2.  Von der Umwelterziehung zur ‚Umwelt-Bildung‘

aus: Becker: Urbane Umweltbildung... Opladen 2001 ( Gesamtbuch beim Autor zu erwerben)



2.2  Der Beginn der Umweltbildung

Nach einigen konzeptionellen Vorläufern einer schulischen Umwelterziehung in den 70er Jahren[18] und mannigfaltigen Aktivitäten auf internationaler Ebene (z. B. bei der interstaatlichen UNESCO-Konferenz Environmental Education 1977 in Tiflis)[19] fand 1978 in München eine Arbeitskonferenz zu Aufgaben der Umwelterziehung in der Bundesrepublik Deutschland und ihren Nachbarstaaten statt, die die Beschlüsse von Tiflis (41 Empfehlungen) für ihre Staaten in Form von Empfehlungen für verschiedene Bildungsbereiche einschließlich der Massenmedien konkretisierten.[20] Auf dieser Basis gab die Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik (KMK) im Oktober 1980 eine Empfehlung zur flächendeckenden Einführung der Umwelterziehung im Bereich der allgemeinbildenden Schulen der Bundesrepublik Deutschland (KMK 1980)[21]:

Für den einzelnen und die Menschheit insgesamt sind die Beziehungen zur Umwelt zu einer Existenzfrage geworden. Es gehört daher auch zu den Aufgaben der Schule, bei jungen Menschen das Bewußtsein für Umweltfragen zu erzeugen, die Bereitschaft für den verantwortlichen Umgang mit der Umwelt zu fördern und zu einem umweltbewußten Verhalten zu erziehen, das über die Schulzeit hinaus wirksam bleibt. (KMK 1982)[22]

Die auf dieser Basis ausgearbeiteten Konzepte (s. 2.2.2) wurden schon bald einer z. T. sehr grundsätzlichen Kritik konkurrierender umweltpädagogischer Ansätze unterzogen und als Teil einer technokratischen Modernisierungsstrategie des Staates verworfen. Diese Kritiken[23]stammten aus dem Bereich von Konzepten des Ökologischen Lernens (2.3.1) und der Ökopädagogik (2.3.2), die einen vollständig anderen sozialen und politischen Entstehungshintergrund hatten. Diese Kritiken, die für die 80er Jahre typisch waren, enthielten auch wichtige pädagogische Aspekte, die hier besonders interessieren. Die Rekonstruktion dieser ersten Phase der Umweltbildung ist, trotz der erwähnten Grundsatzkritik und der in 2.2.2 im Detail deutlicher werdenden Mängel, aus folgendem Grund unverzichtbar: die tatsächliche schulische Praxis wird vermutlich bis heute primär von diesen didaktischen Ansätzen der Umwelterziehung als ‚Alltagstheorien‘ von Lehrkräften bestimmt oder bleibt sogar konzeptionell noch hinter diesen Theorien zurück (s. 1.1). Die anstehende Neuorientierung der Umweltbildung wird nur dann Erfolg haben können, wenn es ihr gelingt, im Sinne einer institutionellen Anschlußfähigkeit an die tatsächliche schulische Praxis anzuknüpfen und dazu Elemente eines zu identifizierenden bildungsrelevanten Potentials ausfindig zu machen, das dann ausgebaut werden kann. In 2.2.2 werden exemplarisch Aspekte des Konzeptes von Eulefeld/Frey/Haft (1981) vorgestellt. Zuvor wird auf den Lernbericht des Club of Rome aus dem Jahre 1979 eingegangen, der eine wichtige Grundlage der frühen Diskussion der Umweltbildung darstellte.

2.2.1  Der Lernbericht des Club of Rome

Nach der Buchveröffentlichung „Grenzen des Wachstums“ (Meadows/Meadows 1972), die die öffentliche Meinung stark beeinflußte, hat der herausgebende Club of Rome bereits ein paar Jahre danach das „menschliche Dilemma“ als neue Grenze zur Bewältigung der Menschheitsprobleme erkannt (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979). Diese Grenze besteht in der Dichotomie zwischen einer wachsenden, selbstverschuldeten Komplexität aller Verhältnisse einerseits und der ‚künstlich‘ schleppenden Entwicklung unserer eigenen Fähigkeiten andererseits. Während die Komplexität von den Autoren als Ausdruck der sich untereinander verstärkenden Problembereiche (Ökologie, Armut, Überbevölkerung, Nord-Süd-Gefälle u. a.) angesehen wird, liegen die Hauptursachen der defizitären Fähigkeitsentwicklung im „Machtmißbrauch“ und strukturellen Barrieren der starren Bildungssysteme. Auf Basis systemtheoretischer Überlegungen wird die Lösung von Seiten des Lernberichts in der Aktivierung des ganzen individuellen und gesellschaftlichen „innovativen“ Lernpotentials gesehen, das der Vorbereitung eines gemeinsamen Handelns in neuen Situationen auf verschiedenen Ebenen – von lokal bis weltweit – zur Veränderung der Welt dienen soll. Dabei soll nicht nur das Überleben der Menschheit gewährleistet, sondern auch die Würde[24] des Menschen beachtet werden. Es geht um neue Methoden, Fertigkeiten, Verhaltensweisen und nicht zuletzt um neue Werte. Im Lernbericht des Club of Rome wird eine erste Begründung für ein Lernen geliefert, das antizipierend, aber auch partizipierend, gesellschaftlich integrierend, aber auch auf individuelle und kulturelle Autonomie angelegt ist. Diese wichtigen Gedanken sind kaum in der weiteren Entwicklung der Umweltbildung berücksichtigt worden.[25] Unter „Mitbestimmungs-“ und „Selbstbestimmungsfähigkeit“ tauchen bei Klafki ein Teil dieser Gedanken als Grundfähigkeiten[26] auf, während die Partizipation in der Nachhaltigkeitsdebatte und insbesondere der Agenda 21 eine zentrale Rolle gewinnt (vgl. Kapitel 3). Trotz aller – zumindest aus damaliger Sicht – berechtigten, politischen und pädagogischen Kritik[27] an dieser Studie hat der Club of Rome zumindest in diesen Punkten zentrale Elemente eines modernen Bildungsdenkens geliefert. Sie bieten aus heutiger Sicht ebenso Anschlußmöglichkeiten für weitergehende Perspektiven wie die bisher wenig beachtete Thematisierung der sozialen, politischen und ökonomischen Voraussetzungen, Zusammenhänge und Folgen eines innovativen Lernens im Lernbericht des Club of Rome.[28]

Diese Studie macht ein tiefes Dilemma kritischen pädagogischen Denkens deutlich, das in den damaligen Rezeptionen des Lernberichts des Club of Rome zum Ausdruck kam: Zur Lösung der fast als unüberwindbar angenommen globalen Menschheitsprobleme, etwa im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, scheint kein Weg an einer zunehmenden, praktischen Instrumentalisierung und Ausbeutung der Lern- bzw. Bildungsfähigkeit, der Kreativität und Innovationsfähigkeit der Menschen vorbeizuführen, so daß kein Spielraum für einen subjektiven noch ‚systemtranszendierenden‘ Bildungsüberschuß zu bleiben scheint. Spätestens aus heutiger Sicht ist es kaum möglich, in Gang gekommene Bildungsprozesse inhaltlich und funktional zu begrenzen und bestimmte, vordefinierte Lernziele, etwa im umweltpädagogischen Bereich, wirksam festzulegen. Außerdem gibt es in der inzwischen veränderten Weltlage zum Kapitalismus bzw. zur marktwirtschaftlichen Grundform moderner Gesellschaften keine gesellschaftlichen „Systemalternativen“ mehr, die als politische Dimension gesellschaftskritischer Bildung Berücksichtigung finden könnten. Deshalb kann man den genannten ‚notwendigen‘ Versuch einer Instrumentalisierung auch als Chance für Bildungsprozesse betrachten – freilich ohne Erfolgsgarantie.

Exponentiell gesteigertes Wissens der Menschheit, angehäufte Probleme sowie schnell zunehmende globale Zusammenhänge und Beziehungen führen zu der schwerwiegenden Frage, ob es für die Menschheit als Ganze, vor allem aber für jeden einzelnen nicht Grenzen des menschlichen Vermögens gibt, Komplexität zu erfassen, kritisch zu verarbeiten und sich als Akteur an der praktischen Mitgestaltung und Umsetzung von Lösungen zu beteiligen. Gibt es in diesem Sinne Grenzen, die weder mit technischen Mitteln noch neuen innovativen Methoden beliebig lange und vor allem in der erforderlichen Geschwindigkeit hinausgeschoben werden können? Für eine aufklärerische Perspektive, die traditionell den Anspruch hat, den Menschen aus „seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ herauszuführen[29], zeigt sich hier ein zunehmendes und unlösbar erscheinendes Problem. Eine wirksame Entschärfung dieser Situation wäre langfristig durch eine in globalem Maßstab betriebene konsequente gesellschaftliche Dezentralisierung und Regionalisierung zu erwarten, da diese auch zu einer realen Komplexitätsreduktion führen kann. Die Betonung der lokalen und regionalen Ebene und deren möglichst weitreichende Selbststeuerung stellt einen Strang der Diskussion um nachhaltige Entwicklung sowie einen notwendigen Gegenpol zur aktuellen Debatte über Globalisierung dar.[30]

Einerseits wurde der Lernbericht als nicht weitreichend genug kritisiert, andererseits wurde er in seinem konzeptionellen Potential kaum ausgeschöpft. Der Club of Rome selbst hat mit seinem Lernbericht den bloßen Weg des Lernens – wenn auch in neuen Formen und unter neuen Bedingungen – überschätzt. In späteren Studien des Club of Rome ist er von dieser Einschätzung des Lernens abgerückt.[31]

2.2.2  Frühe Umwelterziehung

Als Beispiel eines weit entwickelten Ansatzes der ersten Phase schulischer Umweltbildung in Deutschland soll auf einige Aspekte des Konzeptes von Eulefeld, Frey und Haft (1981) eingegangen werden, das nach damals zehnjähriger didaktischer Diskussion beanspruchte, ein Gesamtkonzept der Umwelterziehung darzustellen.[32] Als Hauptziel wird definiert, Menschen zu einem verantwortlichen Umgang in ökologischen Situationen zu befähigen und ihnen Wert und Unwert von Umwelten bewußt zu machen. Umwelterziehung zielt insbesondere „auf eine Erhaltung und Erneuerung eines Denkens und Handelns, das an biologischen und soziologischen Langzeitprozessen, an den Lebensbedingungen zukünftiger Generationen orientiert ist“. Das didaktisch-curriculare Konzept ist fächerübergreifend und schulpraktisch ausgerichtet, aber auf die Fächer Biologie, Geographie und Sozialkunde zentriert angelegt. Basis sind drei Komponenten (vgl. Eulefeld/Frey/ Haft 1981, S. 70ff):

  •  die jeweils zu bestimmenden „gegenständlichen Teilsysteme“, die interdisziplinär und handlungsbezogen unter Berücksichtigung einer Liste von Auswahlkriterien, wie gesellschaftliche Bedeutung, Konfliktträchtigkeit u. a. bestimmt werden

  •  Aussagesysteme aus unterschiedlichen Bereichen der Wissenschaft und anderen (z. B. alltagsweltlichen) Quellen

  • die vier Thematisierungsgesichtspunkte Vernetztheit, Problemhaftigkeit, Geschichtlichkeit und Prozeßhaftigkeit ökologischer Systeme.

Projektunterricht, Fallstudie und Rollenspiel werden als besonders geeignete Methoden angesehen (Eulefeld/Frey/Haft u. a. 1981, S. 107ff), die Berücksichtigung globaler und lokaler Bezüge wird empfohlen. Da eine grundsätzliche Veränderung des bestehenden Gesellschaftssystems, das nach Auffassung einiger Kritiken die entscheidende Ursache der ökologischen Probleme darstellt, nicht zu den ausdrücklichen Zielen dieses Ansatzes gehörte, galt er bei seinen Kritikern gesellschaftspolitisch als ‚systemimmanent‘: Seine begrenzte Aufgabe, das neue Umweltthema in das bestehende Schulwesen einzuführen, wurde hinsichtlich seiner faktischen politischen Funktion als der bloße Versuch der Verschaffung von Legitimation und Unterstützung staatlicher Umweltpolitik verstanden. Außerdem wurde darin eine fragwürdige Verschiebung von politisch zu lösenden Problemen in den pädagogischen Bereich hinein gesehen, die mit einem Wortspiel wie folgt formuliert werden kann: Produktion von (unverbindlichem) Umweltbewußtsein statt umweltverträgliche Produktion.[33]

Eine gesellschaftlich modernisierende Funktion der Umwelterziehung kann auf der individuellen Ebene unter anderem darin gesehen werden, daß die einzelnen Lernenden sich Fähigkeiten zum Erkennen von Umweltproblemen durch fachliche Informationen aneignen, Haltungen erwerben, die einer neuen ökologischen Verantwortungsethik entsprechen und Motivationen zu einem umweltbewußten Verhalten im Alltag finden. Die Erwartung einer solchen modernisierenden Leistung ist für sich aus meiner heutigen Sicht noch kein hinreichender Grund, den ganzen Ansatz in Frage zu stellen. Denn letztlich muß es auch einer grundlegenden kulturellen und politischen Transformation darum gehen, die unverzichtbaren, konkreten subjektiven Voraussetzungen für ein veränderndes Handeln unter jeweils gegebenen Bedingungen, insbesondere im Lebensalltag zu schaffen (vgl. Becker, E. 1987, S. 12f). In den 90er Jahren, in denen auch in Kritiken der Umweltpolitik die positiv gestaltenden Elemente gegenüber bloßer kritischer Aufklärung zunehmend in den Vordergrund rücken, bekommen diese subjektiven Handlungsvoraussetzungen einen wachsenden Stellenwert im Verhältnis zur Anfangsepoche der Umweltbildung. Mit der Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung verstärkt sich diese Tendenz. Damals erschien es aus der Perspektive der Kritiker der frühen Umwelterziehung wichtiger, zunächst eine grundlegende Problematisierung des Verhältnisses zu Natur und Umwelt zu vermitteln und mit unterschiedlicher Reichweite Kritik an den Ursachen der Ökologischen Krise zu betreiben statt etwa isoliert einzelne Alltagsverhaltensweisen zu verändern, sich Detailwissen anzueignen u. ä. Trotz der Kritik wurde mit der Vorlage des differenziert ausgearbeiteten fächerübergreifenden, curricularen Modells insgesamt ein positiver Beitrag für eine mögliche praktische Umsetzung schulischer Umweltbildung auf der inhaltlichen Ebene geleistet, die auch mit gesellschaftskritischen Inhalten hätte gefüllt werden können.[34] Einen subjektbezogenen Zugang, der auch bildungstheoretischen Ansprüchen genügt, findet man im Konzept von Eulefeld nicht.

Es spricht vieles für meine Vermutung, daß die ‚Normalpraxis‘ der schulischen Umweltbildung bis heute, also nach etwa 25 Jahren, noch nicht einmal dieses konzeptionelle Niveau erreicht hat (vgl. 1.1), geschweige denn weitgehende gesellschaftskritische Zielsetzungen. Umgekehrt kann man auch das von den Kritikerinnen und Kritikern der Umwelterziehung mehr unterstellte als je konkretisierte umweltpädagogische Programm einer bloßen Akzeptanz- und Vertrauensschaffung zugunsten staatlicher Umweltpolitik im Nachhinein als gescheitert ansehen. Die Ursache scheint mir nicht nur in der halbherzigen bis mangelhaften bildungspolitischen Förderung der Umweltbildung zu liegen. Viele Erfahrungen der letzten 20 Jahre und neuere empirische Untersuchungen zur Wirkung der Umweltbildung (vgl. 1.1.1 und 5.5) zeigen, daß sich Umweltbildung nicht so einfach funktionalisieren läßt, wie es sich ihre staatlichen Förderer oder professionellen Didaktiker wünschen und die Kritiker befürchten. Dies verweist auf die Rolle des lernenden Subjekts und auf Zielsetzungen von Umweltbildung, der es zumindest damals an pädagogischer und bildungstheoretischer Reflexion sowie noch nicht möglicher empirischer Erfahrung und Überprüfung mangelte. Zu stark war bei fast allen Vertretern der Umweltbildung ein zugrundeliegendes, z. T. fast omnipotent zu bezeichnendes, pädagogisches Machbarkeitsdenkens. Diese Grundhaltung war aus der Perspektive der umweltpädagogischen Akteure und Förderer der Umweltbildung verständlich, da deren Motivation sich angesichts der ökologischen Krise zunächst ausschließlich aus dem Wunsch einer möglichst schnellen und unmittelbaren Lösung der Umweltprobleme speiste.

Gemessen an bildungstheoretischen Ansprüchen fehlen dem Ansatz von Eulefeld und anderen Konzeptentwürfen der damaligen Umwelterziehung explizite allgemeine Zielsetzungen wie etwa Klafkis drei Grundfähigkeiten.[35] Umgekehrt ist das Verhältnis zu Natur und Umwelt gemäß KMK-Beschluß (KMK 1980) bei Eulefeld und allen anderen Ansätzen der Umweltbildung konstitutiv und wird meist mit Formulierungen wie „verantwortlicher Umgang“ mit Natur und Umwelt zum Ziel erhoben. Dies ist ein erster Hinweis für die Angemessenheit meines Vorschlages, die Fähigkeit des verantwortbaren Umgangs mit Natur und Umwelt, die insbesondere die Fähigkeit des Umwelthandelns einschließt als eine weitere Grundfähigkeit dem Ansatz von Klafki hinzuzufügen. In zwei anderen Punkten gibt es eine Ähnlichkeit zwischen Klafkis Theorie der Allgemeinbildung und der frühen Umwelterziehung, hier vertreten durch den vorgestellten Ansatz von Eulefeld u. a.: Für beide ist Umwelt letztlich nur ein wichtiges Thema. Die „Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten“ sind bei Eulefeld nur schwach vertreten. Dies entspricht der Trennung zwischen sachbezogenem epochaltypischen Schlüsselproblemen und diesen Grundfähigkeiten.[36] Die Kritik daran wird in diesem Kapitel begründet. (s. auch 2.1).

2.2.3 Sozialistische Umwelterziehung in der DDR

Unter ganz anderen gesellschaftlichen Vorzeichen gab es auch in der DDR eine Umwelterziehung, die aber einen geringeren Stellenwert besaß als die in der BRD und die nach der staatlichen Vereinigung politisch gänzlich bedeutungslos wurde.

Umweltfragen und Umwelterziehung hatten in der Geschichte der DDR durchaus wechselnde Bedeutung und werden zumindest im Nachhinein sehr unterschiedlich interpretiert.[37] Die offizielle Politik und ideologische Verlautbarungen verfuhren offenbar nach dem Motto, daß nicht ist, was nicht sein darf: „Es gibt unter den Bedingungen der DDR objektiv keinen Widerspruch zwischen steigender Produktion und Umweltschutz“ (Seidel 1982, S. 118)[38]; es herrscht ein politisch, ökonomisch und ideologisch bedingtes extremes ‚Machbarkeitsdenken‘ hinsichtlich des Verhältnisses zur Natur. Das ökologische Problem wurde vor allem im Kapitalismus gesehen (vgl. Drechsler 1985, Pauke/Bauer 1981)[39] .

Obwohl die Arbeiterklasse „den Fragen der Bildung und Erziehung zur Bewußtheit gegenüber den natürlichen Existenzgrundlagen der Menschen und zur Naturliebe und -verbundenheit ... von jeher große Aufmerksamkeit geschenkt hat“ (Drechsler 1985, S. 113ff), sei es stärker erforderlich, in der Schule „von einer komplexen Sicht der Wechselbeziehungen von Gesellschaft und Natur auszugehen ..., die schon aus dem weltanschaulichen Ansatz der Klassiker des Marxismus resultierende aktive Lebensposition und den weltanschaulichen Optimismus konsequent zu entwickeln ... in den naturwissenschaftlichen Disziplinen ... die Potenzen weltanschaulicher Erziehung für die Bejahung des ökonomischen Fortschritts und des aktiven Engagements unserer Jugend für die Durchsetzung der ökonomischen Strategie stärker zu erschließen und stoffimmanent umzusetzen ... in den Literatur- und Kunstdisziplinen ... das ästhetische Verhältnis der Gesellschaft und jedes einzelnen Menschen zur Natur weltanschaulich anzureichern  ... über die polytechnische Ausbildung ein produktiv-schöpferisches Verhältnis des Schülers zur Natur“ anzuerziehen (Drechsler 1985, S. 113ff).[40]

Die programmatischen und weltanschaulicher Erklärungen zur Umwelterziehung waren auf Allgemeinbildung ausgerichtet (Kaiser/Bardl 1989, Streibel 1988). Die Praxis der Umwelterziehung fand jedoch weitgehend im Kontext des Biologieunterrichts (vgl. Eulefeld 1994, Lerchner 1990) und in den unteren Klassen im Heimatkundeunterricht (Kunze 1991) statt. Ansonsten spielten offenbar Arbeitsgemeinschaften und gesellschaftlichen Organisationen außerhalb der Schule eine große Rolle.[41]

nächster Abschnitt


[18]    Bereits in den 70er Jahren wurde bei Lehrplanrevisionen in einigen Bundesländern und in einzelnen Fächern der Umweltgedanke berücksichtigt. Die damalige sozial-liberale Bundesregierung hatte im Rahmen einer erstmals entwickelten umweltpolitischen Programmatik die Bedeutung umweltbewußten Verhaltens als allgemeines Bildungsziel erkannt (vgl. Umweltschutz 1972).

[19]     Über die Einzelheiten dieser Frühgeschichte und der weiteren internationalen Entwicklung bis heute gibt es zahlreiche Darstellungen in der Literatur, aus jüngerer Zeit z. B. Bolscho/ Michelsen (1997) und Lob (1997). Breidenbach (1996, S. 200ff) formuliert theoretisch orientiert eine moderat-kritische Sicht, vor allem am instrumentellen Grundverständnis der Umwelterziehung zum umwelt- und entwicklungspolitischen Hintergrund; s. 3.1.1.

[20]     Diese Arbeitskonferenz, die von der Deutschen UNESCO-Kommission, dem Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften der Universität Kiel (IPN) und dem Bayrischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen durchgeführt wurde, war die erste Nachfolgeveranstaltung von einem der 68 UNESCO-Mitgliedsstaaten, die 1977 an der Tiflis-Konferenz nebst 30 internationalen Organisationen beteiligt waren (vgl. Eulefeld/Kapune 1979).

[21]     Zur Situation der Umwelterziehung in der DDR, die mit der bundesdeutschen nicht vergleichbar war, s. 2.2.3.

[22]     Dieser Beschluß, der eine Art Grundsatzempfehlung für die zuständigen Bundesländer war, ersetzte den bis dahin gültigen der KMK vom 30.9.1953 über Naturschutz und Landschaftspflege sowie Tierschutz. Die praktische Bedeutung und Umsetzung für die Schule, die bisher nicht aufgearbeitet worden ist, scheint nicht sehr groß gewesen zu sein und hat sich als naturschützerischer und heimatorientierter Unterricht niedergeschlagen; zur damaligen Kritik s. Schmidt P. W. A. 1978. P. Meyer (1986, S. 67ff) u. a. kritisierten später die konzeptionelle Begrenzung auf individuelles Handeln und dazu erforderlich angesehener Aufklärung, die ihrer Auffassung nach auch auf die genannte, weiterwirkende Tradition zurückgeht. Zur Ausbreitung des Umweltthemas in den Lehrplänen der 70er Jahre vgl. Bolscho (1979a u. 1979b). Die Umsetzung des Beschlusses von 1980 in den Bundesländern erfolgte z. T. erheblich später.

[23]     Sie nahmen z. T. heftige und polemische Formen an: „Etikettenschwindel“; „Erfindung von Pädagogen zur Rettung ihrer Profession“ o. ä. (Ökopädagogik 1984); „versuchte Perfektionierung der Naturbeherrschung“ (de Haan 1984b, S. 78). Die meisten Kritiker unterstellten der Umwelterziehung eine Wirkung, die sich heute als vollkommen unrealistisch erweist. Es gab aber auch massive Gegenkritik (z. B. Mertens 1989, vgl. 2.3.2).

[24]     Dieser wichtige Aspekt wurde in der kritischen Rezeption des Lernberichts viel zu wenig beachtet.

[25]     Der Partizipationsgedanke gehört zu den zentralen Postulaten der nachhaltigen Entwicklung und damit auch einer sich darauf beziehenden zukunftsorientierten Umweltbildung. Diesem Postulat wird deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet (Kapitel 3).

[26]     Die Ähnlichkeit zwischen dem Lernbericht des Club of Rome und Elementen der Theorie einer Allgemeinbildung von Klafki wird noch größer, wenn man sich vergegenwärtigt, daß im Lernbericht unter Partizipation eine Haltung verstanden wird, die durch „Kooperation, Dialog und Empathie“ (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979, S. 36) gekennzeichnet ist und daß Integration als dialektischer Gegenbegriff von Autonomie auch Kooperation, Gemeinschaftsbildung und Solidarität umfaßt (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979, S. 68ff). Im Lernbericht tauchen auch die von Klafki für die Grundfähigkeiten und weiteren Fähigkeiten verwendeten Begriffe auf. Klafki erwähnt den Lernbericht jedoch nicht.

[27]     Dieser Lernbericht wurde damals als individualistisch, gesellschaftlich nicht weitgehend genug, ja als kontraproduktiv kritisiert (z. B. Treml 1981). Positiv aufgenommen wurde der Bericht damals in den Erziehungswissenschaften, z. B. von Kern und Wittig (1982). Sie stellten allerdings ein anthropologisches Defizit fest.

[28]     Zu der möglichen aktuellen Bedeutung des Lernberichts hat sich Breidenbach geäußert (1996, S. 180ff).

[29]     Ob für die pädagogische Arbeit die Einsicht in die grundsätzliche Konstruktivität der Wirklichkeit, die in Kapitel 4 thematisiert wird, hier eher entlastend wirkt oder ob das Gegenteil eintritt, also die Komplexität durch eine Vielzahl von subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen sogar noch gesteigert wird, ist eine weitere, pädagogisch und politisch wichtige Frage.

[30]     Zur Globalisierung vgl. Beck (1998b) und andere Schriften dieses Autors, Kapitel 3, insbesondere 3.4.3.

[31]     Vgl. Peccei/Pestel 1983, Meadows/Meadows/Randers 1992. Es sei dahingestellt, ob dies Ausdruck einer der abgeflauten ‚Bildungseuphorie‘ auf internationaler Ebene ist.

[32]     Neben dem Begriff Umwelterziehung wird vor allem anfangs noch von Umweltschutzunterricht, Umweltschutzerziehung und Didaktik der Ökologie gesprochen. Auf andere, in unterschiedlichen Richtungen und Fragestellungen ausgearbeitete, schulbezogene Überlegungen und Konzepte, die in Buchform aus den 70er Jahren und Anfang 80er Jahren vorliegen, z. B. Menesini/Seybold (1978), Heck (1978), Riedel/Trommer (1981), Ewers (1981), Klein (1981), Schmack (1982), Zingelmann (1980) kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. auch Bolscho/Eulefeld/Seybold (1980a).

[33]     Thiel (1996) hat sich dieser Problematik in neuerer Zeit in sehr kritischer Form gewidmet.

[34]     Eine Weiterentwicklung und Konkretisierung curricularer Ansätze fand seither kaum statt, was zur Stagnation der schulischen Umweltbildung beigetrugt. Vgl. These 1.3 in 1.1.2, die Diskussion um konzeptionelle Defizite der schulischen Umweltbildungen in 1.1.5 sowie Abschnitt 5.9, wo es umfassender um curriculare Aspekte der Umweltbildung geht.

[35]     Zingelmann (1980) hat immerhin das Prinzip der Kooperation in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt.

[36]     Dieser Vergleich gibt Anlaß zu der Vermutung, daß Klafkis pädagogische Rezeption der Umweltpädagogik sich auf die frühe Umwelterziehung und den Lernbericht des Club of Rome beschränkt (2.2.1).

[37]     Dies zeigt einerseits die Auswertung von über einhundert Aufsätzen (Marcus 1993). Eine systematische Gesamtdarstellung einer Umwelterziehung in der DDR scheint es nicht gegeben zu haben, geschweige denn eine Aufarbeitung im Rückblick. Einen Versuch einer Bilanz stellte die Tagung Erbe und Möglichkeiten der Umwelterziehung in den neuen Bundesländern im Jahre 1992 in Schnepfenthal dar.

[38]     Eine der zentralen Mängel der Umweltpolitik und -erziehung war die Geheimhaltung der Umweltdaten, ohne die eine solche den Tatsachen nicht gerecht werdende Umweltpolitik und Ideologieproduktion nicht hätte durchgeführt werden kann.

[39]     Es sei angemerkt, daß die Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung in Gestalt des UN-Berichts Our Common Future (Brundtlandbericht) von begrüßt wurde (s. Kapitel 3.1.1). Als erstes europäisches Land führte die DDR im März 1989 dazu bereits eine nationale Auswertungskonferenz durch – s. das Interview mit Groschupf in der Zeitschrift Dialoge (1989, S. 7f) mit dem Titel Umwelterziehung – Investitionen für die Zukunft.

[40]     Die stark ideologisierenden Formulierungen verdecken, daß es in mehreren Punkten solcher Argumentationen analoge Überlegungen und Äußerungen in Westdeutschland gab.

[41]     Vgl. Zabel (1978) und Zabel in: Unabhängiges Institut für Umweltfragen (1992), Streibel (1988). Hier dürften engagierte Biologielehrkräfte, Naturschützerinnen und Naturschützer eine große Rolle unabhängig von der staatlichen Politik und Ideologie gespielt haben.