. Schließlich stellte sich heraus, daß das UBZ und seine damaligen bzw. derzeitigen formellen und informellen Kooperationspartner ein überraschend bescheidenes Handlungsinteresse an der LA 21 offenbarten, bzw. alle Gruppen aufgrund unzureichender materieller und personeller Ausstattung und das inzwischen in städtischer Trägerschaft geführte UBZ inhaltlich überfordert waren. Verschärft wurde diese Situation dadurch, daß das UBZ wegen grundlegender Konflikte über die ursprünglich vorgesehene kooperative Struktur weit über ein Jahr für solche kooperativen Tätigkeiten weitgehend ‚gelähmt‘ war.
Vom Scheitern bedroht brach NUSO die angestrebte, organisierte umweltpädagogische Thematisierung von Wohnen im Kontext der LA 21 ab und wendete sich einem anderen attraktiven Thema zu, das sich in Osnabrück anbot[59]: Hase und Wasser. Obwohl diese keine LA 21-Themen waren, gab es zunächst einen durchaus verheißungsvollen Start und NUSO entfaltete umfangreiche themenbezogene Aktivitäten – vor allem in Bezug auf die Hase, dem Osnabrücker Stadtfluß, der immer wieder in der Stadtgeschichte ein öffentliches Thema war und ist. Zusammen mit den Beiträgen anderer Kooperationspartner kamen für den Zeitraum von acht Monaten viele spannende Einzelveranstaltungen und Aktivitäten zustande, die durch entwicklungspolitische Beiträge zu ganz anders als in Deutschland gearteten Wasser-Situationen aus Staaten der Dritten Welt auch über Osnabrück hinausgingen. Am Ende sollte insbesondere die Gründung einer AG Wasser zum Osnabrücker LA 21-Prozeß erfolgen, was als dauerhafte Einrichtung jedoch bisher nicht gelang. Dies mag insbesondere daran gelegen haben, daß das beschriebene Gesamtprojekt zu additiv angelegt und der Aspekt der Nachhaltigkeit kein wirklich tragfähiges, gemeinsames Band zwischen den Kooperationspartnern war, zumal kaum gemeinsam darüber diskutiert wurde. Dies war z. T. wohl auch ein Kompetenzproblem der verschiedenen Beteiligten, z. T. wiederum ein Problem der Arbeitskapazität der veranstaltenden Lagerhalle. Außerdem verpaßte das UBZ seine Chance und kam seiner wichtigen, integrierenden Aufgabe im umweltpädagogischen Bereich nicht nach. Der schulbezogene Kern unseres Angebots war eine zweitägige Lehrerfortbildungsveranstaltung mit dem doppelsinnigen Titel WasserBildung[60], in der auch eine Verbindung zum Nachhaltigkeitsdiskurs und der LA 21 in Osnabrück hergestellt wurde.
Einige Monate später konstituierte sich das UBZ mit seinen Kooperationspartnern auf vertraglicher Basis neu. Eine partielle Umorientierung in Richtung Lokale Agenda 21 scheint – vermittelt über das UBZ und angeregt vor allem durch NUSO – nun endlich in Gang zu kommen: Aus pragmatischen Gründen hatten wir nochmals das Thema Wasser vorgeschlagen. Dies wurde akzeptiert und ein gemeinsames Programm aller Kooperationspartner des UBZs für die zweite Hälfte des Jahres entwickelt, das durchaus ein Erfolg wurde. Von unserer Seite wurden u.a. zwei didaktische Broschüren zum Thema Gewässer erarbeitet.[61]
Für die weitere Entwicklung in Osnabrück gibt es keinen Mangel an interessanten Themen, soweit sie gemeinsame Jahresthemen im Sinne einer sinnvollen Schwerpunktbildung darstellen sollen. Es ist letztlich eine Frage eines zu erreichenden Konsenses zwischen den aktiven Akteuren in Osnabrück, der vorrangig im Rahmen der Kooperationspartner des UBZ unter pragmatischen Gesichtspunkten entschieden wird. Das Thema Wasser wurde im Jahr 2000 erwartungsgemäß vom Thema Boden/Altlasten abgelöst: Da die größte bewohnte Altlastenverdachtsfläche Deutschlands in Osnabrück liegt, ist dies Thema seit Jahren von hoher Aktualität, außerdem ist es gleichzeitiges Expo 2000-Thema. Es handelt sich aber wieder nicht um ein LA-21-Thema! Für die Folgejahre steht aus meiner heutigen Sicht und unter Berücksichtigung allgemeinbildender Aspekte[62] potentiell das zurückgestellte Thema Wohnen/Lebensqualität/Stadtentwicklung an sowie Themen wie Ernährung/ regionale Versorgung/Landwirtschaft; Konsum/Freizeit; Mobilität/Verkehr u. ä. Zwar gibt es nun über das UBZ und seinen Beirat eine verbesserte Kooperationsstruktur, aber die meisten mitarbeitenden Gruppen leiden unter zurückgehender Unterstützung und Förderung. Themenbezogene Programme mit bescheidenerem Anspruch und geringer Breitenwirkung in den Schulen sind die Folge. Es bleibt abzuwarten, was in der Zukunft überhaupt noch möglich ist, welche professionelle Qualität und Attraktivität erreicht werden kann und wie das Programm von den Adressaten in den Schulen und anderen Bereichen angenommen wird.[63]
Welche Rolle der reale LA 21-Prozeß und seine Vielfalt von Themen spielen wird, ist schwer zu prognostizieren und wird von verschiedenen Faktoren abhängen, z. B. von der Entwicklung der LA 21 selbst: Wie wird sich die LA 21 langfristig etablieren? Welche Themen werden im Vordergrund stehen? Wird es auf Dauer eine gesellschaftliche Bewegung mit vielen Akteuren geben? Oder reduziert sich die LA 21 auf eine verwaltungsinterne Modernisierung? Welche Rolle kann und wird das UBZ und seine Kooperationspartner als umweltpädagogische Vertreter in der Osnabrücker LA 21 spielen? Klar ist, daß trotz der Chancen, die die LA 21 für eine qualitative und quantitative Entfaltung einer wirksamen Umweltbildung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung dem Bildungsbereich zweifellos bietet, sich zumindest schulische Bildung nicht ganz von einer solchen Bewegung abhängig machen kann oder sich gar auf eine bloße Funktion des LA 21-Prozesses reduzieren läßt. Der Erfolg ist an einige Voraussetzungen gebunden, die auf verschiedenen Ebenen mit beträchtlichem Aufwand erarbeitet werden müssen – darauf wird in allgemeiner Form in 5.10 eingegangen.
[1] Zur Umwelterziehung in der ehemaligen DDR s. 2.2.3.
[2] Die jeweilige Bedeutung ergibt sich aus dem argumentativen Kontext und wird gelegentlich durch Voranstellen eines charakterisierenden Adjektivs verdeutlicht, z. B. nachhaltige oder gesellschaftskritische Umweltbildung. Weitgehend synonym mit Umweltbildung verwende ich den Begriff Umweltpädagogik, vor allem in der adjektivischen Form (umweltpädagogisch). Andere Bezeichnungen für Umweltbildung werden nur verwendet, wenn spezifische Selbstbezeichnungen von anderen Autorinnen und Autoren zitiert oder beschrieben werden.
[3] Vgl. das Programm der Umweltbildungsforschung der AG Umweltbildung in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) (Haan/Kuckartz 1998a, S. 261-270), zu dessen Erfüllung die vorliegende Arbeit beitragen möchte.
[4] Alle Zitate aus der Agenda 21 in dieser Arbeit stammen aus der vom BMU (o. J.) veröffentlichten deutschen Fassung, die erst etwa zwei Jahre nach der UNCED-Konferenz in Rio erschien. Im folgenden wird als Kurzbeleg einfach „AGENDA 21“ verwendet.
[5] Die Vorgeschichte der Agenda 21 und der Nachhaltigkeitsdiskurs werden in 3.1- 3.5 thematisiert. Grundsätzliche Kritik kommt z. B. von Eblinghaus/Stickler (1996) und Schade (1994).
[6] Reißmann (1998b) spricht nur von einer Doppelstrategie, in dem er die 2. und 3. Ebene zusammenfaßt.
[7] LA 21 wird im folgenden häufig als Abkürzung für Lokale Agenda 21 verwendet.
[8] Deshalb verwende ich ihn jetzt zunehmend, nachdem ich anfangs den Begriff Zukunftsfähigkeit mit gleicher inhaltlicher Bedeutung bevorzugt hatte (z. B. Becker 1998a). Vgl. Fußnote 38 in 3.1.3.
[9] Vollständig einheitlich wird auch dieser etwas unhandliche Begriff nicht verwendet: synonym gibt es auch Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, Bildung für die nachhaltige Entwicklung, Bildung für Nachhaltigkeit und im englischsprachigen Raum: Education for/on Sustainable Development/Sustainabilty (vgl. z. B. die Beiträge der Tagung „European Conferenz on Enviromental Education Policies und their Implications for Sustainable Development“ im Jahre 1998, die abgedruckt sind in den DGU-Nachrichten H. 18 (1998).
[10] In 5.1.3 werde ich begründen, warum mir dies auf der begrifflichen Ebene eine durchaus problematische, vorschnelle Entwicklung zu sein scheint.
[11] Auf die politische und wissenschaftliche Entwicklung, die zu diesem Rahmenkonzept führte, wird hinsichtlich verschiedener inhaltlicher und pädagogischer Aspekte in Kapitel 5 eingegangen.
[12] Die Koordination des BLK-Programms 21, dessen Hauptziel „Das Leben gestalten lernen“ heißt, erfolgt durch eine Arbeitsgruppe an der FU Berlin unter der Leitung von de Haan (http://www.service-umweltbildung.de).
[13] Diese Arbeit stellt eine Ende 2000 durchgeführte Kürzung meiner gleichnamigen Habilitationsschrift dar, die im Sommer 1999 abgeschlossen wurde. Auf später erschienene Literatur und jüngere Diskurse und Entwicklungen kann deshalb nicht systematisch eingegangen werden. Gelegentlich gibt es lediglich aktuellere Literaturverweise. Als eine Bestätigung der neuen Orientierung auf eine nachhaltige Entwicklung sei hier erwähnt, daß im Juni 2001 in Osnabrück ein großer nationaler BLK-Kongress stattfinden wird, der bereits für verschiedene Bildungsbereiche eine erste Bilanz ziehen soll.
[14] Vor allem NUSO, das man inzwischen als Kürzel für „Nachhaltigkeit und Umweltbildung in der Stadt Osnabrück“ verstehen kann, wurde in etlichen meiner Veröffentlichungen beschrieben oder erwähnt. Seit 1996 existiert zusätzlich noch das langfristig angelegte Projekt Pädagogische Umweltberatung in Schulen, das die ökologische Umgestaltung Osnabrücker Schulen initiiert und unterstützt und sich ebenfalls an der Idee der Nachhaltigkeit orientiert.
[15] Eine darüber hinausgehende, systematische Beschäftigung mit These 1.1 auf einer empirischen Basis erfolgt in dieser Arbeit nicht. Einige weiterführende Argumente im Kontext der nachhaltigen Entwicklung finden sich in 5.5.
[16] Dies ist neben anderen empirischen Daten den beiden großen, auf schriftliche Befragungen von Lehrkräften basierenden Studien zu entnehmen, die Bolscho, Eulefeld, Seybold u. a. 1985 und 1990/1991 durchgeführt haben und die inzwischen bereits wieder veraltet sind (Eulefeld/Bolscho/Rost u. a. 1988 u. Eulefeld 1993). Einige wichtige Daten fassen Bolscho (1998b) und de Haan/Jungk/Kutt (1997, S. 14-20) zusammen. Da die Basis der Untersuchungen jeglicher Unterricht war, der thematisch umwelt-, ökologie- oder naturbezogen ist, ist fraglich, ob man aus heutiger Sicht immer von Umweltbildung sprechen kann.
[17] Umweltbildung hat die frühere Konzentration auf die Zentrierungsfächer (Biologie, Erdkunde, Chemie, Physik) zugunsten anderer Fächer überwunden. Die in der didaktischen Diskussion geforderten Prinzipien der Handlungs-, Problem- und Projektorientierung haben zugenommen, ohne daß die einseitige fachliche Ausrichtung entscheidend durchbrochen werden konnte. Vgl. Bolscho (1998b), de Haan/Jungk/Kutt (1997, S. 14-12, S. 109-129 u. S. 175ff) und Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (1995).
[18] Einen kritischen Überblick über Lehrpläne und Schulbücher aus den letzten 20 Jahren findet sich bei Lob (1997, S. 53-112). Vgl. auch 1.1.2.
[19] Es wird sich zeigen, ob das laufende fünfjährige BLK-Programm 21 eine bessere Breitenwirkung erzielen kann.
[20] Doppelbezeichnungen mit männlichen und weiblichen Endungen habe ich in der Regel nur gewählt, wenn sich die Ausdrücke auf konkrete Personen und nicht nur auf Funktionen beziehen und die Lesbarkeit nicht zu stark darunter leidet. Auf das „I“ innerhalb von Wörtern habe ich generell verzichtet. In dem Bewußtsein, daß es meiner Auffassung nach derzeit keine befriedigende Lösung des Problems gibt, möchte ich die Leserinnen und Leser bitten, in allen anderen Fällen die weiblichen Formen und Bedeutungen jeweils mitzudenken.
[21] Hier kann nicht der Frage nachgegangen werden, welche Art von Wissen die Umweltbewußtseinsforschung in ihren Untersuchungen zugrundelegt hat und inwieweit sie das schwer zu erfassende Zusammenhangs- oder Handlungswissen überprüft. Im übrigen ist nach Becks Theorie der Reflexiven Moderne das Nicht-Wissen über die Nebenfolgen der Moderne ein zentrales Charakteristikum derzeitiger historischer Entwicklung (s. Beck 1996b, S. 289ff).
[22] Dies entspricht einer häufig zu beobachtenden allgemeinen politischen Tendenz, gesellschaftliche Probleme zu verpädagogisieren. Es sei einmal dahingestellt, ob sich die Politik damit ein Alibi für politische Unfähigkeit oder Nichtstun in dem jeweiligen politischen Sachbereich verschafft (vgl. Thiel 1996). In jedem Fall handelt es sich um einen Weg, der weniger Kosten nach sich zieht und gesellschaftliche Konflikte zu umgehen verspricht. So erscheint z. B. das Thema Verkehr und Mobilität als umweltpädagogisches, auf individuelle Verhaltensänderung abzielendes Unterrichtsthema weniger konfliktträchtig und billiger zu sein als eine ökologische Verkehrspolitik, die wohl schwere Auseinandersetzungen mit Autoindustrie und Lobbyorganisationen provozieren würde. Meiner Auffassung nach können diese beiden Wege nicht als Alternativen gesehen werden, zwischen den grundsätzlich entschieden werden müßte.
[23] Es obliegt unterschiedlichen systematisch angelegten Forschungs- und Entwicklungsprojekten hier mehr Erfahrungen zu sammeln. Einen Entwurf eines solchen, noch nicht realisierten Projektes hatte ich für Osnabrück bereits 1998 erarbeitet: „Lokales offenes Curriculum für eine nachhaltige, urbane (Umwelt)bildung in der Schule und in der Lehrerbildung – Entwicklung, Erprobung und wissenschaftliche Evaluation“.
[24] Die Rezeption sozialwissenschaftlicher Lebensstilforschung für die Umweltbildung wird inzwischen als sehr bedeutend angesehen (vgl. 5.5). Eine erste Quelle ist Reusswig (1994), s. auch Reusswig (1998), Lüdtke (1999), Rheingans (1999) u. a. und die programmatischen Aussagen im Umweltbildungsforschungsprogramm der DGfE (vgl. Fußnote 3 dieses Kapitels).
[25] Die Reflexion der Wirkungsbedingungen von Umweltbildung auf verschiedenen Ebenen entspricht insofern der erforderlichen Anwendung von Kriterien der Nachhaltigkeit auf die Umweltbildung selbst, als es bei Nachhaltigkeit auch um Effektivität von Maßnahmen geht (vgl. 3.2.4 und 5.5). Die konzeptionelle Umsetzung der Erkenntnisse und die optimierende Gestaltung der Praxis ist eine schwierige Aufgabe, die nur langfristig bewältigt werden kann.
[26] Die wichtigsten deutschsprachigen, umweltpädagogischen Bücher, die sich auf Schule beziehen und nicht nur in sich heterogene Aufsatzsammlungen sind, stammen aus der Schweiz: Meyer, P. (1986), Berchtold/Stauffer (1997) und Kyburz-Graber/Rigendinger/Hirsch-Hader (1997).
[27] Vgl. die ‚unglückliche‘ Geschichte der umweltpädagogischen Zeitschriften: Im wesentlichen waren dies die Ökopäd (1981-1987) und Lehrerservice/Umweltlernen (1988-1996), die sich beide am Markt nicht halten konnten. Zur Zeit gibt es im deutschsprachigen Raum nur die noch wenig bekannte, österreichische Zeitschrift Umweltbildung. Ein seit längerer Zeit geplantes neues umweltpädagogisches Zeitschriftenprojekt, das sich auf die nachhaltige Entwicklung beziehen soll, konnte bislang noch nicht realisiert werden.
[28] Z. B. Fietkau/Kessel (1981), Fietkau (1984) und Dierkes/Fietkau (1988). Diese Autoren gingen im wesentlichen davon aus, daß das Umwelthandeln direkt von den Einstellungen und Verhaltensangeboten und -anreizen in der Lebenswelt und nur indirekt vom Wissen und eventuelle wahrgenommenen Konsequenzen des Verhaltens bestimmt wird.
[29] Vgl. die in 2.2 und 2.3 dargestellte und inzwischen überholte Debatte zwischen Umwelterziehung, Ökologischem Lernen und Ökopädagogik, die z. T. noch bis heute durch die Literatur ‚geistert‘ (z. B. Lob 1997), als habe es seit her keine Weiterentwicklung gegeben. Daß es auch andere Wege gab, zeigten z. B. die später erschienenen Handbücher von de Haan zur Grundschule und Sek. I (de Haan 1989, 1994a), die leider singuläre Ansätze blieben.
[30] Zugespitzt formuliert hält jeder Autor eines Konzeptes oder auch nur einer Konzeptidee alle anderen Ansätze für falsch, untauglich oder zumindest für verkürzt, stellt anschließend seinen eigenen Ansatz dagegen und erfindet dazu einen neuen Begriff. Berchthold/Stauffer (1997) haben diesen von ihnen so beschriebenen Zustand für die Anwender von Umweltbildung als „unzumutbar“ bezeichnet und den Verdacht geäußert, daß dahinter bestimmte, nicht sach-bezogene Motive der jeweiligen Autoren stecken.
[31] Meine diesbezüglichen persönlichen Erfahrungen der letzten 20 Jahre beziehen sich auf den Bereich der Lehrerausbildung und der universitären Abschlußprüfungen. Dort zeigen sich diese Schwierigkeiten insbesondere, wenn Studierende versuchen, Grundlagen und Konzepte der Umweltbildung selbständig zu erarbeiten. Regelmäßig ist dann studentische Kritik an dem unübersichtlichen Chaos zu hören und des öfteren sind kaum fundierte und reflektierte Positionen das Ergebnis des jeweiligen Selbststudiums.
[32] Anschlußfähigkeit wird in einer generelleren Bedeutung in 1.2 erläutert und diskutiert.
[33] Eher pragmatisch zu bezeichnende Schritte in diese Richtung wurden von Mitarbeitenden und mir im Rahmen der Lehreraus- und -fortbildung und umweltpädagogischen Beratung von Lehrkräften geleistet, z. B. Becker/Lange u. a. (1996) und weitere Bände einer Reihe didaktischer Materialien lokalen Inhalts. Dies soll mit wechselnden lokalen Themenfeldern langfristig fortgesetzt und konzeptionell weiterentwickelt werden (s. Becker 2000a).
[34] Vgl. auch Becker (1995b u. 1996c).
[35] Dieses Thema wird in der vorliegenden Arbeit nur am Rande behandelt, beispielsweise im Zusammenhang mit Partizipationsprozessen (Kapitel 3), Schlüsselkompetenzen (5.6) und lokaler Curriculumentwicklung (5.9). Z. B. in Becker (1996a u. 1997d) habe ich für eine Lehreraus- und Lehrerfortbildung plädiert, die auf (lokale) Umweltbildung und Schulentwicklung vorbereitet.
[36] Dies gilt auch für den Begriff Urbanität (z. B. Becker 1994b), der sich dort vorrangig auf den Begriff der neuen Urbanität (Häußermann/Siebel 1987) stützte, s. auch 3.4.
[37] Dieser Grundgedanke lag dem Thema Öffnung der Schule in Becker (1995b) und dem Thema Urbanität/Stadtentwicklung in Becker (1998a) in expliziter Form zugrunde. Die Suche nach Anschlußfähigkeiten zu gesellschaftlichen Trends und verstärkenden Resonanzen entspricht einem systemtheoretischen Denken im Sinne von Luhmann (z. B. 1986, S. 40ff u. S. 218ff), das zwischen System und Umwelt streng unterscheidet und mit Resonanz indirekte Zusammenhänge beschreibt. Eine weitergehende Verwendung der Systemtheorie von Luhmann und ihrer Grundannahmen ist hier jedoch nicht beabsichtigt.
[38] Diese basalen Theoreme und die Theorien der reflexiven Modernisierung (vgl. vor allem Beck/Giddens/Lash 1996) werden argumentativ an verschiedenen Stellen der vorliegenden Arbeit verwendet und etwas ausführlicher in 5.5 im Hinblick auf Umweltbildung bzw. Bildung für nachhaltige Entwicklung thematisiert.
[39] Beck (1998b) nennt dies Globalismus und unterscheidet davon den umfassenderen Prozeß der Globalisierung, den er im wesentlich positiv beurteilt.
[40] Die Autoren bestehen im übrigen aus pragmatischen Gründen auf der weiteren Verwendung des Begriffs Umwelterziehung, weil sich dieser angeblich „in den vergangenen 20 Jahren als Begriff in Theorie und Praxis etabliert hat“ (Berchtold/Stauffer 1997, S. 45).
[41] Daß eine postmoderne oder pluralistische Position nicht mit Beliebigkeit einhergehen muß, wie vielfach behauptet wird, zeigen die Abschnitte 2.6.3 und 2.6.4, wo die mögliche Bedeutung der allgemeinen Postmodernismus- und Pluralismusdiskurs für eine zukunftsorientierte Theorie der Umweltbildung thematisiert wird.
[42] Mit diesem Plural ist gemeint, daß ich nicht eine bestimmte Variante Kritischer Theorie zur Grundlage mache.
[43] Dies hat Kahlert (1990) in einer ausführlichen Untersuchung festgestellt (s. 2.7.1), vgl. auch Berchthold/Stauffer (1997), die in 1.3 vorgestellt wurden.
[44] Dies ist der Hauptgrund, warum in dieser Arbeit, die in einer längeren Fassung 1999 als Habilitationsschrift gedient hat, viele eigene Schriften zitiert, erwähnt und zu oder zwischen ihnen Bezüge hergestellt werden.
[45] Das Kapitel geht auf einen Vortrag zurück, den ich auf einer Tagung zum Thema Umweltbildung und Konstruktivismus Ende 1998 in Hannover gehalten habe. Da die ursprüngliche Fassung dieses Kapitels als Teil meiner Habilitationsschrift (1999) in einer Aufsatzfassung inzwischen erschienen ist (Becker 2000d), wurde hier eine sehr starke Kürzung vorgenommen.
[46] Eine systematischere schultheoretische Behandlung obliegt späteren Arbeiten.
[47] Vgl. auch meine Aussagen zum Pluralismus und Diskursbegriff in 1.4.
[48] Verein für Ökologie und Umweltbildung Osnabrück e. V.
[49] Beschreibungen dieses Osnabrücker Konzepts oder einzelne Aspekte davon finden sich in zahlreichen meiner Veröffentlichungen, z. B. Becker (1991a, 1993a, 1995a u. 1995b, 1996b). Aktuelle Informationen sind im Internet: http://www.paedagogik.uni-osnabrueck.de/nuso und http://www.paedagogik.uni‑osnabrueck.de/lehrende/becker. Die Arbeit der letzen 12 Jahre ist in Becker/Kuczia/Terhalle (2000) dokumentiert.
[50] Dazu gehörten damals neben der Universität, Fachhochschule und verschiedenen Abteilungen der Stadtverwaltung auch der Botanische Garten, der Zoo, die Stadtwerke, die Forstbehörde, der Verein für Jugendhilfe e. V., der Osnabrücker Verein zur Förderung des Regionalen Lernens e. V. und als Hauptinitiator unser Verein für Ökologie und Umweltbildung Osnabrück e.V. Inzwischen sind eine Reihe weiterer Gruppen und Institutionen hinzugekommen. Die gemeinsame Arbeit leidet jedoch unter der ungenügenden Ausstattung aller Beteiligten, insbesondere des UBZs.
[51] Auf Basis dieser primär adressatenbezogenen Gruppenarbeit, die sehr unterschiedliche, soziokulturell definierte Sichtweisen hervorbrachte, bot sich die Chance für sehr spannende Ansatzpunkte und Anregungen für eine sich reflexiv verstehende, (inter)kulturell oder an unterschiedlichen Lebensstilen orientierte Umweltbildung, die mit eigenständigen schulischen Fragestellungen und Projekten hätte verknüpft werden können.
[52] Ein erfolgreiches Beispiel partizipatorischer Arbeit mit Grundschulklassen wird in 3.9.2 dargestellt.
[53] Wohnen kommt dort vor allem im Rahmen des Themenbereichs Siedlung und Verkehr vor, der einer der dort vorgeschlagenen 13 Themenbereiche ist.
[54] Wenn im folgenden gelegentlich der Einfachheit halber von uns gesprochen wird, dann ist jeweils der konkrete Arbeitszusammenhang gemeint, der sich aus der Kooperation zwischen dem Trägerverein und meinem universitären Arbeitsbereich Umweltbildung und regionales Lernen rekrutiert und in dessen Mittelpunkt das Projekt NUSO steht – z. T. bezieht er sich auch auf das Projekt Pädagogische Umweltberatung in Schulen.
[55] Aus dem Entwurf eines internen Planungspapiers.
[56] Diese Lehrerfortbildungsveranstaltungen wurden jeweils von einer Osnabrücker Lehrkraft und mir geleitet, von NUSO vorbereitet und mit externen Fachleuten und Kooperationspartnern durchgeführt, vgl. z. B. Becker (1995c, 1997d) und Becker/Wilm-Chemnitz/Kuczia (1998).
[57] Im Fall von NUSO war es ein überraschender Stellenverlust. Hier zeigen sich exemplarisch strukturelle Probleme von vielen kleinen Akteuren, die einerseits einen Großteil der Arbeit vor Ort tragen, andererseits unter materiell und personell sehr unsicheren Bedingungen leiden, weil ihnen die ausreichende und vor allem kontinuierliche Unterstützung von staatlicher oder hier kommunaler Seite versagt bleibt.
[58] Der Schwerpunkt Energie war einerseits pragmatisch bestimmt: hier gab es schon erhebliche Vorarbeiten und erfolgreiche schulische Projekte, die vor allem von unserem bereits erwähnten Projekt Pädagogische Umweltberatung in Schulen (PUBS) initiiert und unterstützt wurden. Andererseits konnten dadurch Querverbindungen zum Thema Klimaschutz hergestellt werden, das seit Jahren aktuelles Thema in Osnabrück ist (Runder Tisch CO2-Reduktion, Klimabündnis). Diese Klimaschutz-Diskussion verlief bisher aus Gründen einer spezifischen Konstellation in der Stadtverwaltung außerhalb des offiziellen LA 21-Prozesses.
[59] Wie erfolgreich Themen aus dem Bereich Stadtentwicklung/LA 21 sein können, wird in 3.8.2 am Beispiel eines partizipatorisch angelegten Projektes mit Grundschulklassen gezeigt, das in meinem Arbeitsbereich entstanden ist.
[60] Vgl. Becker/Wilm-Chemnitz/Kuczia (1998), Becker (1998d).
[61] Die didaktische und lernortorientierte Broschüre zum Thema Hase (Bartelheim/Kuczia 1999) enthält einen weiterführenden Beitrag als Nachwort (Becker 1999c) und stellt eine Ergänzung zur umweltgeschichtlichen Schrift von Vergin (1997) zum Thema Hase dar.
[62] Vgl. die Niedersächsischen Empfehlungen zur Umweltbildung in allgemeinbildenden Schulen von 1993 (Niedersächsisches Kultusministerium 1993) und die Neufassungen für das Jahr 2000 (s. 5.8.5 u. 5.9.4).
[63] Im ungünstigeren Fall muß in Osnabrück auch die gemeinsame Themenorientierung mangels entsprechender Personalkapazitäten der Gruppen und Institutionen aufgegeben werden. Es bliebe nur noch die Addition von Aktivitäten der kooperierenden Gruppen, die inhaltlich nichts miteinander zu tun und keinen Bezug zur LA 21 oder anderen wichtigen Themen der nachhaltigen Stadtentwicklung haben. Natürlich wird es immer einzelne Schulen geben, die erfolgreiche Einzelprojekte zu wichtigen Themen der Umwelt oder der nachhaltigen aufgreifen und die dann in der Öffentlichkeit präsentiert und gefeiert werden. Dies würde aber nichts an der relativen Wirkungslosigkeit des Bildungsbereichs insgesamt ändern.