3.  Partizipation

Partizipation ist zweifellos Kernelement einer nachhaltigen Entwicklung. Deshalb gilt die Partizipationsfähigkeit als anzustrebende Schlüsselkompe­tenz der Umweltbildung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung bzw. der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (vgl. 5.6). Ein Blick zurück zeigt, daß es in der Pädagogik einige historische Vorläufer der Partizipationsidee (3.8) gibt. In fast allen pädagogischen Handlungsfeldern wurden Begriffe kreiert, die sehr unterschiedliche Formen und Grade der Teilnehmerorien­tierung zum Ausdruck bringen oder sich als Beitrag zu einer aktivierenden politischen Bildung verstehen. Auch die Umweltbildung war von Anfang an mit dem Partizipationsgedanken verknüpft (s. Beispiele in 3.9). Obwohl man inzwischen durchaus von einem positiven Gesamttrend auf der Ebene der Diskurse sprechen kann (s. 3.6 u. 3.7), scheint mir partizipatorisches Lernen als didaktisches Konzept in der pädagogischen Praxis in Deutschland oder gar Partizipation als selbstverständlicher Bestandteil jeglicher demokratischer Bildungsprozesse immer noch nicht sehr verbreitet und entwickelt zu sein.

These 3.1      Es gibt sowohl begrifflich als auch in der politischen und pädago­gischen Praxis eine ausgeprägte Pluralität der Partizipation.

Die sich aus dieser These ergebende Notwendigkeit einer begrifflichen Klärung hat nicht das Ziel, eine bereits vorhandene oder neue Definition als die allein richtige zu identifizieren und dies wissenschaftlich zu begründen. Es geht primär darum, die reale gesellschaftliche Bedeutung von Partizipationsbegriffen in unter­schiedlichen Perspektiven und Strategien einer nachhaltigen Entwicklung sowie in einigen angrenzenden Bereichen herauszuarbeiten und bewußt zu machen. Dabei wird sich zeigen, daß die Pluralitätsfeststellung auch für die nachhaltige Entwicklung gilt. Partizipation erweist sich als konstitutiver Bestandteil einer welthistorischen Entwicklung zu demokratischeren Lebensformen und zu grö­ßerer Humanität auf allen Ebenen (vgl. Husi / Meier Kressig 1998). Es gibt jedoch nicht nur unterschiedliche Partizipationsvorstellungen, sondern auch starke gesellschaftliche Gegentrends, die es zu berücksichtigen gilt.

Die Aktualisierung politisch begründeter oder motivierter pädagogischer Partizipationsforderungen im Kontext des Nachhaltigkeitsdiskurses erweist sich einerseits als zentrale Notwendigkeit und große Herausforderung für die Päd­agogik und die Gesellschaft. Andererseits muß die Frage der gesellschaftlichen Anschlußfähigkeit (im Sinne von 1.2) von Bildungsansätzen für eine nach­haltige Entwicklung differenzierter und realistischer beantwortet werden als im Falle einer pauschalen Annahme eines positiven gesellschaftlichen Trends. Diese Differenzierung ist auch deshalb dringend geboten, weil die bisherige (umwelt)pädagogische Theoriediskussion über die möglichen oder notwendigen Folgerungen aus der Nachhaltigkeitsidee und den partizipatorischen Elementen durch einen fragwürdigen ‚Maximalismus‘ geprägt ist: Es werden aus den jeweils eigenen Vorstellungen einer nachhaltigen Entwicklung häufig sehr weitreichen­de pädagogische Folgerungen abgeleitet, die die gesellschaftlichen Realitäten nicht oder zu wenig berücksichtigen: Alle politischen und pädagogischen Ansätze und Vorstellungen konkurrieren bei den Versuchen ihrer gesellschaftlichen Durch­setzung und beeinflussen sich untereinander. Einzelne, insbesondere minoritäre Ansätze haben so in einer grundsätzlich pluralen Gesamtsituation in der Regel keine alleinige Realisierungschance.[1] Nur eine möglichst große Klarheit über die mögliche gesellschaftliche Basis und Entwicklungschance der eigenen und anderer Partizipations- und Bildungsvorstellungen und ‑forderungen vermeidet die Gefahr eines ‚Bildungsidealismus‘: Engagierte Pädagoginnen und Pädago­gen wundern sich, daß ihre doch eindeutig und überzeugend begründeten päd­agogischen – und in der Konsequenz auch politischen Vorstellungen – nicht in einem entsprechenden Bildungsangebot und einer fördernden Bildungspolitik eingelöst werden. Dies kann zu Rückschlägen und Resignation führen. Damit würde ein ‚Fehler‘ weitergeführt werden, der der Umweltbildung in den vergan­genen zwei Jahrzehnten sehr geschadet hat. Auch bei der (Umwelt)Bildung für nachhaltige Entwicklung deutet sich dieses Defizit an kritischer Reflexion an: Den zahlreichen neuen Dokumenten (Empfehlungen, Gutachten und Beschlüs­sen) auf der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft, die die Forderung nach einer entsprechenden Umweltbildung enthalten (s. 1.1.1 und ausführlicher in 5.3), steht eine pädagogische, wissenschaftliche und bildungspolitische Praxis gegenüber, die weit davon entfernt ist, die in diesen Dokumenten oder in der Lite­ratur zur Umweltbildung formulierten Ansprüche zu realisieren (s. 3.10 und 5.10). Umgekehrt wäre es kurzschlüssig und perspektivlos, die pädagogische Theorie- und didaktische Konzeptentwicklung auf das zu beschränken, was unter gegenwärtigen Bedingungen ‚machbar‘ erscheint. Die Entfaltung weitgehender Partizipations- und Bildungsvorstellungen, die sich auf den Nachhaltigkeitsdis­kurs beziehen und in ihn eingebracht werden, halte ich sogar für unbedingt er­forderlich (Kapitel 5). In 3.3 zeigt sich, daß – zunächst gegen dominierende gesellschaftliche Strömungen – sogar versucht werden muß, Bildung als eigen­ständige Dimension nachhaltiger Entwicklung zu entfalten. Dazu bedarf es einer zukunftsorientierten, d. h. auf Nachhaltigkeit orientierten (Umwelt)Bildungs­offensive und eines begleitenden (Umwelt)Bildungsforschungsprogramms.[2] Für beides liegen inzwischen Vorschläge vor, doch es mangelt derzeit an ausreichendem bildungspolitischen Handlungswillen.[3]

In diesem Kapitel soll dem Partizipationsgedanken auf breiter Basis nachgegangen werden: im Bereich des Nachhaltigkeitsdiskurses und seiner Vorgeschichte (3.1 und 3.2), im Bereich einer ökologischen und urbanen Stadtentwicklung (3.4), in neueren pädagogischen Tendenzen und Debatten sowie im Bereich der Umweltbildung selbst. Dies erfordert ein interdiszipli­näres Überschreiten der üblichen umweltpädagogischen Diskursebenen, die sich in der Vergangenheit sehr stark auf die Entwicklung, Begründung und kontroverse Diskussion von Zielen, Inhalten und Methoden konzentrierten.

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Wenn hier die gesell­schaftliche und die politische Ebene aus den genannten Gründen einer diffe­renzierten, analytischen Einschätzung betont wird, dann bedeutet dies in der Konsequenz nicht, (Umwelt)Pädagogik instrumentell auf eine gesellschaft­liche bzw. politische Funktion im Prozeß der Modernisierung verkürzen zu wollen (vgl. 5.3). Im Gegenteil wird die im politischen Raum und im Nach­haltigkeitsdiskurs eindeutig vorherrschende instrumentelle Sichtweise der Umweltbildung und der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung kritisch beurteilt. Deshalb wird sowohl dem Partizipationsgedanken als auch der Bil­dung eine eigenständige Rolle und damit ein größeres Gewicht im Verständ­nis einer nachhaltigen Entwicklung zugemessen (s. „Stern der Nachhaltigkeit“ in 3.3.2). Unterstützt wird diese bildungstheoretisch begründbare Position[4] durch die bisher wenig beachteten internationalen und weltweiten Bemühun­gen der UNESCO um eine neue Bildung (s. 3.3.1).

In 3.4 wird der Diskurs über Stadtentwicklung und Urbanität, vor allem unter modernisierungstheoretischen Gesichtspunkten hinsichtlich der Chan­cen für eine moderne, urbane (Umwelt)Bildung befragt. In Abschnitt 3.5 wird der weltweite Prozeß der Lokalen Agenda 21 vorgestellt, den man auch als Fortentwicklung der Modernisierung verstehen kann. Beteiligte Kommunen sind Subjekt und gleichzeitig intern ‚Objekt‘ von der Partizipation ihrer Akteure. Da vor allem städtische Kommunen zentrale Orte für politische und pädagogische Partizipation sind, stehen sie hier im Mittelpunkt.

Ab Abschnitt 3.6 beginnt der zweite Hauptteil dieses Kapitels, der sich primär Kindern und Jugendlichen beschäftigt, die in der Agenda 21 eine besondere Rolle spielen. Es wird zunächst auf die ältere UN-Kinderrechts-Konvention, die ökologischen Kinderrechte sowie das Kinder- und Jugend­hilfegesetz eingegangen, die in der Umweltbildungsdebatte bisher kaum eine Rolle spielten. Auf einer konkreteren Argumentationsebene werden pädago­gisch-partizipatorische Ansätze und Probleme in 3.7 in differenzierender Absicht diskutiert: Drei Handlungsebenen der Partizipation von Kindern und Jugendlichen und verschiedene Grade der Partizipation bis hin zur gemein­samen Planung mit Erwachsenen auf lokaler Ebene („Treppe der Partizipa­tion“) sowie Konsequenzen für eine Schulreform (Öffnung der Schule). Nach einem historisch-pädagogischen Exkurs (3.8) werden in 3.9 Beispiele und Konzepte aus der Umweltbildung vorgestellt und die schon erwähnten Ten­denzen der Partizipationsdebatte der Umweltbildung sowie mögliche Konse­quenzen dieses Kapitels für den Schulbereich diskutiert (3.10).

3.1  Partizipation in der Agenda 21

Bereits das Inhaltsverzeichnis der insgesamt 40 umfangreiche Kapitel um­fassende Agenda 21, die ein allgemeines Handlungsprogramm[5] der Staaten­gemeinschaft darstellt, zeigt deutlich, daß die Partizipation als Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen dort ein großes Gewicht hat: Der ganze Teil III, der mit „Stärkung der Rolle wichtiger Gruppen“ überschrieben ist und in der Präambel Kapitel 23 begründet wird, beschäftigt sich in jedem seiner Kapitel mit einer solchen Gruppe: Frauen; Kinder und Jugendliche; eingeborene Bevölkerungsgruppen; nichtstaatliche Organisationen (NGO)[6]; Kommunen; Arbeitnehmer; Privatwirtschaft; Wissenschaft und Technik sowie Bauern. Auf einige dieser Gruppen wird in den folgenden Abschnitten eingegangen. Häufig im Text der Agenda 21 zu lesende Formulierungen zur Partizipation lauten: Umfassende Beteiligung aller beteiligten Kräfte; Beteili­gung von Bürgergruppen an Entscheidungsprozessen; Beteiligung von betrof­fenen Individuen, Gruppen, Organisationen; Beteiligung von Basisinitiativen, Frauengruppen, Jugendlichen, eingeborenen Gemeinschaften; Dezentralisie­rung der Entscheidungsfindung auf der untersten Ebene; aktive Einbeziehung der Menschen; Unterstützung und Beteiligung der Bevölkerung u. ä. Es fällt auf, daß die Partizipationsforderung ausdrücklich in den Kontext demokrati­scher Regierungsformen gestellt wird. Dies alles ist überraschend, auch wenn es sich nicht um ein völkerrechtlich verbindliches Dokument handelt:

         Fast alle Regierungen dieser Welt haben damit ein Dokument unter­zeichnet, dessen Handlungsempfehlungen in diametralen Gegensatz zur politischen und gesellschaftlichen Verfassung dieser Staaten steht: In ihrer überwiegenden Mehrheit handelt es sich bei den Teilnehmerstaaten um undemokratische oder autoritäre Systeme. Auch die derzeitige Reali­tät in den westlich-demokratisch verfaßten Staaten ist weit von solchen Partizipationsforderungen entfernt.

         Sehr unterschiedliche soziale Gruppen und Organisationen, deren Rolle gestärkt werden soll, werden gleichrangig nebeneinandergestellt (z. B. „Privatwirtschaft einschließlich transnationaler Unternehmen“).

Zum besseren Verständnis dieser demokratischen Qualität der Agenda 21 und der neuen Vorstellung einer globalen Gesellschaftsentwicklung, die einen sehr harmonistischen und vielleicht unrealistischen Eindruck erweckt, wird zunächst ein Blick auf die Vor- und Entstehungsgeschichte der Agenda 21 und der zugrundeliegenden Nachhaltigkeitsidee geworfen.[7]

3.1.1  Zur Vorgeschichte der Agenda 21

In den 50er und 60er Jahren trat durch einige schwerwiegende Umweltkata­strophen in den industrialisierten Staaten  auf internationaler Ebene das Thema Umweltschutz allmählich ins politische Bewußtsein. Eine Initiative vor allem der skandinavischen Staaten und der USA trug das neue Problem­feld in die Vereinten Nationen, die 1972 in Stockholm die erste UN-Umweltkonferenz (United Nations Conference on the Human Environment) einberiefen und ein erstes Aktionsprogramm verabschiedeten.[8] Die wissen­schaftliche und politische Debatte war in der Folgezeit, in der der ‚Ölpreis­schock‘ von 1973 die öffentliche Meinung sehr bewegte, geprägt von der in

 

Kapitel 2 erwähnten Studie Grenzen des Wachstums des Club of Rome, die auf Basis bestimmter Annahmen den ökologischen Kollaps prognostizierte.[9]

Während die Industriestaaten Umweltschutzmaßnahmen vereinbaren wollten, hatten die Dritte-Welt-Staaten verständlicherweise Interesse, sich ökonomisch zu entwickeln und den Lebensstandard zu erhöhen. Trotz dieses Gegensatzes konnte man sich 1972 auf den Action Plan for the Human Envi­ronment einigen, dessen unterstützende Maßnahmen auch Bildung, Ausbil­dung und Information der Öffentlichkeit umfaßten.[10] Die Ten-Years-After-Konferenz im Jahre 1982 klärte endgültig, daß das Umweltaktionsprogramm aufgrund des Nord-Süd-Konfliktes und der schlechten wirtschaftlichen Situa­tion vieler Entwicklungsstaaten ungeeignet war. Auch der Ökumenische Rat der Kirchen hat sich ab 1983 in Weltkonferenzen und Vollversammlungen mit wechselnden Zusammensetzungen von Mitgliedskirchen diesen Themen einschließlich der Friedensproblematik gewidmet und ist intern massiv auf den Widerspruch zwischen den Vertretern des ‚Südens‘ und des ‚Nordens‘ gestoßen. Eine Einigung ist bis heute nicht erzielt.[11] Es mußte also eine neue Strategie gefunden werden, die wirtschaftliche Entwicklung und Umwelt­schutz integrieren sollte. Die eigens dafür eingerichtete Weltkommission für Umwelt und Entwicklung legte den nach der Vorsitzenden benannten Brundt­land-Bericht Our Common Future vor. Der dort entstandene Begriff Sustain­able Development (Nachhaltige Entwicklung), der seither die weltöffentliche und wissenschaftliche Debatte um Umwelt und Entwicklung bestimmt, hatte damals folgende Bedeutung, die bis heute am häufigsten verwendet wird:

Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Genera­tion entspricht, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse und ihren Lebensstil zu wählen. Die Forderung, diese Entwicklung dauerhaft zu gestalten, gilt für alle Länder und Menschen. (Hauff 1987)[12]

Es waren politische Organisationen, die in den 80er Jahren das Konzept der Nach­haltigen Entwicklung formuliert und die berühmte Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 mit vorbereitet und getragen hatten.[13] Damit gelangte die globale Umwelt- und Entwicklungsdebatte zu einem ersten gemeinsamen Höhepunkt und fand ihren Niederschlag in der Welt­öffentlichkeit. Die Konferenz selbst war Ausdruck einer neuen Form der Partizipation auf internationaler Ebene: Zu den Regierungsvertretungen aus ca. 180 Staaten kamen Hunderte von Vertretern der Organisationen der UN, Lokalbehörden, vom Handel und der Industrie, der Wissenschaft, den NGOs und anderen Gruppen. Parallel dazu veranstaltete das ‘92 Global Forum zu Umwelt- und Entwicklungsthemen Sitzungen, Vorlesungen, Seminare und Ausstellungen, die von 18.000 Teilnehmenden aus 166 Staaten sowie 400.000 weiteren Gästen besucht wurden. 8.000 Journalisten berichteten in alle Welt. Diese Form der Veranstaltung und Partizipation sollte in den folgenden Jah­ren Modell für weitere Weltkonferenzen von UN-Organisationen werden, die in einem inhaltlichen Zusammenhang zur Nachhaltigkeit standen:

         Weltmenschenrechtskonferenz in Wien (1993)

         Weltbevölkerungskonferenz in Kairo (1994)

         Weltsozialkonferenz in Kopenhagen (1995)

         Weltklimakonferenz in Berlin (1995)

         Weltfrauenkonferenz in Peking (1995)

         Welternäherungskonferenz in Rom (1996)

         Weltsiedlungskonferenz - Habitat II in Ankara (1996)

         Rio + 5 Folgekonferenz von Rio zur Überprüfung der Umsetzung der Agenda 21 (Klimaschutz) in Kioto (1997)

         Konferenzen der CSD[14] zu Themen der Agenda 21 (1998 u. 1999).

Aus Sicht der engagierten Vertreter der Idee des Sustainable Development erzielten diese Konferenzen sowohl inhaltlich als auch unter dem Gesichts­punkt weitreichender Partizipation lediglich ernüchternde Ergebnisse. Aber immerhin: Es wurde eine weltweite öffentliche Debatte initiiert, deren Ergeb­nisse nun konkretisiert und vor allem in praktisches Handeln umgesetztwerden müssen.[15]

Der Begriff Nachhaltigkeit stammt aus dem Problembereich der Forst­wirtschaft des 18. Jahrhunderts (Waldraubbau in Europa), wurde später auf andere Ressourcenbereiche übertragen und 1980 erstmals mit Entwicklung als Sustainable Development in Zusammenhang gebracht. Huber (1995b) illu­striert dies durch die Formel, die ich hier als These ausweise:[16]

These 3.2      Ecological Sustainability + Economic Development (+ Equity)
= Sustainable development

Angesichts der inzwischen weltweit anerkannten Globalität der Ökologischen Krise und der gleichzeitigen und damit zusammenhängenden Verschärfung sozialer Ungleichheit im Nord-Süd-Verhältnis erscheint eine konsequente nachhaltige Entwicklung, die einschneidende Verhaltensveränderungen aller Beteiligten impliziert, einerseits unausweichlich. Aufgrund der heterogenen Interessenstruktur der Beteiligten erweist sich andererseits die dazu erforder­liche Einigung auf einer Handlungsebene als sehr schwierig, die konkreter als obige Formel sein müßte. Auf der Ebene des Nord-Süd-Konfliktes war dieses Problem von Anfang an vorhanden. Schon jetzt liegen aus den unterschiedli­chen Quellen eine Vielzahl von Interpretationen und Verständnissen dieses zukunftsträchtigen Konzeptes der Nachhaltigen Entwicklung vor, die z. T. auch widersprüchlich zueinander sind.[17] Allein in der internationalen wissens­chaftlichen Diskussion sind nach Kreibich (1996, S. 40) schon Anfang der 90er Jahre 70 (!) unterschiedliche Definitionen gefunden worden. Mit der begrüßenswerten Verbreitung der Nachhaltigkeitsidee wächst die Zahl ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Bestimmungen und der Umsetzungsvorschläge weiter an. Dieser Umstand läßt die Idee der Nachhaltigkeit unklar und diffus, manchem als Grundlagenbegriff auch ungeeignet erscheinen.[18] Andere sehen gerade in dieser Offenheit gute Voraussetzung für eine demokratische Zukunftsentwicklung. Meiner Auffassung nach muß sich eine heterogene und plurale Weltgesellschaft notwendig in einer entsprechenden Vielfalt von Begriffen und Widersprüchen zur Nachhaltigkeit niederschlagen. Diese Situa­tion kann und soll über die anzustrebenden und zu verstärkenden Verständi­gungsprozesse nie ganz aufgehoben werden. Die damit einhergehende Offenheit der Begriffe ist zwar einerseits Quelle des Miß- und Nichtverste­hens, andererseits Voraussetzung für eine Verständigung im Sinne einer Anschlußfähigkeit (vgl. 1.1.3) und eines (nichtrelativistischen) verständi­gungsorientierten Pluralismus (Abschnitte 2.6.3 und 2.6.4, These 2.5). Dieser erfordert zum einen begrenzte begriffliche Gemeinsamkeiten, die beim Übergang auf abstraktere Betrachtungsebenen erzielt werden können. Zum anderen setzt dies einen politischen Willen voraus, möglichst weitgehende kooperative und partizipative Lösungen im differenzierten Interesse aller Beteiligten anzustreben. Ob dabei immer Win-Win-Lösungen zu erreichen sind, bei der also alle gewinnen, wie spieltheoretische Konfliktbewältigungs­theorien dies voraussetzen, ist sehr umstritten.[19] Vermutlich wird es ganz ohne ‚Verlierer‘ einer nachhaltigen Entwicklung nicht gehen. Eine Festlegung auf einen eindeutigen Begriff von Sustainable Development hätte dagegen in der logischen Konsequenz eine Einheitlichkeit der Entwicklungsstrategie und damit der darauf basierenden normativen Bildungsvorstellung zur Folge. Beide könnten nur mit ‚Gewalt‘ und/oder vermutlichen geringem Erfolg in der Realität durchgesetzt werden. Dies würde wiederum fundamental dem Partizipationsgedanken widersprechen, soweit dieser - wie in dieser Arbeit (s. 3.2) - als eigenständiges Prinzip verstanden wird.[20]

3.1.2  Die Rolle der NGOs

Die Geschichte des globalen Nachhaltigkeitsdiskurses zeigt die hohe und wachsende Bedeutung der NGOs, sowohl in dem entwicklungs- als auch dem umweltpolitischen Bereich. Sie fand ihren vorläufigen Höhepunkt im Umfeld der Weltkonferenz von Rio de Janeiro im Jahre 1992 und in Kapitel 27 („Stärkung der Rolle der nichtstaatlichen Organisationen - Partner für eine nachhaltige Entwicklung der Agenda“) der dort beschlossenen Agenda 21. Daß Basisgruppen und NGOs in diesem Dokument eine derart wichtige Funktion bei der notwendigen Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse in Richtung Sustainable Development beigemessen wird, ist vermutlich mehr durch den direkten Einfluß der großen NGOs auf die Agenda 21 zustande gekommen als über ein eigenes Interesse der Regierungsvertretungen.[21] Ähn­liches gilt wohl für ethisch begründete Menschenrechtsforderungen. Ist diese Annahme richtig, hat es Folgen für die reale Umsetzung und realistische Ein­schätzung der Umsetzbarkeit der Agenda 21. Relativiert wird diese unmittel­bar interessenbezogene Einschätzung durch eine modernisierungstheoretische Sichtweise, die das Zustandekommen und die möglichen Folgen des Doku­ments verständlicher macht, allerdings auch negative Folgen für die NGOs und die Partizipation andeutet (s. 3.2.6).

Um ein politisches Abschlußdokument dieser lange vorbereiteten Auf­taktkonferenz für nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene zu erreichen, war es erforderlich, die fundamentalen inneren Widersprüche und Konflikte der Nachhaltigkeits- bzw. Agenda 21-Idee im Text des Dokumentes auszu­klammern oder durch hinreichend allgemeine und mehrdeutige Formu­lierungen zu verdecken. Obwohl schon die Tatsache eines gemeinsamen Beschlusses für die Verbreitung, Weiterentwicklung und Konkretisierung der Nachhaltigkeitsidee symbolisch wichtig ist, darf man die Tragfähigkeit der Agenda 21 in bezug auf ihre praktischen Umsetzung nicht überschätzen. Daß Skepsis berechtigt ist, zeigten schon die Folgekonferenzen, die die Beschlüsse von Rio de Janeiro aus dem Jahre 1992 auf internationaler Ebene konkretisie­ren sollten und wollten: hier wurden die vorhandenen inneren Widersprüche offenbar. Zusammen mit den sich verschärfenden ökonomischen Problemen und Krisen der meisten Staaten führt dies dazu, daß die Entwicklung viel langsamer in Richtung Nachhaltigkeit voranschreitet als erhofft. Zahlreiche Kommentare anläßlich dieser Folgekonferenzen zeigen die Gefahr, daß sich eine kontraproduktive Ernüchterung verbreitet. Ähnliche negative oder ent­täuschende Entwicklungen sind auch auf den nationalen und lokalen Ebenen (Lokale Agenda 21) zu beobachten, ohne daß daraus schon ein eindeutiger Trend abgeleitet werden soll und kann.[22] Der Text der Agenda 21 nährt an vielen Stellen durch die Nennung sehr kurzer zeitlicher Fristen die Erwartung, daß ein wirksamer Prozeß der nachhaltigen Entwicklung rasch in Gang zu setzen oder gar zum Erfolg zu führen ist. Es handelt sich jedoch meiner Ein­schätzung nach - selbst für die Startphase - um die Arbeit mindestens einer Generation. Wichtig ist vor allem die Etablierung einer langfristigen und kontinuierlichen Politik für eine nachhaltige Entwicklung im 21. Jahrhundert.

Aus einem notwendig abstrakt formulierten Dokument, wie die Agen­da 21 und seinen weitreichenden Handlungsempfehlungen kann noch nicht auf seine Realisierbarkeit in der konkreten gesellschaftlichen Praxis geschlos­sen werden, die durch sehr unterschiedliche konkrete Macht- und Herrschafts­konstellationen gekennzeichnet ist. Schon gar nicht können einzelne (je eigene) Vorstellungen und Strategievarianten zum alleinigen Maßstab der Realisierung genommen werden, wie dies häufig in vorgetragenen Kritiken geschieht. Gleichwohl ist ein Dokument wie die Agenda 21 ein unverzicht­barer erster Schritt zur globalen nachhaltigen Entwicklung. Welche sehr unterschiedliche Bedeutungen und Konsequenzen einzelne Aspekte der Agenda 21 für die verschiedenen Staaten und Gesellschaften haben können, zeigt gerade die Partizipationsforderung: In Diktaturen werden andere Umset­zungsstrategien benötigt als in Staaten mit parlamentarisch-demokratischer Tradition. Daher werden unterschiedliche Realisierungsprobleme auftreten.

Da die in diesem Abschnitt skizzierte Vor- und Frühgeschichte des Sustainable Development sich weitgehend international abspielte, wurde sie stark vom Widerspruch zwischen den neuen umweltbezogeneren Interessen der Industriestaaten und den Entwicklungsinteressen der nicht- oder teil­industrialisierten Staaten geprägt.[23] Die überraschende Rolle der Industrie­staaten als Vertreter des Umweltschutzes verdeckte die Tatsache, daß sie selbst durch den Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie geprägt sind. Dies wurde erstmals deutlich am ‚Ölpreisschock‘ (1973). Inzwischen hat sich der innere Widerspruch so verschärft, daß ansatzweise über nachhaltige Entwicklungsmodelle für die Industriestaaten diskutiert wird, ohne jedoch wirklich und endgültig von dem perspektivlosen ökonomischen Wachstums­denken Abstand zu nehmen.[24] Auch die Agenda 21 ist in diesem Punkt inkon­sequent, weil sie sich selbst nicht ganz von der Illusion des ‚ökonomischen Wachstums‘ verabschiedet.

3.1.3  Drei Dimensionen von Nachhaltigkeit

Aus dem Brundtlandbericht und der Agenda 21 folgt die Dreidimensionalität der Nachhaltigkeit – ökologisch, sozial und ökonomisch. Diese aus der historischen Entwicklung verständliche Grundauffassung, die einen entschei­denden konzeptionellen Fortschritt darstellt, liegt vielen, vermutlich sogar den meisten politischen Argumentationen und wissenschaftlichen Konzepten der nachhaltigen Entwicklung zugrunde.[25] Unterschiedliche Interpretations­möglichkeiten dieser drei äußerst abstrakt formulierten Dimensionen ergeben sich daraus, daß jede Dimension für sich unterschiedlich verstanden werden kann, und daß die Dimensionen sehr unterschiedlich gewichtet, kombiniert und zueinander in Bezug gesetzt werden können. In der politischen Realität stehen z. B. die Forderung nach umweltverträglichem wirtschaftlichen Wachstum und freiem Welthandel der Forderung nach grundlegender Verän­derung des westlichen Lebensstils sowie nach Mobilisierung endogener, lokaler Entwicklungschancen durch erhöhte Partizipation gegenüber.

Der schon seit längerer Zeit geführte ökologische Diskurs, die erste Di­mension betreffend, beschäftigt sich unter anderem mit Fragen des Schutzes von Arten und Ökosystemen, der Biodiversität, des Konstanthaltens des Na­turkapitals, der ökologischen Tragfähigkeit und der natürlichen Stoffkreis­läufe. Zu diesen Fragen herrscht selbst unter Naturwissenschaftlern häufig keine Einigkeit. Dies liegt mit daran, daß in naturwissenschaftlichen Theorien und Modellen notwendig Annahmen und Momente aus dem kulturellen und gesellschaftlichen Bereich eingehen, es also sich nicht um Abbildungen der ‚Realität‘ handelt, sondern letztlich um soziokulturell bestimmte Konstruktio­nen.[26] Erst recht ist es mit der Eindeutigkeit und Einigkeit zu Ende, wenn man die Umwelt- und Naturschutzverbände hinzu nimmt, die auch ausdrücklich partzipieren sollen und dies zumindest indirekt schon seit langem tun. Man denke etwa an den Widerspruch zwischen dem Ausbau der Produktion regenerativer Energien (Wind- und Wasserenergie) und bestimmten Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes.

Offensichtlich und unumstritten ist die Uneindeutigkeit im Bereich der sozialen Dimension. Sie umfaßt Fragen nach intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit und den Lebensstilen (Suffizienz, s. 3.2.4) sowie die hier im Mittelpunkt des Interesses stehende Ausweitung der Partizipationsmöglich­keiten in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dazu gehören weiterhin kultu­relle Belange, die meiner Auffassung nach in der Agenda 21 und vielen Diskussionsbeiträgen zu kurz kommen.[27] Allein die ethisch bestimmten Gerechtigkeitsfragen sind Gegenstand schon lange andauernder Diskurse, in denen keine Einigung in Sicht ist. Es ist überhaupt umstritten, ob hier univer­salistische Ansätze angemessen sind oder eher das Gegenteil, also partikulari­stische Ausrichtungen angestrebt werden müßten.[28] Für die praktische Umset­zung ist entscheidend, daß die Menschen dieser Welt von sehr unterschiedli­chen Wertsystemen geprägt sind, die man durch pädagogische oder andere Maßnahmen nur begrenzt ändern kann.

Hinsichtlich der dritten, der ökonomischen Dimension gilt ähnliches. Es gibt eine Vielzahl ökonomischer Theorien, die teilweise Versuche einer Berücksichtigung ökologischer Belange enthalten: Orientierung an ökologi­sche Restriktionen/Grenzen, stationäre Ökonomie, Inwertsetzung von natür­lichen Ressourcen u. ä. (s. Heimvolkshochschule Stephanstift 1997). Keiner dieser Ansätze kann heute beanspruchen, die ‚richtige‘ Theorie zu liefern. Für die Praxis entscheidend ist letztlich das reale Kräfteverhältnis und die Dyna­mik der sich untereinander widersprechenden ökonomischen Interessen und Sachzwänge im Kontext der ökonomischen Globalisierung.

Diese drei Dimensionen kann man jedoch nicht nur unterschiedlich defi­nieren, sondern bei der Kombination ungleich gewichten und unterschiedliche Bezüge herstellen. So läuft ein großer Teil der aktuellen Krisendiskurse mit dem einseitigen Schwerpunkt in der dritten, der ökonomischen Dimension. Auf diese Weise lassen sich theoretisch fast beliebig viele Möglichkeiten für Nachhaltigkeitsbegriffe oder Varianten solcher Begriffe konstruieren, auch wenn die Gesamtzahl der Varianten in der Realität durch faktisch wirkende Zusammenhänge und Wechselwirkungen der drei Dimensionen untereinander eingeschränkt ist.[29] Die Vielfalt von vorhandenen wissenschaftlichen Ansät­zen unterschiedlicher Disziplinen und die real vertretenen gesellschaftspoliti­schen Perspektiven von Nachhaltigkeit, die durch jeweils unterschiedliche kulturelle Bedeutungen, konkrete räumlich-geographische sowie zeitliche Bedingungen in den verschiedenen Regionen weiter ausdifferenziert werden können, machen deutlich, daß es auch in der Praxis weltweit eine Vielzahl von Positionen zur Nachhaltigkeit gibt. Ihre Zahl kann sich sogar noch in dem Maße vergrößern, wie eine nachhaltige Entwicklung von immer mehr Betrof­fenen und Akteuren als Herausforderung begriffen wird. Da sich weltweit derzeit erst eine Minderheit engagiert, wird man mit weiteren Varianten oder ganz neuen Ansätzen rechnen können (s. These 3.1).

Bei Analysen von schriftlichen Dokumenten ergibt sich die zusätzliche Schwierigkeit, daß das jeweils formulierte Verständnis der Nachhaltigkeit auch von der Intention jeweiliger Verwendungskontexte abhängt: sei es ein politi­scher oder moralischer Appell, eine wissenschaftliche Betrachtung, Politikbe­ratung, eine Planungsgrundlage oder pädagogische Legitimationen, ...). Betrach­tet man dazu die individuelle Ebene, die für das Alltagshandeln wichtig ist, spielen unterschiedliche persönliche Wertorientierungen, Lebensbedingungen und Lebensstile eine Rolle, die die subjektive Rezeption und Umsetzung gesell­schaftlich angebotener Nachhaltigkeitsbegriffe und -vorstellungen bestimmen.

Deshalb ist es sehr zweifelhaft, ob sich zu denkbaren, begründbaren oder wünschenswerten Katalogen von weitgehenden Grundprinzipien, die über die Addition der drei oder auch mehr weitgehend abstrakt gehaltenen Grund­dimensionen hinausgehen, ein substantieller Konsens herstellen läßt, wie z. B. in Heimvolkshochschule Stephanstift (1997) vorgeschlagen wird:

         Gleichwertigkeit der Kriteriengruppen, d. h. von Ökologie, Sozialem und Ökonomie

         Partizipation aller betroffenen Gruppen

         Verankerung der Nachhaltigkeit als individuelles Ziel durch Veränderung im persönlichen Bewußtsein und Verhalten

         Notwendigkeit internationaler politischer Kooperation.

Ähnliche und andere Zusammenstellungen von Prinzipien finden sich an vielen Stellen in der einschlägigen Literatur - Partizipation oder gar Bildung sind nicht immer eigens erwähnt.

Trotz großer, ja unlösbar scheinender Probleme und Widersprüche bei der Umsetzung gibt es etliche Indizien dafür, daß Nachhaltigkeit als allgemei­ne Idee im deutschsprachigem Raum auf dem Wege ist, ein allgemeines Leitbild - im Sinne einer Menschheitsvision – für globale, nationale und regionale/lokale Entwicklungen des 21. Jahrhunderts zu werden. Es stellt sich die Frage, wie dies auch auf breiter Basis gelingen kann, was unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche nachhaltige Entwicklung ist. Die bisheri­gen Überlegungen haben gezeigt, daß Nachhaltigkeit nicht im Sinne einer Einheitsvision verstanden werden kann.

3.2  Partizipation im Plural(ismus)

Der Vielzahl existierender und möglicher Nachhaltigkeitsvorstellungen ent­spricht notwendig einer Vielzahl unterschiedlicher Partizipationskonzepte. Auch Partizipation ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche, ja sich wider­sprechende Ziele und Hoffnungen. Die Zusammenstellung von Reißmann (1998b, S. 58f), die entlang unterschiedlicher allgemeiner Funktionsbeschrei­bungen differenziert und die man erweitern oder modifizieren könnte, macht dies schon deutlich:

         Akzeptanzförderung für politische Pläne und Entscheidungen durch Beteiligung der Betroffenen

         Optimierung von Plänen und Maßnahmen durch dezentrale Entschei­dungsprozesse unter Einbeziehung der Kompetenzen vor Ort

         Förderung der progressiven und engagierten Kräfte

         Förderung von Gerechtigkeit und Menschenrechte

         Förderung innergesellschaftlicher und globaler Partnerschaft.

Historisch sind unterschiedliche Formen der Partizipation zu verschiedenen Zeiten und für verschiedene Staaten entstanden und erkämpft worden, so daß der Katalog der partizipationsberechtigten Gruppen im Laufe der Zeit immer mehr erweitert wurde. Auch heute unterscheiden sich die Partizipations­vorstellungen und -interessen verschiedener gesellschaftlicher Akteure in Zielsetzung und Reichweite noch sehr. Dies gilt beispielsweise auch für diejenigen Organisationen, die an der Agenda 21 direkt und indirekt mitge­wirkt haben. Deshalb ist vorstellbar, daß unterschiedliche Auswahlentschei­dungen oder Prioritätensetzungen zugunsten von Partizipationsrechten für diejenigen gesellschaftlichen Gruppen vorgenommen werden, die in Teil III der Agenda 21 aufgeführt sind (s. 3.1). Die Gewerkschaften werden bei ihren Überlegungen und Konzepten zur nachhaltigen Entwicklung vermutlich das Kapitel 29 („Stärkung der Rolle der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaf­ten“) in den Vordergrund rücken, Verbände der Landwirte das Kapitel 32 („Stärkung der Rolle der Bauern“) und Frauenverbände das Kapitel 24 („Glo­baler Aktionsplan für Frauen ...“) - jeweils mit guten Gründen. Schließlich kann man danach unterscheiden, ob nur professionalisierte Gruppen und Organisationen über ihre Vertretungen partizipieren oder ob – zumindest auf lokaler Ebene - auch den Einzelpersonen Mitbestimmungs- und Gestaltungs­möglichkeiten geboten werden (3.2.4). All diese Möglichkeiten sind in der Agenda 21 durch ihre allgemeinen Formulierungen abgedeckt.

Es ergibt sich daraus, daß es keinen allgemein anerkannten ‚Königsweg‘ für eine Nachhaltigkeits- und Partizipationsstrategie gibt, sondern eine Plurali­tät von Modellen der nachhaltigen Entwicklung, die auf globaler, nationaler und lokaler Ebene existieren. Da es sich bei der Agenda 21 um ein Kompro­mißdokument sehr unterschiedlicher Beteiligter handelt, in das entsprechend unterschiedliche Perspektiven, Interessen und Strategien eingegangen sind, ist die innere Pluralität, Heterogenität, ja implizite Widersprüchlichkeit auch des all­gemeinen Begriffs der Partizipation die logische Konsequenz. Anders gesagt: Die Agenda 21 ist selbst Ausdruck eines beginnenden, weltweiten Prozesses zuneh­mender Partizipation mit all seinen unvermeidlichen Widersprüchlichkeiten.

Die Tragfähigkeit des in der Agenda 21 sehr allgemein formulierten Partizipationsverständnisses kann man begrifflich und praktisch zwar in Frage stellen, zu bedenken ist jedoch folgendes: Die unterschiedlichen Unterzeich­nerstaaten der Agenda 21 haben sich auf den ‚größten gemeinsamen Nenner‘ geeinigt. Es wurden hinreichend allgemeine Formulierungen gefunden, die jeder in seinem Sinne interpretieren kann, die jedoch nicht verpflichten, andere, insbesondere weitgehendere Partizipationsformen zu ermöglichen oder gar aktiv an deren Umsetzung zu arbeiten. Da sich alle Partizipations­formen legitimieren lassen, bietet diese Lösung aber auch ein höheres Ent­wicklungspotential; die denkbare Alternative eines ‚kleinsten gemeinsamen Nenners‘, der darin bestanden hätte, nur diejenigen Partizipationsformen aufzunehmen, die alle inhaltlich voll unterstützen können, hätte demgegen­über ein substanzloses Ergebnis hervorgebracht.

Pluralität als aktuelle Situationsbeschreibung heißt nicht, daß alle gesell­schaftlichen Akteure der nachhaltigen Entwicklung gleichberechtigt sind und über vergleichbare Kommunikations- und Wirkungsmöglichkeiten verfügen; es heißt auch nicht, daß alle Akteure eine positive, d. h. pluralistische Auffas­sung gegenüber dem Faktum einer pluralen Situation haben, obwohl die kon­sequente Anwendung des Partizipationsprinzips diese Konsequenz ergäbe.

These 3.3      Die Veränderung der gesellschaftlichen Herrschaftsbeziehun­gen und Ungerechtigkeiten ist Teil eines langfristigen prakti­schen Prozesses der nachhaltigen Entwicklung, der gleichzeitig pluralistisch konzeptioniert und praktiziert werden muß.

Der Versuch die Umsetzbarkeit von Partizipationszielen, etwa auf Basis der Analyse gesellschaftlicher Interessenstrukturen einzuschätzen, kann hier nicht vorgenommen werden.[30] Die Komplexität und partizipationsbedingte Offen­heit der Entwicklung erschwert es, verläßliche Prognosen zu formulieren. Da es hier nur auf den Hinweis einer grundsätzlich pluralen Problemlage an­kommt, reichen die gewählten idealtypisierenden Konstruktionen aus.

Unterscheiden muß man zwischen den Problem- und Handlungsfeldern, wie sie z. B. in den 22 thematischen Kapiteln von Teil I und II der Agenda 21 vorkommen, wie Konsum, Schutz der Erdatmosphäre, Süßwasser, radioaktive Abfälle. Die Konflikt- und Akteurskonstellationen sowie die kulturelle Ein­bettung können zwischen diesen Bereichen jeweils sehr verschieden sein.

3.2.1  Fünfdimensionalität der nachhaltigen Entwicklung

Nach der Einführung zur Rolle der Partizipation in der Agenda 21 und einer historischen Einbettung werden mehrdimensionale, inhaltliche und strategi­sche Charakterisierungen der zahlreichen Nachhaltigkeitsvorstellungen vorge­stellt und vorgenommen - dies wird unter besonderer Berücksichtigung der Partizipation und der Bildung erfolgen.

Historisch hat sich bisher die ökologische, ökonomische und soziale Dimen­sion als ein dreifaches Charakteristikum der Nachhaltigkeit etabliert (3.1.3), was theoretisch und praktisch viele Konkretisierungen erlaubt. Für die hohe Bedeu­tung der Partizipation, die hier Fragen der Demokratie, der Menschen- und ins­besondere der Kinderrechte umfassen soll, ist es meiner Ansicht nach sinnvoll, ihn als eigenständige Dimension der nachhaltigen Entwicklung zu etablieren. Partizi­pation wird damit aus ihrem bisherigen Ort, der sozialen Dimension, herausge­nommen. Dafür spricht auch, daß die Partizipation und die soziale Dimension im dreidimensionalen Modell eine durchaus widersprüchliche Einheit bilden (s. 3.2.4), da es keinen linearen Zusammenhang zwischen Partizipation und Verteilungs­gerechtigkeit gibt: So impliziert z. B. gerechtere Lebensmittelversorgung nicht notwendig verbesserte Partizipationsmöglichkeiten und umgekehrt.

Gute Gründe gibt es auch für eine andere Differenzierung und Heraus­lösung aus der sozialen Dimension: die kulturelle Dimension kann als eigen­ständige definiert werden. Unter ihr wird die heterogene Zusammenstellung von Weltbild, ganzheitliche Naturwahrnehmung, Rationalität, Religion/My­thos, Zeitbewußtsein/Rhythmen, Identität, kulturelle Diversität u. ä. verstan­den.[31] Ich ziehe es hier jedoch vor, diesem zweifellos wichtigen Aspekt dadurch gerecht zu werden, daß die soziale Dimension durch eine sozio­kulturelle Dimension ersetzt wird, die dann vor allem Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der kulturellen Identität/Diversität umfaßt. Im Vorgriff auf Abschnitt 3.3.2 kündige ich den Vorschlag einer weiteren eigenständigen Dimension an: Bildung.[32]

In den folgenden Unterabschnitten wird die hier im Mittelpunkt stehende, differenzierende ‚Pluralitätsthese‘ auf weiteren Argumentationsebenen disku­tiert und damit noch deutlicher gemacht werden:

         Gesellschafts-, Natur- und Menschenbilder (3.2.2 und 3.2.3)

         Strategiemodelle und Leitbilder (3.2.4 und 3.2.5)

         Prozeß gesellschaftlicher Modernisierung (3.2.6).

Diese plurale Sichtweise auf verschiedene Ebenen wird grundlegende Konse­quenzen für ein dazu passendes modernes Bildungsverständnis haben, das dann auch aus diesen Gründen ebenso plural verstanden werden muß (vgl. auch 2.6.4).

3.2.2  Menschen- und Gesellschaftsbild der Agenda 21

Reißmann (1998b, S. 58ff) versucht ein Menschen- und Gesellschaftsbild der Agenda 21 zu identifizieren und seine Schwächen herauszuarbeiten.[33] Die Partizipationsidee der Agenda 21

         geht aus von der Freiheit und Würde der Individuen, die in nicht-westlichen Kulturen beileibe nicht selbstverständlich ist

         geht aus von einer Vernunftfähigkeit des Menschen, die eine hohe Gesprächsbereitschaft vorausgesetzt

         legt ein optimistische Sicht von den Selbsthilfekräften der Individuen zugrunde, ihre Lebensumgebung selbst gestalten zu wollen

         ignoriert egoistische Interessen und Verhaltensambivalenzen

         stellt sehr unterschiedliche Gruppen als gesellschaftliche Akteure neben­einander (von den Bauern und Kindern bis zur Privatwirtschaft)

         geht dabei von einem naiven Modell gesellschaftlicher Partnerschaft aus

         blendet politische Herrschaft, ungleiche Macht- und Einflußmöglich­keiten und gesellschaftliche Konfliktpotentiale aus

         geht von einer universalistischen Gemeinsinnorientierung aller Betei­ligten aus.[34]

Diese Thesen, die inhaltlich mit meiner eigenen, teilweise bereits entfalteten Position weitgehend übereinstimmen, sprechen wichtige Probleme an, die bei Diskussionen um die Umsetzung der Agenda 21, bei möglichen Konsequenzen und Konkretisierungen sowie bei realistischen Einschätzungen stärker beachtet werden müssen. Dennoch halte ich die Thesen bezogen auf das Dokument Agen­da 21 aus folgendem Grund für unangemessen: Die Agenda 21 hat – wie bereits deutlich gemacht - als notwendig hochabstraktes Dokument mit Kompromiß­charakter eine unverzichtbare politische Funktion. Aus dem Text der Agenda 21 dürfen nicht ohne weiteres Schlußfolgerungen gezogen werden, die auf einer kon­kreteren Argumentations- oder Handlungsebene liegen. So wenig wie es eine einzige Partizipationsidee gibt, gibt es ein einziges Menschen- und Gesellschafts­bild. Es gibt auch nicht ein einziges Naturbild der Agenda 21 bzw. der Nachhal­tigkeitsidee (3.2.3). Die Agen­da 21 ist keine gesellschaftstheoretische Arbeit, die ein bestimmtes Konzept der nachhaltigen Entwicklung zur Grundlage hat und von der man explizite analytische und reflexive Momente erwarten darf.

3.2.3  Naturbild der Agenda 21 und des Nachhaltigkeitsdiskurses

Bei allen Nachhaltigkeitsvorstellungen, die die grundsätzliche Drei- oder Mehrdimensionalität der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie, Soziales, Par­tizipation, Bildung, eventuell Kultur) - wie auch immer gewichtet - ernstneh­men, ergeben sich für die Umweltpolitik, die ökologische Modernisierung (3.2.6) und die Umweltbildung erhebliche Problemverschiebungen, die gerade für den ‚klassischen Naturschutz‘ und fundamentalistisch eingestellten Ökologen, der die Natur oder die Ökologie als obersten Wert ansieht, ein erhebliches Umdenken erfordern, ja einen grundsätzlichen Bruch mit bisheri­gen Vorstellungen voraussetzen: Denn im Vordergrund aller Nachhaltigkeits­konzepte steht die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Der Erhalt der Natur und der Artenvielfalt, der Schutz ökologischer Systeme und nicht­erneuerbarer Ressourcen gerät nur soweit ins Blickfeld, wie es für eine dauer­hafte gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit notwendig erscheint. Dies ist eine eindeutig anthropozentrische Perspektive, die die Frage des Natur- und Umweltschutzes in eine Frage angemessener, begrenzender Formen der Naturnutzung transformiert (s. Brand 1997b, S. 14). Die im Vergleich zur älteren Ökologiedebatte stärkere Betonung gesellschaftlicher, d. h. sozialer, ökonomischer, kultureller und politischer sowie pädagogischer Aspekte im Nachhaltigkeitsdiskurs bedeutet auf der Ebene des abstrakten theoretischen Modells der Nachhaltigkeit, wie es z. B. in meinem Stern der nachhaltigen Entwicklung (Abb. 3.1 in 3.3.2) grafisch zum Ausdruck kommt, keine Igno­rierung der ‚Naturseite‘ und wissenschaftlich kein Ausblenden der natur­wissenschaftlichen Dimensionen.

Auch der Stellenwert der Natur und das zugrundeliegende Naturver­ständnis oder -bild ist in vorhandenen Nachhaltigkeitskonzepten unterschied­lich und veränderbar. Beides bietet Unterscheidungsmöglichkeiten zwischen konkurrierenden Diskursvarianten der nachhaltigen Entwicklung und den daraus resultierenden Konfliktlinien (Brand 1997b, S. 19ff). Diese Unter­scheidungskategorien können gerade im Kontext von Umweltbildung von besonderem Interesse sein: Die Positionen reichen von öko- oder biozentri­schen Naturbildern, die vom Eigenwert der Natur und ihrer Vielfalt ausgehen und die nachhaltige Entwicklung als möglichst störungsfreie Einfügung in Kreisläufe verstehen, bis hin zu eng utilitaristischen Positionen, Natur auf ihre Ressourcenfunktion für unterschiedlich bestimmte menschliche bzw. gesell­schaftliche Zwecke unterschiedlicher Reichweite reduzieren.[35] Dazwischen liegen Positionen, die Natur in ihren verschiedenen Umweltfunktionen betrachten - einschließlich ihrer reproduktiven und kulturellen Funktionen: Erhaltung der Funktionsfähigkeit ökologischer Systeme als Lebensraum für Menschen, Erhaltung der Ressourcen, der Artenvielfalt, der lebenswichtigen stofflichen und energetischen Kreisläufe, aber auch der Ästhetik und der Erholungsfunktion von Natur sowie Natur als Gegenstand kultureller Symbolisierung usw.

Überholt sind meines Erachtens beispielsweise evolutionäre[36] Vorstellun­gen, die eine nachhaltige Entwicklung zu biologistisch als Koevolution verstehen, was letztlich eine gleichgerichtete Evolution von Natur und Gesell­schaft unterstellt. Es seien hier noch zwei Ansätze präsentiert, die Sustainable Development in einem interdisziplinären, d. h. natur- und sozialwissenschaft­liche Aspekte integrierenden Sinne zu verstehen versuchen, aber auf ganz unterschiedlichen Ebenen und mit ganz unterschiedlichen Theorieansätzen operieren:

Wehling (1997) versteht Sustainable Development als „Transformation gesellschaftlicher Naturverhältnisse“. Unter gesellschaftlichen Naturverhält­nissen[37] werden ganz allgemein die Formen und Praktiken verstanden, in und mit denen Gesellschaften in unterschiedlichen Handlungsbereichen (Arbeit, Fortpflanzung, Ernährung, Fortbewegung usw.) ihr Verhältnis zur äußeren wie inneren Natur regulieren, wobei eine materielle und eine symbolische Dimension dieser Regulierung unterschieden werden kann. Dieser Ansatz ist mit der in diesem Kapitel vorgenommenen soziokulturell differenzierenden Argumentation kompatibel.

Es gibt weder in der Weltgesellschaft noch auf nationalen Ebenen eine übergreifende kulturelle Idee oder ein Leitbild eines angemessenen Verhält­nisses der Gesellschaft zur Natur, also auch kein eindeutiges Naturbild. Es wäre auch kein neues eindeutiges Naturbild bzw. Naturverhältnis ‚konstru­ierbar‘, zumal dies dem Partizipationsgebot und der Achtung der soziokultu­rellen Vielfalt widersprechen würde. Es gibt zwar in jeder Gesellschaft ein dominierendes Naturverhältnis oder auch mehrere Naturverhältnisse neben­einander, die zusammen dominieren, aber es existieren immer auch andere Naturverhältnisse und -beziehungen. Deshalb wäre es zu undifferenziert, von der Transformation des gesellschaftlichen Naturverhältnisses in einem bestimmten Verständnis einer nachhaltigen Entwicklung zu sprechen.

Die anstehende Neuregulierungen gesellschaftlicher Naturverhältnisse in den noch zu unterscheidenden Handlungsfeldern werden deshalb in sehr unterschiedlichen, u. U. auch gegensätzlichen Formen geschehen und es werden auch Wechsel- und Dominanzbeziehungen zwischen den verschie­denen Formen bestehen. Die Richtung der Transformation wird wesentlich durch die sich dynamisch wandelnden gesellschaftlichen ‚Partizipations­verhältnisse‘[38], d. h. die Gesamtheit aller Partizipationen in einem definierten Bereich und vielleicht auch durch zusätzliche normativ-ethische Grundlagen[39] und Leitbilder abstrakterer Art bestimmt. Für eine Kennzeichnung des bislang dominierenden oder zukünftig anzustrebenden Verhältnisses zur Natur sind deshalb bisher verwendete Kategorien wie Naturausbeutung, Frieden mit der Natur u. ä. nicht sinnvoll, da sie keine Perspektiven im Sinne einer mehr­dimensional verstandenen Nachhaltigkeit bieten, geschweige denn eine handlungsanleitende oder gar bestimmende Aussagekraft haben. Dies hat grundlegende Konsequenzen für eine zukünftige Umweltbildungsarbeit im Kontext der nachhaltigen Entwicklung.

Ein ganz anderer Ansatz ist der Versuch der Integration sozial- und naturwissenschaftlicher Ansätze, der ab 1993 vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) unter der Bezeichnung Syndromkonzept einer globalen Betrachtungsweise vorgelegt, fortentwickelt und an Beispielen konkretisiert wurde (vgl. auch Reusswig 1997). Das Syndromkonzept ist der Versuch einer Synthese der weltweit betriebenen, problembezogenen, interdisziplinär-naturwissenschaftlich ausge­richteten Global-Change-Forschung (z. B. Klimaforschung) und sozial- bzw. kulturwissenschaftlich ansetzenden Studien. Im Mittelpunkt stehen 16 welt­weit als typisch angesehene Mensch-Natur-Interaktionsmuster, die Syndrome, die in spezifischen regionalen Erscheinungsformen auftreten und damit auf einem mittleren Abstraktionsniveau angesiedelt sind. Das Syndromkonzept unterscheidet sich von anderen Ansätzen einer nachhaltigen Entwicklung unter anderem dadurch, daß es nichtnachhaltige Entwicklungen, die es zu vermeiden gilt, zur Handlungsgrundlage macht. Auf die sonst üblich gewor­denen positiv formulierten Zielvorgaben wird verzichtet. Diese negative Form von Nachhaltigkeit hätte den Vorteil, einem vorsichtigen Management des Systems Erde hinreichend klare und wissenschaftlich relativ gut abgesicherte ‚Leitplanken‘ an die Hand zu geben, ohne zugleich den Kreativitäts- und Handlungsspielraum von Gesellschaft und Politik sowie Bildung übermäßig einzuengen.[40] Möglicherweise kann man sich über solche ‚Entwicklungs­korridore‘ auch leichter einigen als über positive Zielvorgaben. Es zeigt sich auch bei diesem Ansatz, daß es keine einheitlichen Kriterien der nachhaltigen Entwicklung gibt, sondern allenfalls syndromspezifische, die regional konkretisiert werden müßten. Die Rolle der Partizipation ist dagegen funktionalistisch verkürzt: Ohne Beteiligung der Betroffenen lassen sich viele vorgeschlagene Maßnahmen nicht erfolgreich durchführen.

3.2.4  Strategien nachhaltiger Entwicklung

Es gibt einige Versuche, die verschiedenen Konzepte einer nachhaltigen Entwicklung nach strategischen Gesichtspunkten zu unterscheiden und diese Gesichtspunkte auch als analytische Bewertungsschemata zu verwenden. So schlägt Huber (1995a u. 1995b) die Unterscheidung zwischen Effizienz-, Permanenz- und Suffizienzstrategien vor; Sachs (1997) benutzt die Unter­scheidung zwischen Wettkampf-, Astronauten- und Heimatperspektive; de Haan (1998b)[41] spricht von Parametern für Zukunftsmodelle, modifiziert die Kategorien von Huber, formuliert sie neu in seinem Gutachten in BLK (1999) und fügt dort eine fünfte Strategie hinzu, die aus dem sozialen bzw. entwicklungspolitischen Bereich stammt: solidarisches Zusammenleben.

Eine Suffizienzstrategie schließt eine Effizienzstrategie nicht aus. Grund­sätzlich könnten alle diese Hauptstrategien koexistieren oder kombiniert werden. In einem bestimmten Verständnis bevorzugt dies auch Huber (1995b, S. 44f). Daß auch gleichnamige Strategien wiederum unterschied­lich verstanden werden können, insbesondere hinsichtlich des Anwendungs­bereich der Effizienz und des Verständnisses der Suffizienz zeigt exem­plarisch der Vergleich der Positionen und der Formulierungen von Huber und de Haan.

Alle erwähnten idealtypischen Strategiemodelle legen unterschiedliche Partizipationsstrategien nahe, die sich vor allem hinsichtlich der Auswahl der partizipierenden Gruppen und in der Art der Partizipation unterscheiden können (vgl. 3.2). Während Effizienzstrategien sich eher auf die Partizipa­tion bestimmter professionalisierter Gruppen beschränken können oder wollen, was im einzelnen unterschiedlich weit gesehen werden könnte, müssen am anderen Ende der Skala der Partizipation Suffizienzstrategien tendenziell alle Bürgerinnen und Bürger einbeziehen, unter Umständen jedoch begrenzt auf eine individuellen Ebene der Gestaltung des Lebensalltags.[42]

Verkomplizierend ist noch der - der Mehrdimensionalität der Nachhal­tigkeit geschuldete - Umstand, daß es keine linearen Zusammenhänge zwischen Modellen der nachhaltigen Entwicklung und ihrer Dimension der Partizipation gibt. Ökologisch weitreichende Strategien der nachhaltigen Ent­wicklung sind nicht notwendig mit erweiterten Partizipationsperspektiven ver­bunden, sondern haben sogar oft die Tendenz eines Top-down-Modells. Um­gekehrt kann Partizipation sich auf reine Interessenpolitik und Lobbyismus reduzieren, wenn ein Wille zur gemeinsamen nachhaltigen Entwicklung nicht hinreichend ausgeprägt ist. Daraus leite ich folgende These ab und darauf ba­sierend die Erweiterung der Dimensionen des Verständnisses von nachhalti­ger Entwicklung (s. Abb. 3.1 „Stern der nachhaltigen Entwicklung“ in 3.3.2).

These 3.4      Eine erweitere Partizipationspraxis impliziert nicht notwendig eine verbesserte nachhaltige Entwicklung in allen ihren Dimen­sionen und umgekehrt. Partizipation ist deshalb eine eigenstän­dige Dimension der Nachhaltigkeit.

3.2.5  Leitbilder der nachhaltigen Entwicklung

In der Diskussion um die Operationalisierung und Vermittlung der Nachhal­tigkeitsidee in der breiten Öffentlichkeit wird Leitbildern[43] einer nachhaltigen Entwicklung eine große Rolle zugemessen. Ähnliches gilt für einige pädago­gische Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung (s. Kapitel 5). Die Kontroverse über die Leitbilder bezieht sich auf die jeweilige inhaltliche Bestimmung und den Grad der geforderten normativen Verbindlichkeit dieser Leitbilder.

Für eine kleine Zahl von Perspektiven und Programmen einer nachhalti­gen Entwicklung wurden bereits solche Leitbild- und Kriterien- sowie in einer weiteren Operationalisierungsstufe Indikatorenkataloge entwickelt, die sich auf verschiedene Handlungsebenen beziehen bis hin zur lokalen Ebene im Rahmen der LA 21. Während Leitbilder und Leitlinien verständliche Visio­nen derjenigen Einheit (Kommune, Staat,...) darstellen, für die sie gelten bzw. wirken sollen, dienen Kriterien und Indikatoren der Überprüfung des Fort­gangs einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der jeweiligen Ziele und Leit­bilder. Auf nationaler Ebene stammt in Deutschland der vielleicht bekannteste Leitbildkatalog vom Wuppertalinstitut (BUND/MISEREOR 1996, Über­schriften des Kapitels 4):

–      Rechtes Maß für Raum und Zeit

–      Eine grüne Marktagenda

–      Von linearen zu zyklischen Produktionsprozessen

–      Gut leben statt viel haben

–      Für eine lernfähige Infrastruktur

–      Regeneration von Land und Landwirtschaft

–      Stadt als Lebensraum

–      Internationale Gerechtigkeit und globale Nachbarschaft

Erläutert werden die Leitbilder und ihre Funktion gegenüber den quantitativ-stofflichen Reduktionszielen im ersten Teil dieser Studie sinngemäß wie folgt: Es geht um eine qualitativ-historische, veranschaulichende Beschrei­bungen des erstrebten Wandels zu zukunftsfähigen Gesellschaften. Die acht Leitbilder beziehen sich auf acht unterschiedliche Gestaltungsfelder sozialer Erneuerung und stellen insgesamt eine mehrperspektivische Sichtweise dar. Sie ist ohne Anspruch einer Gesamtutopie, soll sich aber in einem zwar gleichgerichteten, aber doch ungleichzeitigen und vielstimmigen Prozeß einer Vielzahl von Akteuren ohne Staatszentrierung, d. h. auch ohne das klassische Schema Probleme - Ziele - Instrumente - Wirkungen in verschiedenen Bereichen vollziehen. Die Leitbilder verstehen sich als Gestaltungsentwürfe für Akteure in unterschiedlichen sozialen Feldern: Unternehmer, Konsumen­ten, öffentliche Versorger, Gesetzgeber, Städter, Bürger in ländlichen Gebie­ten, entwicklungspolitisch Engagierte. Die Leitbilder bauen auf den Ideen und Initiativen auf, die ökologiebewußte Menschen in diesen Bereichen über die Jahre vorgeschlagen, entwickelt und ausprobiert haben. Es wird versucht, die in diesen Anstrengungen implizierten Zukünfte freizulegen. Sie können mit einer Mischung aus Realitätssinn und Einbildungskraft hier und da antizipiert werden (BUND/MISEREOR 1996, S. 151ff).

Das Problem solcher und ähnlicher Leitbilder ist, daß sie hinsichtlich der Lebens- und Arbeitsbedingungen der angesprochenen Bürgerinnen und Bür­ger noch zu abstrakt sind. Daran ändert auch die ausführliche Darstellung und Begründung in dieser Studie wenig. Die Leitbilder müßten, um Wirkung bei einzelnen sozialen Gruppen oder Personen zu zeigen, soziokulturell differen­ziert oder auch verändert werden. Dies kann mit Aussicht auf breiten Erfolg nur in einem diskursiven und partizipativen Prozeß erfolgen, der vorgeschla­gene Leitbilder zum Gegenstand von breiten, offenen und kreativen Debatten und praktischen Versuchen macht. In diesen Prozessen müßten unter Verzicht auf unrealistische, harmonistische Perspektiven sowohl Kontroversen ausge­tragen als auch neue Gemeinsamkeiten entwickelt und entdeckt werden.[44]

3.2.6  Partizipation und Modernisierung

Es ist kaum umstritten, daß der weltweite Prozeß einer nachhaltigen Ent­wicklung erst am Anfang steht. Vor allem engagierte Menschen und Gruppen bezweifeln aus ihrer Sichtweise, daß der Prozeß überhaupt vorwärts kommt. Auf den meisten nationalen, regionalen und lokalen Ebenen ist es wichtig, die gesellschaftlichen Prozesse einer partizipatorischen Entwicklung zur Nach­haltigkeit überhaupt erst in Gang zu bringen. Dies wird nicht selten ‚von oben‘ versucht: Etliche Kommunen suchen im Kontext einer politischen Modernisierung, auf die ich in diesem Abschnitt zu sprechen kommen werde, nach engagierten und partizipierenden Gruppen, Bürgerinnen und Bürgern. Viele potentielle Akteure müssen zur neuen Herausforderung der nachhal­tigen Entwicklung erst eine Position finden. In vielen anderen Staaten auf der Welt werden Partizipationswünsche ignoriert oder sogar brutal unterdrückt.

Insgesamt handelt es sich wohl um eine historisch noch nie dagewesene, offene gesellschaftliche Situation, die zumindest in einem längeren Prozeß Chancen bietet für diese neue Art der Entwicklung, der nachhaltigen Entwick­lung, - neu sowohl im inhaltlichen Sinne als auch im Sinne eines partner­schaftlichen Gedankens, der mit herkömmlichen rein konfrontativen Formen bricht. Ein Abschied von konfrontativen Formen fällt aber vielen politisch oppositionellen Gruppen schwer oder wird weiterhin abgelehnt.

Die außerordentliche Komplexität der offenen Situation macht die wei­tere Entwicklung kaum plan- oder einigermaßen verläßlich prognostizierbar. Man kann dazu zunächst folgende allgemeine These formulieren:

These 3.5      Die Konkretisierung und reale Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung entscheidet sich an dem realen gesellschaftlichen Kräfteverhältnis ihrer unterschiedlichen Träger und eventuellen Gegner sowie an der gesellschaftlichen Dynamik, die durch Diskurse, Kooperationsversuche, Entwicklung überzeugender Leitbilder, Partizipation und nicht zuletzt durch Bildungspro­zesse im Sinne eines offenen Prozesses in Gang gesetzt wird.

Die Herausforderung und Chance bietet sich auch für den Bildungsbereich, der gerade zur Entwicklung differenzierter Leitbilder, die über unmittelbare soziale Interessen hinausgehen, auf verschiedenen Abstraktions- und Hand­lungsebenen entscheidende Beiträge leisten könnte.[45]

Es bleibt die Aufgabe empirischer Untersuchungen, wenigstens grobe und jeweils vorläufig die Umsetzbarkeit einer nachhaltigen Entwicklung über eine Analyse der realen sozialen Träger und Akteure des Agenda 21-Gedankens einzuschätzen. Dabei sollte es nicht nur um Interessenanalysen gehen - speziell hinsichtlich des Partizipationsgedankens -, sondern auch um Analysen benutzter Leitbilder und der Bildungsbemühungen.

 

Die überraschend weitgehend formulierte Partizipation in der Agenda 21 wurde in 3.1.2 hauptsächlich als Ergebnis des stärker gewordenen Einflusses von NGOs auf internationaler Ebene plausibel gemacht. Diese eng interessen­bezogene Argumentation kann man durch modernisierungstheoretische Aspekte staatlicher Politik erweitern, so daß insgesamt eine modifizierte Ein­schätzung der Zukunftsperspektiven für eine nachhaltige Entwicklung und insbesondere für die Partizipation möglich wird. Als gemeinsamer Hinter­grund der an der Diskussion zur Agenda 21 beteiligten Staaten könnten fol­gende, weltweiten Erfahrungen die Zielformulierungen mitbeeinflußt haben:

         Optimistische Versuche zentraler Steuerung und Planung wurden in den 60er und 70er Jahren unter verschiedenen politischen Vorzeichen in den Industrie- und den Entwicklungsstaaten betrieben. Die jeweiligen Ziele wurden aber nicht oder kaum erreicht. In dem Maße, wie diese Versuche als gescheitert angesehen wurden, waren zunehmend dezentrale Steu­erungsmodelle gefragt. Dies schloß insbesondere die Beteiligung von NGOs ein, die in ihrer basisnäheren Arbeit bessere Erfolgsbilanzen auf­weisen konnten (vgl. Messner/Wichterich/Mai 1997).

         Im Zuge fortschreitender Individualisierungs- und Demokratisierungspro­zesse wird auch den Regierenden immer deutlicher, daß sich viele politi­sche Maßnahmen kaum noch ohne Beteiligung der Betroffenen durch­setzen lassen.

Zum ersten Punkt: Mit der zunehmenden Partizipation von NGOs und anderer Gruppen, die die aufgetretene ‚Legitimations- und Problemlöselücke‘ staat­licher Politik zu schließen beginnt, setzt ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel ein, den man gleichzeitig als funktionale und demokratische Moder­nisierung bezeichnen kann. Für diesen Wandel sind gewisse (Rück)Verlage­rungen der Politik vom Staat in die Gesellschaft kennzeichnend. Zwischen Staat und Markt entsteht eine schnell an Bedeutung gewinnende, neue Säule gesellschaftlicher Akteure, die NGOs. Mit dieser Funktion übernehmen die NGOs Modernisierungsfunktionen des gesellschaftlichen und politischen Systems, verfolgen aber auch eigenständige Ziele und Interessen.

Mit der damit einhergehenden Teilintegration in staatliche Politik und Programme tauchen neue Probleme auf: Die dadurch tendenziell bedrohte Unabhängigkeit der NGOs gerät in Widerspruch zu der historisch wichtigen und kritischen Funktion gegenüber der herrschenden staatlichen Politik und tangiert die bisherige Legitimation der NGOs. Mit der partiellen Verantwor­tungsübernahme durch Partizipation erhebt sich gleichzeitig die Frage nach der demokratischen Legitimation der jeweiligen NGOs. Sie ist bei manchen Organisationen in folgendem Sinne ohnehin fragwürdig und reflexionsbedürf­tig: So verstehen sich im Umweltbereich und insbesondere im traditionellen Naturschutzbereich viele Organisationen einerseits als Anwälte der Tiere, Pflanzen und ausgewählter Ökosysteme, die keiner demokratischen Legitima­tion bedürfen, andererseits vertreten diese Akteure faktisch auch spezifische gesellschaftliche Interessen an bestimmten Mensch-Naturbeziehungen. Diese zwei Seiten sind im Falle einer partizipativen Einbindung in öffentliche Belange und staatliche Kontexte demokratietheoretisch problematisch.

Auch die Entwicklung zu leistungsstarken, professionellen Organisatio­nen, die solche Gruppen in die Nähe von Lobby-Organisationen mit starken Eigeninteressen brachten und gleichzeitig von ihrer eigenen Basis entfernte, stellt den eigenen Anspruch dieser Organisationen in Frage, diese Basis zu vertreten. Es kann heute nicht mehr davon gesprochen werden, daß mit der Beteiligung von großen NGOs die Partizipation in einem demokratischen Sinne erfolgt. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen muß genau unter­schieden werden zwischen der Partizipation von Organisationen, die be­stimmte soziale oder ökologische Interessen vertreten und der direkten Parti­zipation von Bürgerinnen und Bürgern, die hauptsächlich auf der lokalen Ebene von Bedeutung ist. Diese Probleme der Partizipation von NGOs haben freilich auf den verschiedenen Handlungsebenen von global bis lokal sehr unterschiedlichen Charakter (vgl. Messner u. a. 1997 und Bruckmeier 1997). Es zeigt sich die Tendenz, daß die Partizipation von Bürgerinnen und Bür­gern, kleinen Initiativen und Basisgruppen steigt (s. Erläuterungen zum zwei­ten Punkt) und damit auch die Bedeutung einer Bildung, die hinsichtlich ihrer Adressaten breit angelegt wird. Die beschriebenen Veränderungen der Funk­tionen von NGOs sind zugleich von eminenter Bedeutung für die (Umwelt)­Bildung, die international zunehmend von partizipierenden Organisationen und Gruppen getragen wird (vgl. Michelsen 1998a, S. 32ff).

Insgesamt wird deutlich, daß Partizipation nicht nur ein hehres demokra­tietheoretisches Ideal bzw. Postulat oder eine interessendefinierte Forderung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen und Akteure ist. In beiden Fällen wäre die Einlösung von Partizipationsansprüchen staatlicherseits und in welt­weitem Maßstab nur bedingt zu erwarten; von benachteiligten sozialen Grup­pen wären sie allein nur schwer durchsetzbar. Einige Formen der Partizipa­tion erweisen sich zunehmend auch aus Sicht staatlicher Institutionen als wesentliche funktionale Grundbedingungen für eine erfolgreiche Politik einer nachhaltigen Entwicklung. Voraussetzung ist, daß von Seiten der Politik und des Staates langfristige Perspektiven entwickelt werden – die Forderung nach allgemeiner Partizipation und Demokratie erfährt hier Anschlußmöglichkeiten an einen langfristigen Trend der funktionalen Modernisierung und dadurch verbesserte Realisierungschancen.

Zum zweiten Punkt (Individualisierungs- und Demokratisierungspro­zesse): In Analogie zur Tendenz eines staatlichen Kooperationsinteresses mit NGOs und den damit verbundenen Partizipationsformen gibt es eine weitere Tendenz der Modernisierung, auch in der Einbindung und Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern funktionale Vorteile zu sehen – vor allem auf der Ebene kommunaler Politik und Verwaltung: Durch eine frühe Einbindung von Betroffenen bzw. Interessierten werden unter Umständen langwierige Verfahren und Widerstände vermieden. Diese Möglichkeit der Effektivierung kommunaler Planung kommt auch demokratischen Mitgestaltungsinteressen von Bürgerinnen und Bürgern sowie den basisnahen Initiativen entgegen.[46] Aus der Tendenz zur funktionalen Modernisierung ist es verständlich, daß Verwaltungen unter Umständen versuchen, Gruppen und Bürgerinnen und Bürger für die Partizipation zu gewinnen. Im Falle der Lokalen Agenda 21 haben jedoch einige engagierte Verwaltungen und Kommunalpolitiker das Interesse, einen erfolgreichen Agenda-Prozeß vorzeigen zu können - auch unabhängig von Modernisierungserwägungen (s. 3.5).

Die in vielen Industriestaaten diskutierte Tendenz zur Individualisierung, die dem Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, das von politischen Insti­tutionen und Großorganisationen zunehmend erwartet wird, entgegensteht oder entgegenzustehen scheint, ist das Thema von Beck (vgl. Beck 1997, Beck/Sopp 1997) und Reinert (1997 u. 1998). Beck kommt zu einer sehr opti­mistischen Einschätzung der Individualisierung, die sonst oft als Werteverfall in einer ‚unübersichtlichen‘ und von der Globalisierung bedrohten Gesell­schaft kulturkritisch beklagt wird. Beck interpretiert Individualisierung als notwendigen Abschied von den überholten Formen und Vorstellungen der „ersten Moderne“. In positivem Sinne sieht Beck dabei eine Entwicklung zum vollständig neuen Gesellschafts-, Politik- und Demokratiemodell der pluralen Vielfalt und eines „weltbürgerlichen Republikanismus“, das durchaus von subjektnäheren Formen und Motiven wie Solidarität, Hilfsbereitschaft und Gemeinwohlorientierung geprägt sein wird.[47] Becks „Kulturpolitik des welt­bürgerlichen Republikanismus“ ist unter anderem gekennzeichnet durch

         die neue Bedeutung des Individuums

         die Zentralität weltbürgerlicher Akteure, Identitäten, Netzwerke, Institutionen

         die neue Wichtigkeit des Lokalen in der Weltgesellschaft[48]

         die Schlüsselbedeutung politischer Freiheit und einer aktiven Bürgerge­sellschaft für Demokratie und Beantwortbarkeit der ökologischen Krise.

Die Ziele der Transformationen der Risikogesellschaft in eine reflexive Mo­derne[49] im Sinne des theoretischen Ansatzes von Beck erfordern nicht nur die Entwicklung einer partizipativen politischen Kultur, sondern zweifellos auch ein stark erhöhtes Maß reflexiver Bildungsprozesse (vgl. etwa Claußen 1996).

3.3  Partizipation und Bildung

Interpretiert man die Partizipationsidee der Agenda 21 maximalistisch, d. h. im Sinne der Entwicklung und Etablierung einer neuen politischen Kultur demokratischer Entscheidungsfindung auf allen Handlungsebenen, kann man als pädagogische Konsequenz die Entwicklung von Bildungs- und Qualifizie­rungsmaßnahmen ableiten, die alle Beteiligten (Wissenschaftler, Politiker, Gruppen, Bevölkerung ...) durch Information, Aufklärung und andere geeig­nete Maßnahmen ermöglichen sollen, mit neuen Dialogstrukturen vernunft- und verständigungsorientiert an Lösungen zu arbeiten. Nur durch diese weit­gehende Interpretation ist die für Erziehungswissenschaftler erfreuliche und auf den ersten Blick plausible These zu verstehen: „Die Partizipationsidee der Agenda 21 ist untrennbar verbunden mit der Bildungsidee und mit der politischen Etablierung neuer Dialogstrukturen.“ (Reißmann 1998b, S. 61).

In einer Zeit kontroverser Debatten über einen neuen Bildungsbegriff (s. Kapitel 2, insbesondere 2.6) ist es jedoch fragwürdig oder zumindest irreführend von ‚der‘ Bildungsidee im Singular zu sprechen. Das gleiche gilt – wie in 3.2 ausführlich und auf verschiedenen Argumentationsebenen herausgearbeitet wurde – für die Partizipation und die Agenda 21, für die es eine fast unübersehbare Vielfalt von Interpretationen und vor allem ein kom­plexes Geflecht von Interessen und historischen Tendenzen gibt. Realge­schichtlich entfaltet sich daraus eine schwer prognostizierbare, mit Sicherheit jedoch vielfältige und widersprüchliche Entwicklung.

Auch in der schon erwähnten Schrift der Heimvolkshochschule Stephans­stift (1997, S. 67ff) wird aus Kapitel 36 der Agenda 21 eine hohe Bedeutung des Bildungsbereichs abgeleitet:

         Bildung kann die Implementation aller anderen Kapitel der Agenda 21 beeinflussen.

         Bildung umfaßt alle Strukturen formeller und informeller Bildung, ein­schließlich Fernunterricht und Aktivitäten gesellschaftlicher Gruppen (Frauen, Jugend, NGOs,...) sowie Massenmedien und Werbeindustrie.

         Bildung soll helfen, die Lebensgewohnheiten der Menschen im Hinblick auf Konsum- und Produktionsweisen zu verändern.

         Bildung muß ‚unten‘ ansetzen, d. h. vor allem bei den Organisations­formen, in denen Menschen vor Ort zusammenleben.

         Die Bretton-Woods-Institutionen (Weltbank, Bank für Wiederaufbau, Internationaler Währungsfond) sollen ihre Investitionen in die Bildung überprüfen.[50]

Außerdem werden neue und erweiterte Aufgaben für Umweltbildung bzw. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung identifiziert, die durch spätere UN-Konferenzen bestärkt wurden - z. B. durch die Konferenz Habitat II 1996 in Ankara und die UNESCO-Bildungskonferenz[51] 1997 in Hamburg. Solche um­fassenden Funktionszuweisungen, für die es gerade in der wissenschaftlichen Literatur etliche Beispiele gibt, muß man als ‚bildungsidealistisch‘ bezeich­nen, wenn die reale oder potentielle soziale bzw. gesellschaftliche Basis solcher Überlegungen nicht wenigstens reflektiert wird. Deshalb helfen bloße Aufgabenkataloge einer zukünftigen Bildung für ihre praktische Realisierung allein kaum weiter.[52]

Man kann an der hier getroffenen Feststellung anknüpfen, daß verschie­dene gesellschaftliche Gruppen, Akteure und Kräfte unterschiedliche Nach­haltigkeits- und Partizipationsvorstellungen, -ziele und -strategien verfolgen, für die jeweils unterschiedliche pädagogische Ansätze besonders förderlich sind oder für förderlich gehalten werden. Ohne es hier im einzelnen untersu­chen zu können, sieht man dies daran, daß ein Großteil der untereinander sich sehr unterscheidenden NGOs (Umwelt)Bildungsarbeit betreiben, deren Funk­tionen den jeweiligen Hauptzielen dieser Organisationen untergeordnet wird (s. Michelsen 1998a, S. 33ff).

Funktionale Unterordnungen von Bildung lassen sich auch auf der Ebene der beschriebenen idealtypischen Hauptstrategien einer nachhaltigen Entwick­lung zeigen: Eine Effizienzstrategie, die sich vorrangig auf ökologische und ökonomische Aspekte bezieht, häufig sich sogar auf die ökonomische redu­ziert, betrachtet die Verbesserung des Bildungssystems primär im Sinne einer technischen Innovation, als Verstärkung allgemeiner, universeller wissenschaft­licher Leistungsfähigkeit und der Produktion einer Elite wissenschaftlicher Lei­stungsträger. Einer (ökologischen) Modernisierungsstrategie geht es zusätzlich und modifizierend um die soziale Breite der Bildung, um Handlungsorientierung und der damit verbundenen Berücksichtigung der sozialen Seite der Probleme. Einer Suffizienzstrategie als Veränderung des Zivilisationsmodells, der Lebens­weise und der -stile betont die Suche nach grundlegenden Alternativen. Je nach Betonung auf der Seite individuellen oder gesellschaftlichen Handelns spielen mit unterschiedlichen Gewichtungen Kreativität, fundamentalistische Normativität, politische oder ethische Bildung u. ä. eine tragende Rolle.

Es gibt potentiell viele pädagogische Strategien, mit der epochalen gesellschaftlichen Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung und speziell der Forderung nach Partizipation umzugehen. Dazu gehören auch bildungstheoretisch fundierte Ansätze und Theorien der Allgemeinbildung, wie sie in Kapitel 2 rekonstruierend entfaltet wurden und in Kapitel 5 in Rich­tung einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung vorgestellt und weiter­entwickelt werden. Diese erst in der Entstehungsphase befindlichen Konzepte haben gesellschaftlich derzeit noch eine sehr geringe Bedeutung.

Pädagogische Arbeit wird in den meisten Abhandlungen zur nachhaltigen Entwicklung als bedeutendes Instrument zur Erreichung der jeweiligen Ziele der nachhaltigen Entwicklung gesehen. Soweit es bei einer einseitigen Funk­tionsbestimmung pädagogischer Arbeit bleibt, widerspricht dies einerseits grundsätzlichen pädagogischen und bildungstheoretischen Postulaten der För­derung der Selbstbestimmung. Deshalb müssen die Vertreterinnen und Ver­treter von Bildungsarbeit und die sie tragende Gesellschaft intensiv über Möglichkeiten eigenständiger Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung in allen Bildungsbereichen nachdenken. Andererseits steht die an vielen Stellen geäußerte hohe instrumentelle Wertschätzung der Umweltbildung, die schon länger umweltpolitisch begründet wird, in krassem Widerspruch zu den bisher konzeptionell bescheidenen und sehr wenig verbreiteten Umsetzungen in pädagogische Praxis sowie einer bisher wenig förderlichen Bildungspolitik (in Deutschland). Neben einigen Ursachen, die schon in Anmerkungen in den beiden vorangegangenen Kapiteln erwähnt wurden, trägt die offensichtliche eigene Schwäche des Bildungsbereichs als eigenständiger gesellschaftlicher Akteur zur defizitären Situation der Bildungsarbeit bei.

Dieser Mangel wird schon in der Agenda 21 deutlich: In Teil III der Agenda 21 („Stärkung der Rolle wichtiger Gruppen“) hätte der Bildungs­bereich – gerade wegen seiner offensichtlichen Schwäche - in einem eigenen Kapitel vertreten sein müssen (vgl. 3.1). Statt dessen ist er in Kapitel 36 in Teil IV („Möglichkeiten der Umsetzung“) nur ein Instrument der Inhalte und Akteure. Ähnliche Situationen finden sich in den politisch wichtigen Gutachten des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen (RSU) (1994) und des WBGU (1993ff). Trotz großer nationaler Unterschiede scheint dieses strukturelle Problem des Bildungsbereichs weltweit zu gelten. Eine Analogie und Differenz besteht meiner Auffassung nach in der Agenda 21 zum Bereich Wissenschaft: Zusammen mit Technik bildet dieser eine eigene Gruppe (Ka­pitel 31); seine Rolle soll also durch Partizipation gestärkt werden. Wissen­schaft als Instrument und Dienstleistung wird in Teil IV ein zweites Mal geführt. Eine solche Konstruktion wäre auch für den Bildungsbereich sinnvoll und angemessen gewesen. Die Analogie bietet sich auch deshalb an, weil beide Bereiche in vergleichbarer Weise in sich differenziert sind, wenn auch der Bildungsbereich offenbar weit schlechter nach außen organisiert ist. Es kann die Forderung als These abgeleitet werden:

These 3.6      Zur wirksamen Verankerung des Bildungsbereichs, der in der Agenda 21 eine große Bedeutung hat, muß dieser in der Praxis als eigenständiger ‚Partizipationspartner‘ einer nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt werden. Dazu müssen der Bildungs­bereich und die Erziehungswissenschaften auch einen erheb­lichen Eigenbeitrag leisten.

3.3.1  UNESCO: Bildung für das 21. Jahrhundert

Verstärkt wird eine solche Argumentation und Forderung durch internationale Aktivitäten und Dokumente zur globalen Rolle der Bildung, die zur Nachhal­tigkeitsdebatte parallel verlaufen, jedoch weniger bekannt geworden sind als die Agenda 21. Auch in der bisherigen Debatte um eine Bildung für nachhal­tige Entwicklung haben sie überraschend keine Berücksichtigung gefunden. In dem aktuellen Bericht Bildung für das 21. Jahrhundert (Deutsche UNES­CO-Kommission 1997) wird bezeichnenderweise schon im Titel von der Lernfähigkeit als „verborgenen Reichtum“ gesprochen. Die von der UNESCO eingesetzte internationale Kommission legte sechs Prinzipien ihrer Arbeit zugrunde, von denen hier drei zitiert werden sollen:

Erstens: Bildung ist ein menschliches Grundrecht und ein universeller menschlicher Wert, Lernen und Bildung sind Ziele an sich, die der einzelne Mensch wie die Gesellschaft anstreben sollte. Diese Ziele sollten gefördert und jedem Menschen ein Leben lang zugänglich gemacht werden. [...]

Fünftens: Zwar verlangt die große Vielfalt ökonomischer, gesellschaftlicher und kultureller Situationen deutlich nach unterschiedlichen Bildungsansätzen, dennoch müssen die gemein­samen Grundwerte und Anliegen der internationalen Gemeinschaft und des VN-Systems berücksichtigt werden: Menschenrechte, Toleranz und Verständnis, Demokratie, Verantwor­tungsgefühl, Universalität, kulturelle Identität, die Suche nach Frieden, die Bewahrung der Umwelt, das Teilen von Wissen, die Linderung von Armut, Familienplanung, Gesundheit. [...]

Sechstens: Für Bildung ist die ganze Gesellschaft verantwortlich: Zusätzlich zu den verant­wortlichen Einrichtungen müssen alle Personen und Partner voll miteinbezogen werden. (Deutsche UNESCO-Kommission 1997, S. 229f)

In der Einleitung zu dem Bericht, der durch dreijährige weltweite Konsul­tationen und Analysen entstanden ist, formuliert der Leiter der Kommission Jacques Delors sinngemäß: Bildung ist ein unverzichtbares Vermögen im Streben der Menschheit nach den Idealen Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Bildung spielt bei der Entwicklung des Individuums und der Gesellschaft eine fundamentale Rolle. Mit ihrer Hilfe können Armut, Aus­grenzung, Ungewißheit, Unterdrückung und Kriege verringert werden. ... Bildung ist ein außergewöhnlich gut geeignetes Mittel für die persönliche Entwicklung und den Aufbau von Beziehungen zwischen Individuen, Grup­pen und Nationen (Deutsche UNESCO-Kommission 1997, S. 11). Aus dieser hervorragenden Bildungsstudie, die sich explizit auf die Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung bezieht, sind für dieses Kapitel über Partizipation und Agenda 21 folgende drei Aspekte besonders erwähnenswert:

–      Demokratischer Partizipation wird auf allen Ebenen höchste Bedeutung zugemessen, insbesondere für die Entwicklung lokaler zivilgesellschaftlicher Strukturen und Bür­gerverantwortung. Damit sehr eng verknüpft wird eine umfassende Bildung für alle.

–      Bildung wird letztlich auch auf das Individuum bezogen und als Beitrag für mensch­liche Entwicklung im Kontext einer umfassenden nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Agenda 21 definiert.

–      Bildung ist der Kern der Persönlichkeitsentwicklung und der Gemeinschaft. Ihre Auf­gabe ist es, jeden von uns, ohne Ausnahme, in die Lage zu versetzen, all unsere Talente voll zu entwickeln und unser kreatives Potential, einschließlich der Verantwortung für unser eigenes Leben und der Erreichung unserer persönlichen Ziele, auszuschöpfen.

(Deutsche UNESCO-Kommission 1997, S. 15)

Diese Formulierungen kommen einem bildungstheoretischen Verständnis von Bil­dung sehr nahe, deren individuell-biographische und gesellschaftliche Bedeutung durch die weiteren Überlegungen zur notwendig erachteten Neukonzipierung und Erweiterung der Definition von lebenslanger Bildung noch entscheidend ver­stärkt wird: Über eine Anpassung an das veränderte Wesen der Arbeit hinaus, muß Bildung ein kontinuierlicher Prozeß der Formung des Menschen in seiner Gesamtheit sein – seiner Kenntnisse, Fähigkeiten genauso wie seiner Kritik- und Handlungsfähigkeit. Dazu bedarf es einer „Lerngesellschaft“ (Deutsche UNES­CO-Kommission 1997, S. 17) auf Basis einer Bildung, die auf vier Säulen steht:

         Lernen, Wissen zu erwerben

         Lernen, zu handeln: von der berufs(feld)bezogenen Qualifikation zur Kompetenz, die sich aus individuellen Kombinationen von Qualifika­tionen mit Sozialverhalten, Team- und Kommunikationsfähigkeit, Initia­tive und Risikobereitschaft zusammensetzt (Deutsche UNESCO-Kom­mission 1997, S. 76f)

         Lernen, zusammen zu leben

         Lernen für das Leben: Bildung muß zur allumfassenden Entwicklung jedes Individuums beitragen, also zur Entwicklung von Körper und Geist, Intelligenz, Sensibilität, ästhetischem Empfinden, persönlicher Verant­wortung und geistiger Werte. Keines der Talente, die in einem Menschen wie ein verborgener Reichtum schlummern, darf ungenutzt bleiben.

Die Kommission schließt ihre Arbeit ausdrücklich an die Ergebnisse früherer Konferenzen und Studien der UNESCO an:[53]

         Bildungsstudie Learning to be von 1973, die bereits damals ein weitrei­chendes Bildungsziel formulierte:

        Entwicklungsziel ist die vollkommene Entfaltung des Menschen in all seiner Vielfalt, der Komplexität seiner Ausdrucksformen und seiner verschiedenen Loyalitäten: als Individuum, Familien- oder Gemeindemitglied, Bürger und arbeitender Mensch, Erfinder von Techniken und kreativer Träume.

         Weltkonferenz Bildung für Alle in Jomtien (Thailand) im Jahre 1990[54], die die grundlegenden Lernbedürfnisse wie folgt definiert hat:

        Dazu gehören sowohl die wichtigsten Lernmittel (Lesen, Schreiben, mündlicher Aus­druck, Rechnen und das Lösen von Problemen) als auch grundlegende Lerninhalte (Kenntnisse, Fertigkeiten, Werte und Haltungen). All dies braucht der Mensch für sein Überleben, die volle Entfaltung seiner Fähigkeiten, ein menschenwürdiges Leben und menschenwürdige Arbeitsbedin­gungen, für seine uneingeschränkte Beteiligung an der Entwicklung, die Verbesserung seiner Lebensqualität und Entscheidungsfähigkeit sowie die Fortsetzung des Lernens.

(Weltdeklaration der „Bildung für Alle“, Art. 1, Abs. 1)[55]

Die Tatsache, daß die Realisierung solcher Forderungen nach einer „mehr­dimensionalen Bildung“ für alle und im Weltmaßstab immer noch auf sich warten läßt, zeigt erneut, daß es nicht reicht, nur wohl begründete Forde­rungen zu stellen und/oder an entsprechende Grundideen anzuknüpfen, die sich bei etlichen Pädagogen in verschiedenen Kulturen finden lassen. Es  müssen auch Realisierungsbedingungen geklärt und weitere mögliche Anschlußfähigkeiten gesucht werden, die über die instrumentellen Funktionen hinausreichen. Dabei ist zu beachten, daß nur für die weitgehendsten Partizi­pationsvorstellungen, deren gesellschaftliche Basis im Sinne mächtiger und aktiver Träger weltweit ziemlich klein sein dürfte, die Bildungsansprüche, die von Reißmann u. a., den meisten Umweltpädagogen und auch mir formuliert werden, als ‚Notwendigkeit‘ begründet werden können. Das entscheidende Problem scheint mir zu sein, daß es derzeit nirgends spezifische und mächtige pädagogische Akteure gibt, die als direkte Träger eines weitgehenden Bildungsverständnisses auftreten. Daher fallen die Bildungsforderungen im günstigen Fall funktional für jeweilige politische Zwecke aus, häufig haben sie in der derzeitigen gesellschaftlichen Realität nur geringe Bedeutung, zumal im Kontext der Agenda 21.[56]

Der Unterschied zwischen den heutigen Bildungsvorstellungen der UNESCO und denen von vor fast 30 Jahren besteht darin, daß es heute erheb­lich angewachsene, gesellschaftliche, insbesondere ökonomische Notwendig­keiten für Bildung gibt. Dadurch erhalten diese Vorstellungen der UNESCO heute größere Realisierungschancen. Wenn es jedoch nicht gelingt, daß sich die Bildungsinteressen selbst organisieren und Einfluß auf politische Initia­tiven und Maßnahmen gewinnen, sei es über entsprechende Bildungsorga­nisationen auf verschiedenen Ebenen, sei es durch die einzelnen Bildungsein­richtungen oder sei es auf der lokalen Ebene durch die Bildungsinteressierten, besteht weiterhin die Gefahr der instrumentellen Verkürzung der Bildung, wenngleich auf einem höheren Niveau. Auch die UNESCO als weltweite operierende Organisation der UN scheint hier überfordert zu sein, ihr fehlt die Basis auf den nationalen und regionalen Ebenen.

3.3.2  Bildung im „Stern der nachhaltigen Entwicklung“

Die Bildungsinitiativen der UNESCO und die dabei auftretenden Schwierig­keiten bestätigten die Notwendigkeit der Forderung, Bildung als eigenständigen Bereich im Rahmen der nachhaltigen Entwicklung anzusehen, der jedoch erheb­lich verstärkter öffentlicher Förderung bedarf. Eine theoretische Konsequenz ist mein schon angekündigter und grafisch illustrierter Vorschlag einer fünffachen Dimensionierung des allgemeinen Begriffs der Nachhaltigen Entwicklung.

Der symmetrische Stern der nachhaltigen Entwicklung (s. Abb. 3.1[57]) ist ein Modell einer idealtypischen, gleichgewichtigen Berücksichtigung dieser fünf Dimensionen; doppelseitige Pfeile symbolisieren den systemischen wechsel­seitigen Zusammenhang der fünf Dimensionen. Für einzelne Konzepte der Nachhaltigkeit aus der Literatur oder reale gesellschaftliche Entwicklungen der Nachhaltigkeit kann der Stern eine allgemeine theoretische Orientierung (Leit­bild) hinsichtlich einer grundsätzlichen Fünfdimensionalität darstellen. Damit ist eine Möglichkeit der Charakterisierung und des Vergleichs untereinander gegeben: Unterschiedliche Gewichtungen der hier vorgeschlagenen fünf Dimen­sionen können durch unterschiedliche Größen der Zacken dargestellt werden; spezifische interne Zusammenhänge der Dimensionen werden durch Pfeile unter­schiedlicher Stärke und Richtung grafisch symbolisiert, z. B. wenn Bildung nur einseitig eine Funktion der Umwelt(belange), Ökologie oder Ökonomie ist.[58] Dies wird anschließend an zwei variierten Stern-Grafiken veranschaulicht.

Als Erläuterung der fünf Dimensionen des Sterns sei angemerkt, daß sich bei verschiedenen Autorinnen und Autoren die Begriffe und Detailbeschrei­bungen der Dimensionen unterscheiden. Dies gilt sowohl für die Dimension Ökologie[59], die durch unterschiedliche Kataloge von Subdimensionen oder Prinzipien charakterisiert wird (Schutz der Ökosphäre, Naturverträglichkeit oder detaillierter Berücksichtigung der Belastbarkeit/Tragekapazität, Biodi­versität, Ressourcenschonung usw.), als auch für die Ökonomie, für die unterschiedliche Maßstäbe für eine ökonomische Nachhaltigkeit genannt werden (stabile wirtschaftliche Entwicklung, Nullwachstum oder detaillierte Kataloge mit Aspekten wie Vermeidung von Risikotechnologien, Stärkung lokaler Wirtschaftsstrukturen usw.). Ähnliche Unterschiede finden sich bei der sozialen Dimension, aus der zuweilen der kulturelle Aspekt als eigene Dimension bzw. eigenes Leitziel ausgeklammert wird.[60]

In meinem Vorschlag eines fünfdimensionalen Sterns der nachhaltigen Ent­wicklung kommt es vor allem darauf an, Partizipation und Bildung als eigen­ständige Dimensionen zu betrachten und nicht nur als „persuasive“ Instrumente

 

 

Abb. 3.1 Fünfdimensionaler Stern der nachhaltigen Entwicklung

von Umweltpolitik (s. Michelsen 1998c, S. 18f) oder als ökonomische, ökolo­gische und soziale Dimensionen, wie immer diese im einzelnen definiert werden mögen. Wie in diesem Kapitel ausführlich dargelegt wurde, kann man auch die Dimension Partizipation sehr unterschiedlich definieren und mit großer oder geringer Reichweite versehen. Erst recht gilt dies für Bildung, die die beruflichen Bereiche, die allgemeine Bildung in den Schulen und anderen allgemeinbil­denden Einrichtungen sowie in der Öffentlichkeit (Massenmedien u. a.) umfaßt.

Ich möchte die allgemeine, symmetrische Stern-Grafik (Abb. 3.1) im Sinne zweier konstruierter, sehr vereinfachter Beispiele von Nachhaltigkeits­vorstellungen konkretisieren. In Abb. 3.2 wird ein Vertreter ökonomistischen Denkens dargestellt, der also – mit dem Hinweis auf Globalisierung und internationale Konkurrenz – die ökonomische Dimension in den Vordergrund stellt. Ökologie und Bildung haben in diesem Kontext nur eine geringe und rein funktionale Bedeutung. Fragen der Partizipation und der sozialen oder gar intergenerationalen Gerechtigkeit spielen keine Rolle. Diese Zusammen­hänge zwischen den Dimensionen werden durch Pfeile symbolisiert.

Bei diesem und anderen Beispielen stellt sich die Frage, ob es für die ungleichmäßigen Verteilungen und Varianten der fünf Dimensionen nicht untere und obere ‚Grenzen‘ gibt, geben muß oder soll, die auf der Ebene des grafischen Modells durch einen äußeren und inneren Kreis angezeigt wer­den.[61] Eine einseitige Verfolgung einer einzelnen Dimension ist problema­tisch, weil dann andere Dimensionen vernachlässigt werden oder weil dies der theoretischen Vorstellung einer gleichmäßigen Entwicklung widerspricht, die in dem symmetrischen Stern in Abb. 3.1 zum Ausdruck kommt. Es würden dann auf Dauer funktionale Systemzusammenhänge verletzt.

Deshalb wird davon ausgegangen, daß die „Zacken“ im grauen Bereich der Grafik bleiben müssen, wenn man langfristig eine stabile nachhaltige Ent­wicklung erreichen will. Solche Grenzen, die Minimalanforderungen und Maximalausprägungen einzelner Dimensionen und ihrer Zusammenhänge darstellen, müßten durch politische Rahmenvereinbarungen fixiert und ihre Realisierung überprüft werden. Die Agenda 21 und ihre internationalen Folgekonferenzen kann man als Versuche in diese Richtung verstehen.

Ein ganz anderes Bild ergibt sich in Abb. 3.3, in der ein ökologisch orien­tierter Vertreter der ‚klassischen Umwelterziehung‘ dargestellt wird. Für ihn definiert im Sinne einer Sollvorstellung die ‚Ökologie‘ das zukünftige Han­deln der Menschen und der Gesellschaft. Außerdem überschätzt er vielleicht die Rolle der Umweltbildung, wenn er davon ausgeht, daß auf diesem Wege sich vieles verändern läßt.

Abb. 3.2 Nachhaltigkeit „Modell Industrie“

 

Im Bild des Modells des Sternes weitergedacht, kann man sich von der loka­len bis zur weltweiten Ebene eine Vielzahl unterschiedlicher und in der Regel unsymmetrisch geformter Sterne vorstellen, die dynamisch interagieren und aus denen als Ergebnis vielleicht ein ‚Gesamtstern‘ als abstraktes Bild des dominierenden Zustandes der nachhaltigen Entwicklung entsteht. Schließlich kann man die historische Entwicklung des Nachhaltigkeitsgedankens von unterschiedlichen eindimensionalen Vorstellungen aus Ökonomie oder Öko­logie, über Zwei- bzw. Dreidimensionalität (Dreieck der Nachhaltigkeit) zur Fünf- (oder sogar Sechs)dimensionalität (Stern) als Ausdruck des oben allge­mein beschriebenen gesellschaftlichen Modernisierungsprozessesverstehen, der als bloßer Rationalisierungsprozeßbeginnt und zu einer reflektierten reflexiven Modernisierung im Sinne von Beck[62] führt oder führen kann.

 

Abb. 3.3 Nachhaltigkeit „Modell Klassische Umwelterziehung“

 

 

3.4  Stadtentwicklung, Partizipation und Umweltbildung

Die Akzentverschiebung gegenüber einer klassischen Umwelt- und Natur­schutzpolitik zeigt sich in der Agenda 21 auch dadurch, daß dem städtischen Bereich im Rahmen der Förderung nachhaltiger Siedlungsentwicklung ein eigenes Kapitel (Kapitel 7) zukommt. Auffallend ist die hohe Bedeutung der sozialen Dimension, die z.B. in 7.1 und 7.3 der Agenda 21 deutlich wird:

Es ist kaum bestreitbar, daß eine globale nachhaltige Entwicklung nur er­folgt, wenn sie weltweit in und mit den Städten (Sustainable Cities) gelingt.[63] Dort findet die globale Krise ihre schärfsten Ausprägungen, besonders in den ‚Megastädten‘ der Dritten Welt. Dennoch gibt es zu städtischen bzw. urbanen Lebensformen schon angesichts der Weltbevölkerungszahl, ihrem schnellen Wachstum und einer weltweit ungebrochenen und kaum umkehrbaren Ten­denz der Verstädterung[64] keine verallgemeinerungsfähigen Alternativen.

Im Kontrast zu herkömmlichen Naturschutzvorstellungen und dem größ­ten Teil der bisherigen Umweltbewegung spricht einiges sogar für die These, daß gegenüber dem ländlichen Raum die Städte - trotz ihrer gegenwärtigen umfassenden Krisen - ein höheres ökologisches Potential für eine nachhaltige Entwicklung bieten, ganz zu schweigen von den dort vorhandenen humanen Ressourcen und der urbanen Kultur und Demokratie.[65] Zudem halten die mei­sten Menschen urbane Lebensformen für attraktiver als alle in der Diskussion befindlichen Alternativen. Dies widerspricht nicht den gerade von Städtern schon traditionell geprägten und getragenen mannigfaltigen Formen der Na­tursehnsucht, denn diese ergänzen das städtische Leben (vgl. Becker 1991c, S. 237ff). Auch lebensfähige, ländliche Räume müssen ökologisch, sozial und ökonomisch stabilisiert und in ein ausgewogenes Verhältnis zu den in ihnen liegenden Städten gebracht (vgl. BUND/MI­SEREOR 1996, S. 236‑264), also auch auf dem Land Nachhaltigkeit praktiziert werden. Nachhaltige Entwick­lung setzt einschneidende Transformationen der urbanen Lebensformen und ‑stile unter Beibehaltung ihrer Vielfalt voraus.

Diese schwierige Aufgabe erfordert einen weitaus höheren Grad an bewußtem (umwelt)verantwortlichen Handeln auf verschiedenen gesell­schaftlichen Ebenen und auch jeder einzelnen Person als dies bei dem jetzigen städtischen Leben der Fall ist. Dies ist ein wesentlicher Inhalt der Lokalen Agenda 21 in den Städten, die ein Forum für eine demokratische Problemlösung auf kommunaler Ebene ist. All diese Argumente machen deutlich, daß Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung sich stärker mit Themen der Stadtentwicklung beschäftigen sollten.[66] Kurz zu­sammenfassend möchte ich folgende These formulieren:

These 3.7      Eine nachhaltige Entwicklung wird global nur dann gelingen, wenn sie sich in den Städten und Metropolen als demokratische Transformation der dortigen urbanen Lebensformen und in Balance zur umliegenden Region durchsetzt und von einer umfassenden und zukunftsorientierten Bildung der Bevölke­rung begleitet wird.

Das gestiegene Bewußtsein von der Krise der Städte hat sich inzwischen in einer starken Zunahme stadtbezogener Literatur[67] und einigen politischen Beschlüssen auf internationaler Ebene (zuletzt im Juni 1996 im Rahmen der UN-Konferenz HABITAT II)[68] und nationaler Ebene (Deutscher Städtetag 1995) sowie in Zusammenschlüssen und ersten praktischen Aktivitäten von Städten auf internationaler Ebene niedergeschlagen (s. 3.5).

Um die Anknüpfungsmöglichkeiten der Umweltbildung im städtischen Bereich besser abschätzen zu können, stellt sich die Frage, welchen Stellen­wert die Umweltbildung in den Diskursen und Wissenschaftsbereichen hat, die sich mit Nachhaltigkeit, Stadt und verwandten Themen beschäftigen. Da der noch junge stadtbezogene Nachhaltigkeitsdiskurs erst eine relativ schmale Literaturbasis hat, ist es sinnvoll, den Blick auf Beiträge benachbarter Bereiche zu werfen, die inhaltlich unter einer Fülle von unterschiedlichen Bezeichnungen als wesentliche Teilaspekte einer nachhaltigen Stadtentwick­lung bzw. Zukunftsfähigkeit angesehen werden können und in der praktischen Konsequenz mit Stadtplanung zu tun haben: z. B. Stadtökologie[69] und Öko­logischer Stadtumbau[70], aber auch Gesunde Städte[71] und Kinderfreundliche Städte[72], Lebensqualität der Städte, Stadt als Freizeitraum[73] und Neue Urbanität[74]. Auffallend ist zunächst, daß es enge inhaltliche Bezüge und Ähnlichkeiten zwischen den Themen Ökologischer Stadtumbau und Gesunde Stadt gibt. Es werden identische Leitbilder, zumindest identische Bezeich­nungen verwendet, wie Lebensqualität, Wohlbefinden, Ökologisches Denken, Bürgerbeteiligung/Partizipation, Berücksichtigung sozialer Probleme.[75] Die meisten dieser für eine Zukunft der Stadt wichtigen Aspekte betreffen sehr direkt die Stadtbürgerinnen und Stadtbürger. Da jedoch davon ausgegangen werden muß, daß die subjektiven Voraussetzung für solche Zukunftsentwick­lungen der Stadt nicht von selbst erfüllt werden, bieten sich für ihre Entfal­tung Lern- und Bildungsprozesse an. Sie stellen deshalb ‚pädagogische Anschlußstellen‘ an den Prozeß der nachhaltigen Stadtentwicklung dar, für den es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, die im folgenden, vor allem in 3.4.1 und 3.4.2 umrissen werden und die auch in den Prozessen der kommunalen Lokalen Agenda 21 ihren Ausdruck und ihre Fortsetzung finden (s. 3.5).

Sucht man zunächst explizite Erwähnungen von umweltpädagogischen Handlungsmöglichkeiten als Instrumente der Stadtentwicklung, komme ich bei der Auswertung von Literatur aus den genannten Bereichen zu einem ernüchternden Ergebnis für die Pädagogik, das auf den ersten Blick im Widerspruch zu den erwähnten politischen Dokumenten (Umweltgutachten des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen (1994) u. a.) zu stehen scheint. Allerdings gab es schon Ende der 70er Jahre erste Ansätze einer Stadtplanungsdidaktik, z. B. das partizipatorische Modell Planungszelle und das Konzept Vermittlung von Stadtbewußtsein (Schwencke 1981), das ganz im Zeichen von Bürgerinitiativbewegung, Kapitalismuskritik, aufklärerischem Bildungsoptimismus und optimistischer Curriculumdiskussion steht (Dienel 1978).[76] Zusammenfassend möchte ich folgende These formulieren:

These 3.8      In der neueren stadtbezogenen Literatur zu den Themen-bereichen Stadtökologie, Gesunde Stadt, Kinderfreundliche Stadt u. ä. spielt eine (umwelt)pädagogische Dimension explizit nur eine geringe Rolle.

Diese Bilanz gilt auch dort, wo immerhin ressort- und fächerübergreifend argumentiert wird. Eine weit günstigere Bilanz ergibt sich bei Berücksichti­gung von potentiellen pädagogischen Anschlußstellen, zu denen außer den bereits genannten Aspekten auch Stichworte wie Kooperation, Diskursorien­tierung, moralische/ethische Orientierungen, Leitbilder von urbanem Leben, Lebensstile u. ä. gehören. Diese Anschlußmöglichkeiten müssen jedoch päd­agogisch aktiv genutzt werden.

3.4.1  Umweltbildung und Modernisierung der Stadtentwicklung

In der geringen Bedeutung der Umweltbildung in der genannten stadtbezoge­nen Literatur kommt vermutlich die seit den 80er Jahren abnehmende Wert­schätzung von Bildung und Bildungspolitik in Politik[77] und Öffentlichkeit zum Ausdruck. Das außerdem weitverbreitete Vorurteil der Ineffektivität päd­agogischer Arbeit scheint durch die empirischen Untersuchungen bestätigt zu werden, die eine begrenzte Wirkungsfähigkeit herkömmlicher Umweltbildung konstatieren.[78] Selbstkritisch muß die Umweltpädagogik zugestehen, daß es auch hausgemachte‘ Gründe für ihre relativ geringe Bedeutung gibt. Ihre im­mer noch stark ausgeprägte Ignoranz gegenüber realen städtischen Lebensfor­men und Lebensbedingungen (vgl. 2.8) verhindert auch, daß sie als quali­fizierte Partnerin für interdisziplinäre Problemlösungen in Städten wahrge­nommen wird.

Aus Sicht einer Development-Approach-Theorie der politischen Moder­nisierung unserer Gesellschaft, kann man für die derzeit politisch nachrangige Bedeutung städtischer Umweltbildung jedoch noch weitergehende Erklärun­gen entwickeln (vgl. Jänicke 1996), und auch Zukunftschancen erkennen: Die Ausdifferenzierung von Umweltpolitik läßt sich danach funktionalistisch als Abfolge von Phasen typischer Entwicklungskrisen und ihrer erfolgreichen Bewältigung interpretieren, die unter anderem durch eine kommunikative und partizipative Erweiterung des Akteursspektrums charakterisierbar sind. Bezieht man den Bildungsbereich in eine systemisch-funktionalistische Sicht ein, dann ist ein paralleler Bedeutungszuwachs von Bildung, hier einer städti­schen Umweltbildung, plausibel und zwar sowohl im Sinne einer Adressaten­ausweitung als auch einer Steigerung der qualitativen Anforderungen: von ihrer Irrelevanz über symbolische und Alibifunktionen und über beruflich-qualifikatorische Notwendigkeiten für einzelne Adressatengruppen bis hin zu einer allgemeinen urbanen Bildung als Voraussetzung einer partizipativ-demokratischen Stadtentwicklung der Zukunft.

Mit diesem Entwicklungsmodell politischer Modernisierung kann man die Phase, in der wir uns in Deutschland zur Zeit befinden, mit einiger Plausi­bilität grob so charakterisieren: Praktische Umsetzungen von integrierten, aber technisch zu bezeichnenden Konzepten und Modellen der Stadtplanung der aktuellen Literatur stecken vor Ort in verschiedenen Sachbereichen erst in den ersten Anfängen und haben wohl ihre Instrumente und Handlungskapazi­täten noch nicht voll entfaltet. Jedenfalls konnten aus der Sicht von Planern und Kommunalpolitikern noch keine hinreichenden, krisenhaften Problemlö­segrenzen erfahren werden, die ihnen eine systematische Einbeziehung von allgemeiner (Umwelt)Bildung erforderlich erscheinen lassen. Beim bisherigen Entwicklungsstand stellt sich ein deutlicher bereichsübergreifender berufli­cher Qualifikations- und Weiterbildungsbedarf in den Behörden, der derzeit offenbar nur begrenzt befriedigt wird. Im Hinblick auf betroffene oder inter­essierte Bürgerinnen und Bürger geht es allenfalls um eine fallweise infor­mierende Akzeptanzsicherung von vorgesehenen Maßnahmen in Form von Öffentlichkeitsarbeit und inzwischen gesetzlich vorgeschriebenen Bürgerbe­teiligungsverfahren. Zusammen mit den derzeitigen ökonomischen Bedingun­gen und einer eher kurzfristig denkenden Politik ergibt sich folgende These:

These 3.9      Der gegenwärtige Stand der politischen Modernisierung der Stadtplanung läßt noch kein reales politisches Interesse an einer allgemeinbildenden städtischen (Umwelt)Bildung oder gar einer nachhaltigen Bildung als Instrument der Stadtentwicklung erwarten.

Dieser These, die sich allgemein auf die gesellschaftliche Realität bezieht, widerspricht nicht, daß es in politischen Dokumenten und allgemeinen Ver­lautbarungen auch weitergehende Aussagen gibt, die der Bildung größeren Stellenwert einräumen. Der These widerspricht es außerdem nicht, daß im konkreten Einzelfall nach neueren (oder älteren) Stufen der Modernisierung gehandelt wird, vor allem dann, wenn pädagogische Akteure eine aktive Rolle einnehmen. Diese Modernisierungsfunktion betrifft auch den Schulbereich, dessen etwaige Wirkungen allerdings nur langfristig erwartet werden können.

3.4.2  Umweltbildung und Urbanität

Eine etwas optimistischere Perspektive gewinnt man, blickt man im weiteren Prozeß der politischen Modernisierung auf die in Konzepten der ausgewerte­ten Literatur vorhandenen umweltpädagogischen Anschlußstellen und identi­fiziert mögliche Leistungen einer entfalteten lokalen und urbanen (Umwelt)-Bildung für eine nachhaltige Stadtentwicklung oder für eine Entwicklung zur Urbanität. Beide Entwicklungen beinhalten nicht notwendig das gleiche: So wurde von Schmals (1997) – auch unter Rückgriff auf Becks „reflexive Moder­nisierung“ – der Begriff Zivile Urbanität geprägt. Diese unterscheidet sich von der herkömmlichen funktionalistischen Sicht (funktionalistische Urbani­tät) und damit auch von einer möglichen funktio­nalistischen Interpretation der nachhaltigen Entwicklung (als Fortsetzung der alten, „einfachen Modernisie­rung“) unter anderem dadurch, daß sie in der Tendenz eine (postmoderne) Kultur der Differenz annimmt.[79] Vor dem Hintergrund modernisierungstheo­retischer Debatten allgemein und speziell der Begriffe Globalisierung, Loka­lisierung und Glokalisierung[80] (Beck 1998b) formuliert Schmals:

Vernetzt in Prozesse und Sphären wie Individualisierung und Pluralisierung der Lebens­stile, Milieuzentrierung lokaler Lebensräume, intermediäre Organisationen, Öffentlichkeit, Anerkennung von Rechten, Kontexte der Gerechtigkeit oder kontextuelle und deliberative Aushandlung individueller/gemeinschaftlicher Interessen, entstehen gegenwärtig Bestim­mungsfaktoren, Argumentationsformen und Vernetzungsvorschläge, in der Wechselspiel ‚Kontexte ziviler Urbanität‘ entstehen. (Schmals 1997, S. 418f)

Schmals nennt dabei Öffentlichkeit und öffentliche Sprachen, Kultur der Dif­ferenz, Konflikt und Konsens, Anerkennung von Rechten, zivile Infrastruk­turen und formuliert weiter:

Durch das gemeinsame Lernen von Bausteinen ziviler Urbanität, durch das Verstehen ihrer Wechselwirkungsverhältnisse und die gemeinschaftsorientierte Überprüfung individueller Interessen kann Gesellschaft insgesamt auf das Niveau gebracht werden, Demokratie zu verstehen und als ‚zweite Moderne‘ mitzugestalten. Mit der Anerkennung unterschiedlicher Lebensweisen, mit der Zulassung ungleicher Entwicklungsniveaus, mit der Akzeptanz eines Nebeneinander unterschiedlicher Auffassungen von Ästhetik, mit der Neugier auf Zufälligkeiten, Überraschungen, Fremdes und Neues, nimmt die Auseinandersetzungs­bereitschaft mit ziviler Urbanität zu. Dabei werden nicht nur endogene Potentiale der Gesellschaft aktiviert, sondern auch zivile Kultur gestärkt und so ein Klima für die Entfaltung ziviler Urbanität geschaffen. (Schmals 1997, S. 419f)

Der fehlende ökologische Aspekt könnte im Sinne von Häußermann und Siebel (1987) integriert werden. Der Begriff Urbanität soll im folgenden sich nur noch auf solche, nicht funktionalistisch verkürzten Auffassungen einer nachhaltigen (Stadt)Entwicklung beziehen, die durch Dimensionen wie Parti­zipation und Pluralismus geprägt sind und den allseitig ge­schätzten und attraktiven hohen Differenzierungs-, Freiheits- und Selbst­entfal­tungs­spiel­raum[81] städtischen Lebens und Wirkens umfassen. Daraus kann man mit Bezug auf Kapitel 2 und das dort entwickelte Verständnis eines Rahmenkon­zeptes einer integrierten Umweltbildung folgende These begründen:[82]

These 3.10    Eine soziokulturell orientierte (Umwelt)Bildung, die unter­schiedliche individuelle Werte, Verhaltensdispositionen, Lebensstile sowie Diskurs-, Kooperations- und Partizipations- sowie globale Reflexionsfähigkeiten mit pluralistischer Aus­richtung umfaßt, stellt für offene, urban-nachhaltige Perspek­tiven der Stadtentwicklung ein großes gesellschaftliches Potential dar. Diese Entfaltung der Umweltbildung ist eine bil­dungstheoretisch angemessene Antwort auf die (ökologischen) Krisen städtischer Lebensformen und leistet einen unverzicht­baren Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung.

Da sich im Themenfeld Nachhaltige Stadtentwicklung – auch bei Teilthemen – meist mehrere epochaltypische Schlüsselprobleme bündeln, bieten sich für eine zukunftsfähige Bildung hervorragende pädagogische Betätigungsmög­lichkeiten. Bei der Schwerpunktsetzung auf die jeweiligen lokalen Lebensver­hältnisse – etwa im Kontext einer Lokalen Agenda 21 (s. 3.5) – sind die jeweiligen Themen didaktisch gut erschließbar, weil sie mit konkreten subjektiven Interessen, Bedürfnissen, Einstellungen, ästhetischen Sichtweisen u. ä. sowie mit den Lebensstilen der Lernenden unmittelbar verknüpfbar sind.

Aus dem Nachhaltigkeitsdiskurs folgt, daß auch die umliegende Region der jeweiligen Stadt einbezogen werden muß – man denke nur an den Ver­kehr, den naturbezogenen Freizeitbereich oder die Ver- und Entsorgung und Landwirtschaft. Vor diesem Hintergrund erhalten auch diejenigen umwelt­pädagogischen Ansätze und Themen einen neuen Stellenwert, die sich bisher auf den Bereich der außerstädtischen Natur und Umwelt konzentrierten, wenn sie die bewußte Abkehr vom städtischen Leben(sraum) aufgeben. Dabei ist die Frage nach dem Grad einer zukünftigen regionalen Integration der Stadt und ihr Selbstverständnis (Heimat, weltoffene Region o. a.) eine durchaus offene Frage und gleichzeitig möglicher Gegenstand für eine reflexiv ausgerichtete Bildung.

Da die Wirklichkeit des städtischen Lebens ein vielfältiger und wider­spruchsreicher Prozeß ist und man sich auch die Utopie einer nachhaltigen Stadtentwicklung kaum anders vorstellen kann und soll, prägt dies auch jede urbanen Bildung. Aus pädagogischer Sicht ist dies sogar ein glücklicher Umstand, weil damit eine Instrumentalisierung der Bildung für eine (wie auch immer verstandene) Stadtentwicklung kaum möglich ist, ja vielleicht sogar ein produktives Spannungsverhältnis zwischen beiden Seiten besteht(vgl. Ipsen 1996, de Haan 1996b u. Becker 1996b).

Je weniger dies urbane Spezifikum zugunsten funktionalistischer Perspek­tiven von Stadtentwicklung aufgegeben werden soll, desto mehr ist im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung als ‚Ausgleich‘ ein stark erhöhter Grad an neuen Formen der Vergesellschaftung, Partizipation, Verantwortungsübernahme und Problemlösungskreativität auf verschiedenen Ebenen erforderlich.[83] Das dazugehörige differenzierte Stadtbewußtsein enthält auch kommunikativ entste­hende, neue urbane Leitbilder für veränderte Lebensstile. Es muß sich zukunfts­fähiges in einer Dialektik zwischen stadtteilbezogener, lokaler, regionaler und globaler Ausrichtung entwickeln. Dies ist ohne ein erheblich gesteigertes Niveau an Bildung kaum denkbar. Aus dieser Annahme folgt, daß eine erneuerte urbane Umweltbildung, ja allgemeiner eine Bildung für nachhaltige Urbanität, auf Dauer unverzichtbar ist. Die Bewältigung der dramatischen Krise der städtischen Lebens­formen und ‑verhältnisse im Sinne eines Übergangs zur Nachhaltigkeit ist nur durch die Nutzung sämtlicher Potentiale realisierbar. Die breite Aktivierung urba­ner, zukunftsfähiger Bildung als ein solches Potential erfordert ein politisches Denken, das Bildungsinvestitionen zumindest als langfristige Vorsorgemaß­nahmen sieht, die sich vielleicht auch ökonomisch auszahlen. Ein solches Den­ken ist zur Zeit jedoch bei keiner relevanten politischen Kraft in Sicht.

3.4.3  Pädagogische Möglichkeiten der Partizipation

Die Rezeption stadtplanungsrelevanter Literatur legte es nahe, auf der Ebene lokaler bzw. regionaler Partizipation und Kooperation Anknüpfungspunkte für pädagogische Arbeit zu suchen, die über das bisher Gesagte hinausgehen. Zwei pädagogische Beispielsbereiche sollen hier in Form von zwei Thesen umrissen werden, die auch für die Lokale Agenda 21 (s. 3.5) relevant sind:

These 3.11    Eine ‚geöffnete Schule‘ bietet für Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen oder ganzer Schulen produktive Möglichkeiten, vielleicht sogar die einzige Chance, gedanklich und praktisch auf die Gestaltung der eigenen Lebensumgebung im Sinne einer kinder- und jugendfreundlichen Stadt Einfluß zu nehmen: direkte Partizipation.

Solche handlungsorientierten Ansätze der kommunalen Partizipation von Schulen, die als Einzelaktivitäten mit beschränkter Reichweite schon aus ambitionierten Formen des Projektunterrichts bekannt sind, bieten neue Möglichkeiten der Kooperation mit der Stadtplanung. Daran müßte die Stadt­verwaltung vor allem dann Interesse haben, wenn Partizipationen in einer Kommune systematisch angegangen, vielleicht sogar mit neuen institutionali­sierten Formen der demokratischen Mitsprache von Kindern und Jugendli­chen in Verbindung gebracht werden soll (s. 3.7). Entsprechende Modelle für andere Bildungs- und Ausbildungsbereiche sind denkbar und werden in Ansätzen bereits praktiziert.[84] Solche wünschenswerten Formen der Partizipa­tion erfordern bei allen Beteiligten einen hohen Arbeitsaufwand. Dieser entsteht zum einen bei den involvierten nichtpädagogischen Institutionen und Organisationen, die zusätzliche Aufgaben übernehmen und damit in die päd­agogische Arbeit einbezogen werden. Im Zuge der Realisierung solcher Perspektiven entstehen Verschränkungen der Aufgaben von Bildungseinrich­tungen und beispielsweise kommunalen Institutionen. Zum anderen fallen für systematische lokale Partizipationsprozesse von pädagogischen Institutionen erhebliche Organisations- und Vermittlungsaufgaben an.[85]

Aus Sicht der hier vertretenen bildungsorientierten Umweltpädagogik darf jedoch die lerngruppeninterne Differenzierung nicht dem Zwang der Vertretung eines einheitlichen Interesses nach außen geopfert werden. Die Entwicklung der Differenzierung von Interessen, Bedürfnissen und Sicht­weisen und die Auseinandersetzung mit den Mitlernenden sollte Vorrang haben. Besonders multikulturell zusammengesetzte Gruppen ermöglichen produktive, wenn auch sicherlich schwierig zu realisierende Perspektiven im Sinne einer interkulturellen Bildung (s. 5.2.2). In jedem Fall werden Schüle­rinnen und Schüler durch solche Projekte optimal auf erweiterte Partizipa­tionsmöglichkeiten als Erwachsene vorbereitet.

Eine zweite These eröffnet ein neues Arbeitsfeld für Pädagoginnen und Pädagogen im Rahmen einer zukünftig stärker multidisziplinären oder ganzheitlich denkenden Stadtplanung:

These 3.12    Die Mitgestaltung einer städtischen Umwelt, die nicht nur Kriterien der Nachhaltigkeit genügt, sondern auch für alle Bürgerinnen und Bürger anregend ist, ist eine bedeutende Aufgabe für eine allgemeine Umweltpädagogik.

Allgemeiner Hintergrund ist dabei der Gedanke, daß städtische Räume er­hebliche, bisher allerdings wenig beachtete und untersuchte Sozialisations­wirkungen ausüben, die, bezogen auf die herkömmliche Stadtlandschaft, in der Regel negativ eingeschätzt werden.[86] Kooperationen, etwa von Architek­ten, Freiraumplanern und umweltpädagogisch ausgebildeten Fachleuten sind hier gefordert. Verbindungen ließen sich zu oben erwähnten schulischen Partizipationsprojekten ziehen.

Für spezielle Arrangements im öffentlichen Raum könnten Erkenntnisse aus der Umweltpsychologie (z. B. Preuss 1991, S. 119ff) und Erfahrungen aus der moderne Ausstellungen gestaltenden Museumspädagogik übernom­men werden. Soweit es gelingt, über etwaige traditionelle, aufklärende Hin­weistafeln oder städtische Lernpfade hinaus umweltrelevante Vorgänge und Situationen im öffentlichen Raum sichtbar und verständlich zu machen sowie phantasievolle und anregende Gestaltungselemente zu plazieren, ist ein großer wirksamer pädagogischer Schritt im Sinne der These 3.12 getan. Sol­che Maßnahmen würden eine Entlastung für den gesamten Bildungsbereich darstellen, da dann viele Lernprozesse ‚von selbst‘ ohne ständigen und teuren pädagogischen Einsatz ablaufen würden. Im günstigsten Fall erfordert nur die notwendige Aktualisierung solcher öffentlicher Lernangebote einen regel­mäßigen Arbeitsaufwand, den jemand erbringen muß.

3.5  Städte und Lokale Agenda 21

Die Akzentverschiebung zugunsten des städtischen Bereichs, den die Agen­da 21 gegenüber einer klassischen Umwelt- und Naturschutzpolitik mit sich gebracht hat (vgl. 3.4.), wird zusätzlich dadurch bekräftigt, daß in Kapitel 28 die Stärkung der Kommunen zur Unterstützung der Agenda 21 vorgesehen ist. Damit nimmt auch der Einfluß der Städte als eigenständige Akteure auf die nationale und internationale Politik zu.

 

Auch andere UN-Organisationen waren schon früher im Bereich städti­scher Siedlungsprobleme aktiv, im Juni 1996 wurde die bereits erwähnte Weltkonferenz der Vereinten Nationen Habitat II in Ankara durchgeführt.

Die beiden Kapitel 7 und 28 der Agenda 21 sind auch Ausdruck einer schon vor 1992 einsetzenden historischen Tendenz: Viele Städte haben im Vorfeld der Weltkonferenz von Rio im Jahre 1992 begonnen, sich unabhän­gig von ihrer staatlichen Zugehörigkeit in verschiedenen Zusammenschlüssen international zu organisieren und ihre spezifischen Interessen zu artikulie­ren.[87] Die Agenda 21 gibt einen Impuls für weitere Aktivitäten: Sie ist Aus­gangspunkt zahlreicher Initiativen für die Einleitung Lokaler Agenda-21-Pro­zesse (LA-21-Prozesse) in vielen Kommunen etlicher Staaten. Überregionale und internationale Zusammenschlüsse von Kommunen („kommunale Außen­politik“) sind entstanden, die Erklärungen formuliert, Programme entwickelt und Aktivitäten entfaltet haben.

Ende 1996 hatten nach einer Umfrage des Internationalen Rates für Kommunale Umweltinitiativen (ICLEI)[88] etwa 1800 Kommunen aus 64 Staa­ten LA-21-Prozesse aufgenommen, die gewisse Mindestkriterien erfüllen. 82% der aktiven Kommunen konzentrieren sich auf nur 11 Staaten, in denen der Prozeß auf nationaler Ebene unterstützt wird. Nur wenige Städte aus Westeuropa konnten dazu gezählt werden. Bei der Auswertung der Umfrage zeigten sich eine Reihe typischer und schwerwiegender Probleme, vor allem die wenig überraschend mangelnde Bekanntheit der Agenda 21 (Heimvolks­hochschule Stephansstift 1997, S. 174ff). Für die weitere Entwicklung ist zu bedenken, daß große Städte aus Industriestaaten weit bessere Möglichkeiten haben, eine kommunale Außenpolitik und internationale Vernetzung zu betreiben, als Städte aus dem Bereich der Dritten Welt.

In Europa wurde von der Konferenz Städte und Gemeinden auf dem Weg zur Zukunftsbeständigkeit im dänischen Aalborg im Mai 1994 die Charta von Aalborg verabschiedet. Anfangs schlossen sich 80 Kommunen und 250 Ver­treter verschiedener Organisationen und Institutionen an, 1997 waren es bereits 300 Kommunen. 1996 kam der Lissabonner Aktionsplan hinzu, der als neunter von zwölf Punkten den Bereich der Bildung und Öffentlichkeitsarbeit umfaßt: „Wir werden Programme aufstellen, um das Bewußtsein der Bürger, der Interessengruppen, sowie der Politiker und Mitarbeiter der Kommunal­verwaltungen für Fragen der Zukunftsbeständigkeit zu fördern.“[89]

Man kann die Prozesse der LA 21 als eine Fortentwicklung der Gedanken der Modernisierung – hier des städtischen Bereichs – ansehen, die im Bereich des Klima-Schutzes einen thematisch spezifischen Vorläufer hatten.

3.5.1  Klima-Bündnis / Alianza del Clima

Speziell für den Bereich des Klimaschutzes haben europäische Kommunen im Klima-Bündnis/Alianza del Clima e.V. ebenfalls eigenständige Aktivitäten entfaltet.[90] Etwa die Hälfte der Mitgliedskommunen stammen aus Deutsch­land. Die Ziele der Arbeit wurde im „Manifest Europäischer Städte zum Bündnis mit den Indianervölkern Amazoniens“ festgehalten:

Unser Ziel ist es, die Emissionen von CO2 bis zum Jahre 2010 zu halbieren und später schrittweise zu senken. ... Wir europäischen Städte unterstützen die Interessen der amazo­nischen Indianervölker an der Erhaltung des tropischen Regenwaldes, ihrer Lebensgrund­lage, durch die Titulierung und die nachhaltige Nutzung der indianischen Territorien. Durch die Verteidigung der Wälder und Flüsse tragen sie dazu bei, daß unsere Erdatmosphäre für die zukünftigen Generationen als grundlegende Bedingung für ein menschliches Leben erhalten bleibt ...[91]

Die lokalen Klimaschutz-Aktivitäten waren z. T. Vorreiter späterer LA-21-Arbeit. Einige gingen organisatorisch in sie ein (z. B. in Osnabrück). Eine besondere Bedeutung mißt das Klimabündnis der Bildungsarbeit zu – in Niedersachsen gibt es sogar eine aktives Bündnis von Schulen.[92]

3.5.2  Lokale Agenda 21 in Deutschland - Modelle

Die Kommunen, die sich in den verschiedenen Zusammenschlüssen inter­national engagieren, sind Akteure, die an der Weltpolitik partizipieren. Gleichzeitig werden sie und viele weitere Kommunen nach innen von Par­tizipationsentwicklungen erfaßt, die - soweit sie sich auf die Agenda 21 beziehen - Prozesse einer Lokalen Agenda 21 darstellen. Einige dieser LA‑21-Entwicklungen in deutschen Kommunen werden im folgenden kurz dokumentiert und kommentiert; sie liefern einen neuen Impuls für partizipato­risch orientierte pädagogische Arbeit.

In der Bundesrepublik Deutschland laufen diese kommunalen LA-21-Prozesse bisher nur langsam an. Vollständig unrealistisch erwies sich die in der Agenda 21 formulierte terminliche Maßgabe, daß die Kommunalver­waltungen bis Ende 1996 (!) gemeinsam mit ihren Bürgerinnen und Bürgern in einem Konsultationsprozeß zu einem Konsens für eine „kommunale Agen­da 21“ kommen mögen. Zu diesem anvisierten Zeitpunkt hatten - optimi­stisch geschätzt - vielleicht 10% der deutschen Großstädte, jedoch nur 1% aller deutschen Kommunen mit einem LA-21-Prozeß begonnen.[93] Laut einer Umfrage des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) unter den 157 Mit­gliedsstädten des Deutschen Städtetages sahen Anfang 1997 immerhin schon ca. 75% die Erarbeitung einer LA 21 als ihre Aufgabe an (gegenüber 53% im Jahre 1996).[94] Über die Qualität der tatsächlich arbeitenden LA-21-Prozesse kann hier keine Aussage gemacht werden. Die öffentliche Anhörung der En­quete-Kommission des Deutschen Bundestages am 18.11.1996, bei der Ver­treter neun beispielgebender Kommunen berichteten, geben einen Eindruck von dem damaligen Entwicklungsstand der Vorreiter der LA-21-Bewegung in Deutschland.[95] Gemessen an den lokal zu realisierenden Zielen der Agen­da 21, sind die Erfolge in diesen Kommunen zwar ‚bescheiden‘, aber es ist die Frage, ob in so kurzer Frist von einem Programm für das 21. Jahrhundert mehr zu erwarten ist.

Jenseits solcher statistischer, sich schnell ändernder Daten über die LA 21 in Deutschland offenbart der Blick auf die konkreten LA-21-Prozesse ein sehr buntes und vielfältiges Bild.[96] Ganz anders ist die Situation in einigen europäischen Staaten, in denen die Initiative von einer nationalen Kampagne ausgelöst und z. T. auch koordiniert wurde. Da dies in Deutschland nicht der Fall war, wurden die Startinitiativen sehr unterschiedlich gewählt; meistens gingen sie von den Umweltressorts der Kommune aus. Der weitere Weg, die Zusammensetzung und Veränderung der Beteiligten, die Strukturen und Kommunikationsprozesse unterscheiden sich noch stärker. Inhaltlich stehen vor allem Themen wie Klimaschutz, Energie, Verkehr und Stadtentwick­lungsplanungen im Mittelpunkt. Nord-Süd-Zusammenarbeit findet nur am Rande statt (eine Ausnahme ist z. B. Osnabrück), auch andere Themen außerhalb des Umweltbereichs scheinen bisher nur untergeordnete Bedeutung zu haben (vgl. 5.2.1). Ebenso dürfte ein großes Defizit für die kommunale Bildungsarbeit bestehen (vgl. 3.5.4).

Überall in den LA-21-Prozessen stellen sich Fragen nach der Partizipa­tion, nach funktionsfähigen Organisationsformen[97] und nach Möglichkeiten der Konsensentwicklung. Dabei kommen grundlegende und kontroverse Auf­fassungen des zugrundezulegenden Demokratieverständnis zum Ausdruck. Sehr wichtig für die Beurteilung der LA-21-Arbeit ist deshalb eine beobach­tende Analyse von außen hinsichtlich des Selbstverständnisses der Akteure (Leitbilder) und der grundlegenden Organisations- und Kommunikations­strukturen, von denen der Erfolg der Arbeit wesentlich abhängt. Eine solche Analyse ist das Ziel eines Forschungsprojektes des Umweltbundesamtes, das vier idealtypische Organisationsmodelle unterscheidet:[98]

         Kooperationsmodell: Planung, Strukturierung, Koordinierung und Durch­führung von Innovationen verbleibt in Händen der Akteursgruppe

         Initiationsmodell: Es wird hierarchisch verfahren, eine kleine Gruppe von Akteuren gibt die Leitlinien aus, die sich andere Mitakteure oder Multiplikatoren aneignen und umsetzen sollen

         Verwaltungsmodell: Die Hauptakteure organisieren, besorgen Ressour­cen und schaffen lediglich den Rahmen, in dem sich alle Mitwirkenden frei bewegen, d. h. ihre gemeinsamen Interessen, Vorstellungen, Visionen und Konzepte von Innovation und Veränderung entfalten können

         Netzwerkmodell: Lose Verbünde werden gepflegt und zweckgebundene Ad-hoc-Kooperationen von Akteuren eingegangen, die insgesamt den Kern der gemeinsamen Organisationsstruktur ausmachen. Netzwerke basieren auf den Kompetenzen von Einzelakteuren und lassen aufgrund der häufigen Re- und Neustrukturierung immer wieder das Hinzu­kommen bisher nicht integrierter Akteure zu.

Die Forschungsgruppe unterschied sodann entlang der vier Aspekte Organisa­tionsstruktur, Strategie, Diskursstruktur und Denkstil die wesentlichen Merk­male der vier Modelle und analysierte die Vor- und Nachteile. Empirisch angewendet wurden die Modelle bisher nur auf die Berliner Situation. Diesen idealtypischen Modellen entsprechen auch unterschiedliche Partizipationsvor­stellungen und Kompetenzprofile, so daß sich mit den Modellen als theoreti­sche Konstruktion unterschiedliche Bildungsvorstellungen verbinden lassen.

3.5.3  Bedeutung des Lokalen und Urbanen

Auch in der wissenschaftlichen Diskussion um nachhaltige Entwicklung gibt es zahlreiche Plädoyers für einen regionalen, urbanen Ansatz und eine LA 21, in dem meist funktionale Vorteile gesehen werden, z. B.

         Stärkung kleinräumiger, regionaler Stoffkreisläufe[99]

         Regionalisierung wirtschaftlicher Versorgung

         Mobilisierung endogener wirtschaftlicher Potentiale

         Höhere Wirksamkeit gegenüber zentralstaatlicher Steuerung in vielen Bereichen

         Regionale Ebene als Ort erfolgreicher syndromspezifischer Verände­rungsstrategien der Global-Change-Probleme[100]

         Städte als Ideenpools mit hohen Problemlösekapazitäten und als produktive Foren gesellschaftlicher Veränderungstendenzen

         Gute Nachvollziehbarkeit der Wirkungen integrierter Strategien nach­haltiger Entwicklung auf lokaler/regionaler Ebene durch den Einzelnen

         Günstige räumliche und soziale Bedingungen für politische Beteiligung, kollektive Mobilisierung und Lernprozesse

         Stärkung der Bürgergesellschaft als Stärkung der lokalen Politik und Identität[101]

         Stärkung der Städte gegenüber den (überforderten) nationalen Zentren

         Urbanität als Teil einer reflexiven und reflektierten Moderne (s. 3.4.1).

Die beiden letzten Punkte begründet Beck (1997, 1998b) in dem weltge­schichtlichen Kontext der Globalisierung als „Redefinition des Lokalen im Zeitalter der Globalisierung“ und erinnert dabei, daß Bürgergesellschaft und politische Freiheit ihren sozialen Ursprung und Ort im erfahrbaren Nahbe­reich haben. Beck betont, daß dazu eine revidierte Macht- und Aufgabentei­lung zwischen der nationalen und der lokalen Politik erforderlich sei und daß auf der lokalen Ebene neue Identitäten der Städte entstehen müßten. Diese können oder sollen jedoch weniger geographisch definiert werden als durch innovative Lösungen der Krise des urbanen Lebens (Beck 1997, S. 31). Allerdings gibt es auch wieder Kritik an der Betonung des Lokalen, die – mit z. T. bedenkenswerten Aspekten – darin eine bloße ‚Modernisierungs­strategie‘ sieht.[102]

Eine erfolgreiche Wiederentdeckung und -belebung des Lokalen und Urbanen im Sinne obiger Aspekte setzt einen intensiven öffentlichen Kom­munikationsprozeß und phantasievolle Kommunikationsformen und ‑stile aller relevanten Akteure (Bürger, Investoren, Umweltschützer, Stadtverwal­tung) voraus, in denen es gelingt, divergierende Interessen und Zielvorstel­lungen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen zu vermitteln, d. h. auch einseitigen Gruppenlobbyismus zu überwinden und in gemeinsame Planungs­prozesse einzubinden. Simonis (1995) bezeichnet die Partizipation der Bürge­rinnen und Bürger zurecht als das „erste stadtökologische Gesetz“.

Für lokale Prozesse bedarf es „in der Regel neuer Institutionen dialogi­scher Interessenvermittlung, Dissensklärung und Konsensfindung“ (Brand 1997b, S. 18). Es deuten sich „völlig neue Professionalisierungen bzgl. des Informations- und Wissensmanagements an“, die über bloße Meßwerte und wissenschaftliche Zusammenhänge hinausgehen: es geht „um die Fähigkeit, sich Zukunft auch dann zu erarbeiten, wenn sie mit erheblich veränderten Wertvorstellungen verbunden wird.“ (Dangschat 1997, S. 188).

Die in 3.2 allgemein festgestellte Differenzierung der Partizipation trifft auch hier zu: Das Spektrum reicht von der Akzeptanzschaffung durch die Kommunalverwaltung bis hin zu prinzipiellen demokratischen Mit- oder Selbstgestaltungsansprüchen, die oft von besonders aktiven basisnahen Grup­pen und Initiativen getragen wird. In Deutschland ist hinsichtlich der Bürger­beteiligung eine Entwicklung in unterschiedlichen historische Etappen zu beobachten, an die die LA 21 anknüpfen kann (vgl. Selle 1996):

         Betroffenenbeteiligung (Information und eventuelle Anhörung der recht­lich Betroffenen, seit den 60er Jahren)

         Popularbeteiligung (öffentliche Auslegung und Beratung, seit den 70er Jahren)

         aufsuchende Beteiligung (Aktivierung, Motivierung, Mobilisierung der Bevölkerung, seit Mitte der 70er Jahre)

         Kooperation mit unterschiedlichen Gruppen (Runder Tisch als infor­melles Verfahren u. ä. mit gemeinsamer Problemberatung, seit den 90er Jahren).

Bei den klassischen Bürgerbeteiligungsformen (Versammlungen u. ä.) haben sich erhebliche strukturelle Mängel gezeigt, die mit der Gemeindegröße und der Komplexität der Problemstellung steigen: Oberflächlichkeit der Bespre­chungen; soziale Selektivität; Zeitmangel vieler Bürger als Problem erst bei subjektiver Betroffenheit auftretendes Engagement; Tendenz zur Segmentie­rung der Kommunikation, d. h. es wird mehr übereinander als miteinander diskutiert (Reinert 1997, S. 69). Hearings, Beiräte und Ausschüsse dienen hauptsächlich der Beschaffung zusätzlichen Sachverstands für politische Organe und Verwaltung. Auch im Bereich des Sozialen gibt es grundlegende Verschiebungen und Widersprüche zwischen zurückgehender klassischer ehrenamtlicher Tätigkeit, neuen, eher projektartigen Formen des bürger­schaftlichen Engagements und bürokratischen Strukturen in den Kommunen (Autrata 1999, S. 100ff). Inzwischen wurden viele neue Partizipationsformen entwickelt, vorgeschlagen und erprobt; z. B.:

 

         Zukunftswerkstätten (Kreativität freisetzende, gruppenorientierte Pro­blemlösungsmethode)

         Planungszellen/Bürgergutachten (schöffenartige nach dem Zufallsprinzip ausgesuchte Gruppen zu festgelegten, meist komplexen Themen)

         Runde Tische (gemeinsame Beratungen aller vom Problem Betroffenen)

         Foren (öffentliche Erörterungen kommunalpolitischer Themen unter Beteiligung der Betroffenen/Interessierten

         Mediationen (gemeinschaftliche Formen der einvernehmlichen Konflikt­lösung mit allen Interessengruppen)

         stadtteilorientierte Ansätze (Anwaltsplanung, Gemeinwesenarbeit, Betei­ligungsprojekte im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfegesetze

         Planning for real (Beteiligung an Planungen, deren Ergebnisse die Betei­ligten selbst in ihrem Lebensalltag betreffen)

         lokale Vernetzung als offene Form der Kommunikation und Koope­ration[103] usw.

Inzwischen hat es sich herausgestellt, daß LA-21-Prozesse nur dann erfolg­reich sein können, wenn es gute Organisationsstrukturen und ausreichendes und qualifiziertes Personal (in Agenda-Büros u. ä.) gibt und eine Reihe weiterer übergeordneter Stützungsmaßnahmen gegeben sind, z. B. breite Öffentlichkeitsarbeit, Unterstützung durch die Medien, Bildungsarbeit.[104]

3.5.4  Bildung und Lokale Agenda 21

All diese Partizipationsmodelle bedürfen bei ihrer Anwendung jeweils bestimmte Bedingungen, um ihre Leistung optimal entfalten zu können. Da es sich gleichzeitig um neue Formen politischer Bildung handelt, ist es sinnvoll, daß sich Pädagoginnen und Pädagogen oder Bildungseinrichtungen solchen Partizipationsprozessen annehmen.[105] In einigen Städten haben sich deshalb lokale Bildungsträger der Erwachsenenbildung in den LA-21-Prozeß als Ini­tiatoren, Moderatoren oder Mitakteure eingeschaltet und auf diese Weise zur Förderung der Partizipation bzw. Partizipationsfähigkeit beigetragen. Es heißt, den Bildungsbereich nicht zu überschätzen, wenn man von der These ausgeht, daß die Prozesse der LA 21 langfristig nur dann Erfolge erzielen können, wenn die örtlichen Bildungseinrichtungen sich nach ihren Möglich­keiten kontinuierlich und partizipatorisch beteiligen (können) (s. 5.10.4).

Ein Blick auf die allgemeine Entwicklung der Partizipation in Deutschland, die für partizipatorische Bildungsansätze auf lokaler Ebene den politischen Rahmen darstellt und das ‚geistige Klima‘ bestimmt, erlaubt keine eindeutig positive Prognose. Den genannten neuen Formen, die noch keine große Verbrei­tung haben können und den neuen plebiszitären Elementen, die in verschie­dene Gemeindeordnungen und Landesverfassungen aufgenommen wurden, stehen auch explizite gesetzliche Einschränkungen der Bürgerbeteiligung in vielen Bereichen gegenüber.[106] Eine breite Partizipation im Sinne einer echten Bürgergesellschaft bzw. zivilen Urbanität und damit einhergehende Bildungs­prozesse liegen aus zwei Gründen noch in weiter Ferne: Einerseits sind dazu ‚kulturrevolutionäre‘ Veränderungen in deutschen Kommunal- und Bildungs­verwaltungen erforderlich, andererseits fehlt es noch an einer ausreichenden Verankerung einer demokratischen Kultur in der Bevölkerung.[107] Die neuen Kommunikations-, Kooperations- und Partizipationsformen sind nur erste Schritte und Versuche, die pädagogisch um so mehr genutzt werden müssen.

Laut erwähnter Difu-Umfrage ist für immerhin 58% der befragten Städte in Deutschland der Bildungsbereich ein wichtiger Schwerpunkt kommunaler Agenda-21-Arbeit. Unklar ist, worin die kommunalen Bildungsaktivitäten real bestehen und wer über die genannten punktuellen Beispiele hinaus die Akteure sind. In 2.8 wurde die These 2.6 formuliert, daß die Umweltpädago­gik in Deutschland – vor allem hinsichtlich der Schule, einschließlich der geförderten Modellversuche - im Hinblick auf stadtbezogene Theorien, Kon­zepte, Umsetzungsstrategien und vor allem erfolgreiche und wirkungsvolle Praxis vor Ort noch äußerst defizitär ist (s. auch 5.8). Deshalb ist die Umwelt­pädagogik zur Zeit nicht in der Lage, einen relevanten Beitrag zur nachhal­tigen Stadtentwicklung zu leisten. Eine-Welt-Bildung als eine wesentliche Dimension einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung existiert bislang nur in wenigen Städten in nennenswertem Umfang. Die durchgeführten päd­agogischen Projekte stehen – auch wenn sie noch so erfolgreich sind – als singuläre Aktivitäten in Gefahr, als Alibi angesichts des vernachlässigten Bildungsbereich der LA-21-Prozesse zu dienen.

Ein Blick auf die expandierende Literatur zur LA 21 zeigt ein ähnliches Bild: spezifische LA-21-bezogene Bildung hat derzeit nur marginalen Charak­ter.[108] Auch in den verschiedenen Erklärungen und Beschlüssen auf deutscher oder europäischer Ebene (Erklärung des Deutschen Städtetages, Aalborg-Char­ta, u. a.) ist der Bildungsbereich, wenn überhaupt nur am Rande vertreten. Ledig­lich im Lissabonner Aktionsplan von 1996[109] ist ein eigener Abschnitt über „Bewußtseinsbildung und Erziehung“ enthalten, in dem sich die beteiligten Kommunen folgendes vornehmen: „Wir werden bewußtseinsfördernde Maßnah­men ergreifen, die sich an alle Gruppierungen unseres Gemeinwesens richten und Erziehungs- und Fortbildungsprogramme für Kindergärten, Schulen, Hochschulen, die berufliche und die Erwachsenenbildung einrichten.“

Auch in der pädagogischen Literatur gibt es nur wenige Ideen oder Berichte von praktischen Ansätzen. Beispielsweise ist die Auflistung von Möglichkeiten, die im Rahmen eines geförderten Forschungsprojektes von den beteiligten Erwachsenenbildungseinrichtungen zusammengestellt wurden, eine Liste sehr allgemeiner, fast selbstverständlicher Vorschläge:[110] Umwelt- und Entwicklungstage zu bestimmten Themenschwerpunkten, Unterstützung von Schulpartnerschaften, Unterstützung des Lehrpersonals mit Materialien aus dem Nord-Süd- und dem Umweltbereich, Lehreraus- und Fortbildung, Verstärkung der Erwachsenenbildung, Nutzung der Möglichkeiten der ver­schiedenen Einrichtungen und thematische Aktionen der Stadtteilbibliotheken (Heimvolkshochschule Stephansstift 1997).

Trotz dieser derzeit noch wenig erfreulichen Gesamtsituation der Bildung im Kontext der LA 21, wird einer Bildungsarbeit weiterhin eine große Chance beigemessen, die sich auf die Themen der jeweiligen LA 21 bezieht. Diese Hoffnung ist nicht nur Ausdruck eines pädagogisch unverzichtbaren oder typischen Optimismus. Sie läßt sich – wie bereits gezeigt – sowohl aus Prozessen der kommunalen Modernisierung ‚ableiten‘, als auch aus aktuellen konzeptionellen Tendenzen der Umweltbildung, die Anknüpfungspunkte lie­fern (s. 2.7. und 3.9). Die Chancen und Probleme im Schulbereich, die sich auch in meiner eigenen Praxis gezeigt haben (1.6), werden in 5.8 erörtert. Daß auch andere pädagogische Felder mit ihren partizipatorischen Tendenzen solche Anknüpfungen bieten, zeigen die weiteren Erörterungen in diesem Kapitel (3.7).

Die breite Realisierung von vorhandenen Chancen auf lokaler Ebene, ein­schließlich denen, die sich aus den in 3.4.3 skizzierten Handlungsfeldern einer urbanen Umweltpädagogik ergeben, ist jedoch auch an institutionelle Voraussetzungen gebunden, die den Inhalt der beiden folgenden Thesen darstellen.[111]

These 3.13    Pädagogische Öffnung und lokale Kooperation: Eine wirksame, zukunftsorientierte urbane Umweltbildung erfordert loka­le/regionale Orientierung und Öffnung des gesamten Bildungs­wesens zum Stadtteil. Die damit einhergehenden Kooperatio­nen mit nichtpädagogischen Einrichtungen, Institutionen, Gruppen, Wirtschaftsbetrieben und Einzelpersonen erfordern umgekehrt auch deren Öffnung in pädagogischer Richtung.

 

These 3.14    Die lokale/regionale Öffnung des Bildungswesens erfordert zur Erreichung notwendiger Leistungsfähigkeit und Breitenwirkung eine lokale Infrastruktur mit initiierenden, koordinierenden und inhaltlichen Dienstleistungsangeboten.

Mit der Realisierung solcher Perspektiven lokaler Umweltbildung ein­schließlich der pädagogischen Beteiligung in der Stadtplanung (3.4.3) gehen auch Verschiebungen von Berufsbildern in den Bildungsinstitutionen und bei den verschiedenen externen Kooperationspartnern einher. In Bereichen wie Beratung, Moderation, Fortbildung und ähnliche Dienstleistungen könnten sich neue Chancen für umweltpädagogische Berufsqualifikationen und Arbeitsplätze entwickeln. Von den Bildungsinstitutionen könnte dafür eine Nachfrage entwickelt werden und zwar in dem Maße, wie diese sich öffnen und eine stärkere Autonomie erlangen. Für den Bereich der hier nicht näher behandelten beruflichen Aus- und Fortbildung gilt dies in dem Maß, wie dort die Notwendigkeit einer Erweiterung der Qualifikation über die Aneignung von fachlichem und beruflichen Spezialwissen erkannt wird. Je mehr solche neuen Perspektiven realisiert und über ein Zentrum vermittelt werden, desto höher können die Synergieeffekte sein. Die so erwiesene Leistungsfähigkeit einer zukünftigen Umweltpädagogik könnte langfristig zu einer stärkeren Anerkennung und wirklichen politischen Unterstützung führen, die bisher fehlt. Vor allem wäre die Umweltbildung auf der lokalen Ebene endlich in der Lage, einen wichtigen und wirksamen Beitrag zu einer nachhaltigen Ent­wicklung unserer Gesellschaft zu leisten und hätte dadurch selbst eine gesicherte Zukunft.

3.6  Rechte der Kinder und Jugendlichen

Nach NGOs und Kommunen, die von der Agenda 21 als Akteursgruppen unterstützt werden, geht es nun um eine weitere solche Gruppe, die gleich­zeitig der ‚klassische‘ Adressat der Pädagogik ist: Kinder und Jugendliche. Deren Rechte an Partizipation und damit der Mitgestaltung der Zukunft stellen selbst in den westlich-demokratischen Staaten keine Selbstverständ­lichkeit dar. Inzwischen sind diese Rechte aber formal auf verschiedenen Ebenen verankert: in der Agenda 21 in Kapitel 25, in der UN-Kinderrechts­konvention und in Deutschland vor allem im Kinder- und Jugendhilfegesetz. Zudem kämpft eine vielgestaltige Kinderrechtsbewegung insbesondere für die Etablierung und Beachtung ökologischer Kinderrechte und versucht mit zahl­reichen Aktivitäten, Belange der Kinder und Jugendlichen innerhalb dieser Gruppe auf eine breite Basis zu stellen, der Öffentlichkeit bekannt zu machen und schließlich politisch durchzusetzen (vgl. Petri 1997).

Die Agenda 21 nimmt auf frühere Beschlüsse der Vereinten Nationen zu den Kinderrechten Bezug, die selbst eine längere Tradition haben: Im „Jahr­hundert des Kindes“, das im Jahr 1900 die schwedische Reformpädagogin Ellen Key ausgerufen hatte,[112] verabschiedete die 5. Vollversammlung des Völkerbundes – die 1920 gegründete Vorläuferin der heutigen UNO – am 29. Sept. 1924 in Genf die erste internationale Deklaration der Kinderrechte, die vorher von einem Zusammenschluß nationaler Kinderhilfsorganisationen ent­worfen und verbreitet wurde. Nach Faschismus und  2. Weltkrieg erfolgte von Seiten der UNO ein neuer Anlauf, der erst 1959 zu einer neuen Fassung führte. Eine völkerrechtlich verbindliche Fassung erwies sich aufgrund kultu­reller und politischer Differenzen als schwierig und wurde deshalb erst Ende der 80er Jahre realisiert. Drei wichtige Auszüge der UN-Konvention über die Rechte des Kindes seien hier zitiert:

Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. (Artikel 3: Wohl des Kindes, Absatz 1)

Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte. Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte treffen die Vertragsstaaten derartige Maßnahmen unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit. (Artikel 4: Verwirk­lichung der Kindesrechte)

Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife. (Artikel 12, Absatz 1)

1991 hatten bereits 100 Staaten ratifiziert, Deutschland folgte erst im April 1992 und machte einige Einschränkungen. Eine Analyse der Kinderrechts­debatte zeigt einen deutlichen Trend vom Schutz der Gesellschaft vor ver­wahrlosten Kindern über karitative Fürsorge für das Wohl der Kinder hin zu einem politischen Konzept, welches Kinder als Subjekte ihrer Entwicklung sieht, die sehr wohl in der Lage sind, ihre eigenen Rechte zu artikulieren, wenn man ihnen angemessene Möglichkeiten zur Verfügung stellt. Dadurch paßt die Thematisierung der Kinderrechte in das Thema Partizipation von Kindern und Jugendlichen (vgl. Carle 1998, S. 17ff).

Im Kontext der Ottawa-Charta („Gesunde Städte“[113]) und des schon zitierten Kapitels 25 der Agenda 21 sowie in der Agenda 21 insgesamt wurden die Kinderrechte bestätigt und dabei in Richtung ökologischer Kinderrechte ausgeweitet. Diese werden als das Recht eines jeden Kindes auf dieser Welt verstanden, in einer intakten Umwelt aufzuwachsen, ein gesundes Leben zu führen und positive Zukunftsperspektiven zu entwickeln[114]. Schließ­lich gibt es auch auf wirtschaftspolitischer Ebene Initiativen: Die Interna­tionale Arbeitsorganisation (IAO) bereitet eine Konvention gegen ausbeu­terische Kinderarbeit vor, die 1999 verabschiedet werden soll. Insgesamt entwickeln sich die Kinderrechte langsam fort, bei weltweit sehr unterschied­licher Realisierung und durch Forcierung durch die schon erwähnte interna­tionale Kinderrechtsbewegung (Carle 1998).

Die Wirksamkeit der Kinderrechte ist noch immer unbefriedigend reali­siert, sie wird am ehesten von vermittelnden Institutionen vorangetrieben, in Deutschland vom Kinderhilfswerk der UN, dem Kinderschutzbund, Terre des Hommes bzw. der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinder­rechtskonvention in Deutschland[115], die sich insbesondere auch um die Umsetzung ökologischer Kinderrechte kümmern.[116]

Regional hat diese Entwicklung sehr unterschiedlichen Ausdruck und verschiedene Formen angenommen, z. B. Kinderparlamente, Beteiligungspro­jekte bei der Stadtplanung, Kinderbeauftragte u. ä. Wichtige rechtliche Grundlage auf nationaler Ebene ist das Grundgesetz, aus dem sich spezielle Rechte der Kinder aber nur begrenzt ableiten. In Artikel 20a sind die Rechte im Sinne einer Verantwortung des Staates für künftige Generationen formu­liert, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. Gewisse Partizipation ist lediglich in dem 1991 in Kraft getretenen Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vorgesehen, das auch Verfahrensvorgaben zur Beteiligung von Kin­dern und Jugendlichen bzw. zur Berücksichtigung deren Interessen enthält.

Agenda 21, UN-Konvention für Kinderrechte und KJHG in Deutschland bieten insgesamt durchaus gute formale Voraussetzungen, den Stellenwert von Kindern in Familien und der Gesellschaft zu verbessern, also Kinder­politik zu betreiben, Kinder in der Politik zu verankern, Kinderpartizipation zu fördern und als wesentliche Voraussetzung von alledem einer partizipa­torisch orientierten Pädagogik im Interesse der nachwachsenden Genera­tionen zum Durchbruch zu verhelfen.

These 3.15    Agenda 21, UN-Konvention für Kinderrechte und KJHG in Deutschland bieten noch weitgehend ungenutzte Chance für (Umwelt)Bildung im Kontext einer lokalen nachhaltigen Stadt- und Zukunftsentwicklung.

Am Ende des Jahrhunderts des Kindes ist auch Deutschland und erst recht die Menschheit als Ganze noch weit von solchen Zielen entfernt. Kinder gelten weithin noch heute als Anhängsel Erwachsener. Doch insgesamt ist eine partizipatorische Entwicklung eingeleitet worden, die nicht mehr rückgängig zu machen ist, da sie zunehmend kulturell im Lebensalltag verankert wird. Dies zeigt auch der nächste Abschnitt 3.7, in dem verschiedene Felder der Partizipation von Kindern und Jugendlichen unterschieden werden.

 

3.7  Pädagogische Handlungsfelder der Partizipation

Für die Entfaltung, dauerhafte Etablierung oder auch Behinderung von Par­tizipation ist auch die familiäre und die alltägliche Situation von Kindern und Jugendlichen außerhalb von Schule und institutionellen pädagogischen Maßnahmen besonders wichtig, da dort ein wesentlicher Teil der Erziehung und Sozialisation stattfindet, die auch die Partizipation(sfähigkeit) entschei­dend prägt. Deshalb ist es sinnvoll, insgesamt drei Handlungsebenen[117] zu unterscheiden, die in einem wechselseitigen Zusammenhang zueinander stehen, ja für eine erfolgreiche und dauerhafte Partizipation im Bereich einer nachhaltigen Entwicklung zusammenwirken müssen. Man kann dies durch ein Dreieck[118] grafisch veranschaulichen (s. Abb. 3.4).

Nicht betrachtet werden (und auch in der Abbildung nicht berücksichtigt) soll an dieser Stelle ein mögliche und wichtige vierte Ebene, die darin besteht, daß auch Bildungseinrichtungen selbst Subjekt von Partizipations­prozessen im lokalen Raum sein können. Dies kann insbesondere dann not­wendig oder gegeben sein, wenn sich eine Schule ein eignes Profil und Programm schafft, das eine regelmäßige Öffnung zur kommunalen Umwelt vorsieht. Damit gehen ebenso regelmäßige kooperative und partizipative Beziehungen zu nichtpädagogischen Einrichtungen, Institutionen, Gruppen, Wirtschaftsbetrieben und Einzelpersonen einher. Konsequenz davon ist wiederum, daß sich auch diese nichtpädagogischen Einrichtung u. a. öffnen müssen – zum Bildungsbereich, was gravierende Veränderungen in deren Selbstverständnis und eine Ausweitung ihrer praktischen Arbeit nach sich zieht (These 3.13).

 

 

Partizipation in Politik und Verwaltung

 

 

 

 

 

 

 

Förderung von

 

 

Partizipationsfähigkeit

 

 

 

 

Verbesserung der Lebenswelten

 

 

 

Partizipation in persönlichen Beziehungen und im Alltag

Partizipation in pädagogischen Einrichtungen

 

Abb. 3.4 Pädagogische Handlungsfelder der Partizipation

 

In dem Maße, wie sich perspektivisch immer mehr Bildungseinrichtungen ihrer lokalen bzw. regionalen Umwelt öffnen, erfordert dies neue gemeinsame Lösun­gen zwischen den Trägern dieser Bildungseinrichtungen und ihren nichtpäd­agogischen Partnern. In den folgenden Unterabschnitten (3.7.1 bis 3.7.3) gehe ich nur auf die drei Handlungsbereiche aus der obigen Grafik näher ein.

3.7.1  Partizipation in persönlichen Beziehungen und im Alltag

Partizipations- bzw. Demokratieerfahrungen beginnen in der Familie. Alltäg­liche Erfahrungen und Verhaltensweisen, die im Prinzip schon im Babyalter beginnen, bestimmen vor allem die persönlichen Beziehungen der Familien­mitglieder untereinander. Für Kinder ist es z. B. entscheidend, ob

         Regeln transparent gemacht und gemeinsam entwickelt werden

         sie sich als gleichberechtigt im Familienalltag erfahren

         ihre Wünsche Gewicht haben oder grundsätzlich nachrangig sind

         man ihnen Entscheidungs- und Verantwortungsspielräume zugesteht

         Erwachsene ihnen eher zuhören oder sie vor allem belehren

         Erwachsene grundsätzlich ihre Interessen durchsetzen

         der Alltag durch Gewalt bestimmt ist.

Die diesbezügliche Situation der Kinder hängt sehr stark von der grundsätz­lichen pädagogischen Haltung der Eltern ab und damit von deren Kindes- und Menschenbild (Knauer/Brandt 1998, S. 91), das sich bei allen soziokultu­rellen Unterschieden in den letzten Jahrzehnten erheblich zugunsten demokra­tischer und partizipatorische Einstellungen verändert hat. Auch außerhalb der Familie werden Kinder und Jugendliche in ihrem Alltag und ihrer Freizeit immer früher und häufiger mit Situationen konfrontiert, die ihnen erhöhte Wahl­freiheit ermöglichen, ihnen aber auch die Notwendigkeit aufbürden, sich zu entscheiden. Kinder werden in den Medien und der gewerblichen Werbung ernster genommen. Durch ihre zunehmend möglichen Konsumentscheidungen haben Kinder faktisch erheblichen Einfluß auf die Gesellschaftsentwicklung. Auch Kinder und Jugendliche werden dabei immer mehr von einer Gesellschafts­entwicklung erfaßt, die gemäß gängiger Zeitdiagnose unter anderem von Indi­vidualisierung, Pluralisierung und abnehmendem Gemeinsinn[119] geprägt ist.

Wirkliche Entscheidungsfähigkeit setzt voraus, daß Alternativen und Aus­wahlkriterien bekannt sind, mögliche Entscheidungsfolgen abgeschätzt und ggf. Verantwortung für die Entscheidungen übernommen werden (können) (Knauer/Brandt 1998, S. 75). Dies ist vor allem Aufgabe zeitgemäßer Bil­dung. Es gibt viele kinderunfreundliche oder gar ‑feindliche Entwicklungen, gegen die sich die junge Generation zur Wehr setzen muß: partielle Verdrän­gung der Kinder und Jugendlichen aus der Erwachsenenwelt (“kinderfreie Zonen“) und die Schaffung spezieller Kinderwelten. Im individualisierten Alltag bestehen für die Betroffenen nur geringe Chancen der Partizipation. Hier bietet sich ein wichtiges Aufgabenfeld für institutionelle pädagogische Arbeit in Schulen und der Kinder- bzw. Jugendhilfe an, das noch kaum aus­gefüllt wird (s. 3.7.3).

3.7.2  Kinderpolitik – Pädagogik im Interesse von Kindern

Kinderpolitik wird meistens und vorrangig noch als Politik für Kinder und weniger als Politik von Kindern verstanden. So werden oben erwähnte Phä­nomene einer kinderunfreundlichen oder sogar ‑feindlichen Umwelt zum Gegenstand einer anwaltschaftlichen Politik und einer sich gemeinwesen­orientiert verstehenden Jugendhilfe. Diese analysiert die Lebenswelt der Kin­der und Jugendlichen (Sozialraumanalyse), erhebt die Ressourcen der Gemeinde für diese Adressatengruppe und leitet daraus Forderungen ab für eine kinder- und jugendgerechte Umgestaltung der Gemeinde, die sich an die Verwaltung und Politik richten (vgl. die unteren Stufen der „Partizi­pa­tions­treppe“ in Abb. 3.5 in diesem Unterabschnitt 3.7.2).

Unter partizipationsbezogenen und pädagogischen Gesichtspunkten ist eine solche Politik und Jugendhilfe ungenügend, wenn auch unverzichtbar. Politik für Kinder muß vor allem Rahmenbedingungen schaffen, die Kindern in unserer Gesellschaft überhaupt erst Raum für Entwicklung und Partizi­pation geben. Inzwischen ist bekannt, daß Politik von Kindern nicht sinnvoll als Miniform von Erwachsenenpolitik oder als belanglose Spielwiese zu betreiben ist. Kinderparlamente u. ä., zumal in größeren Gemeinden oder Städten, sind erfahrungsgemäß wenig ergiebig. Für Jugendliche, vor allem jedoch für Kinder sind Kinderparlamente zu weit weg vom durchschnittlichen Alltagsinteresse. Sie bergen sogar die Gefahr, das in der Bevölkerung ohnehin eher wachsende Desinteresse an Politik ‚da oben‘ auch bei den Nachwachsenden zu zementieren. Dies zeigte eine bundesweite Befragung zum Thema „Modelle der Partizipation“, die gezielt an Kommunen, Einrichtungen und Vereine geschickt wurde, bei denen zumindest vermutet werden konnte, daß sie Kinderbeteiligung durchführen. Die Befragung erbrachte unter anderem folgende Ergebnisse (Schröder 1995, S. 40ff):

         Spielplätze als inhaltliches Thema lag an der Spitze (ca. 20%), vor Ver­kehr (14,2%) und Wohnumfeld (13,4%)

         Kinderforen, Interviews, Fragebögen, Zeichnungen waren die häufigsten Formen der Beteiligung

         Kinderparlamente wurden von den Befragten ihrer Erfahrung nach mit Abstand als am ungeeignetsten angesehen

 

         Für die Unterstützung von verschiedenen Formen von Politik bzw. Partizipation eignen sich spezielle Kinder(planungs)büros[120].

Wichtiger ist, Kindern und Jugendlichen in ihrem Alltag echte Beteiligungen an kleinräumigen und sozialraumbezogenen Projekten anzubieten, sie als „Experten in eigener Sache“ ihre sozialen Nahräume und Alltagssituationen mitverantwortlich gestalten oder verbessern zu lassen. Dies darf sich nicht auf speziell geschaffene ‚Kinderräume‘ (Kinderspielplätze u. ä.) begrenzen. Son­stige ‚kinderfreie‘ oder kinderfeindliche Räume müßten für Kinder und Jugendliche und von ihnen wieder zurückgewonnen werden.

Als Akteure solcher Angebote sind alle pädagogischen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche gefordert, sowohl im schulischen als auch im nicht­schulischen Bereich (Jugendhilfe u. a.) und unter Einbeziehung des breiten Spektrums privater Organisationen, Verbände und Vereine.[121] Dies entspricht den formulierten Absichten der bereits zitierten rechtlichen Grundlagen. Nur auf solchen Wegen werden den Heranwachsenden erste Demokratieerfahrun­gen ermöglicht, die nicht nur darin bestehen können, nach der Meinung ge­fragt zu werden, ggf. miteinander reden und quantitativ abstimmen zu dürfen. Kinder- und Jugendliche erfahren und lernen sonst nicht hinreichend, daß Einmischung in Politik möglich und notwendig ist. Es gab und gibt eine Vielzahl von positiven Beispielen, in denen Kinder in diesem Sinne auch als politische Wesen begriffen werden und wichtige Erfolge hervorbringen.[122]

Solche lebensweltorientierten oder sich ähnlich nennenden Ansätze bedingen eine konsequente Öffnung der jeweiligen pädagogischen Einrich­tungen, aber auch der entsprechenden Gemeindeverwaltungen, für die konti­nuierliche Partizipation mit Kindern und Jugendlichen einen radikalen Bruch ihrer bisherigen Tätigkeit bedeutet und von den Mitarbeitenden Fähigkeiten verlangt, die letztlich ohne Fortbildung nicht ausreichend zu erwerben sein dürfte. Sinnvoll ist zudem die enge konzeptionelle und praktische Zusammen­arbeit zwischen den Institutionen der Kinder- und Jugendarbeit, des Schulwe­sens, der allgemeinen Verwaltung und freier privater Vereinigungen. Für diese Vernetzungen sind Koordinationsleistungen erforderlich („Kind im Stadtteil“ o. ä.). Sie existieren bislang nur in ersten Ansätzen, sind also eine Zukunftsperspektive, für die die rechtlichen Voraussetzungen aber im KJHG durchaus gegeben sind (Knauer/Brandt 1998, S. 114-121).

 

Wenn Partizipation eine demokratische Angelegenheit sein soll, muß sie allen Kindern und Jugendlichen möglich sein und darf kein Privileg für (bildungs)begünstigte Gruppierungen bleiben oder sich gar auf politische ‚Vorzeigeprojekte‘ beschränken.[123] In diesem Zusammenhang stellen sich vor allem für allgemeinbildende Schulen neue Aufgaben. In 3.4.3 wurde dazu schon die These 3.11 formuliert, daß die ‚geöffnete Schule‘ für Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen oder ganzer Schulen produktive Mög­lichkeiten bietet, vielleicht sogar die einzige Chance, praktisch und gedank­lich auf die Gestaltung der eigenen Lebensumgebung im Sinne einer kinder- und jugendfreundlichen Stadt Einfluß zu nehmen. Für solche Formen direkter Partizipation inner- und außerhalb des schulischen Bildungsbereichs müssen die spezifischen Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen Ausgangs­punkt der Planung sein. Dies betrifft unter anderem den Unterschied zwischen den sozio-kulturellen Milieus, zwischen Mädchen und Jungen, die Berück­sichtigung unterschiedlicher ‚ausländischer‘ Kulturkreise und behinderter Kinder. Dazu sind vielfältige Angebote und Formen der Kinderpartizipation erforderlich, möglichst als dezentrale, Kinder aufsuchende und spaßmachende Angebote. (Knauer/Brandt 1998, S. 122-151). Um kontinuierliche Demokra­tie- und Partizipationserfahrungen zu ermöglichen, um Partizipation zur Selbstverständlichkeit im Kindergarten, Schule, Verein usw. werden zu lassen und um die komplexen Kompetenzen einer Partizipationsfähigkeit zu erwer­ben, müssen umfassende Programme aufgelegt werden.[124]

Nicht nur Politik bestimmt die Möglichkeiten partizipatorischer Pädago­gik, sondern umgekehrt jede partizipatorisch ausgerichtete Pädagogik gestal­tet auch immer Politik mit: durch die politischen Fähigkeiten, die den Kindern und späteren Erwachsenen vermittelt werden und durch die Art und Weise, wie sie sich pädagogische Arbeit in kommunale und sozialpolitische Fragen einmischt (Knauer/Brandt 1998, S. 9‑11). Dabei erfahren die Kinder und Jugendlichen ihre Kompetenz, sich auch mit politischen, planerischen und damit zukunftsorientierten Themen auseinanderzusetzen. Letztlich geht es auch darum, daß Kinder und Jugendliche lernen, gemeinsame Entscheidungen mit Erwachsenen zu treffen (und umgekehrt), zu denen die Kinder und Jugendlichen die eigenen Aspekte, Perspektiven und Interessen einbringen können. Dies erfordert auch Kompetenzen auf Seiten der Pädagogen, auf die am Ende dieses Kapitels kurz eingegangen wird. Es besteht die Gefahr, daß die Akteure, die sich im Interesse der Kinder und Jugendlichen einsetzen, sich zu sehr zwischen den Bereich, der Objekt der Partizipation sein soll, und den Kindern und Jugendlichen stellen. Bezogen auf Kinder- und Jugendpartizipa­tion, die von pädagogischer Arbeit nicht zu trennen ist, kann man idealtypisch unterschiedliche, aufsteigende Grade der Partizipation unterscheiden, die in der Grafik 3.5 beispielhaft auf die Stadtplanung bezogen wurden:[125]

 

 

Abb. 3.5 Treppe stadtplanerischer Partizipation von Kindern und Jugendlichen

 

 

Für die Beteiligung von Mädchen und Jungen sind 15 Prinzipien (Prüfsteine) für eine qualifizierte Mitbestimmung entwickelt worden (Deutsches Kinder­hilfswerk e. V. 1997a, S. 22ff):

         Keine Über- und Unterforderung

         Unterstützung – Förderung – Qualifikation

         kooperative Planung (Betroffene, Verwaltung, Planung, Architektur, Pädagogik, Politik...)

         Moderation von sozialen und politischen Kommunikationsinteressen

         Zeitstruktur

         Leitidee der Expertenschaft der Kinder/Jugendlichen für ihre Belange

         altersgemäße Arbeitsformen

         Ernstcharakter der Partizipation

         Repräsentativität der über die Partizipationsform einbezogenen Mitwir­kenden für die gesamte Betroffenengruppe

         Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Aspekte

         Vermeidung versteckter Erwachsenenprojekte

         Verzicht auf eine Instrumentalisierung der Kinder und Jugendlichen

         Prinzip der symmetrischen Kommunikation

         Demokratie (so früh wie möglich) lernen

         Ausnahme oder Regel?

Frädrich und Jerger-Bachmann (1995, S. 98ff) haben für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen Mindeststandards und Grundbedingungen entwik­kelt, die hier stichwortartig zitiert werden: Freiwilligkeit der Beteiligung, Ernstcharakter und Ernsthaftigkeit, kommunikative und kooperative Kompe­tenz, soziale Phantasie, Akzeptanz von Widersprüchen, Geduld und Unge­duld gleichzeitig, Wandelbarkeit und Lebendigkeit der Planungen, Herstel­lung von Öffentlichkeit, Partizipation nicht zum Nulltarif. Hier wird deutlich, daß für die Partizipation der Kinder und Jugendliche ein erheblicher Aufwand getrieben muß, der sich vor allem auf den Erwerb von Kompetenzen der davon betroffenen Erwachsenen bezieht, aber auch materielle Voraussetzun­gen einschließt. Partizipation zum Nulltarif ist nicht machbar!

3.7.3  Partizipation in pädagogischen Einrichtungen

Aus den beiden Handlungsfeldern Alltags der Kinder und Jugendlichen sowie Kinder- und Jugendpolitik lassen sich vielfältige Aufgaben für Bildungsein­richtungen, insbesondere die Schule ableiten. Wie ernst es mit der Partizipation einer pädagogischen Einrichtung ist, zeigt sich auch daran, wie sie Partizipa­tion in ihren eigenen Strukturen verankert: Beteilungsrituale in ihrem Alltag, Abgabe von Macht, konkrete Rechte von Kinder und Jugendlichen. Speziell auf die Schule bezogen, kann man verschiedene Ebenen der Partizipation unterscheiden und unterschiedliche Reichweiten markieren:

         Unterricht (durch offene, partizipatorische Unterrichtsformen)

         Innere Gestaltung der pädagogische Einrichtung (durch formelle Mit­sprache und/oder darauf bezogene Unterrichtsprojekte)

         Kommune als Handlungsfeld der pädagogischen Einrichtung; Öffnung. Hier ergibt sich die Verbindung zur „politischen Partizipation“, bei der man wiederum nach Grad der Teilhabe/Partizipation differenzieren kann (vgl. Abb. 3.4)

         Überregionale Ebene: Denkbar ist, daß etwa durch Vernetzung von Schu­len ein direkter oder vermittelter Einfluß auf staatliche Politik eintritt oder angestrebt wird (vgl. das Projekt G.R.E.E.N in 3.9.1).

Im Kontext dieser Arbeit geht es vorrangig um die dritte Ebene (Lokale Agenda 21), am Rande auch noch um die zweite, soweit damit Beiträge zur LA 21 verbunden sind (vgl. 5.8.3). Grundsätzlich sind alle Ebenen wichtig, da nur dann die umfassende Partizipationsfähigkeit erworben werden kann. Praxiserfahrungen aus Skandinavien bei zahlreichen Projekten des ‚Umbaus der Schulen‘ bei gleichzeitiger Beteiligung der Schülerinnen und Schüler zeigen, daß sich ihre Einstellungen hinsichtlich Verantwortung, Engagement und der Wahrnehmung von Einflußmöglichkeiten auf Entscheidungen in der Kommune generell geändert haben. Hier zeigt sich der enge Zusammenhang der drei oben genannten Handlungsfelder. In der Regel dürften die Ebenen 1 und 2 sinnvolle, vielleicht sogar notwendige Voraussetzungen für eine erfolg­versprechende Arbeit auf den höheren Ebenen sein. Selbstverständlich haben die verschiedenen Ebenen für unterschiedliche Alters- und Entwicklungs­stufen der Kinder und Jugendlichen unterschiedlichen Stellenwert. Dies schließt nicht aus, daß auch Grundschulklassen unter bestimmten Vorausset­zungen auf der Ebene 3 agieren können, wenn es um sie selbst unmittelbar betreffende Fragen der Kommunalpolitik geht (s. 3.9.2).

Auch auf der Ebene der pädagogischen Einrichtung kann man die parti­zipatorischen Möglichkeiten hinsichtlich der außerschulischen kommunalen Ebene wiederum gestuft unterscheiden. Dies setzt – wie bereits betont – par­tiell eine innerschulische Partizipation voraus:

         Die Lehrkraft erläutert ein von ihr entwickeltes kommunales Projekt bzw. Thema, das die Schülerinnen und Schüler dann mehr oder weniger selbständig, ggf. auch außerhalb der Schule durchführen. Um sie nicht zu ‚instrumentalisieren‘ verbleibt das Thema insofern schulisch als es ohne politische Handlungsabsichten verfolgt wird.

         Die Lehrkraft schlägt ein von ihr entwickeltes kommunales Projekt als Rahmenthema vor, das zusammen mit den Schülerinnen und Schülern und deren Interessen und Voraussetzungen konkretisiert und dann mehr oder weniger selbständig, ggf. auch außerhalb der Schule durchgeführt wird. Das Thema verbleibt auch hier insofern schulisch als es ebenfalls ohne politische Handlungsabsichten verfolgt wird. Es handelt sich um eine schulische Veranstaltung, die u. U. dazu geeignet ist, die Partizipa­tionsfähigkeit auf der inhaltlichen oder arbeitsmethodischen Ebene zu verbessern.

         Im Unterschied zu 2. kommt die Initiative von den Schülerinnen und Schülern. Die weitere Entwicklung des Projektes wird jedoch von den Lehrkräften unterstützt und sie beraten. Es liegt primär an den Schüle­rinnen und Schülern, inwieweit es ein schulisches Projekt bleibt oder ob es politisch in der Gemeinde verfolgt wird. Der zweite Fall erfordert eine langfristige Beschäftigung mit dem Projektthema. Dies wird aufgrund der heterogenen Struktur der Schule und Schülerschaft wohl ein Ausnahme­fall bleiben.

         Die Klasse hat von vornherein ein projekt- oder themenbezogenes kom­munales Partizipationsinteresse und realisiert es z. B. indem sie es als schulisches Projekt vorschlägt und zusammen mit Lehrkräften entwickelt.

Hier ergibt sich dann eine Überschneidung mit der allgemeinen „Treppe der Partizipation“ – angewendet auf den Bereich Stadtplanung (s. Abb. 3.4). Zusammenfassend läßt sich folgende These formulieren:

These 3.16    Lokale Partizipationsprozesse, die sich im Bereich persönlicher Beziehungen, in pädagogischen Einrichtungen und in der Kommunalpolitik entfalten, bieten optimale Voraussetzungen für wirksame Lernprozesse und partizipationsbezogene Fähig­keiten bei den Beteiligten.

3.8  Historische Vorläufer einer partizipatorischen Pädagogik

Die jüngere Geschichte der Pädagogik beschäftigt sich immer wieder mit dem grundsätzlichen Verhältnis von Kindern und Erwachsenen: Handelt es sich im Erziehungsprozeß um gleichwertige Partner oder um ein einseitiges Macht­gefälle? Die wenigen Antworten auf diese Frage, die man in einem weiten Verständnis partizipatorisch bezeichnen könnte, unterscheiden sich unterein­ander in Ausgestaltung, Begründung und geschichtlichem Hintergrund erheb­lich. Knauer und Brandt (1998) haben vier solche historische Vorläufer Kor­czak, Summerhill, die deutsche Kinderladenbewegung und die italienische Reggio-Pädagogik zusammengestellt. Diese Vorläufer galten alle zu ihrer jewei­ligen Entstehungszeit als ‚radikale‘ Formen der Pädagogik und stießen daher auf großen Widerspruch. Anfügen möchte ich die Projektmethode, die im we­sentlichen von den Amerikanern Dewey und Kilpatrick ihren historischen Ausgangspunkt nahm und sich inzwischen in Deutschland sehr verbreitet hat. Bei all diesen unterschiedlichen Beispielen für eine pädagogische Praxis der Teilhabe zeigt sich die Abhängigkeit von kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten, sowohl in ihrer Entstehungszeit als auch der theoretischen und praktischen Fortentwicklung in der Rezeption. Gemeinsam ist allen Ansätzen ein Kinderbild, das auf den Rechten der Kinder beruht, der aufrichtigen und kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen pädagogischen Handeln.[126]

Janusz Korczak[127] plädierte vehement für die Rechte von Kindern und orientierte daran über 30 Jahre lang seine praktische pädagogische Arbeit in polnischen Waisenhäusern und Heimen. Seine Vorstellung des Rechtes von Kindern war eine der Achtung, die auf einer grundsätzlichen Liebe zu Kin­dern basierte. Korczaks Ziel war es, die Lebenssituation von Kindern zu erleich­tern – soweit es die damalige politische Situation zuließ. Seine Einstellung schlug sich auch in demokratischen Strukturen der Heime nieder.

Summerhill: Kinder brauchen Freiheit – diese Utopie hat Alexander S. Neill über 40 Jahre lang in seinem in England liegenden Internat Summerhill immer wieder von neuem zu verwirklichen versucht. Grundlage ist die Überzeugung, daß Freiheit nur entsteht, wenn sie sich in den Beziehungen zwischen Erwachse­nen und Kindern wiederfindet und in der Schule Strukturen der Mitgestaltung (Selbstregierung) geschaffen werden.[128] Das Aufwachsen in Freiheit sollte ausrei­chend dafür sein, daß die so Erzogenen eine menschengerechtere Zukunft schaffenwerden. Wie immer die Wirkung dieser Pädagogik auf die wenigen Schülerinnen und Schüler gewesen sein mag, die Bedeutung von Summerhill liegt vor allem darin, daß dieses Beispiel für gelebte Gleichberechtigung von Erwachsenen und Kindern weit über England hinaus auf pädagogische Vorstellungen verändernd gewirkt hat, z. B. auf die antiautoritäre Erziehung der 70er Jahre in Deutschland.

Kinderläden: Die in den Jahren 1968/69 in Deutschland zunächst vor allem im Kontext der antiautoritären Studentenbewegung entstandenen Kin­derläden thematisierten vor allem den Zusammenhang zwischen politischer Sozialisation und Pädagogik. Sie entfachten die Diskussion um die Klein­kinderziehung. Nichthinterfragte Erziehungsziele und -methoden gerieten in das Blickfeld. Ordnung, Sauberkeit, Autoritätsgläubigkeit und sexuelle Neu­tralität wurden als Leitziele der Pädagogik verneint. Obwohl die Beteiligung der Kinder in der pädagogischen Diskussion der Studentenbewegung nicht im Vordergrund stand, haben sich aus dieser Bewegung heraus inzwischen viel­fältige Formen der Kleinkindpädagogik entwickelt, die in ihren Strukturen eine Beteiligung aller fordern: Elterninitiativen basieren auf Verständigungs­prozessen von Kindern, Erzieherinnen und Eltern, die jeweils konkrete Betreu­ungsnotwendigkeiten und pädagogischen Wünsche der beteiligten, immer noch meist mittelschichtorientierten Eltern widerspiegeln.

Reggio-Pädagogik: Sie wurde in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia für kommunale Krippen und Kindertagesstätten entwickelt und bietet inter­essante Anregungen für die Beteiligung gerade junger Kinder, so daß sie als Modell und Vorbild inzwischen eine über die Grenzen Italiens hinausgehende Bedeutung gewonnen hat. In Deutschland wird es unter der Bezeichnung Reggio­pädagogik[129] rezipiert. Die Eltern und schulischen Erziehungspersonen in Reggio Emilia stellen die „Hundert Sprachen“ des Kindes in das Zentrum ihrer Pädagogik, denen es als Erwachsene zunächst zuzuhören und zu verstehen gilt. Kindern eigene Wege zu ermöglichen, die Erforschung ihrer Welt auf ihre Weise zu unterstützen – dies ist das Ziel der Kindergärten und -krippen in Reggio Emilia. Erziehung von Kindern ist keine Privatsache, sondern Aufgabe des Gemein­wesens. Damit wird der Dialog zwischen Eltern, Erzieherinnen und Erziehern sowie anderen Mitarbeitenden der Einrichtung, Bürgerinnen und Bürgern, Kunst­schaffende und Personen aus der Kommunalpolitik zum selbstverständlichen Bestandteil der Pädagogik. Die Einbindung von Kindern ins öffentliche Leben der Gemeinde ist von den Bürgerinnen und Bürgern gewollt und Gemeinwesen­arbeit damit nicht zur Methode verkürzt. Kinder werden ermutigt, Fragen zu stellen; diese sind dann die Ausgangspunkte der pädagogische Planung. Der Raum ist der dritte Erzieher (neben allen Erziehenden). Es geht den Pädagogen um die Gestaltung offener Lernorte inner- und außerhalb der pädagogischen Einrichtungen. Diese Lernorte können die Kinder selbständig nutzen. Alle Erwachsenen einer Einrichtung übernehmen Verantwortung für die pädago­gische Planung und Praxis. Insgesamt steht dieser Ansatz meiner Ansicht nach den Partizi­pationsprozessen im Kontext der Lokalen Agenda 21 besonders nahe, wie sie als Möglichkeiten und Ziele bereits oben beschrieben wurden.

Projektmethode: Sie gehört zweifellos zu den wichtigsten Ansätzen der pädagogischen Förderung des Partizipationsgedankens und hat bereits eine breite Umsetzung im schulischen Bereich als Projektunterricht und auch im nichtschulischen Bereich erfahren. Theorie und Praxis der Projektmethode haben viele Varianten hervorgebracht, in denen unterschiedliche pädagogi­sche und mehr oder weniger explizite politische Partizipationsvorstellungen zum Ausdruck kommen.[130] In der Umweltbildung galt die Projektmethode von Anfang an als der ideale, wenn auch noch zu wenig realisierte Ansatz.

Der wesentliche und heute noch wirksame Ursprung des Projektgedan­kens liegt in den Arbeiten von Dewey und Kilpatrick[131], die zu praktischen und theoretischen Fundierung dieser Methode einen wesentlichen Grundstock gelegt haben. Für die Partizipation im Kontext der Nachhaltigkeit sind gerade die Ursprünge interessant, weil sie als eine spezifische Methode der drei­fachen Veränderung verstanden werden, als Veränderung der Individuen im Sinne einer „menschlichen Entwicklung“, als Veränderung der Institution Schule und schließlich der Gesellschaft. Insofern ist es kein Zufall, daß nicht nur in der Phase der Entwicklung dieses Konzepts in den USA eine tiefe gesellschaftliche, insbesondere soziale Krise (des Industrie­systems) einen maßgeblichen Hintergrund der Entstehung dieses Konzept abgab, das Dewey u. a. auch demokratietheoretisch begründete (Dewey 1993). Auch bei einem Teil der jüngeren Rezeption in Deutschland seit Anfang der 70er Jahre spiel­ten vergleichbare gesellschaftliche und politische Motive eine Rolle.

Diese Vorgeschichte der Projektmethode macht sie auch zu einem wichti­gen methodischen Ansatz für den pädagogischen Umgang mit der aktuellen Krisen- oder Problemsituation und der nachhaltigen Entwicklung. (vgl. Becker 1998e). Eine projektorientierte Beschäftigung mit dem Geschehen vor Ort, ggf. in partizipatorischer Absicht, die Zusammenarbeit mit außerschuli­schen Organisationen und Initiativen, gilt nicht nur als wichtige Vorausse­tzung für erfolgversprechendere nachhaltige Umweltbildung bzw. Bildung für nachhaltige Entwicklung[132], sondern entspricht auch den zentralen Kriterien für reformorientierte Schulen: Öffnung des Unterrichts und der Schule.

3.9  Partizipationsidee in der Umweltbildung

Die These, daß die Partizipationsidee eine unverzichtbare Dimension einer zukünftigen Umweltbildung bzw. Bildung für nachhaltige Entwicklung darstellt, ist Ergebnis der neueren Diskussion zu diesem Thema.[133] Die aus­führlichen Erörterungen eines breiten Spektrums von Aspekten in diesem Kapitel bestätigen diese Position nachdrücklich. Außerdem gab es weniger weitreichende Vorläufer des Club of Rome (Botkin u. a. 1979) und aus der Bürgerinitiativ-, Öko- und Alternativbewegung Anfang der 80er Jahren.[134]

In der häufig kurz „Lernbericht“ genannten Schrift des Club of Rome (s. 2.2.1) wurde das „partizipative und antizipative Lernen“ als eine absolute, weltweite Notwendigkeit des menschlichen Überlebens propagiert. Die Begründung erfolgte aus der Einschätzung der mangelnden Reichweite von denjenigen politischen Maßnahmen, die der Club of Rome selbst ein paar Jahre vorher in seinem epochemachenden Werk über die „Grenzen des Wachstums“ (Meadows 1972)[135] forderte. Der Lernbericht scheint trotz seiner Plausibilität nur wenig pädagogische Konsequenzen im Sinne einer Partizipation bzw. Teilhabe gehabt zu haben.[136]

Als zweites Beispiel seien die ersten Empfehlungen für Umwelt(schutz)­erziehung genannt, die die erste Arbeitskonferenz der Deutschen UNESCO-Kommission Aufgaben der Umwelterziehung in der Bundesrepublik Deutschland und ihren Nachbarländern 1978 in München für Deutschland formulierte (s. 2.2). Die Empfehlungen enthielten Partizipationsmotive in einem spezifischen Sinne:

Die Beteiligung des einzelnen an umweltrelevanten Entscheidungsprozessen sollte institutionalisiert werden. Menschen sind am ehesten bereit, sich für Dinge einzusetzen, von denen sie unmittelbar betroffen sind. Daher sollte Umwelterziehung als Lernen von umweltgerechtem Verhalten im lokalen Erfahrungsbereich des einzelnen ansetzen und die Möglichkeit der Beteiligung an umweltrelevanten Entscheidungsprozessen einschließen. Die bisher praktizierten Beteiligungsmöglichkeiten reichen dazu nicht aus. Die bei vielen Bürgern vorhandene Bereitschaft zur aktiven Beteiligung an der Verbesserung der Umwelt sollte daher von Parlamenten und Verwaltungen unter dem Aspekt der lebenslangen Umwelterziehung anerkannt, unterstützt und weiterentwickelt werden. Dabei sollten Vorschläge zur Einführung von Planungszellen und Bürgerbüros geprüft und die damit bereits gesammelten Erfahrungen ausgewertet werden. (Eulefeld/Kapune 1979, S. 268)

Als drittes Beispiel möchte ich eine ganz andere Quelle des Partizipations­gedankens erwähnen: Ende der 60er Jahre entstanden in der Bundesrepublik Deutschland und vielen anderen Staaten die Studentenbewegung, die außerparlamentarische Opposition und – z. T. darauf aufbauend – die ab den 70er Jahren sich entwickelnden Bürgerinitiativ-, Öko- und Alternativbewe­gungen.[137] Es handelte sich um ein basisorientiertes Partizipationsverständnis, das Elemente der gesellschaftlichen Mit- bzw. Selbstgestaltung enthielt, aber teilweise auch radikale Opposition gegen die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, in der implizit ebenfalls sehr weitgehende und insgesamt vielschichtige Ansprüche auf Partizipation durch und nach gesellschaftlicher Veränderung steckten. Pädagogischer Ausdruck dieser Neue soziale Bewegungen genannten politischen Erscheinung, die einen Bruch bzw. eine Weiterentwicklung in dem bis dahin engen rein politisch-parlamentarischen Demokratieverständnis der Bundesrepublik markierten, war im Umweltbil­dungsbereich das Konzept des Ökologischen Lernens, das Anfang der 80er Jahre entstand.[138]

Trotz dieser Geschichte der Umweltbildung, in der der Partizipationsge­danke in den Theorien von Anfang an eine Rolle spielte, zeigt ein Blick auf die Praxis ein anderes Bild. Soweit in der Literatur dokumentierte Praxisbei­spiele für die gesamte Praxis aussagekräftig sind, muß man feststellen, daß der Partizipationsgedanke offenbar sehr selten umgesetzt wurde. Die unten zusammengestellte kleine Auswahl kann jedoch nicht beanspruchen, reprä­sentativ zu sein, da es keine systematische Erfassung der Praxis in Deutsch­land oder in anderen Ländern gibt, die vermutlich reichhaltiger ist.[139] Die in diesem Kapitel herausgearbeitete Pluralität des Partizipationsbegriffs spie­gelt sich auch in der pädagogischen Realität wider und z. T. auch bei den folgenden partizipatorisch angelegten Beispielsprojekten in ihren unterschied­lichen Begründungen, Zielen, Inhalten und Formen.

Man kann sich fragen, warum der von Anfang der Umweltbildung an formulierte Partizipationsgedanke und ‑anspruch in der Praxis, aber auch in einem großen Teil der konzeptionellen Überlegungen in Deutschland so sehr in den Hintergrund getreten ist. An dieser Stelle können nur Vermutungen über die Ursache angestellt werden: Sehr plausibel ist das Defizit für den schulischen Bereich, denn Partizipation widerspricht in fast jeglicher Form der traditionellen schulischen Struktur in Deutschland und der immer noch herrschenden einseitigen Fachorientierung. Erst in jüngster Zeit tritt mit der Tendenz der Öffnung der Schulen nach innen und außen eine Veränderung ein. Wirft man einen Blick auf die Kinderrechte in Deutschland und das kulturell verankerte Bild von Kindern als Nichterwachsene sowie ganz all­gemein auf das hiesige - historisch bedingt - sich erst spät entwickelnde demokratische Selbstverständnis (im Sinne einer Lebensform statt bloßer staatlichen Verfassung), dann mag dies ein zweites, tief sitzendes Hindernis, auch außerhalb der Schule darstellen.

Daher erstaunt nicht, daß eine der ersten Veröffentlichungen in Deutsch­land zu partizipatorischen Ansätzen der Umweltbildungspraxis aus England stammt, das dafür eine andere, günstigere schulische Tradition hat. Es ist wohl nicht zufällig, daß dieses Beispiel in einem Sammelband herausgegeben wurde, der nicht von Umweltpädagogen stammt, sondern von Umweltpsycho­logen. Aus deren Sicht lassen schon lange handlungsorientierte und partizipa­torische Ansätze eher Erfolge erwarten als Ansätze, die kognitiv verengt nur Umweltbewußtseinsbildung anstreben und sich ggf. in der Illusion wiegen, dadurch Verhalten maßgeblich verändern zu können.[140]

3.9.1  Beispiele

Fyson (1981) geht in seinem inzwischen 20 Jahre zurückliegenden Bericht aus England davon aus, daß „echtes Bewußtsein“ sich nicht auf Naturphäno­mene, Ökosysteme und die simplen Auswirkungen der Umweltverschmut­zung beschränken kann, sondern sich auf die Wohn- und Arbeitswelt, allgemein in einer urbanisierten Gesellschaft sich auf die städtische Umwelt beziehen muß. Statt „zentrale Einzellösungen dem Einzelnen aufzuzwingen“ muß Umweltbe­wußtsein für Fyson „menschenzentriert“ sein. Vielfältige Ansätze müssen zur Hebung des Umweltbewußtseins beitragen. Die Zunahme der Bedeutung der Partizipation impliziert eine Verflechtung der Umwelterziehung mit Entwick­lungsstrategien auf lokaler, regionaler und nationaler sowie globaler Ebene. Die Verbindung zwischen Umwelt und Entwicklung, der Lebensqualität und der gerechten Verteilung des Reichtums sollte ins Zentrum einer modernen Umwelterziehung kommen. Als Leitprinzip der städtischen Umwelterziehung sollte die Vorbereitung der Schüler auf eine aktive Rolle bei der Erschaffung seiner Umwelt und einer partizipatorischen Gemeinschaft dienen und dabei „möglichst praktische Arbeit in der Umwelt und akademische Arbeit im Klassenzimmer umfassen“, die auch Beiträge von Geschichte, Kunst und Sozialkunde einschließt. Ein fragender statt nur beantwortender pädagogi­scher Ansatz wird der Schülerschaft viel eher als die konventionellen Metho­den den Grundwortschatz und die Konzepte sinnvoller Partizipation vermit­teln.[141] Es sei einmal dahin gestellt, wie sich diese Vorstellungen in England entwickelt haben,[142] immerhin bietet die Community-Education in England hinsichtlich des schulischen Bereichs eine günstigere Basis für partizi­patorische Ansätze.[143]

1994 fand eine zentrale umweltpädagogische Tagung in Hamburg statt, die unter anderem vom BMBW (Bundesministerium für Bildung und Wis­senschaft) getragen wurde. Es ging dort um eine Bilanz aus den Modell­versuchen der BLK (Bund-Länder-Kommission) der vorausgegangen Jahre. In einigen einleitenden Hauptreferaten wurde erstmals die Konferenz in Rio 1992 sowie der Begriff nachhaltige Entwicklung und seine mögliche Bedeu­tung für die Weiterentwicklung der Umweltbildung thematisiert. Vermutlich ist es kein Zufall, daß sich im Tagungsband (Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften 1995) allein drei Referate bzw. Aufsätze aus der Praxis finden lassen, die schon im Titel den Begriff partizipatorisch enthalten. Ein Blick in Bibliographien der Umweltbildung zeigt, daß der Begriff bis dahin in Titeln von Aufsätzen und Büchern kaum vorkam. Die Lektüre dieser drei Beiträge im Tagungsband zeigt Unklarheiten und deutliche Unterschiedlich­keiten der Verwendung des Begriffs:

Hollman (1995), der eine vierphasige Entwicklung an Hamburger Schu­len vom Unterricht an außerschulischen Lernorten, über das Einrichten von Biotopen auf dem Schulgelände, zu einem Handeln für eine umweltverträg­liche Schule und schließlich zu einem Arbeiten in regionalen und überregio­nalen Netzwerken (G.R.E.E.N.) beschreibt, scheint erst in dieser vierten Phase partizipatorische Ansätze „zur Entlastung in der Kommune bzw. in der Region“ und „in Form überregionaler Schüler-Workshops bzw. Schüler-Workcamps (z. B. im Rahmen von Projektreisen oder beim Schüleraus­tausch)“ (Hollmann 1995, S. 91/93) zu sehen. Dabei bieten schon die anderen Phasen genügend Gelegenheiten für „echte“ Partizipation in und außerhalb der Schule. Offenbar wurde der Unterricht nur handlungsorientiert im Sinne individuellen Verhaltens ausgelegt.

Das nordrhein-westfälische Rahmenkonzept „Gestaltung des Schullebens und Öffnung der Schule (GÖS)“ bezieht sich auf die Bereiche Unterricht, Schulleben, Schule und Umfeld sowie Schule als Begegnungsstätte. Die all­gemeine Beschreibung der Praxis dieses Konzepts sowie seine Umsetzung an einem herausragenden Gymnasium zeigt Ansätze partizipatorischer Umwelt­bildung, allerdings wird begrifflich keine klare Abgrenzung zu bloßer Hand­lungsorientierung vorgenommen (Rolfs 1995).

Klarer betont werden partizipatorischen Elemente von Crost (1995) in seiner kurzen Darstellung einiger Frankfurter Ansätze. Insbesondere zu erwähnen ist das überregional bekannte Projekt „Kinder planen ihren Stadt­teil“ und das anspruchsvolle Programm „Umweltlernen“, das sich aufgrund von Sparmaßnahmen nicht in den geplanten Formen entfalten konnte.[144]

Besonders erwähnt werden muß noch ein großes, eher theorie- und konzeptorientiertes interdisziplinäres Projekt an der Universität Hamburg, das von der Bund-Länder-Kommission (BLK) gefördert wurde und dessen Ergeb­nisse ab 1992 in etlichen Publikationen veröffentlicht wurden.[145] In unter­schiedlicher Ausgestaltung wurde hier großstädtische Planungspartizipation mit dem Ziel der Umweltvorsorge in den Mittelpunkt eines umweltpädago­gischen, lernortbezogenen Konzepts für unterschiedliche Adressatengruppen gestellt. Es handelt sich um das bis dahin wissenschaftlich am weitesten ausgearbeitete Konzept eines lokal-partizipatorischen Ansatzes.[146]

In vergleichbare Richtung geht der sozio-ökologische Ansatz der Schwei­zerin Kyburz-Graber, der vor dem Hintergrund der Kritik an den verbreiteten Ansätzen mit individualistischer Handlungsorientierung, soziale Handlungs­situationen im Umweltbereich und im Bereich nachhaltiger Entwicklung zum Ausgangspunkt von erfahrungsbezogenem Lernen in einer partizipativen Lehr-Lern-Kultur und mit der damit erheblich verbesserten Chance auf per­sönliche Sinnfindung der Lernenden nimmt. In ihren Leitvorstellungen und Grundsätzen für Umweltbildung setzt sie sich deutlich von rein aktionisti­schen Ansätzen ab und betont eine Reflexionsorientierung (Wahr-Nehmen, Nach-Denken, Hinter-Fragen, Bewerten, Urteilen, Kommunizieren, Ertragen von Spannungen), für die die Autorin in pädagogischen Situationen eine Not­wendigkeit und Chance gegenüber gesellschaftlichen Ernstsituationen sieht. Partizipation wird konsequenterweise auch auf den curricularen Forschungs- und Entwicklungsprozeß bezogen, also auf die enge Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Schulen (Kyburz-Graber 1997a, 1997b u.1998).

Auch die in Kapitel 2.7.6 erwähnten geförderten Modellprojekte einer stadtbezogenen Umweltbildung in Berlin, Marburg, Hannover sowie in Osna­brück (s. 3.9.2) beinhalten unterschiedliche partizipatorische Elemente.

3.9.2  Osnabrück

Auch bei den folgenden Osnabrücker Beispielen[147] zeigen sich ganz unter­schiedliche Bedeutungen und Felder einer praktizierten Partizipation – der Begriff selbst wird bisher jedoch kaum verwendet.

Das erste Osnabrücker Beispiel entstammt dem in 2.8.3 vorgestellten reformpädagogischen Konzept des Regionalen Lernens und seiner prakti­schen Umsetzung im Lernstandort Noller Schlucht. In der identitätstheore­tischen Begründung dieses Konzeptes von Salzmann, das dieser Einrichtung zugrunde liegt, kann man implizite Argumente für Partizipation erkennen, ohne daß der Begriff im Rahmen einer reformpädagogisch geprägten Termi­nologie verwendet wird (vgl. Salzmann 1989c und 2.7.7). In dem groß angelegten Entwicklungs- und Forschungsprojekt „Renaturierung des Noller Bach-Tals“ wurde über fünf Jahre eine Art Partizipation von Schulkassen praktiziert, die aus 25 Schulen aller Schularten der Region Osnabrück stamm­ten.[148] Inhaltlich-fachlich ging es um die naturnahe Gestaltung des für die Renaturierung vorgesehenen Areals (ca. 14 ha) im Noller Bach-Tal im Teuto­burger Wald bei Dissen. Faktisch handelte es sich auch um die Partizipation einer Bildungseinrichtung mit den zuständigen Behörden des Landkreises Osnabrück und der Gemeinde Dissen. „Das eigentliche Ziel des Projektes sind aber die dabei zu entwickelnden Kompetenzen der beteiligten SchülerIn­nen, Jugendlichen und Erwachsenen, ihre Sensibilisierung für Umwelt- und Naturschutzfragen durch die Einbeziehung in konkrete Planungs- und Hand­lungsprozesse.“ Nach anfänglichen „Bestandserhebungsmaßnahmen“ und Entwicklung von Veränderungsvorschlägen und Plänen ging es um Umgestal­tungsarbeiten des Baches („Eingreifprojekte“), um Überprüfungen der Arbei­ten („Kontrollprojekte“) und eventuelle Korrekturen. Alle Schritte wurden von den Kindern bzw. Schulklassen mit Verantwortung für festgelegte Bachabschnitte und unter fachkundiger Anleitung durchgeführt. Ohne den genauen Ablauf der Projektarbeiten von außen im Einzelnen zu kennen und von daher die Rollenverteilung zwi­schen Projektmitarbeitern, Lehrern, Exper­ten und Schülern – differenziert nach Altersstufen, Schularten, Anspruchs­niveaus – genauer beurteilen zu können, kann man in jedem Fall von einer außergewöhnlichen Partizipation sprechen, auf dessen Evaluationsergebnisse man gespannt sein kann. Interessant wird es sein, inwieweit es gelingt, bei den beteiligten Schülerinnen und Schülern, die z. T. aus dem 30 km weit entfern­ten Osnabrück oder anderen Gemeinden stammen, anhaltende regionale Iden­tifikationen zu schaffen. Ein typisches Problem für solche innovativen Groß­projekte besteht darin, daß die Durchführung sehr aufwendig und auf externe finanzielle Förderung – hier der Deutschen Bundesstiftung Umwelt – ange­wiesen ist. Wie geht es danach weiter, können anspruchsvolle Partizipations­projekte im ‚Alltag‘ von Schulen überhaupt realisiert werden? (vgl. 5.10)

Ein ganz anderes, schulisches Einzelprojekt mit partizipatorischer Aus­richtung ist aus dem Kontext meines eigenen Arbeitsbereichs entstanden. Ausgangspunkt war eine Zukunftswerkstatt[149] zum Thema „Wir planen unseren Stadtteil“, die Schriever Anfang 1998 mit großem Erfolg in einer Grundschulklasse (4. Jahrgang) durchführte.[150] Die anschließende öffentliche Wirkung und Aufmerksamkeit führte schließlich im Kontext des Osnabrücker LA-21-Prozesses, der seinerseits an ‚vorzeigbaren‘ pädagogischen Projekten interessiert ist, zu der Verleihung eines ersten Preises der „Osnabrücker Kinderkommission“. Die damit verbundene Förderung ermöglichte eine Fort­setzung der Arbeit und versetzte ihr einen großen Impuls bei den beteiligten Klassen. Inzwischen waren noch weitere Grundschulklassen (2. Jahrgang) hinzugekommen und es ging konkreter um die Planung und Realisierung eines Kinderspielplatzes. Spätestens mit dem Auftauchen erster Widerstände auf Seiten der Kommunalverwaltung und Widersprüchen zwischen verschie­denen Ämtern, fand faktisch ein Einstieg in die ‚reale Kommunalpolitik‘ statt. Bis zu den Sommerferien 1999 konnte der neu angelegte öffentliche Spiel­platz in der Nähe der Schule erfolgreich realisiert werden. Trotz des Erfolges zeigten sich auch deutliche Grenzen und Probleme eines solchen partizipa­tiven Vorgehens, insbesondere Grenzen der Bereitschaft von Politik und Verwaltung, Partizipation zuzulassen. Von daher erscheint eine etwaige mehrfache Wiederholung ähnlicher Projekte oder gar die Etablierung partizi­patorischer Formen für Schulklassen zumindest schwierig.

Unsere Pädagogische Umweltberatung in Schulen (PUBS)[151] hat sich die Initiierung, Beratung und praktische Unterstützung der ökologischen Umge­staltung von Schulen und des Schullebens (Energiesparen, Müllprobleme, Schulhofgestaltung u. a.) zur Aufgabe gemacht. Ein Aspekt ist dabei das Prin­zip der Partizipation aller Beteiligten, von der ein großer Teil des Erfolges der jeweiligen Maßnahmen abhängt. Das Prinzip der Partizipation ist auch ein Ziel des seit 1988 kontinuierlich arbeitenden Forschungs- und Entwicklungs­projektes NUSO[152]. Wir haben uns die Aufgabe gestellt, auf verschiedenen Ebenen insbesondere partizipative Umweltbildung zu unterstützen, lokale Partizipation im Umweltbildungsbereich im Rahmen lokaler Vernetzung in Osnabrück zu fördern und selbst an der Osnabrücker Bildungspraxis und ihrer Gestaltung als Akteur teilzuhaben. Dies geschieht auch im Rahmen der Osna­brücker LA 21 (s. 1.6). Die seit vielen Jahren intendierte Partizipation von Lehrkräften an lokaler Curriculumentwicklung erweist sich jedoch unter gegebenen schulischen Bedingung als schwer realisierbar, sobald die Parti­zipation über Einzelprojekte und ‑themen oder Lehrerfortbildungsveranstal­tungen mit inhaltlichen Themen hinausgeht, die wir in den letzten Jahren zu lokalen Themen regelmäßig durchgeführt haben. Schließlich gehört in meiner Praxis als Lehrender an der Universität Osnabrück Partizipation der Studie­renden auf der Ebene der Mitgestaltung der Lehre zum konstituierenden Bestandteil meiner Arbeit. Dies trifft besonders bei den in fast jedem Seme­ster seit 1974 angebotenen projektartigen Lehrangeboten zu, die seit etwa 1978 ihren Schwerpunkt im Umweltbereich und mit lokalen Bezug haben.[153]

3.10  Konsequenzen und Bedingungen

Auch wenn in Deutschland eine Partizipationskultur sowohl im politischen als auch im pädagogischen Bereich noch unterentwickelt ist, gibt es dennoch viele positive Versuche und Entwicklungen, die aber bisher allzusehr vonein­ander isoliert sind und sich deshalb kaum gegenseitig verstärken können. Ungünstig für eine Fortentwicklung der Partizipation sind rechtliche Ein­schränkungen von Partizipationsmöglichkeiten in einigen politischen Berei­chen. Dagegen muß man aus dem empirisch feststellbaren, rückläufigen Interesse an politischer Mitgestaltung bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht auf generell fehlende Partizipationsbereitschaft schließen. Es kann sich um ‚Politikverdrossenheit‘ gegenüber den derzeitigen politischen Eliten handeln, die nicht notwendig einem Engagement in bürgernäheren Bereichen wider­sprechen muß. Unterschiedliche Interpretationen ruft auch die tieferliegende Tendenz der „Individualisierung“ hervor: Beck (1997) leitet daraus nur ab, daß Bürgerinnen und Bürger sich immer weniger in dauerhaften Partizipa­tionsformen in festen Gruppen, Verbänden usw. engagieren wollen. Diese Tendenz trifft noch stärker bei den nachwachsenden Generationen von Kin­dern und Jugendlichen zu.[154] Deshalb reicht es nicht, wenn in den LA-21-Prozessen Partizipationsmöglichkeiten in traditionellen Formen angeboten werden. Dies zeigen auch die Erfahrungen in vielen Städten Deutschlands (vgl. 3.5.2). Andererseits ist wahrgenommene Partizipation keine Garantie, daß sie von den jeweiligen Akteuren nicht einseitig eigennützig erfolgt.

In allen gesellschaftlichen Bereichen müssen deshalb neue Formen der Partizipation, die auch den Bildungsbereich umfassen sollten, angeboten und erprobt werden: Bürgerentscheide, Runde Tische, Mediationsverfahren, Zukunftswerkstätten, Kinderforen, lokale Medienöffentlichkeit (Zeitung in der Schule, lokale Bürgersender,  Internet,...), selbstorganisierte Dienstlei­stungen u. a. Im pädagogischen Bereich müssen positive Partizipations­erfahrungen ermöglicht werden, um überhaupt Interesse und Bereitschaft an einer gesellschaftlich notwendigen Partizipation zu wecken. Nur wenn die Schülerinnen und Schüler als Subjekte ernst genommen werden, wenn sie positive Erfahrungen von Mitgestaltung erleben, wenn sie dabei Regeln der Partizipation erlernen und erproben, wenn dadurch Visionen eines demo­kratischen Zusammenlebens plausibel und schließlich erstrebenswert erschei­nen, wenn verschiedene Kompetenzen zur Partizipation erworben werden, besteht die Chance, daß partizipatives Lernen einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung einer gesellschaftlichen Partizipationskultur leistet.

Reißmann (1998b, S. 68) nennt als Elemente einer Partizipationskom­petenz unter anderem folgende Elemente: Bedeutungs- und Regelwissen, d. h. Zugang, Auswahl und Bewertung von Informationen, einschließlich Medien­kompetenz; systemisches und antizipatorisches Denken; Moderationsfähig­keiten; Präsentationsfähigkeiten von Wissen; Fähigkeit des Umgangs mit Experten; Kommunikationsfähigkeit, Konstruktives Streiten/ Konfliktfähig­keit; Kooperationsbereitschaft und ‑fähigkeit. De Haan (1998a) beschreibt z. T. etwas weitergehend fünf Kompetenzen, die zur Partizipation an der „Gestaltung der Kultur der Nachhaltigkeit“ erforderlich sind: Verständigungs­kompetenz, Vernetzungs- und Planungskompetenz, Solidaritätskompetenz (als Willen das normative Ziel umfassender inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit zu erreichen); Motivationskompetenz (als Fähigkeit sich selbst zu motivieren und Freude daran zu empfinden, sich auf ein Leben unter den Prämissen der Nachhaltigkeit einzulassen) und Reflexionskompetenz. Zur Realisierung solcher Kompetenzen wird es entscheidend sein, inwieweit es gelingt, an vorhandenen, positiven Tendenzen der Motive der Menschen anzuknüpfen: Ein Beispiel ist der Wunsch nach Gemeinschaftlichkeit, der offenbar als Begleittendenz zur Individualisierung durchaus vorhanden ist. Zwei weitere Beispiele sind die bei vielen Menschen vorhandenen Veranke­rungen der Gedanken der Gerechtigkeit und der Naturbewahrung, die ganz unterschiedliche motivationale Hintergründe haben kann. Kompetenzen kön­nen nicht abstrakt vermittelt werden, sondern sollten situations- und hand­lungsorientiert, d. h. anhand lokaler Beispiele erworben werden.[155]

Mit der realen Entfaltung einer gesellschaftlichen Partizipationskultur in Richtung einer Zivil- oder Bürgergesellschaft steigen auch die Erfolgs­chancen von partizipativem Lernen. Wichtiger ist hier der umgekehrte Zusammenhang. Innerhalb des Bildungssystems wird es für die Etablierung einer partizipativen Kultur der Nachhaltigkeit darauf ankommen, an Trends anzuknüpfen, die bereits oben beschrieben wurden: Autonomie der Schule, Öffnung der Schule zur Kommune, Schule als sozialer Erfahrungsraum und lokal orientierte Diversifizierung der Curricula (vgl. auch 5.9.7).

Eine Schule, die sich ein Profil der Nachhaltigkeit (Agenda-Schule) zulegen will, steht grundsätzlich und potentiell vor folgenden Entwicklungs­aufgaben[156]; sie muß

         sich in mit der Ökologisierung der Schule (Energie,...) beschäftigen[157]

         die Curricula im Sinne ökologischer bzw. nachhaltiger Themen neu konstruieren (mit all den Schwierigkeiten den hochkomplexen Bereich der Nachhaltigkeit in die Schule hineinzutragen)[158]

         im methodischen Bereich neue innovative Lernformen entwickeln und er­proben, beispielsweise Zukunftswerkstätten und Konferenzen, Planungs­zirkel und ‑zellen, Szenario-, Simulationstechniken und Planspiele (s. Harenberg 1996, S. 13f und 5.9.3)

         Prinzipien sozialer Gerechtigkeit zum Ausdruck verhelfen

         Wirtschaftlichkeits- und Effektivitätsaspekte entwickeln und umsetzen

         vor allem eine schulische Partizipationskultur entwickeln, die all diese Bereiche umfaßt und den außerschulischen Bereich des Stadtteils oder der ganzen Kommune bis hin zur Lokalen Agenda 21 und ihren Akteuren mit einbezieht

         Verknüpfung mit anderen, insbesondere sozialpädagogischen Ansätzen der Partizipation außerhalb der Schule vornehmen.

Da sich trotz aller notwendigen und sinnvollen Bemühungen der Verständi­gung in der Regel keine Einheitlichkeit der Auffassungen und Ausrichtungen der Schulen herstellen läßt, ist konsequente Partizipation in allen Dimensio­nen das notwendige anzustrebende Ziel. Dies impliziert, daß die angestrebte Partizipationsfähigkeit in neuen, und auch viel differenzierteren Kontexten und Formen als bisher erworben werden müßte. Daraus folgt:

These 3.17    Zur Förderung der Partizipation in der Schule ist ein vielfäl­tiges Angebot an Partizipationsmöglichkeiten und ‑formen zu entfalten.

Eine solche schulische Entwicklungsperspektive ist hinsichtlich der partizipa­tiven Seite an Voraussetzungen gebunden: Partizipationskompetenzen sind von den Lehrkräften nicht bloß zu vermitteln, sondern sie benötigen selbst solche und weitere Kompetenzen.[159] Die Lehrerinnen und Lehrer müssen

         sich mit der Bedeutung einer gleichberechtigten Beziehung zwischen erwachsenen und jungen Menschen auseinandergesetzt haben

         politische Reflexionsfähigkeit über das partizipationsfördernde Handeln und Verhalten verfügen

         Beteiligungsprozesse initiieren und begleiten können

         zielgruppen- und beteiligungsorientiert planen können

         statt Fachkraft für die Behandlung von Kindern, eher und vor allem Fachkraft im Zuhören und Übersetzen von kindlichen Ausdrucksformen sein können

         über ein großes Repertoire an Methoden, insbesondere hinsichtlich neuer partizipativer Ansätze verfügen und diese situationsorientiert einsetzen können[160]

         über kommunikative Kompetenzen und Argumentationsfähigkeit verfügen

         den Mut zu kontroversen Auseinandersetzungen haben, also über Kon­fliktbereitschaft, aber auch Konfliktlösefähigkeit verfügen

         Selbstvertrauen und die Fähigkeit zur Selbstkritik besitzen

         genaue Kenntnis des Gemeinwesens/Stadtteils und der Kinder und Jugendliche haben.

Solche Fähigkeiten müssen in der Aus- und Fortbildung und durch Praxis­erfahrungen erworben werden. In dem Maße wie sich die Partizipationspraxis in der Institution oder darüber hinaus erweitert, handelt es sich um Kompe­tenzen, die tendenziell auch andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Einrichtungen benötigen, sowohl hinsichtlich der pädagogischen Arbeit als auch im eigenen Interesse. Für den Bereich der Schule impliziert dies ein neues institutionelles Selbstverständnis (vgl. 5.10.2, 5.10.3) und auch eine Aufgabe für eine moderne und zukunftsorientierte Theorie der Schule. Wie schon mehrfach herausgestellt wurde, sind zur Sicherung und Ausdeh­nung partizipativer Prozesse zusätzlich neue Formen der Institutionalisierung von initiierenden, koordinativen und inhaltlich-unterstützenden Dienstlei­stungsangeboten auf lokaler Ebene erforderlich, z. B. Agenda-Büros, Städti­sche Umweltbildungszentren o. ä.[161]

Trotz der in diesem Kapitel konstatierten erheblichen Defizite bei der praktischen Umsetzung des Partizipationsgedankens, scheint er insgesamt in etlichen Subdisziplinen der Pädagogik und des Bildungsbereichs an Ver­breitung zu gewinnen.



[1]     Selbst sozialwissenschaftlichen Analysen dürfte es schwer fallen, diese Prozesse und ihre Ergebnisse einigermaßen zuverlässig zu prognostizieren. Einschätzung auf Basis eines Stu­diums einschlägiger Literatur werden zudem erschwert, da es einzelne gesellschaftlich sehr wirkungsmächtige Positionen geben mag, die vielleicht nicht explizit oder gar in wissenschaftlich begründeter Form vorliegen.

[2]     Vgl. das bereits erwähnte, langfristig angelegte Programm zur Umweltbildungsforschung der AG Umweltbildung der DGfE, abgedruckt in Haan/Kuckartz (1998a, S. 261-270). Verwiesen sei dazu auch auf das Jahresgutachten 1994 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU), auf die 1994 und 1996 publizierten Gutachten des Wissenschaft­lichen Beirates für Globale Umweltfragen (WBGU) und den Wissenschaftsrat (1994). Überall wird für eine intensive Umweltbewußtseins- und -bildungsforschung plädiert.

[3]     Auch die sich seit Oktober 1998 im Amt befindliche „rot-grüne“ Bundesregierung hat bisher kaum neue Impulse gesetzt oder geplant.

[4]     Vgl. insbesondere in 2.6.4 und 2.9 und These 2.5.

[5]     Neben der Agenda 21 hat die Weltkonferenz von Rio die Janeiro im Jahre 1992 noch drei Konventionen verabschiedet: die Klimaschutz-, Artenschutz- und Waldkonvention. Darin ver­pflichten sich die Staaten, die Emissionen von Treibhausgasen weltweit auf den Stand von 1990 zurückzuführen, festgelegte Schritte gegen die Abnahme der Biodiversität durchzuführen und die Regenwälder zu schützen und ökologisch zu bewirtschaften. Diese Konventionen sind im Unterschied zur Agenda 21 völkerrechtlich verbindlich. Auch ist die Deklaration von Rio zu erwähnen, die 27 Prinzipien für eine Grundlegung der die allgemeinen Ziele des Sustainable Development darstellenden ökologischen Rechte und Pflichten der Menschheit enthält.

[6]      NGOs (= Nongovernmental Organizations) sind die neuen, organisierten Akteure, die auf globaler Ebene bereits kräftig das Geschehen mitbestimmen und dadurch dabei sind, welt­weit ein neues Politikmodell zu etablieren, aber auch lokal stärker Bedeutung zu gewinnen. In der deutschen Übersetzung der Agenda 21 wird zutreffender von nichtstaatlichen Orga­nisationen gesprochen bzw. von Nichtregierungsorganisationen (NROs).

[7]      Für die elementaren Informationen zur Agenda 21 und ihrer Vorgeschichte gibt es unterschiedliche Quellen; eine besonders übersichtliche Darstellung findet sich in Heim­volkshochschule Stephanstift (1997), auf die ich mich hier mehrfach beziehe. Die Entwick­lung der Idee und des Begriffes Sustainable Development und die Analyse der dahinter stehenden realen Probleme findet sich differenziert bei Kopfmüller (1993).

[8]      1970 gab es auch schon Konferenzen der UNESCO (Man and Biosphere) und der World Conservation Union (s. Michelsen 1998b, S. 27 u. Knoll, J. 1997).

[9]     Weitere ähnliche und einflußreiche Studien folgten, z. B. in den USA Global 2000 (1981) und in der damaligen UDSSR Bestushew-Lada (1986). Eine kritische Bilanz verschiedener Weltmodelle dieser Zeit findet sich bei Grün/Wiener (1984).

[10]   Dies wurde auch der internationale Startimpuls für die Environmental Education und weiteren internationalen Konferenzen, z. B. in Tiflis 1978 (UNESCO 1979). Für Deutschland formu­lierte in München im gleichen Jahr eine Tagung erste Empfehlungen für Umwelt(schutz)erzie­hung (s. 2.2), in denen – wie ich bereits eingangs dieses Kapitels erwähnt habe – auch bereits Partizipationsmotive eine Rolle spielten.

[11]    Dieses scheint mir über den Nord-Süd- Konflikt hinaus ein Problem der Konkurrenz zwi­schen den Mitgliedskirchen zu sein, ihrer wenig demokratischen Strukturen und ihren unter­schiedlichen, stark normativ-religiös geprägten Grundlagen, die Kompromisse sehrerschweren. Informationen zum konziliaren Prozeß finden sich bei Goßmann (1999) und Sauer (1999).

[12]    Dies ist die deutsche Fassung des Brundtland-Berichts.

[13]    Darunter waren die International Union for the Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) mit ihrer World Conservation Strategy von 1980, die erwähnte World Commission on Environment and Development (WCED) unter Leitung von G. H. Brundt­land, die ihren Endbericht 1987 vorlegte, das United Nations Environment Programm (UNEP), der World Wildlife Fund (WWF), die Weltbank, die US Agency for International Development, vergleichbare Institutionen aus Kanada und Schweden, das World Resources Institute, das International Institute for Environment and Development und Bürgerinitia­tiven-Vereinigungen wie die Global Tomorrow Coalition (GTC), s. Huber (1995b).

[14]   Die Commission for Sustainable Development (CSD) wurde 1992 in Rio de Janeiro von der UN gegründet. 53 Staaten gehören der CSD an. Sie soll den Stand der weltweiten Bemühun­gen ständig bilanzieren, die Regierungen zum stärkeren Engagement im Kontext der – völker­rechtlich nicht verbindlichen – Agenda 21 gewinnen, die Arbeit der interna­tionalen Gremien vernetzen und in ihrem inhaltlichen Arbeitsprogramm systematisch die einzelnen Themen der Agenda 21 bearbeiten. Im Jahr 2000 stehen die Handels- und Finanzpolitik, Landwirtschaft sowie Wälder auf der Tagesordnung (Forum Umwelt & Entwicklung 1999, S. 8).

[15]   Zu den meisten dieser Aktivitäten hat in Deutschland das Forum Umwelt & Entwicklung (weitere Informationen in Fußnote 21), auf das weiter unten noch eingegangen wird, um­fangreiches Material herausgebracht und sich selbst an der konzeptionellen Entwicklung und Vorbereitung in Deutschland maßgeblich beteiligt. Kurzinformationen sind in WBGU (1997) in dem Kapitel über internationale Politik zum Globalen Wandel zu finden.

[16]   Wegen der angestrebten Verteilungsgerechtigkeit müßte es eigentlich besser, aber um­ständlicher heißen: Sustainable and Equitable Development.

[17]   Vgl. die inzwischen in Deutschland vorliegenden Studien zur nachhaltigen Entwicklung: BUND/MISEREOR (1996), Umweltbundesamt (1997) u. a. Wilhelmi (1998, 238f) nennt weitere Studien, unter anderem von der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik und dem Umweltverband WWF und betont die konzeptionelle Unterschiedlichkeiten („viele Wege führen nach Rom ...“).

[18]   Differenziertere Kritik äußerte beispielsweise Kopfmüller (1995, S. 113) und findet sich in weiteren Aufsätzen derselben Zeitschrift: Wechselwirkung 61 (1993). Bis heute gibt es grundsätzliche bis ablehnende Kritik am Sustainable Development, meist aus der Perspektive der entwicklungspolitischen Gruppen (vgl. Eblinghaus/Stickler 1996).

[19]    Vgl. dazu Renn (1996a, S. 97ff), der die vor allem in den USA entwickelten theoretischen Ansätze als verkürzt kritisiert.

[20]    Zur Demokratiefrage in einer nachhaltigen Entwicklung s. z. B. Burmeister/Canzler (1996), Politische Ökologie 46 (1996).

[21]    Zur Verbesserung der Durchsetzungschancen der Belange der NGOs im weltweiten Agen­da 21-Prozeß wurde in Deutschland mit dem Forum Umwelt & Entwicklung schon 1992 ein Dachverband gegründet, der zu etlichen Themen Arbeitsgruppen gebildet hat, um mit dem gebündelten Sachverstand der mindestens 35 beteiligten Verbände aus dem ökolo­gischen, entwicklungspolitischen, kirchlichen und Jugendbereich Konzepte und Strategien zu ent-wickeln. Die zentrale Projektstelle in Bonn, die vom Deutschen Naturschutzring (DNR), dem Dachverband der Umweltverbände, getragen und vom BMU und BMZ finan­ziell gefördert wird, ist einerseits Instrument der Partizipation der NGOs auf nationaler, europäischer und global-internationaler Ebene, andererseits Instrument der Vernetzung zwischen dem umwelt-politischen und entwicklungspolitischen Bereich, die für die Nach­haltigkeit konstitutiv ist. Ohne diese Projektstelle wäre eine entsprechende inhaltliche Arbeit von den beteiligten Einzelverbänden kaum zu leisten, ebensowenig die Zusammen­arbeit und internationale Präsenz. Der menschenrechtliche Teil der Verbände fehlt bislang. Obwohl sich die Projektstelle auch die Koordination „bestimmter Bereiche der Informa­tions- und Bildungsarbeit“ zur Aufgabe gemacht hat, ist über den Deutschen Volkshoch­schulverband hinaus der Bildungsbereich nur ungenügend vertreten.

[22]   Eine differenzierte Sichtweise findet sich in Politische Ökologie (1997b) Weitere Einschät­zungen finden sich in Forum Umwelt & Entwicklung (1997b) und weiteren Ausgaben dieses Rundbriefes seit 1997.

[23]    Während in der älteren, aber noch nicht überwundenen Nord-Süd-Konfrontation die Indu­striestaaten den primären Handlungsbedarf in den Entwicklungsstaaten sahen (Eindäm­mung des Bevölkerungswachstums usw.), warfen die Entwicklungsstaaten den Industrie­staaten vor, Hauptverursacher der ökologischen Probleme zu sein mit der Konsequenz auch die Hauptlasten einer Veränderung tragen zu müssen (s. Kopfmüller 1993).

[24]   Man vergleiche die bescheidenen Versuche der seit Oktober 1998 im Amt befindlichen neuen ‚rot-grünen‘ Bundesregierung in Deutschland oder ähnliche Bestrebungen in ande­ren Staaten der Europäischen Union bzw. der EU als Gesamtheit.

[25]    Die drei Dimensionen werden unterschiedlich bezeichnet. Bolscho/Seybold (1996, S. 73) sprechen von Ökologie, Wirtschaft und Gesellschaft, wobei die letzte Dimension Ökologi­sche Wohlstandsmodelle, Generationenvertrag, Welt-Umweltbewußtsein enthalten soll.

[26]   Mit solchen Fragen, die dem herrschenden Wissenschaftsverständnis widersprechen, und den Konsequenzen wird sich Kapitel 4 dieser Arbeit (Konstruktivismus) beschäftigen. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, daß auch die Kultur- und Sozialwissenschaften im Nachhaltigkeitsdiskurs eine größere Rolle spielen müßten als ihnen gemeinhin zugestanden wird (vgl. Renn 1996a, S. 105ff). Die Umweltpsychologin Kruse-Graumann (1996, S. 123f) fordert, daß alle Humanwissenschaften, einschließlich der Pädagogik zum Prozeß der nach­haltigen Entwicklung beitragen müßten.

[27]   Gelegentlich wird deshalb die kulturelle Dimension als vierte Dimension hinzugenommen, z. B. Michelsen (1998b), Koschnick (1999).

[28]    Vgl. z. B. Walzer (1996) oder Mokrosch/Regenbogen (1999), die vorrangig philosophische Fragen der Gerechtigkeit - insbesondere Gerechtigkeit und Verantwortung für zukünftige Generationen - und pädagogische Fragen der Gerechtigkeitserziehung (u. a auf Basis der entwicklungspsychologischen Theorie der moralischen Entwicklung von Laurence Kohl­berg) behandeln. Ansonsten gibt es eine umfangreiche ‚Öko-Ethik‘-Literatur und die noch wenigen Publikationen zu einer nachhaltigen Ethik, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Sie spielt als Sustainability-Ethos beim Sachverständigenrat (SRU 1994) eine zentra­le Rolle. Auf schwierige Probleme einer intergenerationellen Gerechtigkeit hat de Haan (1996a) verwiesen und empirisch Kuckartz (1998). Einige Beiträge aus dem umweltpäd­agogischen Bereich wurden in 2.7.5 vorgestellt. In meinem eigenen, älteren Ansatz einer sozialökologischen Ethik (Becker 1989a) wurde aus damaliger Sicht die soziale Diffe­renzierung hervorgehoben.

[29]    Das Begriffsverständnis und die Kommunikationen darüber werden im deutschen Sprach­raum zusätzlich dadurch erschwert, daß der Begriffsteil Sustainable in Sustainable Development unterschiedlich übersetzt wird: dauerhaft, langfristig durchhaltbar, aufrecht­erhaltbar, naturverträglich, naturerhaltend, zukunftssicher, ökologisch tragfähig, nachhaltig zukunftsverträglich, dauernd erhaltbar, dauerhaft umweltgerecht, zukünftig existenzfähig, ja sogar natürlich, vor allem aber zukunftsfähig und nachhaltig (s. auch Kopfmüller 1993). Der letzte Begriff hat sich inzwischen weitgehend durchgesetzt.

[30]    Eine genauere Analyse hätte über die Interessendimension hinaus auch einschlägige Doku­mente relevanter gesellschaftlicher Akteure und Institutionen im Sinne einer Identifizierung von Denkstilen und Leitbildern oder ihres realen Verhaltens auszuwerten (vgl. den For­schungsbereich Matrix B des Umweltbildungsforschungsprogramms der DGfE (in Haan/Kuckartz 1998a, S. 268f), bei dem es um Sozietäten und Institutionen geht).

[31]   Dieser Vorschlag stammt von Michelsen (1998b, S. 44), der sich wiederum an ein nicht veröffentlichtes Gutachten von Jüdes (1996) anlehnt. Auch im Orientierungsrahmen für Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BLK 1998, S. 21) findet sich fast die gleiche Spezifizierung dieser Vorstellung einer kulturellen Dimension. Dort findet sich noch eine weitere, die „globale Dimension“, die Bevölkerungsentwicklung, Armutsbekämpfung, Schutz der Erdatmosphäre u. ä. umfassen soll. Beide Dimensionen werden jedoch im BLK-Gutachten von de Haan und Harenberg „als in sich nicht stimmig“ kritisiert und nicht übernommen (vgl. BLK 1999, S. 19f). Ihnen erscheint es „der Sache angemessener zu sein, wenn man die soziale, ökologische und ökonomische Dimension der nachhaltigen Ent­wicklung generell unter der Prämisse kultureller Differenzen reflektiert, um zu vermeiden, universelle Weltbilder, Mythen, Identitätsvorstellungen etc. dort anzunehmen, wo kulturell differente Wahrnehmungen erst eine Verständigung und angemessene Veränderung möglich machen“ (BLK 1999, S. 20). Diese von mir weitgehend geteilte Position zur Bedeutung des Kulturellen könnte nach meiner Ansicht gerade als ein Argument für eine eigenständige, so verstandene kulturelle Dimension dienen. Denn die Dimensionen der Nachhaltigkeit entfalten ihre besondere Bedeutung gerade aus ihren wechselseitigen Zusammenhängen. Die kulturelle Perspektive sollte nicht als etwas zusätzlich von ‚außen‘ herangetragenes sein!

[32]   Grafisch werde ich dies in 3.3.2 in Abb. 3.1 als fünfzackigen Stern der nachhaltigen Ent­wicklung darstellen, den man bei einer ebenso denkbaren eigenständigen Berücksichtigung der kulturellen Dimension auch mit sechs Zacken gestalten könnte.

[33]    Die Thesen und Erläuterungen Reißmanns wurden hier der Übersichtlichkeit wegen in Form einer Liste von Argumenten dargestellt.

[34]    Reißmann sieht als realistische und sinnvolle Chance für die Zukunft nur pragmatische (Konflikt)Regelwerke, die gleichzeitig den Kulturen ihre Eigenarten im wesentlichen lassen will (vgl. Berger P. 1997 u. Beck 1997). Ungeklärt bleibt die Frage, wie bei faktisch ungleichen Einflußmöglichkeiten auf allen Ebenen mit dem Partizipationsanspruch umgegangen werden kann.

[35]    Vgl. den Diskurs über Biodiversität und den weltpolitischen Umgang damit im Kontext der Umsetzung der Konvention über Artenvielfalt von Rio de Janeiro, z. B. Wolters (1995), Dömpke/Gündling/Unger (1996) und Forum Umwelt & Entwicklung (1997a).

[36]    Vgl. Riedl (1985). Die Frage des Naturverständnisses ist auf einer primär erkenntnis-theoretischen Ebene Gegenstand des Kapitels 4 dieser Arbeit über den Konstruktivismus.

[37]    Dieser Theorieansatz wurde seit Ende der 80er Jahre von E. Becker und Mitarbeitenden des Instituts für sozialökologische Forschung in Frankfurt entwickelt (Becker, E. 1996a) Das Konzept beansprucht, die Aporien von „naturalistischen“ und „soziozentrischen“, von „realistischen“ und „konstruktivistischen“ Zugängen zur Ökologieproblematik, wenn nicht zu überwinden, so doch in eine produktive Form zu bringen. Danach kann man die Diffe­renz zwischen Gesellschaft und Natur weder naturalistisch einebnen noch zu einer ontolo­gischen Dichotomie verhärten oder sie ausschließlich als soziale Konstruktion behandeln (s. auch 4.8). Im Kontext der Diskussion über einen neuen, naturphilosophisch fundierten Bildungsbegriff wurde bereits in 2.4.1 in modifizierender Form darauf zurückgegriffen.

[38]    Der hohe Wert der Partizipationsverhältnisse wird vor allem auf der lokalen Ebene deutlich (exemplarisch bei Kluge 1997), insbesondere im Kontext der Lokalen Agenda 21 (s. 3.5).

[39]    Vgl. meinen schon erwähnten Ansatz einer sozialökologischen Ethik (Becker 1989a), der mit dem Nachhaltigkeitsdiskurs in seinen zentralen Aussagen durchaus kompatibel ist.

[40]   Welche pädagogischen Konsequenzen aus diesem jungen Ansatz resultieren könnten, thematisiert de Haan (1998a u. 1998b). Zu diskutieren wären hier die curriculumtheo­retischen Konsequenzen (s. 5.9), etwa zum Thema Süßwasser, zu dem der WBGU ein eigenes Gutachten auf syndromtheoretischer Basis verfaßt hat (WBGU 1997).

[41]    De Haan bringt hier zusätzlich die pädagogisch interessanten Kategorien Zeit und Ästhetik ins Gespräch, verfolgt sie in späteren Veröffentlichung jedoch nicht weiter.

[42]    Die von mir vorgeschlagenen zwei weiteren Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung, nämlich Partizipation und Bildung (vgl. Abb. 3.1 in 3.3.2) könnte man auch als strategische Optionen verstehen: Eine reine Partizipationsstrategie wäre tendenziell interessen­orientiert, eine Bildungsstrategie hätte dagegen keine Chance, die Ziele der Nachhaltigkeit gesellschaftlich erreichen zu können.

[43]   Für de Haan gehören Leitbilder in Sinne einer orientierenden Funktion zu den Kennzeichen gesellschaftlicher Modernisierung und der nachhaltigen Entwicklung (s. 5.4), sie bündeln Leitbilder „Visionen, Vorstellungen und Imaginationen, mit denen Menschen nicht nur ihre Urteile über Alltagssituationen fällen, vielmehr sind sie handlungswirksam für die Gegenwart und strukturieren die Vorstellungen über die Gestaltung von Zukunft.“ (de Haan, 1998a, S. 32).

[44]    Eine partizipative Ausrichtung scheint auf der Ebene der Leitbilder nur bedingt der Intention der Studie zu entsprechen. Dieser Eindruck hat sich bei mir durch verschiedene Diskussionen und Vortragsveranstaltungen mit Vertreterinnen und Vertretern des Wuppertalinstituts in den Jahren 1997 und 1998 verstärkt. Zu dieser Studie ist schon bald eine erste didaktische Umsetzung (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1997) erschienen, die sich an den vorliegenden Leitbildern orientiert, sie aber um zwei Leitbilder ergänzt. Eines davon ist schulspezifisch.

[45]    Vgl. auch Gerken und Renner (1996): Die Umsetzung des Konzeptes der Bürgersouverä­nität, das mit einem Wissens- und einem Interessenproblem verbunden ist, ist nicht leicht zu lösen.

[46]    Solche Perspektiven zeigen auch neuere Forschungsergebnisse des Umweltbundesamtes, das zudem eine mehrphasige Methode entwickelt hat (Triplex). Dabei wird unter Zugrun­delegung eines spieltheoretischen Win-Win-Modells versucht, die kurzfristigen egoisti­schen Interessen der Bürgerinnen und Bürger in langfristige egoistische Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu transformieren (Schluchter/Dahm 1996a, zusammenfassend in Schluchter 1996).

[47]    Sein bürgerschaftliches Modell grenzt Beck nicht nur gegen neoliberalistische und die klassischen Varianten „protektionistischer“ politischer Perspektiven ab, sondern auch gegen kommunitaristische Ansätze, für die eine neue Gemeinschaftlichkeit propagiert wird. Zur Frage der Verwandtschaft zwischen kommunitaristischer Gemeinschaftlichkeit und der Partizipationsidee, vgl. Erben (1998).

[48]    Auf Becks Redefinition des Lokalen im Zeitalter der Globalisierung wird nochmals aus­führlicher in Abschnitt 3.5 eingegangen, der sich mit der lokalen urbanen Ebene und der Lokalen Agenda 21 beschäftigt.

[49]   Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei betont, daß zumindest Beck (im Unterschied zu anderen Vertretern dieses Theorieansatzes wie Giddens) unter reflexiver Modernisierung zunächst die reflexartige, also ‚automatisch‘ ablaufende Reaktion der fortgeschrittenen Industriegesellschaften auf die Nebenfolgen der voranschreitenden Modernisierung versteht (Reflexivität), die gleichwohl geschichtsmächtig geworden ist. Dies hat nicht notwendig mit der darüber hinausgehenden kritischen (und von bestimmten Standpunkten her wünschenswerten) Reflexion dieser Modernisierung zu tun (s. Beck 1996a, S. 66 und verschiedene andere Textstellen dieser Veröffentlichung). In diesem Sinne spricht Beck im selben Text auch von „reflexiver Demokratie“ (S. 69ff). Auf die reflexive Modernisierung komme ich nochmals in 5.2 zu sprechen.

[50]    Etwas gekürzt aus Theesen/Roth (1997, S. 71).

[51]    Vgl. Forum Umwelt & Entwicklung (1996), Deutsche UNESCO-Kommission (1997 u. 1998) – zur UNESCO mehr im nächsten Unterabschnitt 3.3.1.

[52]    Finanzielle Investitionen in Bildung sind zwar dringend erforderlich, insofern ist die letzte Forderung obiger Liste interessant, aber sie lösen die Komplexität der Probleme allein nicht. Ansonsten bezieht sich diese Kritik nicht nur auf die exemplarisch zitierten Thesen von Reiß­mann und Theesen/Roth; sie ist durchaus auch selbstkritisch gemeint, obwohl viele meiner eigenen Schriften und in wesentlichen Teilen auch die vorliegende Arbeit (z. B. 5.10) sich intensiv mit den Bedingungen der Realisierung von Umweltbildung mit definierten weitgehenden Zielsetzungen beschäftigen (vgl. z. B. Becker 1998b).

[53]    Bereits 1968 entstand die Studie The world Educational Crisis: A Systems Analysis, ab 1971 entstand im Kontext weltweiter Studentenunruhen eine weitere Bildungsstudie unter der Leitung des ehemaligen französischen Bildungs- und Premierministers Edgar Faure Learning to be (deutsch: Wie wir leben lernen, Reinbek 1973) (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission 1997, S. 224ff).

[54]    Vgl. Hüfner/Reuther (1996), UNESCO (1995a, 1995b).

[55]    Zitiert nach: Deutsche UNESCO-Kommission (1997, S. 20).

[56]    Empirische Untersuchungen liegen hierzu derzeit noch nicht vor. Zur schulischen Bildung in der Lokalen Agenda 21, s. 5.8.

[57]    Eine Anregung zu solcher Grafik fand ich bei der bildlichen Darstellung eines ganzheitli­chen Fortschrittsbegriffs mit Leitwerten bei Müller-Reißmann (1996). Eine ähnliche Grafik wurde schon am Ende des Kapitels zwei für Konzepte der Umweltbildung entwickelt.

[58]    Das Verhältnis von Ökonomie und Umweltbildung wird in der Umweltbildungsdebatte in der Regel als ein entgegengesetztes gesehen. Krol (1994, S. 3ff u. 1998, S. 271ff) geht einen anderen Weg, der durch die Mehrdimensionalität der Nachhaltigkeit bestärkt wird.

[59]   Die Konkretisierungen dieser Dimension zeigen, daß es für eine Kurzformulierung u. U. zutreffender und unmißverständlicher ist, diese Dimension mit Umwelt oder Natur und Umwelt zu bezeichnen, was selbstverständliche Belange der Natur oder Ökologie einschließt, soweit sich dies überhaupt trennen läßt.

[60]   Z. B. Jüdes (1995), Michelsen (1998b), Reißmann (1998a) und Koschnick (1999).

[61]    Diese Idee ist dem Modell eines „ganzheitlichen Fortschritts“ bei Müller-Reißmann (1996, S. 35ff) entnommen. Auch in 3.2.3 der bereits umrissene Syndromtheorie des WBGU gibt es den Begriff Leitplanken, dem ein ähnlicher Gedanke von ‚Grenzen‘ zugrunde liegt.

[62]    Von den zahlreichen Schriften zu diesem Thema sei hier nur Beck (1991) und Beck/Gid­dens/Lash (1996) genannt. Auf die Modernisierungsdebatte wird einerseits in (3.4.1) im Kontext der Stadtentwicklung eingegangen, andererseits allgemeiner in 5.4.

[63]    Die globale Bedeutung der nachhaltigen Stadtentwicklung spiegelt sich auch in einer anderen Weltkonferenz der Vereinten Nationen, der Habitat II 1996 in Istanbul (vgl. Forum Umwelt & Entwicklung 1996 u. Giradet 1996), an einigen internationalen Aktivitäten und Zusammenschlüssen von Städten und einer starken Zunahme an Literatur zur Stadt­entwicklung wider (vgl. Becker 1998a).

[64]    Laut Schätzungen der UN wird der derzeit bei 43 % liegende Anteil der Weltbevölkerung, der in städtischen Ballungsräumen wohnt, schnell ansteigen, in den nächsten 3 Jahrzehnten voraus­sichtlich auf ca. 70 %, in Europa und Süd- und Nordamerika auf ca. 85 % (Forum Umwelt & Entwicklung 1996).

[65]   Diese These kann im Rahmen dieser Arbeit nicht begründet und diskutiert werden. Von ihrer Bestätigung oder Falsifizierung - vermutlich gibt es kein eindeutiges Urteil - hängt nicht die Schwerpunktsetzung der Gesamtarbeit auf den städtischen Bereich ab.

[66]    Diese Bedeutung der Stadt und der Urbanität für die Umweltbildung wurde in einigen meiner früheren Veröffentlichungen schon ausführlich begründet und ist Grundlage meiner Praxis in Osnabrück (s. 1.6).

[67]    Die umfassenden Aspekte Zukunft und Nachhaltigkeit finden sich erst in einem kleinen Teil dieser Publikationen.

[68]   Vgl. Forum Umwelt & Entwicklung (1996) und die vorläufigen, noch unveröffentlichten Beschlußtexte.

[69]   Z. B. Sukopp/Wittig (1993), Ermer/Mohrmann (1994). Das Schwerpunktthema Stadtöko­logie in der Zeitschrift Wechselwirkung (1999) und darin Baumann/Wiezorek (1999) zeigt eine unveränderte Situation der allgemeinen Diskussion, aber auch ein Beispiel einer unter Partizipationsgesichtspunkten vorbildhaften Stadt Aachen.

[70]   Vgl. z. B. Neddens (1986), Häußermann/Siebel (1987), Bochnig/Selle (1992), Hahn (1993), Kurz (1996) und Giradet (1996). Vor allem hier gibt es eine Reihe verwandter Begriffe, die z. T. aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen oder politischen Pro­grammen stammen.

[71]   In diesem Bereich gibt es seit etlichen Jahren internationale Konferenzen, Beschlüsse und Programme (Healthy Cities). Vgl. Hildebrandt/Trojan (1987), Trojan/Stumm (1993), Tro­jan/ Stumm (1994).

[72]   Dieser pädagogisch besonders relevante Bereich, dem sich unter anderem die Kinder­rechtsbewegung (vgl. 3.6), ökologische Verkehrsverbände und Bürgerinitiativen und einzelne kulturpädagogische Projekte (z. B. Grüneisl/Zacharias 1989) angenommen haben, hat sich als Denkansatz erst in einigen kleineren Veröffentlichungen niedergeschlagen.

[73]    Lebensqualität ist ein häufig und z. T. diffus gebrauchter Begriff, vgl. dazu Institut für Stadtforschung (1988) und Ipsen (1996). Zum verwandten Problem der Freizeit gibt es unter Stadtplanungsgesichtspunkten erst in jüngster Zeit Literatur, z. B. Schäflein (1994).

[74]   In früheren Veröffentlichungen (z. B. Becker 1994b und neuere Aufsätze) habe ich mich an den Urbanitätsbegriff von Häußermann/Siebel (1987) angelehnt, die von einer neuen Urbanität sprachen. Inzwischen ist die Debatte vor dem Hintergrund zivilgesellschaftlicher und modernisierungstheoretischer Überlegungen weitergegangen (s. 3.4.1).

[75]   Weniger beachtet wird, daß soziale Ungleichheit nicht nur als Ursache, sondern auch als (ungewollte) Folge von Maßnahmen einer ökologischen Stadtentwicklung und Gesund­heitsförderung auftreten kann. Überhaupt ist eine nachhaltige Stadtentwicklung keine genuin harmonische Angelegenheit.

[76]   Genaueres in Becker (1998a, S. 246).

[77]    Dies trifft auch für das politisch ‚grüne Spektrum‘ zu, dem in der Öffentlichkeit häufig eine Dominanz von Pädagoginnen und Pädagogen unterstellt wird (vgl. einige Partei- und Wahlprogramme von Bündnis 90/Die Grünen).

[78]    S. 5.5. Zur umweltpädagogischen Auswertung der Umweltbewußtseinsforschung s. de Haan/Kuckartz (1996).

[79]   Im Unterschied zu Beck, der postmodernes Denken ablehnt, wird von Schmals ein ökologi­scher Aspekt kaum thematisiert.

[80]   Glokalisierung: Unter dieser Wortverbindung von Lokalisierung und Globalisierung wird die widersprüchliche Einheit dieser beiden Tendenzen zum Ausdruck gebracht (Vgl. Beck 1998b, S. 90ff), die besonders im städtischen Bereich sichtbar sind und bis in den persönlichen Bereich hineinwirken (vgl. Giddens 1997, S. 118ff).

[81]   In der Ökologischen Psychologie, die sich schon lange mit städtischen Lebensverhältnissen beschäftigt, kann man hierzu unterstützende Argumente finden (z. B. Fischer, M. 1995).

[82]   Die These ist eine Fortentwicklung eigener früherer Überlegungen und Thesen, z. B. in Becker (1989c, 1991b u. a.) und entspricht weitgehend den Thesen 5 und 6 in Becker (1998a, S. 251f). Fähigkeiten und Kompetenzen, die eine solche Bildung vermitteln sollen und können werden in 5.6 thematisiert.

[83]   Im Sinne von Elias (1977) könnte man sogar von einer erweiterten Stufe der ‚alltäglichen Zivilisierung‘ reden.

[84]   Ähnlichkeiten gibt es zu dem bereits erwähnten Konzept Planungszelle, in dem problem­bezogene Bürgergutachten erstellt werden (Dienel 1992).

[85]   Dieser Gedanke der Voraussetzungen wird Ende des nächsten Abschnittes und schließlich in 5.9 weitergeführt.

[86]   So kann z. B. das Freilegen eines bisher verrohrt verlaufenen Stadtflusses (wie Erfahrungen zeigen) erhebliche positive Wirkungen auf das öffentliche Umweltbewußtsein und die kultu­relle Bedeutung dieses Flusses haben. Dieses Beispiel ist meinem Osnabrücker Praxiskontext entnommen (vgl. 1.6 und Becker 1999c).

[87]    Diese Entwicklung hat in vielen Staaten bereits erheblich früher eingesetzt, basiert z. T. schon auf einer Jahrhunderte alten Tradition (vgl. die europäischen Handelsstädte).

[88]    The International Council for Local Environmental Initiatives (ICLEI) hat seinen europä­ischen Sitz in Freiburg. Informationen und folgende Kurzselbstdarstellung des ICLEI findet man im Internet (http://www.iclei.org): „The International Council for Local Environ­mental Initiatives (ICLEI) is an association of local governments dedicated to the prevention and solution of local, regional, and global environmental problems through local action. Approximately 300 cities, towns, counties, and their associations from around the world are Members of the Council. ICLEI was launched in 1990 as the international environmental agency for local governments under the sponsorship of the United Nations Environment Programme, the International Union of Local Authorities (IULA), and the Center for Innovative Diplomacy. ICLEI maintains a formal association with IULA and has official consultative status with the United Nations through which it advocates the interests of local government before international bodies.“

[89]    Das folgende Gesamttreffen Third Pan-European Conference on Sustainable Cities & Towns fand im Februar 2000 in Hannover statt.

[90]    Literaturhinweise: Klima-Bündnis/Alianza del Clima (1993, 1995a, 1995b u. 1997a), Klima-Bündnis/Ev. Akademie Bad Boll (1997) und Greiten/Moser (1998).

[91]   S. http://www.klimabuendnis.org/kbhome/kb_mani.htm

[92]    S. z. B. Klimabündnis niedersächsischer Schulen (1997), Klima-Bündnis/Alianza del Clima (1996), und Norddeutsche Klima-Bündnis-Koordination (1997).

[93]    Die vom Deutschen Städtetag herausgegebenen Handlungsempfehlungen für eine lokale Agenda 21 (Deutscher Städtetag 1995) konnten bisher wohl noch kaum Wirkung zeigen; im Hinblick auf die Bildung sind sie dürftig ausgefallen (s. 5.8). In kleineren Gemeinden und in ländlichen Regionen herrschen vollständig andere Bedingungen für die Entfaltung von Prozessen einer Lokalen Agenda 21 im Verhältnis zu Großstädten, so daß auf dem Lande die Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit noch nicht soweit fortgeschritten ist. Dort sind auch ganz andere Themen relevant (vgl. Aderholz 1999, S. 83f).

[94]    S. http://www.difu.de/presse. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, daß der Deutsche Städtetag zur LA 21 Empfehlungen herausgegeben hat (1995).

[95]    Vgl. auch Evangelische Akademie in Loccum (1996). Dort wird über die z. T. selben Bei­spiele ausführlicher berichtet. Die sich schwerpunktmäßig auf Niedersachsen beziehende Tagung vom 28.2. bis 2.3. 1997 (Agenda 21 für Niedersachsen – Stand und Perspektiven einer nachhaltigen Entwicklung auf regionaler Ebene) wird in Evangelische Akademie Loccum (1997) dargestellt.

[96]    Inzwischen gibt es etliche Veröffentlichungen, die nicht nur die LA 21 theoretisch begrün­den, sondern auch praxisbezogene Hinweise für kommunale Akteure geben, z. B. die schon zitierte Heimvolkshochschule Stephansstift (1997), Kuhn/Suchy (1998), Umweltbundes­amt (1998), Zentrum für kommunale Entwicklungszusammenarbeit (ZKE) (1997) und BMU (1998). Soweit dort Beispiele einzelner Kommunen präsentiert werden, stammen die Darstellungen in der Regel von Beteiligten. Dies ist bei einer kritischen Bewertung und realistischen Einschätzung der meist positiven Darstellungen zu berücksichtigen.

[97]   Es ist offensichtlich schwierig, möglichst alle lokalen Akteure themenbezogen in geeigne­ten organisatorischen Formen zu integrieren, was aber Voraussetzung für den Erfolg der gemeinsamen Arbeit ist (vgl. Moser 1997).

[98]    S. Haan/Kuckartz/Rheingans (1996a, 1997a, 1997b) und Rheingans/de Haan/Kuckartz (1998, S. 283ff).

[99]    Kluge (1997) zeigt am Beispiel Wasser eine ausgearbeitete theoretische Konzeption und Analyse nachhaltiger Entwicklung. Er versteht sie als eine regionale sozialökologische Entwicklung in dem Sinne, daß eine möglichst weitgehende regionale Ressourcenbewirt­schaftung betrieben wird und gleichzeitig eine Konkretisierung des Civil-Society-Ansatzes damit eingeschlossen ist, der die Partizipation gesellschaftlicher Akteure betont. Insgesamt handelt es sich um einen Versuch zur besseren Regulierung gesellschaftlicher Naturverhält­nisse (Becker, E./Jahn/Wehling1993 u. Jahn/Kluge 1997), der jedoch ausdrücklich keine Rückkehr zu einer abgeschlossenen Autarkie, zu einem rückwärtsgewandten, romantischen ‚Zurück zur Natur‘ oder zu einem Heimatverständnis in historisch überholter Form bedeu­tet. Diese Abgrenzung gilt auch für die anderen, hier verwendeten Plädoyers zugunsten eines lokalen Ansatzes.

[100]  Vgl. Reusswig (1997, S. 71ff). Die naturwissenschaftlich ausgerichtete Global-Change-Forschung bezieht sich auf zahlreiche anthropogen induzierte Veränderungen von Leitpara­metern des Systems Erde und interessiert sich für die Verschiebung seiner großräumigen Strukturen und Muster in etlichen Phänomenbereichen, z. B. Klimawandel, Ernährungs­probleme, Entwaldung und Übernutzung der Meere.

[101]  In Deutschland gibt es seit Ende der 80er Jahren Diskurse über bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft (als Gefüge von freien Vereinigung und Zusammen­schlüssen von Bürgern), die sich im wesentlichen aus drei Quellen speisen: der Struktur- und Finanzkrise des Sozialstaats, der Probleme klassischer ehrenamtlicher Tätigkeit und der Suche nach neuen außerberuflichen Beteiligungsformen. Bisher hat dieser Diskurs sich hauptsächlich im Bereich des Sozialen abgespielt, in dem sich widersprüchliche Entwick­lungen ergeben haben (vgl. Autrata 1999 u. Hummel 1995).

[102]Vgl. die politische Kritik von Hüttner (1999), der in der Regionalisierungsidee, die ursprünglich auch von den Neuen Sozialen Bewegungen vertreten wurde, inzwischen nur noch eine weit und mit sehr unterschiedlicher Bedeutung verbreitete gesellschaftliche, globale Tendenz sieht, die nicht mehr als eine Politik der Modernisierung darstellt. „Region als Konstrukt schafft kollektive Identitäten und übertüncht die Spaltungen zwi­schen den Regionen und innerhalb der Region, zwischen den Geschlechtern, den Besitzen­den und Nichtbesitzenden und zwischen den Regionalisierungsgewinnern und den Abge­hängten. Eine Politik, „wir sind hier eine Region und haben uns vor allem erst einmal schrecklich lieb“, wie sie in der Lokalen Agenda 21 und zunehmend auch der Agraropposition propagiert wird, ist – von dieser Warte gesehen – nur die billige Ideenlie­ferantin und die Begleitmusik zu ökonomischen und sozialen Transformationsprozessen“ (Hüttner 1999, S. 48).

[103]  Daß der Gedanke der Partizipation, Vernetzung, Kommunikation, Kultur und Bildung in der Kommune auch unabhängig von der Agenda 21-Debatte diskutiert und praktiziert wurde, zeigt Meyer H. H. (1994) am Beispiel Netzwerk Ökologische Zeiten in Marl (NRW).

[104]In diese Richtung gehen fast alle Äußerungen zur LA 21, z. B. auch in DGU-Nachrichten (1999). Kopatz (1998, S. 103ff und 159ff) schlägt z. B. „Zentren für lokale Nachhaltigkeit“ vor. An vielen Orten haben sich Erwachsenenbildungseinrichtungen initiierend oder orga­nisierend um die LA-21-Prozesse gekümmert und insbesondere Moderations- und Bil­dungsaufgaben übernommen (empirische Aussagen s. Franz-Balsen 1999). Das bekann­teste Beispiel ist München – dazu zieht Eckardt (1999) nach fünf Jahren eine kritische Bilanz und thematisiert etliche Dilemmata der Bürgerbeteiligung.

[105]  Auf diese Bildungsansätze wird hier nicht weiter eingegangen, es sei auf Literatur verwie­sen, z. B. bei Janecki (1997, S. 137ff). Die Bedeutung einer ähnlichen und erweiterten Liste von Methoden für die Schule wird in Harenberg/Schaar/Erben u. a. (1998) diskutiert.

[106] Meistens werden diese Einschränkungen mit dem Argument der Verfahrensbeschleunigung begründet, z. B. bei neuen Autobahnen.

[107]  Ähnliche Phänomene und Probleme sind offenbar im Bereich des Sozialen zu beobachten (vgl. Autrata 1999 u. Hummel 1995).

[108]  Diese Einschätzung kann durch eigene Erfahrungen sowie aktuelle Internetrecherchen bestätigt werden. Eine systematische Erfassung der Bildungsarbeit in den LA-21-Prozessen liegt bisher nicht vor. Einen Eindruck vom aktuellen Stand der Bildung im Kontext der LA 21 und der Hauptprobleme vermitteln ein Dutzend Aufsätze in DGU-Nachrichten (1999), insbesondere Koschnick, Franz-Balsen, Eckardt, Fischer, Aderholz (alle 1999). S. auch Becker (1997f).

[109]  Abgedruckt in Kuhn/Suchy (1998, S. 307-311).

[110]Daß diese Ideen dennoch vom Forum Umwelt & Entwicklung in Bonn übernommen wurden, zeigt, daß die Konzeptentwicklung in diesem Bereich noch ganz am Anfang steht.

[111] Vgl. Becker (1998a, S. 256ff). Im Hinblick auf den Schulbereich wird in 5.10 darauf nochmals und genauer eingegangen.

[112]  Hinsichtlich der Kinderrechte hatten Teile der Reformpädagogik durchaus eine gesell­schaftliche Vorreiterfunktion, die sich selbst auf eine ältere pädagogische Tradition stützt, Kinder als Personen ernst zunehmen bzw. auch auf ein seit dem 18. Jahrhundert allmählich entstandenes neues Bild von Kindern und der Kindheit. Vgl. die in der Pädagogik intensiv rezipierte Literatur zur Entstehung der Kindheit, z. B. Aries (1975), de Mause (1977), Scholz (1994) und Rolff/Zimmermann (1997). Einige historische Beispiele partizipatori­scher Pädagogik werden in 3.8 vorgestellt.

[113]  S. Hildebrandt/Trojan (1987), Gesunde Städte (1991) und Trojan/Stumm (1994).

[114]  Vgl. z. B. Giebeler/Kreutzinger (1996), Stern (1995), Frädrich/Jerger-Bachmann (1995) und Deutsches Kinderhilfswerk (1997b).

[115]  S. National Coalition (o. J.) und Deutsches Kinderhilfswerk (1997b). Hurrelmann (1991) untersucht, inwieweit die UN-Konventionen auch die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in den Industriestaaten verbessern können.

[116] Ausführlicher bei Petri (1997). In Deutschland wird die Kinderrechtsbewegung von den Antipädagogen unterstützt.

[117]Frädrich (1995, S. 174) bzw. Frädrich/Jerger-Bachmann (1995) unterscheiden parlamenta­rische, offene, (massen)mediengebundene und projektgebundene Formen der Partizipation.

[118]Abwandlung eines Dreiecks von Knauer/Brandt (1998, S. 86).

[119]Beck (1997, S. 16ff) beurteilt diese Entwicklung im Unterschied zu vielen Kritikern positiv.

[120]Solche Büros sind in Nordrhein-Westfalen weit verbreitet. Beschreibung von Beispielen aus etlichen Städten bei Schröder (1995, S. 55ff).

[121]Gerade diese für die Partizipation bedeutsame Gruppe von pädagogischen Einrichtungen (s. auch Agenda 21) wird in der Literatur bisher kaum systematisch berücksichtigt.

[122]Spektakulär ist das in das in der Literatur mehrfach erwähnte Beispiel „Verkehrsplanung mit Kindern“ in Dänemark, das zu einer erheblichen Verminderungen von Verkehrsun­fällen mit Schülerinnen und Schülern geführt hat.

[123]Dies ist meinem Eindruck und meiner Erfahrung nach z. B. in Osnabrück und vermutlich auch in anderen Städten meistens der Fall. Es ist schwer aus den in der Literatur dokumen­tierten Beispielen, die natürlich hervorgehobene Bedeutung haben, immer gewisse ‚Vorzei­geprojekte‘ darstellen, auf die ‚normale‘ Praxis der Partizipation und deren mutmaßliche allmähliche Veränderung schließen. Solche ‚Vorzeigeprojekte‘ können positiv interpretiert auch Vorbild- und Anregungsfunktion gewinnen.

[124]Es gibt dazu erst punktuelle Ansätze z. B. Kinderfreundliche Stadt in Hessen (Hess. Mini­sterium für Landesentwicklung 1991/1992), Kinderstadt in München (Grüneisl/Zacharias 1989), auch einige Ansätze auf rechtlicher Basis , z. B. im Rahmen der Gemeindeordnung in Schleswig-Holstein (vgl. Deutsches Kinderhilfswerk e. V. (1997a). Die rechtlichen Möglichkeiten des Kinder- und Jugendhilfe-Gesetzes von 1992 werden offenbar noch gar nicht ausgeschöpft - sei es aus Unkenntnis der Möglichkeiten bei allen Betroffenen in und außerhalb der Verwaltung, sei es aus Gründen traditioneller Verwaltungsstrukturen.

[125]Die Idee einer „Leiter“ der Partizipation als verschaulichende Grafik findet sich schon bei Gernert (1993) und Hart (1997), wurde von Schröder (1995, S. 16) und Frädrich/Jerger-Bachmann (1995, S. 98ff) unter der Überschrift „Zwischen Dekoration und Selbstbe­stimmung“ verwendet und schließlich in inhaltlich verbesserter Form von de Haan (1998b) präsentiert. Die Abbildung 3.5 ist die schwarz-weiße Fassung einer Vortragsfolie.

[126]Auf diese unvollständige Liste von Vorläufern kann hier nur stichwortartig eingegangen, aus der z. T. umfangreicheren Literatur kann nur exemplarisch auf einzelne Quellen und weiterführende Literatur verwiesen werden.

[127]Korczak (1994), vgl. auch Lifton (1988).

[128]Neill (1969 u. 1971), vgl. auch Kamp (1995) und Kühn (1995).

[129]Außer Knauer/Brandt (1998) vgl. auch Dreier (1993) und Göhlich (1997). Auf die vermutlich aufschlußreiche Rezeptionsgeschichte kann hier nicht eingegangen werden.

[130]In Deutschland sind in den letzten Jahren viele Buchveröffentlichungen zur Projektme­thode bzw. dem Projektunterricht auf den Markt gekommen. Dazu kommt eine kaum zu übersehende Zahl von Aufsätzen, die unterschiedlichste Praxisbeispiele vorstellen. Als neuere Werke seien nur genannt: Bastian/Gudjons (1993, 1994 u. 1997), Gudjons (1997), Frey (1996), Hackl (1994), Hänsel (1995 u. 1997) und Knoll (1984, 1991, 1992 u. 1993).

[131]Zu den wichtigsten Werken aus dem sehr umfangreichen Schrifttum von Dewey gehören Dewey (1993 u. 1994) und Dewey/Kilpatrick/Heard (1935). Hänsel (1995 u. 1997) ist eine Vertreterin der Projektmethode, die im Vergleich zu den andern in Fußnote 130 genannten Autoren und am stärksten auf die ursprünglichen Grundideen von Dewey und Kilpatrick zurückzugehen beansprucht.

[132]Z. B. Schulze (1996), Heidorn (1995) und Becker (1995a u. 1995b). Auch der WBGU (1996) zählt die Situations- und Handlungsorientierung vor Ort zu den wichtigsten Kriterien einer erfolgreichen Umweltbildung.

[133]  Z. B. Reißmann (1998b) und Beyer (1998b). In den ersten Diskussionsbeiträgen zur Umweltbildung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung in den Jahren 1995 bis 1997 spielte die Partizipation noch keine so hervorgehobene Rolle (vgl. Becker 1997a). Immer­hin hält der Sachverständigenrat Partizipation neben Kognition, Reflexion und Antizipa­tion für eine Schlüsselkompetenz, die sich allerdings nur auf die Beteiligung an Bewer­tungsprozessen von Natur- und Umweltzuständen bezieht (SRU 1994, S. 165). In Bolscho/Seybold (1996, S. 110) wird – verschiedene Positionen zusammenführend – von „Umwelthandeln als umweltpoli­tische Partizipation“ als ein Hauptziel der Umweltbildung gesprochen, vgl. auch Michelsen (1998a, S. 55ff). Auf diesen neueren Diskurs der Bildung für nachhaltige Entwicklung wird genauer in 5.1 eingegangen.

[134]Vgl. die Kurzdarstellung in der Einleitung zu diesem Kapitel und 2.2.1 und 2.3.1.

[135]Eine Grundsatzkritik daran lieferte damals z. B. Massarrat (1979).

[136]  Zu dieser Einschätzung werden einige Beispiele und Entwicklungen im Bereich Umwelt­bildung in 3.9.1 vorgestellt. Interessant ist auch, daß der Lernbericht damals vielfach als nicht weitgehend genug, ja als kontraproduktiv kritisiert wurde (z. B. Treml 1981).

[137]Vgl. z. B. Kraushaar (1978), Brand/Büser/Rucht (1986) und Dahinden (1987).

[138]Vgl. Beer (1978, 1982). Die damaligen umweltpädagogische Debatte um das Ökologische Lernen und die Kritik daran wurde in 2.3.1 ausführlich dargestellt. Auf weitere Beispiele und Entwicklungen in Bezug auf die Stadt wird in 3.4, zur Umweltbildung in 3.9 eingegangen.

[139]Dazu kommt der Umstand, daß vermutlich nur ein kleiner Teil von praktischen Beispielen und Konzepten, die man partizipatorisch nennen könnte, sich selbst so bezeichnet. Trotz dieser Problematik werden hier nur Fälle beschrieben, die sich selbst partizipatorisch bezeichnen.

[140]Auf umweltpsychologische Beiträge zur Umweltbildung wird in 5.5 eingegangen.

[141]Fyson (1981, S. 294-303) fordert unter anderem als Operationsbasis für örtliche Partizipa­tionsaktivitäten die Gründung von Urbanistikzentren (Council for urban Studies Centres). Vgl. auch Fußnote 161.

[142] Dies kann hier nicht recherchiert werden, vgl. Dempsey (1993): Dort kann man den europa­bezogenen Untersuchungen zumindest entnehmen, daß es in England vergleichsweise viele Umweltzentren gibt.

[143]Auch in Deutschland gibt es eine Community-Education-Bewegung, die im Rahmen der Reformtendenz zur Öffnung der Schule vermutlich an Bedeutung gewinnen wird.

[144]Weitere Unterrichtsbeispiele zu Verkehr/Mobilität finden sich in Beyer/von Czege (1998).

[145]Vgl. Gärtner (1992), Hoebel-Maevers (1992), Schleicher (1992) u. a.

[146]Leider ist nur wenig über darauf aufbauende schulische Praxis veröffentlicht worden (vgl. Marek 1993), so daß die praktische Umsetzung und Einlösung des hohen Anspruchs hier nicht beurteilt werden kann.

[147]Die folgenden Beispiele stammen aus den universitären Arbeitsbereichen „Regionales Lernen/ Umweltbildung“ meines Kollegen Christian Salzmann und mir, die beide sehr eng mit jeweiligen, außeruniversitären Vereinen kooperieren und die jeweils als Träger von Projekten fungieren: Osnabrücker Verein zur Förderung des Regionalen Lernens e. V. und Verein für Ökologie und Umweltbildung Osnabrück e. V. (vgl. http://www.uni-osna­brueck.de/forschung/naheeinrichtungen/oekologieumwelt.html).

[148]  S. http://www.paedagogik.uni-osnabrueck.de/lehrende/salzmann/nolle; weitere Informatio­nen stammen aus der Projektzeitung (Noller Bach-Blatt, H. 1997-2000) und aus der persönlichen Kenntnis und Anschauung des Projektes.

[149]Die Methode wurde in den 60er Jahren von Jungk entwickelt (Jungk/ Müllert 1981). Sie diente primär der Entwicklung kreativer Ideen erwachsener Laien und richtete sich gegen bürgerfernes Expertentum. Die Anwendung in der Schule geschieht bisher selten, noch seltener in der Grundschule und hat dort meist ‚spielerischen‘ Charakter. Vgl. Burow/Neu­mann-Schönwetter (1995), Stange (1996), Schulz K. (1995) und Kuhnt/ Müllert (1996).

[150]Es begann mit einer von mir betreuten Staatsexamensarbeit, die auch die praktische Durch­führung einer Zukunftswerkstatt in einer Osnabrücker Grundschule einschloß (Schriever 1998). Derzeit wird eine Dokumentation des Gesamtprojektes und der gemachten Erfahrungen erstellt.

[151]Ausführlicher im Internet (http://www.paedagogik.uni-osnabrueck.de/pubs).

[152]Der Ansatz und die Praxis von NUSO wurde in etlichen Veröffentlichungen von Becker seit 1989, insbesondere Becker 1991a, 1993a, 1995a, 1995b usw. beschrieben. Vgl. Becker (2000a) sowie die aktuellen Entwicklungen im Internet (http://www.paedagogik.uni-osna­brueck.de/nuso).

[153]Vgl. Becker (1983, 1987, 1994a, 1994b, 1995b, 1996a u. 1997b).

[154]Vgl. unter anderem die 12. Jugendstudie (Jugendwerk der Deutschen Shell 1997).

[155]Zur neueren Diskussion um Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen s. Richter (1995);  für den Umweltbildungsbereich Beyer/ von Czege (1998). Das Thema von Kompetenzen, die allgemein Ziel einer nachhaltigen Umweltbildung bzw. Bildung für nachhaltige Ent­wicklung sein könnten, wird systematischer in 5.6, insbesondere in 5.6.5 aufgenommen.

[156]Ein Teil dieser Aspekte findet sich auch bei de Haan (1998e, S. 25ff).

[157]Darüber hinaus wäre die eigene Schule unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit zu über­prüfen und zum Lerngegenstand zu machen. Hier könnten einzelne Bildungsinstitutionen zu öffentlichkeitswirksamen Modellen einer nachhaltigeren Realität werden und dadurch eine weitergehende Bildungsfunktion ausüben, etwa im Sinne der Community Education.

[158]Vgl. den Ansatz eines neuen indirekten Weges der Umweltbildung über die Basistheoreme der Nachhaltigkeit (de Haan 1996a).

[159]Ähnlichkeiten und Unterschiede bestehen zur oben zitierten Liste von Kompetenzen von Reißmann und zu der von Frädrich/Jerger-Bachmann in 3.7.2. Diese Kompetenzen wurden z. T. von Knauer/Brandt (1998, S. 179ff) übernommen und als Kriterien einer pädago­gischen Professionalität angesehen.

[160]Die Zukunftswerkstatt eignet sich für viele Situationen besonders gut, mit Jugendlichen und Kindern Planungsprozesse zu beginnen und dabei ihre Kreativität und Phantasie einfließen zu lassen (s. Osnabrücker Beispiel in 3.9.2 und die einschlägige Literatur zur Methode der Zukunftswerkstatt).

[161]Vgl. 3.5.3 u. 3.7. Der in 3.9.1 als erstes Beispiel vorgestellte Bericht aus England (Fyson 1981) enthält interessante ähnliche Gedanken, u. a. auch zu meiner eigenen Idee Umwelt­bildungszentren neuen Typs (5.10.1): Als Instrument einer systematischen Verbindungen zwischen Schule und Gemeinde unterstützt der Autor den in England damals in der Diskussion befindlichen Vorschlag der Gründung von Urbanistikzentren (Council for urban Studies Centres). Deren Konzept sieht unter anderem die Betreuung formaler Erziehungsgruppen vor, die einen städtischen Bereich erkunden (Räume, Lehrmittel, Hintergrundmaterial als Ausgangspunkte für Studien der heimischen Umwelt), desweiteren die Bereitstellung einer Operationsbasis für örtliche Partizipationsaktivitäten und Einführungskurse für Stadtangestellte, Angebote für Gäste der Stadt (Fyson 1981, S. 303-306). Wie sich dieses Konzept verbreiten konnte, ist nicht bekannt, jedenfalls gibt es in England vergleichsweise viele Umweltzentren - vgl. Dempsey (1993, S. 211ff).