Was ist Globalisierung?

Einige wörtliche oder sinngemäße Aussagen aus dem gleichnamigen Buch von U. BECK (1998) – ausgewählt und formuliert von G. Becker:


Globalisierung bedeutet gerade nicht das Ende der Politik, sondern einen Ausbruch des Politischen aus dem kategorialen Rahmen des Nationalstaates (S. 13).

Transnationale Unternehmen können Arbeitsplätze exportieren, Produkte und Dienstleistungen so zerlegen und arbeitsteilig an versch. Orten der Welt erzeugen, Arbeitsorte und Nationalstaaten gegeneinander ausspielen und in dem erzeugten und kontrollierten Dickicht globaler Produktion zwischen Investitions-, Produktions-, Steuer- und Wohnort selbsttätig unterscheiden und sie gegeneinander ausspielen – alles an den demokratischen Institutionen vorbei. Die Machtbalance, der Machtvertrag der ersten industriegesellschaftlichen Moderne wird aufgekündigt und vorbei an Regierungen und Parlamenten, Öffentlichkeit und Gerichten – in der Eigenregie wirtschaftlichen Handelns umgeschrieben (S. 17). Die neue Zauberformel lautet: Kapitalismus ohne Arbeit plus Kapitalismus ohne Steuern. Damit stellt sich die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit und muß theoretisch und politisch neu verhandelt werden (S. 21).

  • Mit Globalismus wird die Auffassung bezeichnet, daß der Weltmarkt politisches Handeln verdrängt oder ersetzt, d.h. die Ideologie der Weltmarktherrschaft, die Ideologie des Neoliberalismus, der Imperialismus des Ökonomischen, der die Vieldimensionalität der Globalisierung auf die wirtschaftliche Dimension verkürzt und der von verschiedenen politischen Richtungen protektionistisch bekämpft wird.

  • Globalität bezeichnet den weltgesellschaftlichen Zustand, in dem wir längst leben: Weltgesellschaft meint die Gesamtheit sozialer Beziehungen, die nicht in nationalstaatliche Politik integriert oder durch sie bestimmt /bestimmbar sind. Weltgesellschaft meint Differenz und Vielheit ohne Einheit.

  • Globalisierung meint die Prozesse, in deren Folge die Nationalstaaten und ihre Souveränität durch transnationale Akteure, ihre Marktchancen, Orientierungen, Identitäten und Netzwerke unterlaufen und querverbunden werden.

Im Unterschied zur Ersten Moderne ist die Globalität unrevidierbar: Es existieren nebeneinander die verschiedenen Eigenlogiken der ökologischen, kulturellen, wirtschaftlichen, politischen, zivilgesellschaftlichen Globalisierung, die nicht aufeinander reduzierbar oder abbildbar sind (S. 29): geographische Ausdehnung, zunehmende Interaktionsdichte des Handelns und der Finanzmärkte sowie Machtzuwachs der transnationalen Konzerne; informations- und kommunikationstechnische Revolution, universal durchgesetzten Ansprüche auf Menschenrechte und Demokratie; Bilderströme der globalen Kulturindustrien; polyzentrische Weltpolitik mit transnationalen, nichtstaatlichen Akteuren; Globale Armut; globale Umweltzerstörung; transkulturelle Konflikte am Ort. Beispiele S. 39ff.

Globalität bezeichnet die Tatsache, daß nichts, was sich auf unserem Planeten abspielt, nur ein örtlich [oder national(staatlich)] begrenzter Vorgang ist. Unser Leben und Handeln, unsere Organisationen und Institutionen müssen sich entlang der Achse lokal-global reorientieren und reorganisieren. Die Besonderheit des heutigen Globalisierungsprozesses liegt in  der empirisch zu ermittelnden Ausdehnung, Dichte und Stabilität wechselseitiger regional-globaler Beziehungsnetzwerke und ihrer massenmedialen Selbstdefinition sowie sozialer Räume und jener Bilder-Ströme auf kultureller, politischer, wirtschaftlicher, politischer, militärischer und ökologischer (?) Ebene. Globalität bedeutet auch Nicht-Weltstaat (S. 32), Globalisierung meint vor allem Denationalisierung – die Einheit von Nationalstaat und Nationalgesellschaft zerbricht: Durchgängig wird damit eine zentrale Prämisse der Ersten Moderne umgestoßen. Eine mögliche Perspektive ist die Transformation in einen Transnationalstaat (s.u.). Globalisierung meint auch das „Töten der Entfernung, das Hineingeworfensein in oft ungewollte, unbegriffene transnationale Lebensformen oder Handeln und (Zusammen-)Leben über Entfernungen (scheinbar getrennte Welten von Nationalstaaten, Religionen, Regionen, Kontinente) hinweg. (S. 45)

Transnationale Handlungsräume entstehen dadurch, daß Akteure diese bezwecken, herstellen und aufrechterhalten. In der Theorie der Weltrisikogesellschaft kommt außerdem noch die Kategorie der ungewollten Nebenfolgen dazu. Demnach sind es globale Risiken (ihre soziale und politische Konstruktion), also verschiedene ökologische Krisen(definitionen), die neuartige Weltunordnungen und Turbulenzen stiften. Aus der cultural theory wird die Vorstellung des Entweder-Oder, das dem Nationalstaat zugrunde liegt, durch ein Sowohl-als-Auch ersetzt: Globalisierung und Regionalisierung, Zentralisierung und Dezentralisierung gehören danach jeweils zusammen (S. 54)

Transnationale Räume, z.B.: Afrika ist kein Kontinent, sondern ein Konzept (S.55ff) u.a.

Weltrisikogesellschaft – Ökologische Globalisierung als unfreiwillige Politisierung: Es ist nicht länger möglich, die Nebenfolgen und Gefahren hochentwickelter Industriegesellschaften zu externalisieren. Sie stellen als Risikokonflikte das institutionelle Gefüge in Frage und es entstehen transnationale soziale Handlungsräume. Drei Arten globaler Gefahren: Konflikte um „bads“, die als Kehrseite der „goods“ erzeugt werden, d.h. reichtumsbedingte ökologische Zerstörung und technisch-industrielle Gefahren (Ozonloch, Gentechnik); armutsbedingte ökologische Zerstörung und technisch-industrielle Gefahren; Massenvernichtungswaffen. (S. 76/77).

Die Dialektik kultureller Globalisierung bedeutet, daß mit der Globalisierung, die das Lokale zerstört, immer auch eine (Re-)Lokalisierung einhergeht, die jedoch mit einem linearen Weiter-so-Traditionalismus und borniertem Provinzialismus nichts zu tun hat. Es besteht der Zwang, die de-traditionalisierte Tradition im globalen Kontext, im translokalen Austausch, Dialog, Konflikt zu re-lokalisieren. Besonders der von Absatzkrisen geschüttelte Weltkapitalismus bedarf lokaler Vielfalt und Widersprüchlichkeit, um durch notwenige produkt- und Marktinnovation in der Weltkonkurrenz zu bestehen, einige Konzerne sprechen von globaler Lokalisierung! (S. 86/87).

Glokalisierung: Robertson sagt: Das Lokale muß als Aspekt des Globalen verstanden werden. Globalisierung heißt auch: Das Zusammenziehen, Aufeinandertreffen lokaler Kulturen, die in diesem „clash of localities“ inhaltlich neu bestimmt werden müssen: Glokalisierung. Globale Kultur kann nicht statisch, sondern nur als ein kontingenter und dialektischer (und gerade nicht auf eine einsinnige Kapitallogik reduzierter) Prozeß verstanden werden – nach dem Muster „Glokalisierung“, in dem widersprüchliche Elemente in ihrer Einheit begriffen werden. Globalisierung wird faßbar im Kleinen, Konkreten, im Ort, im eigenen Leben, in kulturellen Symbolen, die alle die Signatur des „Glokalen“ tragen. (S. 91). Danach bilden weltweite Verallgemeinerung und Vereinheitlichung von Institutionen, Symbolen und Verhaltensweisen (McDonald, Demokratie, Informationstechnologie u.ä.) und die neue Betonung und Erfindung, ja Verteidigung lokaler Kulturen und Identitäten (Islamisierung, Renationalisierung, deutscher Pop, afrikanischer Karneval u.ä.) keinen Gegensatz. Z.B. werden die Menschenrechte in fast allen Kulturen ersten als universelle Rechte vertreten, zweitens als solche kontextabhängig oft ganz unterschiedlich ausgelegt und vertreten. (S. 92)  (s. auch)

Der herkömmliche Kulturbegriff (Kultur 1) bindet Kultur an ein bestimmtes Territorium und geht von der Annahme aus, Kultur sei das Ergebnis hauptsächlich lokaler Lernprozesse. In diesem Sinne besitzt eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe eine eigene gegen andere abgegrenzte Kultur. Ein weiter reichender Kulturbegriff (Kultur 2) betrachtet Kultur als allgemeine menschliche ‚software’. Er liegt den Theorien zur Entwicklung und Ausbreitung von Kultur zugrunde und wird als wesentlich translokaler Lernprozeß bestimmt. Kultur 2 meint notwendig Kulturen, die als nicht-integrierte, nicht-abgegrenzte Vielheit ohne Einheit gedacht werden, bei Beck als inklusive Unterscheidungen. Kultur 2 besitzt ein ‚Verständnis für das Globale im Ort’ (S. 119).

Transnationale Ortpolygamie, das Verheiratetsein mit mehreren Orten, die verschiedenen Welten zugehören: Das ist das Einfallstor der Globalität im eigenen Leben, führt zur Globalisierung der Biographie. Es gilt zunehmend: Wir alle leben glokal, wobei der Ortwechsel nicht immer einer freien Entscheidung entspricht (S. 129/130).

Globalisierung betont den Prozeßcharakter des Transnationalen in allen seinen Dimensionen. Sie umfaßt die Intensivierung transnationaler Räume, Ereignisse, Probleme, Konflikte, Biographien und ist keine gradlinige Bewegung, sondern kontingent und dialektisch. Globalität ist eine härtere Realitätsbehauptung, die unrevidierbar ist und als Weltgesellschaft multidimensional, polyzentrisch, kontingent und politisch begriffen werden muß. Globalismus ist die eindimensionale, rein ökonomische Auffassung der Globalisierung (S. 150/151)

Transnationalstaat: Der (National-)Staat ist nicht nur veraltet, sondern auch unverzichtbar; und zwar nicht nur um Innen- und Geopolitik, politische Grundrechte usw. zu garantieren, sondern auch um den Prozeß der Globalisierung politisch zu gestalten, transnational zu regulieren, wozu ein starker Staat erforderlich ist. Die kooperierenden Nationalstaaten müssen innenpolitisch wahrnehmbar in bindende Kooperationsverfahren einer kosmopolitisch verpflichtenden Staatengemeinschaft eingebunden werden. Da ein solcher Perspektivenwechsel von internationalen Beziehungen zu einer transnationalen Innenpolitik von Seiten der regierenden Eliten nicht zu erwarten ist, bedarf es eines entsprechenden Bewußtseins und Bewußtwerdungsprozesses der Öffentlichkeit und von Bevölkerungsgruppen. [GB: u.a. auch durch Bildung!?].

Das Verständnis des Staatsbegriffs wird aus dem klassischen territorialen Denken herausgelöst, anerkennt Globalität in ihrer Vieldimensionalität als unrevidierbarer Sachverhalt und macht die Bestimmung und Organisierung des Transnationalen zum Schlüssel für die Neubestimmung und Revitalisierung des Politischen im staatlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich. Transnationalstaaten sind aber keine Inter-Nationalstaaten oder Supra-Nationalstaaten, sondern Glokalstaaten, die nach dem Prinzip des einschließenden Unterscheidens sich als Provinz der Weltgesellschaft verstehen und daraus ihre Stellung – am Weltmarkt, in der polyzentrischen Weltpolitik – gewinnen. (S. 184-186)

Neuorientierung der Bildungspolitik: Auf- und Ausbau der Bildungs- und Wissenschaftsgesellschaft. Orientierung der Ausbildung auf breit anwendbare Schlüsselqualifikationen, dazu gehört u.a. auch Sozialkompetenz, Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Kulturverständnis, vernetztes Denken, Umgang mit Unsicherheiten und Paradoxien der Zweiten Moderne. Der Sinn des Lernens ändert sich im transkulturellen Nexus. Es gehört zu der aufregenden Dialektik der Globalisierung, überkommene ‚Belehrungsgesellschaften’ durch dialogische Aufmerksamkeit (Mut zum Mißverständnis) zu ersetzen. (S. 230/231)