2.  Von der Umwelterziehung zur ‚Umwelt-Bildung‘

aus: Becker: Urbane Umweltbildung... Opladen 2001 ( Gesamtbuch beim Autor zu erwerben)

2.  Von der Umwelterziehung zur ‚Umwelt-Bildung‘

2.1  Klafki: Epochaltypische Schlüsselprobleme

2.2  Der Beginn der Umweltbildung

2.2.1  Der Lernbericht des Club of Rome

2.2.2  Frühe Umwelterziehung

2.2.3 Sozialistische Umwelterziehung in der DDR

2.3  Vorstufen Ökologischer Bildung

2.3.1  Ökologisches Lernen

2.3.2  Ökopädagogik und Kritik

2.3.3  ‚Ökologische Bildung‘ – weitere Ansätze

2.3.4  Ein grün-alternatives Bildungskonzept

2.3.5  Die ‚Erfindung‘ der Umweltbildung

2.4  Ökologisch orientierte Bildung

2.5  Ökologische Bildungstheorien

2.5.1  Anthropologie und normative Pädagogik

2.5.2  Systemökologische Pädagogik

2.5.3  Kritik des neuen Universalismus der Bildung

2.6  Zur Renaissance der allgemeinen Bildungstheorie

2.6.1  Bildungspolitische Reformansätze

2.6.2  Kritische Bildungstheorie - Allgemeine Bildung

2.6.3  Postmodernismus

2.6.4  Pluralismus

2.6.5  Schlußfolgerung für die Umweltbildung

2.7  Umweltbildung in den 90er Jahren

2.7.1  Umweltkommunikation

2.7.2  Kulturelle Orientierung

2.7.3  Ökonomie, Kritik der Ökonomie und politische Bildung

2.7.4  Naturerlebnis - Ganzheitliche Bildung

2.7.5  Ökoethische Entwicklung

2.8  Lokale Umweltbildung

2.8.1  Modellversuche in der Stadt

2.8.2  Exkurs: Die Stadt in der Geschichte der Pädagogik

2.8.3  Regionales Lernen

2.9  Umrisse eines ‚integrierten Konzeptes‘

 

Die über fünfundzwanzig Jahre alte Geschichte der Umweltbildung, die zahlreiche, z. T. sehr unterschiedliche umweltpädagogischen Konzepte hervorgebracht hat, soll in diesem Kapitel primär als Ausdruck von Kreativität und Vielfalt betrachtet werden. Diese pluralistische Grundhaltung[1] schließt Kritik nicht aus, es geht aber nicht um eine unfruchtbare Abgrenzung eines zu präsentierenden eigenen Konzeptes von bisherigen Ansätzen, die als defizitär oder falsch abgelehnt werden.[2] Ziel ist vielmehr ein tragfähiges integriertes Rahmenkonzept, das eine mehrdimensionale, plurale Binnenstruktur besitzt und unterschiedliche, begründbare Varianten zuläßt, ja fördert.[3] Damit bieten sich – unter zu klärenden Bedingungen – größere Chancen, auf verschiedenen Wegen unterschiedliche Adressatengruppen wirksam anzusprechen und damit einen wirklichen Beitrag zur Bewältigung der Ökologischen Krise zu leisten.

Die Grundlagen für ein solches Rahmenkonzept, das im Verhältnis zu vorliegenden Einzelkonzepten auf einer Metaebene angesiedelt sein wird, sollen hier durch eine problem-, theorie- und praxisgeschichtliche Rekonstruktion[4] der Umweltbildung gewonnen werden. Aus dem gegenwärtigen Stand der Diskussion (Umweltbildung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung bzw. Bildung für eine nachhaltige Entwicklung) ergeben sich einerseits Rückfragen an frühere Entwicklungen und Positionen, neue Sichtweisen und Interpretationen. Dadurch kann eine erweiterte, reflektierte Rekonstruktion der eigenen Geschichte erfolgen. Andererseits kann aus der Problem- und Konzeptgeschichte der Umweltbildung ihre gegenwärtige Problemlage besser verstanden werden. Eine Aufarbeitung der Geschichte führt zu Erinnerungen und bietet auch Gesichtspunkte, die bei einer ständig und schnell voranschreitenden Konzeptdebatte leicht in Vergessenheit geraten. Diese Gefahr der Geschichtslosigkeit besteht meiner Ansicht nach beim derzeitigen Übergang zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. Dies ist aus meiner Sicht einer der Gründe, den Begriff Umweltbildung weiter zu verwenden (s. auch 5.1.3).

Da diese Rekonstruktion gleichzeitig mit der Intention der Verbreiterung der geistigen und gesellschaftlichen Basis der Umweltbildung verknüpft wird, muß der übliche Horizont des Umweltbildungsdiskurses überschritten werden, um auch ‚externe‘ Maßstäbe und Impulse sowie Anschlußfähigkeiten im Sinne von 1.2 an gesellschaftliche Tendenzen und Diskurse zu finden. Die erste und wichtigste Erweiterung des Horizontes einer wechselseitigenRekonstruktion erfolgt in Richtung allgemeiner Bildungstheorie (vor allem in 2.6), die sich seit Mitte der 80er Jahre selbst in einer Phase der Rekonstruktion befindet. Eine solche bildungstheoretische Rekonstruktion kann jedoch im Sinne einer Anschlußfähigkeit nur gelingen, wenn auch die historischen Konzepte der Umweltbildung unter bildungstheoretischen Aspekten untersucht werden.

Der Bildungsdiskurs greift seinerseits einige externe, also außerhalb der Erziehungswissenschaften geführte Diskurse auf, denen sich die Umweltbildung erst ansatzweise gewidmet hat oder in jüngster Zeit zuzuwenden beginnt (Pluralismus, Konstruktivismus, Postmodernismus, Systemtheorie u. a.). Durch eine Verknüpfung von Bildungstheorie und Umweltbildung wird meiner Auffassung nach ein wichtiger Beitrag zur modernisierenden Rekonstruktion der allgemeinen Bildungstheorie geleistet: Über die Umweltbildung wird die fundamentale Bedeutung des bislang weitgehend ignorierten Mensch-Natur-Verhältnisses oder gar der Nachhaltigkeitsproblematik für die Bildungstheorie deutlich. Insbesondere gilt dies für die wissenschafts- und erkenntnistheoretischen sowie naturphilosophischen Diskurse (vgl. dazu auch Kapitel 4), für die Partizipation (Kapitel 3) und Urbanität sowie die Lokalität/Regionalität (2.8 und 3.4). Sie haben im Umweltbildungs- und Nachhaltigkeitsdiskurs bereits größere Bedeutung erlangt und zählen deshalb zu den „basalen Theoremen“ der gesellschaftlichen Zukunftsentwicklung im Sinne von de Haan (vgl. These 1.11 in 1.2).[5] Die diagnostizierten ‚naturtheoretischen‘ Defizite der Bildungstheorie[6] gelten auch für die wichtigsten Traditionen des Bildungsdenkens auf Basis der Kritischen Theorie, die sich weitgehend auf gewünschte Gesellschaftsveränderungen, auf grundlegende Merkmale einer neuen Gesellschaft oder auf noch nicht eingelöste alte Versprechen der Moderne bzw. Aufklärung beschränken. Soweit die nachhaltige Entwicklung in ihren Konsequenzen einen grundlegenden Bruch mit der bisherigen Entwicklung impliziert, der eine menschliche Zukunftsentwicklung erst möglich macht, muß dies auch entsprechende Konsequenzen für die Bildung haben. Bildung für nachhaltige Entwicklung (s. 1.1) muß ein Kernbereich, wenn nicht sogar der zentrale Bereich eines neu verorteten allgemeinen Bildungsverständnisses werden. Nur so kann Bildung(stheorie) im Sinne einer eigenständigen Bestimmung ihrer subjektkonstituierenden Funktion zur Zukunftsfähigkeit und ‑entwicklung beitragen. Der historische Bruch ist jedoch nur durch ein Anknüpfen an bisherige Bildungsverständnisse und ihre Weiterentwicklung oder Transzendierung zu erreichen.

Für eine Rekonstruktionsarbeit, die die verschiedenen genannten komplexen Bezüge und Wechselwirkungen berücksichtigt und die in Kapitel 5 mit dem Diskurs um eine (Umwelt)Bildung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung sowie den Erkenntnissen der Kapitel 3 und 4 fortgesetzt wird, gibt es kein einfaches oder eindeutig begründbares Modell. Auch eine Dialektik zwischen systematischer und problemgeschichtlicher Aneignung im Sinne von Hansmann und Marotzki, kommt hier nicht in Betracht.[7]

Ich habe mich für folgende Schritte der Rekonstruktion entschieden, die zunächst im Überblick entlang der Gliederung in acht Abschnitten diesesKapitels[8] dargestellt werden:

In 2.1 werden einige Aspekte der Bildungstheorie Klafkis in der 1985 erstmals vorgelegten und 1991 überarbeiteten Fassung kurz vorgestellt.Daraus werden vorläufige Leitlinien abgeleitet, um in den historisch vorfindbaren umweltpädagogischen Konzepten bildungsbedeutsame Aspekte zu identifizieren. Umgekehrt sollen aus der Aufarbeitung des Umweltbildungsdiskurses Kritiken und Folgerungen für eine moderne Bildungstheorie abgeleitet werden. Für diese wechselseitige Rekonstruktionsarbeit von Umweltbildung und Bildungstheorie/Theorie der Allgemeinbildung erscheint mir der Ansatz von Klafki deshalb besonders geeignet, weil er inhaltliche Anknüpfungspunkte zur Umweltbildungsdebatte (s. 2.1) und den Vorteil einer weiten und unangefochtenen[9] Verbreitung im Schulbereich in der pädagogischen und bildungspolitischen Fachöffentlichkeit sowie bei der Konkretisierung auf didaktische Fragenkomplexe bietet.[10]

Die erste Phase der Geschichte der Umweltbildung wird durch die frühe schulische Umwelterziehung und ihre Kritik sowie durch die alternativen Ansätze des Ökologischen Lernens und der Ökopädagogik geprägt. Diese sich sehr unterscheidenden und z. T. heftig bekämpfenden Ansätze eint zwar weitgehend ein instrumentelles Verständnis von Pädagogik, gleichwohl kann man einzelne bildungsrelevante Argumentationen und Aspekte identifizieren (2.2). Mitte der 80er Jahre finden sich die ersten Diskurse und Ansätze innerhalb der Umweltbildung, die man als explizite Vorstufen möglicher weitergehender bildungstheoretischer Konzepte interpretieren kann (2.3). In Abschnitt (2.4) stelle ich meine damalige Perspektive einer ökologisch orientierten Bildung (Becker 1986a) vor, aus der sich bereits eine erste konstruktive Kritik an dem kurz zuvor vorgelegten bildungstheoretischen Ansatz von Klafki formulieren läßt. Schon etwas früher entstanden von erziehungswissenschaftlicher Seite neben dem Umweltbildungsdiskurs der ersten Phase die ersten umfassender verstandenen Ansätze ‚ökologischer Bildungstheorien‘. Sie hatten eine anthropologische (Kern/Wittig 1982 u. 1985) oder systemökologische (Huschke-Rhein 1984ff) Basis, fanden jedoch wenig Resonanz (2.5).

Die Wiederaufnahme der allgemeinen Bildungsdiskussion fand vor dem Hintergrund des Wilhelm-von-Humboldt-Gedenkjahres ebenfalls Mitte der 80er Jahre einen ersten Höhepunkt. Zunächst gab es einige eher pragmatische und bildungspolitische Entwürfe, die in der Tradition der abgebrochenen Bildungsreform der 70er Jahre standen und die Ökologie als neues wichtiges Thema definierten (z. B. auch Klafki). Danach gab es unterschiedliche Rekonstruktionsversuche für neue kritische Bildungstheorien.[11] Sie waren teilweise von systemtheoretischen, postmodernistischen und schließlich konstruktivistischen (vgl. Kapitel 4) Sichtweisen und Debatten geprägt, die sich in mehren Sammelbänden und Monographien seit Ende der 80er Jahre niederschlugen. Diese Diskurse führten zu einer kritischen Differenzierung der Fragestellungen einer neuen Bildungstheorie. Ökologie oder gar Nachhaltigkeit spielten jedoch allenfalls am Rande eine Rolle (2.6).

Seit Anfang der 90er Jahre werden für die Umweltbildung Bilanzen gezogen und neue innovative Ideen entwickelt. Die Darstellung in Abschnitt 2.6.5 unterscheidet einige seither entstandene oder weitergeführte Entwicklungsstränge, z. B. kommunikative, kulturorientierte, politisch-ökonomische und naturbezogen-ganzheitliche. Den hier im Zentrum des Interesses stehenden lokalen bzw. städtischen Konzepten der Umweltbildung wird ein eigener Abschnitt 2.8 gewidmet. In diesen beiden Abschnitten werden auch einige wichtige Querverbindungen zu anderen Diskursen und zum Fortgang der allgemeinen Bildungsdiskussion erwähnt bzw. hergestellt.

Der abschließende Abschnitt dieses Kapitels (2.9) stellt eine Zwischenbilanz dar, in dem auch modifizierende Konsequenzen für den bildungstheoretischen Ansatz Klafkis gezogen werden. Die Rekonstruktion wird in Kapitel 5 unter Einbeziehung der Kapitel 3 und 4 sowie des seit etwa 1995 geführten Diskurses um eine nachhaltige Umweltbildung bzw. eine Bildung für eine nachhaltige Entwicklung fortgesetzt. Zusammenfassend und als Konkretisierung der Thesen 1.10 und 1.13 läßt sich folgende These formulieren, der zunächst in diesem Kapitel nachgegangen wird:

These 2.1     Eine problem-, theorie- und praxisgeschichtliche Rekonstruktion der Umweltbildung als integrierte, plurale und anschlußfähige Rahmentheorie muß neben den relevanten Diskussionssträngen der Umweltbildung die bildungstheoretische Debatte rezipieren, aber auch relevante gesellschaftliche Trends berücksichtigen.

 

Da es sich in diesem Kapitel zeigen wird, daß sich bei vielen Konzepten zumindest einzelne bildungsorientierte Elemente identifizieren lassen, kann man als Konsequenz der Rekonstruktion folgende These formulieren:

These 2.2     In der Geschichte der Umweltbildung ist ihre bildungstheoretische Fundierung angelegt.

2.1  Klafki: Epochaltypische Schlüsselprobleme

Der Ausgangspunkt von Klafki ist die kritische Aneignung des historischen bürgerlichen Bildungsdenkens der deutschen Klassik in Deutschland mit seiner aufklärerischen Zentralidee der umfassenden, d. h. theoretischen, praktischen (moralischen) und ästhetischen Vernunft im Sinne von Kant, seinen „gesellschafts- und politikkritischen“ Momenten und den zum Teil bis heute nicht eingelösten Ansprüchen. Klafki diagnostiziert lediglich zwei Hauptdefizite: keine gleichberechtigte Berücksichtigung des weiblichen Geschlechts und fehlende Reflexion des Zusammenhangs von Bildung und Gesellschaftsstruktur. Gegen alle Kritiken und Ersatzbegriffe hält Klafki an der Bedeutung und Notwendigkeit eines aktualisierten Bildungsbegriffs fest, zuletzt auch gegen postmodernistische Versuche, das Ende der Aufklärung zu verkünden (Klafki 1990): Als übergreifende pädagogische Zielkategorie sollen mit (s)einem Bildungsbegriff alle pädagogischen Einzelüberlegungen, ‑bemühungen und ‑aktivitäten begründet, verantwortet und so ein unverbundenes Neben- und Gegeneinander vermieden werden. Es bleibt zu prüfen, ob oder wieweit dieser Bildungsbegriff auch für die derzeitige unübersichtliche Situation der Umweltbildung, die von sich widersprechenden Konzepten geprägt ist, Bedeutung und eine integrierende Funktion gewinnen kann. Außerdem ist zu klären, inwieweit umgekehrt die Umweltbildung Rückwirkungen auf den Bildungsbegriff hat oder haben muß.

Als erste von insgesamt neun Grundbestimmungen seines neuen Allgemeinbildungskonzeptes formuliert Klafki:

Es ist die Einsicht in den dialektischen Zusammenhang zwischen den personellen Grundrechten, wie sie etwa die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen und der Grundrechtskatalog unserer Verfassung umschreiben, und der Leitvorstellung einer fundamental-demokratischen gestalteten Gesellschaft, einer konsequent freiheitlichen und sozialen Demokratie. Erst in diesem Rahmen können auch die Herausforderungen, die sich aus der Weiterentwicklung der Industriegesellschaft für die Theorie und Praxis einer neuen Allgemeinbildung ergeben, angemessen interpretiert und konstruktiv beantwortet werden. (Klafki 1993, S. 51)

Da signifikante gesellschaftliche Defizite, etwa hinsichtlich der ökologischen Krise, auf dieser grundlegenden Ebene – etwa als Verhältnis zu Natur und Umwelt – nicht erscheinen, ist nach der historischen Angemessenheit dieses Bildungsverständnisses zu fragen.

Konsequent formuliert Klafki als zweite Grundbestimmung, daß Bildung im wesentlichen heute „als selbsttätig erarbeiteter und personal verantworteter Zusammenhang dreier Grundfähigkeiten“ verstanden werden muß, die wiederum untereinander zusammenhängen: Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit.[12] Auch hier wird das Verhältnis zur Natur und Umwelt ignoriert.

Die dritte Grundbestimmung „Allgemeinbildung/allgemeine Bildung“ wird – in Abgrenzung zu konservativen Elitevorstellungen und qualifikations- oder rein wissenschaftsorientierten Modernisierungskonzepten – durch drei Bedeutungsmomente (Klafki 1993, S. 54) bestimmt: Bildung für alle, Bildung im Medium des Allgemeinen, Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten (Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit). „Bildung für alle“ ist nicht nur ein einzulösendes Bürgerrecht und Voraussetzung von Selbstbestimmung, sondern auch unbedingte Voraussetzung der anderen Grundfähigkeiten.

Die „Bildung im Medium des Allgemeinen“ als zweites Bedeutungsmoment von Allgemeinbildung ist für Klafki ihre inhaltliche Bestimmung, die im Unterschied zum früher üblichen verbindlichen Kanon von (z. T. bildungsbürgerlichen) Kulturinhalten, heute auf dem Stand eines „kritischen, historisch-gesellschaftlich-politischen und zugleich pädagogischen Bewußtseins“ universal beantwortet werden muß: Allgemeinbildung heißt, „ein geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Problemen der Gegenwart und – soweit voraussehbar – der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller und die Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken“. Diese „Konzentration auf epochaltypische Schlüsselprobleme unserer Gegenwart und vermutlichen Zukunft“ (Klafki 1993, S. 56) als „verbindlicher Kern des Gemeinsamen“ muß im Sinne einer „Verständigung über die gesamtgesellschaftlich-politische, meistens globale Bedeutsamkeit solcher Schlüsselprobleme als ein im Prinzip unabschließbarer Diskussionsprozeß im nationalen und internationalen Rahmen verstanden werden“ (Klafki 1995b, S. 34).[13] Daß Schlüsselprobleme nicht eindeutig bestimmbar sind, zeigt Klafki selbst: seit 1985 hat sich seine Systematik, Anzahl und Reihenfolge der Problemkreise mehrfach geändert. Diese inhaltliche Neubestimmung markiert immerhin einen erheblichen Fortschritt in der Entwicklung moderner Bildungstheorien.

Eines der Schlüsselprobleme Klafkis ist die „Umweltfrage“[14], die er als Frage nach der „Zerstörung oder Erhaltung der natürlichen Grundlagen menschlicher Existenz und damit nach der Verantwortbarkeit und Kontrollierbarkeit der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung“ (Klafki 1993, S. 58) definiert.[15] Die schrittweise Entwicklung von Problembewußtsein, Einsicht in die Notwendigkeit alternativer Technologien und umweltschonendem Verhalten sowie permanenter demokratischer Kontrolle sind die wichtigsten Ziele, die in der Schule so weit wie möglich in Form handlungsorientierter Projekte in Angriff genommen werden sollen. Dies entspricht durchaus verbreiteten Zielkatalogen damaliger Umweltbildung, repräsentiert jedoch kein fundamentales Verständnis der Ökologischen Krise.

Für die bildungstheoretische Fundierung der Umweltbildung ist der folgende Gedanke Klafkis wichtig: Bei der Beschäftigung mit Themen aus dem Bereich der epochaltypischen Schlüsselprobleme geht es ihm „nicht nur um die Erarbeitung jeweils problemspezifischer, struktureller Erkenntnisse, sondern auch um die Aneignung von Einstellungen und Fähigkeiten, deren Bedeutung über den Bereich der jeweiligen epochaltypischen Schlüsselprobleme hinausreicht“ (Klafki 1993, S. 63): Kritikbereitschaft und -fähigkeit, Argumentationsbereitschaft und -fähigkeit, Empathie, vernetztes Denken. Darauf wird ausführlich in 5.6 im Kontext des neueren Diskurses über (Schlüssel)Kompetenzen und Fähigkeiten eingegangen.[16]

Die zentrale Stellung der epochaltypischen Schlüsselprobleme darf aber nicht im Sinne eines neuen Omnipotenzanspruchs der Pädagogik verstanden werden, die komplexen Weltprobleme allein pädagogisch lösen zu können oder Lösungen mit eingebauter Erfolgsgarantie vermitteln zu wollen. Klafki äußerte sich dazu sinngemäß wie folgt: Konkrete Praxisbeispiele können immer nur Teilaspekte oder -bereiche von Schlüsselproblemen behandeln. Es geht darum, jeweils ein Stück weit in die Struktur der Schlüsselprobleme oder ausgewählte Teilaspekte einzudringen, vorliegende oder neue Lösungsvorschläge zu begreifen und zu erörtern, Vorsicht gegenüber Patentlösungen zu wecken, eigene Betroffenheit und überindividuelle Bedeutsamkeit zu erkennen, Mut zu kreativem und gleichwohl selbstkritischem Mitdenken über Lösungsmöglichkeiten und zum ersten Erproben zu wecken und zu stärken sowie Wege aus der Hilflosigkeit zu weisen. Elementare Handlungserfahrungen können vor allem auf folgenden Ebenen erfolgen:

        Lerngruppe

        Schule (innere und äußere Gestaltung)

        kritisches und konstruktives Hineinwirken in das kommunale und regionale Umfeld, in Ausnahmefällen sogar in entferntere Gebiete.

Das erreichbare Niveau der Thematisierung hängt vom didaktischen Bewußtseinsstand der Lehrkräfte und den Ausgangsbedingungen der Lernenden und dem jeweiligen konkreten schulischen Kontext ab (Klafki 1995b, S. 36-41).

Als letzten Gesichtspunkt möchte ich die „Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten“ nennen: Klafki versteht darunter die Bildung der kognitiven Möglichkeiten, der handwerklich-technischen Produktivität, der zwischenmenschlichen Beziehungsmöglichkeiten (Sozialität), der ästhetischen Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Urteilsfähigkeit und derethischen und politischen Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. Diese Grunddimensionen unterliegen einer historischen Entwicklung. Sie sind im Sinne des Rechtes auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ unverzichtbar.[17] Mit Einschränkung fragwürdig und überprüfungswürdig erscheint die Bestimmung dieser Grunddimension als „polare Ergänzung“ (Klafki 1993, S. 69) zu der Konzentration auf die Schlüsselprobleme.

2.2  Der Beginn der Umweltbildung

Nach einigen konzeptionellen Vorläufern einer schulischen Umwelterziehung in den 70er Jahren[18] und mannigfaltigen Aktivitäten auf internationaler Ebene (z. B. bei der interstaatlichen UNESCO-Konferenz Environmental Education 1977 in Tiflis)[19] fand 1978 in München eine Arbeitskonferenz zu Aufgaben der Umwelterziehung in der Bundesrepublik Deutschland und ihren Nachbarstaaten statt, die die Beschlüsse von Tiflis (41 Empfehlungen) für ihre Staaten in Form von Empfehlungen für verschiedene Bildungsbereiche einschließlich der Massenmedien konkretisierten.[20] Auf dieser Basis gab die Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik (KMK) im Oktober 1980 eine Empfehlung zur flächendeckenden Einführung der Umwelterziehung im Bereich der allgemeinbildenden Schulen der Bundesrepublik Deutschland (KMK 1980)[21]:

Für den einzelnen und die Menschheit insgesamt sind die Beziehungen zur Umwelt zu einer Existenzfrage geworden. Es gehört daher auch zu den Aufgaben der Schule, bei jungen Menschen das Bewußtsein für Umweltfragen zu erzeugen, die Bereitschaft für den verantwortlichen Umgang mit der Umwelt zu fördern und zu einem umweltbewußten Verhalten zu erziehen, das über die Schulzeit hinaus wirksam bleibt. (KMK 1982)[22]

Die auf dieser Basis ausgearbeiteten Konzepte (s. 2.2.2) wurden schon bald einer z. T. sehr grundsätzlichen Kritik konkurrierender umweltpädagogischer Ansätze unterzogen und als Teil einer technokratischen Modernisierungsstrategie des Staates verworfen. Diese Kritiken[23]stammten aus dem Bereich von Konzepten des Ökologischen Lernens (2.3.1) und der Ökopädagogik (2.3.2), die einen vollständig anderen sozialen und politischen Entstehungshintergrund hatten. Diese Kritiken, die für die 80er Jahre typisch waren, enthielten auch wichtige pädagogische Aspekte, die hier besonders interessieren. Die Rekonstruktion dieser ersten Phase der Umweltbildung ist, trotz der erwähnten Grundsatzkritik und der in 2.2.2 im Detail deutlicher werdenden Mängel, aus folgendem Grund unverzichtbar: die tatsächliche schulische Praxis wird vermutlich bis heute primär von diesen didaktischen Ansätzen der Umwelterziehung als ‚Alltagstheorien‘ von Lehrkräften bestimmt oder bleibt sogar konzeptionell noch hinter diesen Theorien zurück (s. 1.1). Die anstehende Neuorientierung der Umweltbildung wird nur dann Erfolg haben können, wenn es ihr gelingt, im Sinne einer institutionellen Anschlußfähigkeit an die tatsächliche schulische Praxis anzuknüpfen und dazu Elemente eines zu identifizierenden bildungsrelevanten Potentials ausfindig zu machen, das dann ausgebaut werden kann. In 2.2.2 werden exemplarisch Aspekte des Konzeptes von Eulefeld/Frey/Haft (1981) vorgestellt. Zuvor wird auf den Lernbericht des Club of Rome aus dem Jahre 1979 eingegangen, der eine wichtige Grundlage der frühen Diskussion der Umweltbildung darstellte.

2.2.1  Der Lernbericht des Club of Rome

Nach der Buchveröffentlichung „Grenzen des Wachstums“ (Meadows/Meadows 1972), die die öffentliche Meinung stark beeinflußte, hat der herausgebende Club of Rome bereits ein paar Jahre danach das „menschliche Dilemma“ als neue Grenze zur Bewältigung der Menschheitsprobleme erkannt (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979). Diese Grenze besteht in der Dichotomie zwischen einer wachsenden, selbstverschuldeten Komplexität aller Verhältnisse einerseits und der ‚künstlich‘ schleppenden Entwicklung unserer eigenen Fähigkeiten andererseits. Während die Komplexität von den Autoren als Ausdruck der sich untereinander verstärkenden Problembereiche (Ökologie, Armut, Überbevölkerung, Nord-Süd-Gefälle u. a.) angesehen wird, liegen die Hauptursachen der defizitären Fähigkeitsentwicklung im „Machtmißbrauch“ und strukturellen Barrieren der starren Bildungssysteme. Auf Basis systemtheoretischer Überlegungen wird die Lösung von Seiten des Lernberichts in der Aktivierung des ganzen individuellen und gesellschaftlichen „innovativen“ Lernpotentials gesehen, das der Vorbereitung eines gemeinsamen Handelns in neuen Situationen auf verschiedenen Ebenen – von lokal bis weltweit – zur Veränderung der Welt dienen soll. Dabei soll nicht nur das Überleben der Menschheit gewährleistet, sondern auch die Würde[24] des Menschen beachtet werden. Es geht um neue Methoden, Fertigkeiten, Verhaltensweisen und nicht zuletzt um neue Werte. Im Lernbericht des Club of Rome wird eine erste Begründung für ein Lernen geliefert, das antizipierend, aber auch partizipierend, gesellschaftlich integrierend, aber auch auf individuelle und kulturelle Autonomie angelegt ist. Diese wichtigen Gedanken sind kaum in der weiteren Entwicklung der Umweltbildung berücksichtigt worden.[25] Unter „Mitbestimmungs-“ und „Selbstbestimmungsfähigkeit“ tauchen bei Klafki ein Teil dieser Gedanken als Grundfähigkeiten[26] auf, während die Partizipation in der Nachhaltigkeitsdebatte und insbesondere der Agenda 21 eine zentrale Rolle gewinnt (vgl. Kapitel 3). Trotz aller – zumindest aus damaliger Sicht – berechtigten, politischen und pädagogischen Kritik[27] an dieser Studie hat der Club of Rome zumindest in diesen Punkten zentrale Elemente eines modernen Bildungsdenkens geliefert. Sie bieten aus heutiger Sicht ebenso Anschlußmöglichkeiten für weitergehende Perspektiven wie die bisher wenig beachtete Thematisierung der sozialen, politischen und ökonomischen Voraussetzungen, Zusammenhänge und Folgen eines innovativen Lernens im Lernbericht des Club of Rome.[28]

Diese Studie macht ein tiefes Dilemma kritischen pädagogischen Denkens deutlich, das in den damaligen Rezeptionen des Lernberichts des Club of Rome zum Ausdruck kam: Zur Lösung der fast als unüberwindbar angenommen globalen Menschheitsprobleme, etwa im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, scheint kein Weg an einer zunehmenden, praktischen Instrumentalisierung und Ausbeutung der Lern- bzw. Bildungsfähigkeit, der Kreativität und Innovationsfähigkeit der Menschen vorbeizuführen, so daß kein Spielraum für einen subjektiven noch ‚systemtranszendierenden‘ Bildungsüberschuß zu bleiben scheint. Spätestens aus heutiger Sicht ist es kaum möglich, in Gang gekommene Bildungsprozesse inhaltlich und funktional zu begrenzen und bestimmte, vordefinierte Lernziele, etwa im umweltpädagogischen Bereich, wirksam festzulegen. Außerdem gibt es in der inzwischen veränderten Weltlage zum Kapitalismus bzw. zur marktwirtschaftlichen Grundform moderner Gesellschaften keine gesellschaftlichen „Systemalternativen“ mehr, die als politische Dimension gesellschaftskritischer Bildung Berücksichtigung finden könnten. Deshalb kann man den genannten ‚notwendigen‘ Versuch einer Instrumentalisierung auch als Chance für Bildungsprozesse betrachten – freilich ohne Erfolgsgarantie.

Exponentiell gesteigertes Wissens der Menschheit, angehäufte Probleme sowie schnell zunehmende globale Zusammenhänge und Beziehungen führen zu der schwerwiegenden Frage, ob es für die Menschheit als Ganze, vor allem aber für jeden einzelnen nicht Grenzen des menschlichen Vermögens gibt, Komplexität zu erfassen, kritisch zu verarbeiten und sich als Akteur an der praktischen Mitgestaltung und Umsetzung von Lösungen zu beteiligen. Gibt es in diesem Sinne Grenzen, die weder mit technischen Mitteln noch neuen innovativen Methoden beliebig lange und vor allem in der erforderlichen Geschwindigkeit hinausgeschoben werden können? Für eine aufklärerische Perspektive, die traditionell den Anspruch hat, den Menschen aus „seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ herauszuführen[29], zeigt sich hier ein zunehmendes und unlösbar erscheinendes Problem. Eine wirksame Entschärfung dieser Situation wäre langfristig durch eine in globalem Maßstab betriebene konsequente gesellschaftliche Dezentralisierung und Regionalisierung zu erwarten, da diese auch zu einer realen Komplexitätsreduktion führen kann. Die Betonung der lokalen und regionalen Ebene und deren möglichst weitreichende Selbststeuerung stellt einen Strang der Diskussion um nachhaltige Entwicklung sowie einen notwendigen Gegenpol zur aktuellen Debatte über Globalisierung dar.[30]

Einerseits wurde der Lernbericht als nicht weitreichend genug kritisiert, andererseits wurde er in seinem konzeptionellen Potential kaum ausgeschöpft. Der Club of Rome selbst hat mit seinem Lernbericht den bloßen Weg des Lernens – wenn auch in neuen Formen und unter neuen Bedingungen – überschätzt. In späteren Studien des Club of Rome ist er von dieser Einschätzung des Lernens abgerückt.[31]

2.2.2  Frühe Umwelterziehung

Als Beispiel eines weit entwickelten Ansatzes der ersten Phase schulischer Umweltbildung in Deutschland soll auf einige Aspekte des Konzeptes von Eulefeld, Frey und Haft (1981) eingegangen werden, das nach damals zehnjähriger didaktischer Diskussion beanspruchte, ein Gesamtkonzept der Umwelterziehung darzustellen.[32] Als Hauptziel wird definiert, Menschen zu einem verantwortlichen Umgang in ökologischen Situationen zu befähigen und ihnen Wert und Unwert von Umwelten bewußt zu machen. Umwelterziehung zielt insbesondere „auf eine Erhaltung und Erneuerung eines Denkens und Handelns, das an biologischen und soziologischen Langzeitprozessen, an den Lebensbedingungen zukünftiger Generationen orientiert ist“. Das didaktisch-curriculare Konzept ist fächerübergreifend und schulpraktisch ausgerichtet, aber auf die Fächer Biologie, Geographie und Sozialkunde zentriert angelegt. Basis sind drei Komponenten (vgl. Eulefeld/Frey/ Haft 1981, S. 70ff):

        die jeweils zu bestimmenden „gegenständlichen Teilsysteme“, die interdisziplinär und handlungsbezogen unter Berücksichtigung einer Liste von Auswahlkriterien, wie gesellschaftliche Bedeutung, Konfliktträchtigkeit u. a. bestimmt werden

        Aussagesysteme aus unterschiedlichen Bereichen der Wissenschaft und anderen (z. B. alltagsweltlichen) Quellen

        die vier Thematisierungsgesichtspunkte Vernetztheit, Problemhaftigkeit, Geschichtlichkeit und Prozeßhaftigkeit ökologischer Systeme.

Projektunterricht, Fallstudie und Rollenspiel werden als besonders geeignete Methoden angesehen (Eulefeld/Frey/Haft u. a. 1981, S. 107ff), die Berücksichtigung globaler und lokaler Bezüge wird empfohlen. Da eine grundsätzliche Veränderung des bestehenden Gesellschaftssystems, das nach Auffassung einiger Kritiken die entscheidende Ursache der ökologischen Probleme darstellt, nicht zu den ausdrücklichen Zielen dieses Ansatzes gehörte, galt er bei seinen Kritikern gesellschaftspolitisch als ‚systemimmanent‘: Seine begrenzte Aufgabe, das neue Umweltthema in das bestehende Schulwesen einzuführen, wurde hinsichtlich seiner faktischen politischen Funktion als der bloße Versuch der Verschaffung von Legitimation und Unterstützung staatlicher Umweltpolitik verstanden. Außerdem wurde darin eine fragwürdige Verschiebung von politisch zu lösenden Problemen in den pädagogischen Bereich hinein gesehen, die mit einem Wortspiel wie folgt formuliert werden kann: Produktion von (unverbindlichem) Umweltbewußtsein statt umweltverträgliche Produktion.[33]

 

Eine gesellschaftlich modernisierende Funktion der Umwelterziehung kann auf der individuellen Ebene unter anderem darin gesehen werden, daß die einzelnen Lernenden sich Fähigkeiten zum Erkennen von Umweltproblemen durch fachliche Informationen aneignen, Haltungen erwerben, die einer neuen ökologischen Verantwortungsethik entsprechen und Motivationen zu einem umweltbewußten Verhalten im Alltag finden. Die Erwartung einer solchen modernisierenden Leistung ist für sich aus meiner heutigen Sicht noch kein hinreichender Grund, den ganzen Ansatz in Frage zu stellen. Denn letztlich muß es auch einer grundlegenden kulturellen und politischen Transformation darum gehen, die unverzichtbaren, konkreten subjektiven Voraussetzungen für ein veränderndes Handeln unter jeweils gegebenen Bedingungen, insbesondere im Lebensalltag zu schaffen (vgl. Becker, E. 1987, S. 12f). In den 90er Jahren, in denen auch in Kritiken der Umweltpolitik die positiv gestaltenden Elemente gegenüber bloßer kritischer Aufklärung zunehmend in den Vordergrund rücken, bekommen diese subjektiven Handlungsvoraussetzungen einen wachsenden Stellenwert im Verhältnis zur Anfangsepoche der Umweltbildung. Mit der Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung verstärkt sich diese Tendenz. Damals erschien es aus der Perspektive der Kritiker der frühen Umwelterziehung wichtiger, zunächst eine grundlegende Problematisierung des Verhältnisses zu Natur und Umwelt zu vermitteln und mit unterschiedlicher Reichweite Kritik an den Ursachen der Ökologischen Krise zu betreiben statt etwa isoliert einzelne Alltagsverhaltensweisen zu verändern, sich Detailwissen anzueignen u. ä. Trotz der Kritik wurde mit der Vorlage des differenziert ausgearbeiteten fächerübergreifenden, curricularen Modells insgesamt ein positiver Beitrag für eine mögliche praktische Umsetzung schulischer Umweltbildung auf der inhaltlichen Ebene geleistet, die auch mit gesellschaftskritischen Inhalten hätte gefüllt werden können.[34] Einen subjektbezogenen Zugang, der auch bildungstheoretischen Ansprüchen genügt, findet man im Konzept von Eulefeld nicht.

Es spricht vieles für meine Vermutung, daß die ‚Normalpraxis‘ der schulischen Umweltbildung bis heute, also nach etwa 25 Jahren, noch nicht einmal dieses konzeptionelle Niveau erreicht hat (vgl. 1.1), geschweige denn weitgehende gesellschaftskritische Zielsetzungen. Umgekehrt kann man auch das von den Kritikerinnen und Kritikern der Umwelterziehung mehr unterstellte als je konkretisierte umweltpädagogische Programm einer bloßen Akzeptanz- und Vertrauensschaffung zugunsten staatlicher Umweltpolitik im Nachhinein als gescheitert ansehen. Die Ursache scheint mir nicht nur in der halbherzigen bis mangelhaften bildungspolitischen Förderung der Umweltbildung zu liegen. Viele Erfahrungen der letzten 20 Jahre und neuere empirische Untersuchungen zur Wirkung der Umweltbildung (vgl. 1.1.1 und 5.5) zeigen, daß sich Umweltbildung nicht so einfach funktionalisieren läßt, wie es sich ihre staatlichen Förderer oder professionellen Didaktiker wünschen und die Kritiker befürchten. Dies verweist auf die Rolle des lernenden Subjekts und auf Zielsetzungen von Umweltbildung, der es zumindest damals an pädagogischer und bildungstheoretischer Reflexion sowie noch nicht möglicher empirischer Erfahrung und Überprüfung mangelte. Zu stark war bei fast allen Vertretern der Umweltbildung ein zugrundeliegendes, z. T. fast omnipotent zu bezeichnendes, pädagogisches Machbarkeitsdenkens. Diese Grundhaltung war aus der Perspektive der umweltpädagogischen Akteure und Förderer der Umweltbildung verständlich, da deren Motivation sich angesichts der ökologischen Krise zunächst ausschließlich aus dem Wunsch einer möglichst schnellen und unmittelbaren Lösung der Umweltprobleme speiste.

Gemessen an bildungstheoretischen Ansprüchen fehlen dem Ansatz von Eulefeld und anderen Konzeptentwürfen der damaligen Umwelterziehung explizite allgemeine Zielsetzungen wie etwa Klafkis drei Grundfähigkeiten.[35] Umgekehrt ist das Verhältnis zu Natur und Umwelt gemäß KMK-Beschluß (KMK 1980) bei Eulefeld und allen anderen Ansätzen der Umweltbildung konstitutiv und wird meist mit Formulierungen wie „verantwortlicher Umgang“ mit Natur und Umwelt zum Ziel erhoben. Dies ist ein erster Hinweis für die Angemessenheit meines Vorschlages, die Fähigkeit des verantwortbaren Umgangs mit Natur und Umwelt, die insbesondere die Fähigkeit des Umwelthandelns einschließt als eine weitere Grundfähigkeit dem Ansatz von Klafki hinzuzufügen. In zwei anderen Punkten gibt es eine Ähnlichkeit zwischen Klafkis Theorie der Allgemeinbildung und der frühen Umwelterziehung, hier vertreten durch den vorgestellten Ansatz von Eulefeld u. a.: Für beide ist Umwelt letztlich nur ein wichtiges Thema. Die „Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten“ sind bei Eulefeld nur schwach vertreten. Dies entspricht der Trennung zwischen sachbezogenem epochaltypischen Schlüsselproblemen und diesen Grundfähigkeiten.[36] Die Kritik daran wird in diesem Kapitel begründet. (s. auch 2.1).

2.2.3 Sozialistische Umwelterziehung in der DDR

Unter ganz anderen gesellschaftlichen Vorzeichen gab es auch in der DDR eine Umwelterziehung, die aber einen geringeren Stellenwert besaß als die in der BRD und die nach der staatlichen Vereinigung politisch gänzlich bedeutungslos wurde.

Umweltfragen und Umwelterziehung hatten in der Geschichte der DDR durchaus wechselnde Bedeutung und werden zumindest im Nachhinein sehr unterschiedlich interpretiert.[37] Die offizielle Politik und ideologische Verlautbarungen verfuhren offenbar nach dem Motto, daß nicht ist, was nicht sein darf: „Es gibt unter den Bedingungen der DDR objektiv keinen Widerspruch zwischen steigender Produktion und Umweltschutz“ (Seidel 1982, S. 118)[38]; es herrscht ein politisch, ökonomisch und ideologisch bedingtes extremes ‚Machbarkeitsdenken‘ hinsichtlich des Verhältnisses zur Natur. Das ökologische Problem wurde vor allem im Kapitalismus gesehen (vgl. Drechsler 1985, Pauke/Bauer 1981)[39] .

Obwohl die Arbeiterklasse „den Fragen der Bildung und Erziehung zur Bewußtheit gegenüber den natürlichen Existenzgrundlagen der Menschen und zur Naturliebe und ‑verbundenheit ... von jeher große Aufmerksamkeit geschenkt hat“ (Drechsler 1985, S. 113ff), sei es stärker erforderlich, in der Schule „von einer komplexen Sicht der Wechselbeziehungen von Gesellschaft und Natur auszugehen ..., die schon aus dem weltanschaulichen Ansatz der Klassiker des Marxismus resultierende aktive Lebensposition und den weltanschaulichen Optimismus konsequent zu entwickeln ... in den naturwissenschaftlichen Disziplinen ... die Potenzen weltanschaulicher Erziehung für die Bejahung des ökonomischen Fortschritts und des aktiven Engagements unserer Jugend für die Durchsetzung der ökonomischen Strategie stärker zu erschließen und stoffimmanent umzusetzen ... in den Literatur- und Kunstdisziplinen ... das ästhetische Verhältnis der Gesellschaft und jedes einzelnen Menschen zur Natur weltanschaulich anzureichern  ... über die polytechnische Ausbildung ein produktiv-schöpferisches Verhältnis des Schülers zur Natur“ anzuerziehen (Drechsler 1985, S. 113ff).[40]

Die programmatischen und weltanschaulicher Erklärungen zur Umwelterziehung waren auf Allgemeinbildung ausgerichtet (Kaiser/Bardl 1989, Streibel 1988). Die Praxis der Umwelterziehung fand jedoch weitgehend im Kontext des Biologieunterrichts (vgl. Eulefeld 1994, Lerchner 1990) und in den unteren Klassen im Heimatkundeunterricht (Kunze 1991) statt. Ansonsten spielten offenbar Arbeitsgemeinschaften und gesellschaftlichen Organisationen außerhalb der Schule eine große Rolle.[41]

2.3  Vorstufen Ökologischer Bildung

Die in diesem Abschnitt vorgestellten umweltpädagogische Ansätze des Ökologischen Lernens (2.3.1) und der Ökopädagogik (2.3.2) stehen einer (gesellschafts)kritisch verstandenen Bildungskonzeption näher als die meisten Konzepte der Umwelterziehung. Zusammen mit zwei weiteren bildungstheoretisch orientierten Weiterentwicklungen (2.3.3 und 2.3.4), die fast alle in einem engen Zeitraum Mitte der 80er Jahre entwickelt und kontrovers diskutiert wurden, möchte ich diese Ansätze als Vorstufen einer ökologisch orientierten Bildung interpretieren. In der gleichen Zeit hatte ich eine bildungstheoretische Ausrichtung der Umweltbildung und eine naturtheoretische Fundierung der Bildungstheorie gefordert (2.4). All diese Überlegungen und Ansätze unterscheiden sich jedoch von einigen ökologischen Bildungstheorien, die z. T. schon früher entstanden waren und anthropologisch oder systemisch begründet wurden (2.5).

2.3.1  Ökologisches Lernen

Im Rahmen der deutschen Bürgerinitiativ-, Ökologie- und Alternativbewegung der 70er Jahre entstanden vielfältige, selbstbestimmte Lebens- und Lernformen sowie themen- und situationsbezogene Ansätze politischer, insbesondere ökologischer Bildungsarbeit[42], die insgesamt als Ökologisches Lernen bezeichnet wurden. Politisch-umweltpädagogische Ambitionen zeigten sich in vielen ‚grauen Broschüren‘ zu Umweltthemen. Die Konzentration lag dabei aufaufklärende Vermittlung von Informationen und Argumentationen.[43]

Die in diesen sozialen Bewegungen weit verbreitete gesellschafts- und wissenschaftskritische Grundhaltung nahm teilweise auch antigesellschaftliche und antiwissenschaftliche Formen an. Als Motivation und Begründung spielten unterschiedlichste Hintergrundtheorien und ‑ideologien eine Rolle. Angesichts der sich Ende der 70er Jahre verschärfenden ökonomischen Krise und einer ökonomistisch motivierten Rücknahme umweltpolitischer Reformprogrammatiken auf staatlicher Seite kommt es zu einer diametralen Entgegensetzung zwischen Ökonomie und Ökologie, wobei der Begriff Ökologie zum Zentrum neuer (alternativer, sanfter u. ä.) Lebens- und Gesellschaftsentwürfe wird. Deren Vertreter benutzen außerdem Begriffe wie Wachstum, Industrie, Großtechnik, Megamaschine als Symbole für eine gesellschaftliche Welt, die vollständig abgelehnt wurde.[44]

In die vielfältige Praxis des Ökologischen Lernens flossen Merkmale der Alternativen Pädagogik der 70er Jahre, aber auch Elemente aus der historisch älteren Reformpädagogik ein oder fanden hier neue Anwendungen. Zum Teil wurde das Ökologische Lernen in folgendem Sinne ökologisch verstanden: Die Ökologie als die biologische Wissenschaft von den Lebensumwelten wurde auf die Lernumwelt des Menschen übertragen, die als Bedingungsgefüge menschlichen Lernprozesse verstanden wurde.[45] Neuere Modelle der modernen Naturwissenschaften, z. B. das Selbstorganisationsprinzip des Physikers Prigogine (1980), wurden auf Lernprozesse übertragen (vgl. Dauber 1985, S. 39). Gerade diese Modelle schienen die damals favorisierten politischen Organisationsformen der neuen sozialen Bewegungen zu bestätigen.

In der theoretischen Diskussion des Ökologischen Lernens standen sich vor allem die Ansätze von Beer (1978, 1982 u. 1983) und Dauber (1982 u. 1985) gegenüber. Beer formulierte unter Berücksichtigung der politischen Sozialisation in der Ökobewegung „paradigmatische Elemente und Bezüge“ für eine ökologische Bildungsarbeit und für neue politisch-ökologisch ausgerichtete Erwachsenenbildung: Betroffenheit, Kompetenzbewußtsein, Autonomie des Lernens, ein dialogisches Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden, Konsensprinzip, Alltags- und Aktionsorientierung, Partizipation, Parteilichkeit sowie die Verbindung kognitiver, emotionaler und aktionaler Aspekte (Beer 1982, S. 299ff). Dies fand sich später in weit verbreiteten, ähnlichen didaktischen Prinzipien der Umweltbildung wieder. Dauber propagierte dagegen im Kern ein nichtpädagogisiertes Eigenlernen und setzte damit auf informelle Lernprozesse in den Neuen sozialen Bewegungen und vor allem innerhalb den gleichzeitig entstehenden alternativen Lebensformen.[46]

Die Vielfalt der pädagogischen Praxis des Ökologischen Lernens und seiner Konzeptionierungen hatte im weiteren Verlauf auf zwei Ebenen Konsequenzen für allgemeine Bildungsvorstellungen: Zum einen strahlte die Idee des Ökologischen Lernens auf andere Bildungsbereiche aus und zog Versuche der Übertragung in die Erwachsenenbildung[47], Schule und Hochschule nach sich.[48] Das Problem der Übertragung auf institutionalisierte Umweltbildung war jedoch nicht nur ein konzeptionelles Problem, sondern zeigte sich in der grundlegend unterschiedlichen Motivationssituation der Lernenden in frei(willig)en Lerngruppen und in Bildungsinstitutionen mit Pflichtteilnahme. Zum anderen entwickelten sich aus der Praxis des Ökologischen Lernens selbst neue institutionalisierte Bildungsangebote, etwa in der Erwachsenenbildung, aber auch in Form von freien Bildungseinrichtungen, die in der Folgezeit in großer Zahl entstanden. Anfangs waren sie z. T. noch eng mit bestimmten ökologisch-politischen oder anderen Zielen der neuen sozialen Bewegungen verbunden. Veränderte Bildungsnachfrage und Probleme der materiellen Existenzsicherung führten allmählich zu einer pragmatischen Abkehr von den ursprünglich betont gesellschaftskritischen Positionen. In Niedersachsen sind freie Bildungseinrichtungen Teil eines flächendeckenden Systems von Umweltbildungseinrichtungen, die auch umliegenden Schulen ihre umweltpädagogischen Dienstleistungen anbieten.[49] Dies sind in der Regel traditionelle naturerlebnis- und naturkundlichorientierte oder auch reformpädagogisch geprägte Formen der Umweltbildung.[50]

Trotz berechtigter Kritik an fragwürdigen Erscheinungsformen, Ausrichtungen und Defiziten des Ökologischen Lernens, die vor allem von Seiten der damaligen Ökopädagogik kam (s. 2.3.2), sorgte Ökologisches Lernen in seiner Gesamtheit für die dauerhafte Etablierung wichtiger bildungs(theorie)relevanter Aspekte wie Alltags-, Handlungs- und Regionalorientierung (2.8), Selbstbestimmung, Partizipation (s. Kapitel 3), aber durchaus auch Naturerlebnis- und -wahrnehmungsorientierung sowie Ganzheitlichkeit (s. 2.7.4). Soweit unter Ganzheitlichkeit die Verfolgung unterschiedlicher persönlicher Zugänge zu Sachthemen verstanden wird, findet eine Verknüpfung zwischen dem inhaltlichen Bereich epochaltypischer Schlüsselprobleme und dem formalen Bereich statt, den Klafki „Bildung in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten“ nennt. In bezug auf die subjektive Verankerung und Wirksamkeit der Umweltbildung ist dies ein für sie unverzichtbarer Aspekt, der auch in einer allgemeinen Bildungsvorstellung Berücksichtigung finden sollte.[51]

2.3.2  Ökopädagogik und Kritik

Die um das Zeitschriftenprojekt Ökopäd[52] herum Anfang der 80er Jahre entstandene Ökopädagogik stellte in ihren ursprünglichen Motiven eine kritische Fortentwicklung des Ökologischen Lernens dar. Sie basierte auf damals verbreiteten Gesellschafts-, Wissenschafts-, Erziehungs- und Ideologiekritiken und unterwarf die vorliegenden Umwelterziehungskonzepte einer grundsätzlichen und häufig scharf formulierten Kritik (s. 2.2.2). Bald richtete sich die (Selbst)Kritik auch auf zentrale Begriffe und Theoreme des Ökologischen Lernens: Ganzheitlichkeit, Betroffenheit, Natürlichkeit, Ökologie u. a. (de Haan 1982).[53] Der damals geführte ökopädagogische Diskurs brachte keine in sich homogene Richtung oder gar ein festes Konzept hervor, sondern zunächst ein offenes Spektrum ‚kritischer Ansätze‘[54]. Diese waren sich zwar in der Betonung der reflexiven Momente von Umweltbildung und in ihrem mehr oder weniger zukunftsoffenen Anspruch einig, keineswegs jedoch in allen ihren analytischen Positionen, inhaltlichen und pädagogischen Zielsetzungen, geschweige denn im Hinblick auf praxisbezogene Ansprüche institutioneller Bildungsbereiche.[55] Auch verwendeten nicht alle die Selbstbezeichnung Ökopädagogik (s. auch 2.3.3). Diese Heterogenität trifft sogar für das deshalb oft bis heute mißverstandene Hauptwerk[56] dieser Richtung zu, das den Titel „Ökopädagogik. Aufstehen gegen den Untergang der Natur“ (Beer/de Haan 1984) trägt. „Ökopädagogik heißt dialogisch lernen und lehren, sich lernend in Bewegung halten. Dies gilt gerade für die, die auf der Suche nach der anderen Pädagogik sind.“ Diese wichtige Aussage der Herausgeber aus dem Vorwort (S. 10) zugunsten einer offenen Position entsprach nicht immer der Kommunikationspraxis innerhalb der Ökopädagogik. Ihre innere Pluralität und die verwandter Ansätze wurde von ihren Vertretern in ihrer Gesamtheit kaum als positiven Wert angesehen, wie man dies aus heutiger partizipationstheoretischer, pluralistischer oder postmoderner Perspektive tun würde.[57]

Den Versuch einer begrifflichen Präzisierung der Ökopädagogik unternahmen Beer und de Haan (1986) durch systematische Abgrenzung der drei schon vorher unterschiedenen Haupttypen der Umweltpädagogik (Umwelterziehung, Ökologisches Lernen, Ökopädagogik) anhand von vier Aspekten:

Erstens, ob es gelingt, das ökologisch-pädagogische Handeln davor zu bewahren, zur Hilfsfunktion für politisches Krisenmanagement zu werden. Zweitens, wie tief die Kritik am heutigen Umgang mit der Natur in diesen Ansätzen reicht. Drittens, wie aufgrund der überlebensbedrohenden Situation das Verhältnis zur Zukunft bestimmt wird. Viertens, in welchem institutionellen und organisatorischen Rahmen sich das gegen die ökologische Krise gerichtete Lernen vollzieht bzw. vollziehen kann. (Beer/de Haan 1986, S. 36)

Ökopädagogik wird nun als „Frage- und Suchkonzept“ definiert,

das die Voraussetzungen der ökologischen Krise ebenso radikal hinterfragen will wie die derzeit angebotenen unterschiedlichen Lösungsansätze. Es soll nicht für eine bestimmte Zukunft erzogen werden, aber gleichzeitig herrscht Skepsis gegenüber einem Lernen en passant. Statt dessen wird die Zukunft bewußt ganz offengehalten, um sie gestaltbar zu machen für vieles und durch viele. ... Ökopädagogik hält fest an einer Bildungsidee, die der bloßen Utilitarität mit kritischer Distanz und der Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse begegnet – ohne sich von der Gesellschaft abzuwenden. Sie hält fest am Konzept der Selbstbestimmung in Reflexion sowie an der Idee des pädagogischen Verhältnisses, das ein dialogisches und frei von Zwängen ist. (Beer/de Haan 1986, S. 42)[58]

Den theoretischen Hintergrund dieser Vorstellung von Ökopädagogik hatte vorher de Haan (1985) geliefert: Die ökologische Krise, die auf die weltweit sich durchsetzende „produktivistische Logik“ im Sinne von André Gorz zurückgeführt wird, impliziert eine Krise der Pädagogik, denn das Verhältnis zur Natur wird auch über Erziehungs- und Bildungsprozesse, insbesondere durch den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht vermittelt. Im Mittelpunkt der Arbeit steht der Zukunftsbezug von Pädagogik bzw. die Bedingungen der Möglichkeit einer radikal gedachten, offenen Zukunft, die nicht auf Ausbeutung von Natur basiert. Diese bildungstheoretische Frage macht nach de Haan die Erörterung der wissenschafts- und erkenntniskritischen Frage nach dem herrschenden bzw. nach einem neuen Naturumgang sowie „utopisches Denken“ im Sinne des marxistischen Philosophen Ernst Bloch notwendig, das wiederum der Selbstreflexion unterliegt.

Von den meisten externen Kritikern der Ökopädagogik[59], die selbst wiederum aus sehr unterschiedlichen Richtungen argumentierten, wurde die innere plurale Situation ignoriert oder nicht durchschaut. Es sollen hier vier Varianten grundsätzlicher Kritik Erwähnung finden, die bis 1992 veröffentlicht wurden, die sich allerdings nur bedingt auf die hier präsentierte ökopädagogische Position im engeren Sinne beziehen:[60]

Aus der Perspektive einer bestimmten traditionalistischen marxistischen Position spricht Bernhard (1986a u. 1986b)[61] bezogen auf den größten Teil der damaligen Umweltpädagogik z. T. polemisch von einer überflüssigen „Bindestrich-Pädagogik“, einer „pädagogischen Reproduktion des allseits sichtbaren irrationalistischen Komplexes großer Teile der neuen sozialen Bewegungen“, desweiteren von „Theoriefeindlichkeit“, „Orientierungslosigkeit“ und „bürgerlichen Reaktionsmustern“. Die Begründung moniert im Kern das Fehlen der Marxschen „Kritik der Politischen Ökonomie“. Trotz dieses fragwürdig erscheinenden Dogmatismus von Bernhard ist meiner Ansicht nach die Reflexion der „ökonomischen Bedingungen und Strukturen der gegenwärtigen Gesellschaftsformation“ für eine kritische und realistische (Umwelt)Bildung unabdingbar, die sich in diesem Punkt eindeutig von rein natur- und/oder individuumsbezogenen Strömungen der Umweltpädagogik unterscheidet.[62]

Die bereits erwähnte Kritik von Mertens (1989) argumentiert auf einer natur- und kulturanthropologischen sowie ökologisch-ethischen Basisund unterstellt der Ökopädagogik eine generelle kulturpessimistische und naturromantisch-idealistische Prägung und eine Ausgrenzung jeglicher der „industriegesellschaftlichen Funktionalität aus dem Bildungsbegriff“[63].

Der Geograph Hard (1989) kritisiert aus fachlich externer Sicht scharfzüngig ökopädagogische und ökoethische Texte[64] vor allem wegen deren Bindung an unbestimmte, wertgeladene, holistische und ganzheitlich gedachte Konstrukte wie Natur, Ökologie, Umwelt, Region, Bildung u. a., aus denen seiner Auffassung nach nur undifferenzierte Ratschläge folgen könnten. Da diese Begriffe außerhalb der „pädagogischen Provinz“ längst szientistisch zersetzt, ausdifferenziert und redefiniert seien, fordert Hard eine pädagogische Theorie, die „einer differenzierten Gesellschaft und differenzierten Individuen (z. B. den Schülern) gerechter“ wird und die Differenzierungen auch als „Options- und Freiheits-Chancen“ beschreiben könnte (Hard 1989, S. 195ff).[65] Diese Forderung wird mit einer anderen Begründung erst in jüngster Zeit in der Umweltbildung diskutiert, z. B. im Kontext einer Kultur- oder Lebensstilorientierung und der Diskurse über Individualisierung und „zweite Modernisierung“ im Sinne der sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen von Beck u. a. (s. 2.7.2 und 2.7.3).

Bevor ich zu der erst später veröffentlichten, vierten Kritikvariante komme, sei angemerkt, daß nach dem Ende des organisierten Diskurses um die Zeitung Ökopäd im Jahre 1987 der Begriff Ökopädagogik im weiteren Verlauf der umweltpädagogischen Konzeptentwicklung zunehmend sein Profil verlor: Entgegen seiner ursprünglichen mehrdimensionalen Reflexivität wurde er nun auch in eindeutig normativen und naturalistischen Bedeutungen, z. T. auch als Synomym für ‚normale‘ Umwelterziehung verwendet.[66] Damit verlor der Begriff Ökopädagogik endgültig jegliche spezifische Bedeutung.[67]

Heid (1992 u. 1994) stellte vor allem die logische und (erkenntnis)theoretische Haltbarkeit zentraler Annahmen umwelt- und ökopädagogischer Konzeptionen der 80er Jahre und insbesondere den häufig zugrundeliegenden Naturalismus in einem Maße in Frage, die über die von ihm nicht zur Kenntnis genommene ökopädagogische Kritik[68] am Begriff Natürlichkeit (de Haan 1982) hinausging (s. 2.3.2). Speziell kritisiert Heid ökoethische Argumentationen auf Basis der Vorstellung eines Eigenrechtes der Natur, undifferenzierte oder in sich widersprüchliche Formulierungen wie „Zerstörung der Natur“, Schönheit der Natur, Forderung der Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung und der darauf basierenden Naturbeherrschung, u. ä. Statt dessen sollte Heids Auffassung nach eine sozial differenzierte Betrachtung des menschlichen Naturverhältnisses nach konkurrierenden (Be)Nutzungszwekken zur Grundlage gemacht[69] und die von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren umweltschädigenden Verhaltens systematisch beachtet werden (vgl. 2.7.3). Als Konsequenz sieht er viele umweltpädagogische Ziele eher als Aufgaben der Politik an und setzt im Widerspruch zur betont politischen Ausrichtung der Ökopädagogik und verwandter Ansätze bescheidener dagegen: „Das ‚Pädagogische‘ in einer an sich nicht pädagogischen Praxis ist die Entfaltung der Kompetenz, die zur kritischen Reflexion, Überprüfung, Revision und permanenter Erneuerung dieser Praxis befähigt.“ (Heid 1992, S. 133).

2.3.3  ‚Ökologische Bildung‘ – weitere Ansätze

Bevor hier aus einer umfassenderen Perspektive einer ökologisch orientierten Bildung eine Bilanz der in 2.3.2 dargestellten Debatte gezogen wird, gehe ich in diesem Abschnitt auf weitere Ansätze im Umfeld der Ökopädagogik ein, die alle diesen Begriff nicht als Selbstbezeichnung verwendeten und dennoch mehr oder weniger verwandte Positionen vertraten. Zum Teil war eine eindeutige Zuordnung in die Konstruktion der damaligen drei Hauptgruppen (Umwelterziehung, Ökologisches Lernen, Ökopädagogik) unmöglich: das Ökologie Lernen (Michelsen und Siebert), eine kritisch-emanzipatorische Umwelterziehung(Manke), Ökologische Bildung (Mikelskis), eine subjektbezogene Umwelterziehung (Meyer, P.) und – auf einer anderen Argumentationsebene angesiedelt – ein grün-alternatives Bildungskonzept (Preuss-Lausitz, in 2.3.4).[70]

Ebenfalls Mitte der 80er Jahre wurde das praxisorientierte, aber dennoch theoretisch anspruchsvolle und kritische Konzept Ökologie Lernen von Michelsen und Siebert (1985) vorgelegt. Es bezog sich in seinen Beispielen auf Erwachsenenbildung und Schule. Dies Buch war das bis dahin umfassendste Grundlagenwerk, das dennoch einführenden Charakter hatte: Die Ökologieproblematik wird breit entfaltet und diskutiert. Sie schließt auch ethische und anthropologische Aspekte ein. Pädagogisch wird Ökologie „im Spannungsfeld zwischen Politik, Lebenswelt und Wissenschaft“ angesiedelt. Das Wissenschaftsverständnis der Autoren erkennt die Bedeutung der Wissenschaftskritik an, ohne die Wissenschaft deshalb generell abzulehnen. Statt dessen wird eine wertbezogene ökologisch orientierte Wissenschaft gefordert. In der Betonung reflexiver Momente und in der institutionellen Ausrichtung wird der Hauptunterschied zum Ökologischen Lernen deutlich. Die begriffliche Nähe zeigt sich in der Übernahme von Postulaten und Methoden aus diesem Konzept, die in dem neuen Kontext eine andere Bedeutung und Realisierungsform erhalten. Der pädagogische Ansatz dieser Autoren stellt kein theoretisch geschlossenes, in sich konsistentes Konzept dar, sondern wird als „Suchbewegung“ in Richtung einer ökologischen Bildung verstanden, die als Kern einer modernen Allgemeinbildung gedacht ist.

Manke (1985 u. 1986) geht von einem kritisch-emanzipatorischen Erziehungsbegriff aus und stellt Widersprüche zu umweltpädagogischen Perspektiven fest, die sich zu eng auf einen naturwissenschaftlich verstandenen Ökologiebegriff beziehen, sich auf Überlebenssicherung beschränken, Öko-Ethiken zur Hauptgrundlage machen oder Ursachen in anthropologischen Defiziten des Menschen sehen.[71] Statt einen häufig in solchen Konzepten geforderten „Paradigmenwechsel“ im Verhältnis Mensch-Natur vorzunehmen, plädiert Manke für eine Erweiterung des Emanzipationsverständnisses, das auf „ein in der Gesellschaft aufbrechendes Interesse, das sich am Widerspruch von Glücksverlangen und vorenthaltener Erfüllung entzündet“ setzt. Auch Manke versteht Ökopädagogik als Kern einer modernen Allgemeinbildung, die sich gegen ökonomistisch-technische Naturausbeutung und die sie begünstigenden Gesellschaftsstrukturen, aber auch gegen sozialtechnische Erziehungskonzeptionen richtet. Manke sieht ein gemeinsames Interesse von Ökologischem Lernen, emanzipatorischer Erziehung und schulkritischer Didaktik an entschulten Bildungsprozessen. Die hierfür notwendigen Handlungsperspektiven der Subjekt-, Alltagsorientierung und Erfahrungsoffenheit sind gleichermaßen als ökologische und pädagogisch-didaktische Argumente für ungewöhnliches Lernen zu verstehen. Insgesamt empfiehlt Manke kritischen Pädagoginnen und Pädagogen einerseits sowohl mit einer Pädagogisierung der Ökologie als auch mit der Ökologisierung der Pädagogik bescheiden umzugehen, andererseits die in der Ökopädagogik verbreitete und berechtigten Zurückhaltung gegenüber jeglichen normativen Leitideen und der Kategorie einer wünschenswerten Zukunft nicht zu einer „postmodernen Beliebigkeit“ werden zu lassen. Es geht Manke um eine Vermittlung zwischen Überlebensproblemen bzw. der ökologischer Krise und dem Emanzipationsanspruch: Emanzipatorische Bildung muß sich stärker an normativen Optionen der Überlebensfragen orientieren, während ökologisch orientierte Ansätze von Pädagogik nicht die Frage nach dem gelingenden Leben ausblenden dürfen.[72] Die Schwäche dieses Ansatzes ist, daß er vollständig auf eine Erkenntnis- und Wissenschaftskritik an den Naturwissenschaften verzichtet bzw. auf Versuche der Neubestimmung des Naturverhältnisses, wie sie in verschiedenen, meist zivilisations- und kulturkritischen Ansätzen im Kontext der Ökobewegung, aber auch schon zuvor gesellschaftstheoretisch im Sinne der Kritischen Theorie (Marcuse, Horkheimer, Adorno, Sohn-Rethel, Bloch) fundiert im Kontext der Studentenbewegung ab 1968 geleistet wurde (vgl. 2.6.2 und 4.1).[73]

Mikelskis (1988a u. 1988b) verwendet als einer der wenigen in der damaligen Zeit den Begriff Ökologische Bildung. Sie habe die Aufgabe, den verloren gegangenen Zusammenhang des Menschen mit der Natur, also das Mensch-Natur-Verhältnis im Bereich Erleben, Erkennen und Handeln wieder herzustellen. Ökologische Bildung charakterisiert Mikelskis durch sieben Elemente – ohne Anspruch, damit ein vollständiges und trennscharfes Kriteriensystem vorzulegen: Lernen aus Betroffenheit; unsere heutige Situation in ihrer Geschichtlichkeit begreifen; Entwicklung der Sinne und Schulung der Wahrnehmungen; ganzheitlich lernen; Ausbildung von Urteilskraft; Handeln lernen; Orientierung auf eine phantasievolle Gestaltung der Zukunft. Im Grunde handelt es sich um eine unsystematisch erscheinende Sammlung von Theoremen, die im wesentlich dem Denken des Ökologischen Lernens entsprechen bzw. von der Tradition der Ganzheitlichkeit im Sinne der Naturvorstellungen von Goethe (vgl. Mikelskis 1988b, S. 106ff) beeinflußt ist. Ein paar Jahre später wird der Gedanke weiterentwickelt. Mit Bezug auf die ökologische Naturästhetik G. Böhmes (1989) und ältere Quellen werden die drei Ebenen der Erkenntnisweise, ‑reichweite und das Erkenntnisziel beziehende Erkenntnispolaritäten als kategorialer Rahmen der Ziele, Inhalte und Methoden der Umweltbildung definiert. Zur Erkenntnisweise heißt es beispielsweise:

Erkenntnis kann, unter vorrangiger Begründung auf Phantasie, auf intuitiven Elementen beruhen. Eine solche Erkenntnisweise wird in der Regel dem Künstler zugeordnet und kann auch als ganzheitlich und ästhetisch bezeichnet werden. Dem polar gegenüber steht der auf Logik bauende Verstandeseinsatz, der als Kennzeichen der, im allgemeinen dem naturwissenschaftlichen Vorbild folgenden, Wissenschaft generell gilt. Die Methode der Abstraktion ist dabei die dominante Erkenntnisweise. (Mikelskis 1993, S. 77)

In der Umweltbildung gilt es nun, als umfassende Ökologisierung des Lernprozesses diese Polarität zu entfalten, d. h. sie soll im Grundsatz ständig gegenwärtig gehalten und gleichberechtigt berücksichtigt werden.[74]

Zum Abschluß der Beispiele in diesem Abschnitt sei die Arbeit von Peter Meyer (1986) erwähnt, weil er nach einem Jahrzehnt schulischer Umwelterziehung und der (un)ausgesprochenen Hoffnung, mit dieser Erziehung eine grundlegende Veränderung herbeizuführen, eine erste kritische und betont pädagogische Bilanz zieht und fragt, ob die Schule „mehr zu bewirken imstande ist, als aufgeklärte Resignation“ (Meyer, P. 1986, S. 5). Auf Basis einer Argumentation, die das lernende Kind in den Vordergrund stellt und vor dem Hintergrund Meyers Einschätzung, daß Umweltprobleme gesellschaftlich als politische Interessenfragen debattiert werden, kommt er– damaliger schulischer Konzeptdiskussion weit voraus – zu folgendem Schluß: Statt des bisherigen Vorrangs von Aufklärung und moralischen Appellen, der kaum Wirkung hatte, soll die Situation der Schülerinnen und Schüler in ihrer Umwelt in den Mittelpunkt von Umwelterziehung rücken. Umwelterziehung soll also die Lernenden darin unterstützen, die Fremdbestimmung in der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt abzubauen und ihre Interessen an der Umwelt und an deren zukünftigen Gestaltung ebenfalls in die öffentliche Debatte einzubringen (Meyer, P. 1986, S. 7 u. a.). Im Mittelpunkt des didaktischen Ansatzes steht die Repräsentation und Bearbeitung der Wirklichkeit im Unterricht, die Hilfe leisten soll für die Vermittlung öffentlicher Perspektiven des jeweiligen Themas und der Sinndeutung der Schülerinnen und Schüler (Meyer, P. 1986, S. 231). Dieser Ansatz ist aus der Sicht der heutigen Umweltbildungsdebatte und des darin betonten Prinzips der Partizipation und der Handlungsorientierung sehr aktuell und erfüllt Kriterien eines bildungsorientierten Ansatzes (vgl. 3.8). Leider schlugen sich solche Ansätze weder in der weiteren Theoriebildung schulischer Umweltbildung noch in der schulischen Praxis in nennenswertem Umfang nieder.[75]

Durch den sehr kontrovers ausgetragenen Diskurs innerhalb der Ökopädagogik und ihrem hier vorgestellten konzeptionellen Umfeld wurden wichtige Impulse für eine kritische und fundiertere Umweltbildung freigesetzt. Einerseits wurden die Theoreme des Ökologischen Lernens relativiert oder man brachte sie in eine reflektiertere Fassung, andererseits hat der gesamte Diskurs etliche verschiedene Elemente eines kritischen bildungstheoretisch fundierten Denkens hervorgebracht. Auf Basis einer bildungstheoretischen und naturgeschichtlichen Argumentation kann man die damalige (kritische) Ökopädagogik bzw. Ökologische Bildung auch wie folgt charakterisieren:

Jedes Bemühen, von einem richtigen und damit wahren Umgang mit Natur zu sprechen, stößt sich daran, daß es historisch gesehen vielfältige Formen des Umgangs mit ihr gab, deren jeweiliger Wahrheitsanspruch nicht die Zeiten überdauerte. Erst über die Reflexion auf die historischen Varianten des Umgangs mit der Natur und die Berücksichtigung des jeweiligen Bedingungsgefüges kann dies einsichtig werden und kann daraus ein Beitrag zur Bildung der Person werden. (de Haan 1991, S. 94)[76]

Diese Position sollte aus heutiger Sicht auch auf die Umweltbildung selbst angewendet werden, impliziert also ihre plurale Konzeptionierung.

2.3.4  Ein grün-alternatives Bildungskonzept

Die Gründung der Partei Die Grünen kann man als Ausdruck eines Versuches verstehen, die verschiedenen sozialen Bewegungen zu bündeln, die seit den 70er Jahre entstanden waren. So gesehen war es nur eine Frage der Zeit, bis sich entsprechende Überlegungen im Bildungsbereich niederschlugen. Preuss-Lausitz (1986a, 1986b, 1986c, 1988a u. 1988b) gehörte zu den ersten und wenigen, die aus einer primär bildungspolitischen und ‑reformerischen Perspektive ein neues Konzept moderner Allgemeinbildung entwickelten, das zur Sicherung der Zukunft beitragen sollte.[77] Sein Beitrag steht gleichzeitig im Kontext der damaligen Renaissance des allgemeinen Bildungsdenkens, das sich sowohl auf bildungspolitischer als auch bildungstheoretischer Ebene niederschlug (ausführlicher in 2.6). Vor diesem Hintergrund ging es nicht nur um eine, wie auch immer verstandene Umweltbildung oder gar speziell um Kernenergie, sondern ebenso um die Friedensfrage, die sich auch in einer sozialen Bewegung thematisiert und in der neuen Partei Die Grünen stark repräsentiert war. Es ging um weitere zentrale gesellschaftliche Themen: die schwindende Bedeutung von Berufstätigkeit mit ihren Konsequenzen, Technologieentwicklung und Neue Medien, multikulturelle Entwicklung, aber auch die damals diskutierten „neuen Sozialcharaktere“, Sozialisationsbedingungen und jugendliche Lebenswelten. Mit diesem Ansatz wurde insofern ein Bruch mit der bisherigen kritischen umweltpädagogischen Diskussion der Ökopädagogik und des Ökologischen Lernens vollzogen, als eine ‚konstruktive‘ Alternative innerhalb des Bildungssystems, speziell im Bereich der schulischen Allgemeinbildung vorgestellt wurde. Deshalb war Bildung für Preuss-Lausitz weder als Fortsetzung des Bisherigen denkbar noch durch bloßen Rekurs auf die „verschütteten Absichten des aufklärerischen Bildungsbegriffs“. Er erteilte aber auch allen Versuchen eines Ausstiegs aus der Geschichte und einer Rückkehr zu vormodernen Zeiten eine deutliche Absage. Von daher war für Preuss-Lausitz Zukunft und Bildung nur auf Basis eines gebrochenen Verhältnisses zu den Glaubenssätzen der Moderne denkbar, also zu dem „herrschenden Verständnis von Wissenschaft, Technik, Rationalität, Fortschritt, zur bloßen Aufklärung als oberstem Wert“ (Preuss-Lausitz 1986a, S. 36). Unverzichtbar war für ihn die Entwicklung von verbindlichen Werten als Grundlage notwendiger Veränderungen:

Nach Hiroshima und Tschernobyl gibt es keine Möglichkeit mehr, auf eine grundlegende und verbindliche Ethik der Friedensfähigkeit und -erhaltung zu verzichten und statt dessen auf den „herrschaftsfreien Diskurs“ zu vertrauen. (Preuss-Lausitz 1988b, S. 31)

Vor allem in diesem Punkt grenzte er sich insbesondere von der damals in neuer Fassung erschienenen Bildungstheorie von Klafki (1985a) explizit ab, der mit seinen epochaltypischen Schlüsselproblemen immerhin eine Öffnung von Bildungstheorie in Richtung aktueller Problemlagen vollzog (vgl. 2.1). Die Position einer Betonung von verbindlichen Werten war im umweltpädagogisch-alternativen Diskurs allerdings sehr umstritten. Eine spezifische grün-alternative Bildungspolitik hat sich trotz des politischen Bedeutungsgewinns der Partei Die Grünen (später: Bündnis 90/Die Grünen) bis heute kaum entwickelt.

2.3.5  Die ‚Erfindung‘ der Umweltbildung

Sechs Jahre nach Verabschiedung der Empfehlung zu „Umwelt und Unterricht“ durch die Kultusministerkonferenz (KMK) führte auf Bundesebene das damalige Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) gemeinsam mit Experten aus den Bildungsbereichen Kindergarten, Schule, berufliche Bildung, Hochschule und Weiterbildung das Symposium Zukunftsaufgabe Umweltbildung durch. Das verabschiedete Arbeitsprogramm sah für alle beteiligten Bildungsbereiche vor, daß sie zum Umweltschutz über fundiertes Wissen, angestrebte Verhaltensveränderungen und entsprechende (öko)ethische Normen beitragen sollten (BMBW 1987ff). Ein Förderprogramm für Modellversuche wurde aufgelegt (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung), auf europäischer Ebene Aktivitäten gestartet und vom EG-Ministerrat entsprechende Beschlüsse zu bildungsbereichsübergreifenden Perspektiven gefaßt (1988: Umweltbildung als bildungspolitische Aufgabe in Europa). In der Folgezeit wurden entsprechende Aktivitäten in einigen Bundesländern durchgeführt.[78]

Ein neuer Begriff war ‚erfunden‘ worden. Er setzte sich bald durch – vor allem im Sinne eines neuen Oberbegriffes für verschiedene Bildungsbereiche und für verschiedene konzeptionelle Ansätze. Auch wenn Umweltbildung im Arbeitsprogramm des BMBW als „Teil zeitgerechter Allgemeinbildung“ verstanden wurde, hatte der Begriff mit Bildung in einem – wie auch immer verstandenen – bildungstheoretischen Sinne zunächst so viel oder wenig zu tun, wie es für die allgemeine Praxis in den jeweiligen Bildungsinstitutionen und -bereiche zutraf.

2.4  Ökologisch orientierte Bildung

An dieser Stelle möchte ich auf meine eigene damalige Position zur Umweltbildung zu sprechen kommen, die in zentralen Punkten bis heute unverändert geblieben und die schon damals als kritische Aneignung des Umweltbildungs- und des allgemeinen Bildungsdiskurses entstanden ist.[79] Daraus ergeben sich auch einige Kritikpunkte an Elementen des Ansatzes von Klafki, die ich weitgehend auch als Konsequenzen der bisherigen Rekonstruktion der Umweltbildung ansehe (s. Becker 1992a) und die im folgenden als eine erste Zwischenbilanz der Rekonstruktion präsentiert werden.

Zunächst war meine eigene Position von gesellschaftskritischen Positionen der Pädagogik und Konzepten der Alternativen Pädagogik der 70er Jahre geprägt. Deshalb war für mich von Beginn meiner regelmäßigen Beschäftigung mit Umweltbildung um 1978 der offensichtliche Widerspruch zwischen den als erforderlich angesehenen ‚ökologischen Notwendigkeiten‘ und dem pädagogischen und politischen Aspekt der Selbstbestimmung eine zentrale Frage (vgl. Becker 1983), die bis heute in modifizierter, aber auch erweiterter Form (Globalisierung) von unverminderter Aktualität ist. Von daher war es damals naheliegend, mich zunächst am Konzept des Ökologischen Lernens zu orientieren, das aus der Bürgerinitiativbewegung stammte und dessen Vorstellung einer subjektbetonenden Selbstbildung erhebliche Gemeinsamkeiten mit dem Bildungsbegriff hatte, der sich auf die klassische humanistische Bildung und ihre modernen kritischen Nachfolger bezieht (s. 2.3.1). Meine Mitarbeit im Zeitschriftenprojekt Ökopäd führte ebenso zu einer intensiven Auseinandersetzungen mit den damals als Hauptrichtungen angesehenen Konzepten der Umwelterziehung, des ökologischen Lernens und der Ökopädagogik wie die Reflexion eigener Erfahrungen in etlichen Jahren ökologischer Bildungsarbeit im universitären und außeruniversitären Bereich (vgl. Becker 1987). Dabei wandelte sich meine eigene Position zu einer ‚pragmatisch orientierten‘ Ökopädagogik und – im Kontext der gleichzeitigen Renaissance des Bildungsdenkens – schon früh weiter in Richtung einer allgemeineren, bildungstheoretisch ausgerichteten Position (Becker 1986a).[80] Die Entwicklung eines neuen allgemeinen Bildungsbegriffs, der damals in den Erziehungswissenschaften in die Diskussion kam (s. 2.5 und 2.6), erschien mir vor allem aus den zwei folgenden Gründen sinnvoll zu sein:

Die Trennung der pädagogischen Praxisansätze in den inhaltlich zusammenhängenden Bereichen Ökologie, Frieden, Frauen, Dritte Welt und Arbeit, die z. T. Gegenstände unterschiedlicher sozialer Bewegungen waren, erwies sich theoretisch unbefriedigend, desorientierend und handlungsbehindernd. Eine Integration in der Praxis und ein darauf basierender Bildungsbegriff (ähnlich wie bei Preuss-Lausitz, s. 2.3.4) erschien mir eine „Voraussetzung für soziale und ökologische Demokratie“ (Becker, 1986a, S. 57) zu sein.[81]

Mit den damaligen Thesen läßt sich gegenüber der Bildungstheorie von Klafki (und anderen Erziehungswissenschaftlern) kritisch anmerken, daß es nicht ohne weiteres möglich ist, bruchlos an den Grundlagen bisheriger, insbesondere klassischer Bildungstheorie anzuknüpfen oder sie lediglich zu aktualisieren: Denn der zugrundeliegende Versuch einer doppelten Emanzipation sowohl von Naturschranken und Naturzwängen, als auch von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen, hat zur ökologischen Krise geführt. Das Verhältnis zur Natur und Umwelt muß deshalb neu durchdacht und gestaltet sowie auf dieser Basis ein neues Bildungsverständnis entwickelt werden. Die fundamentale Bedeutung des Verhältnisses zur Natur, die durch die Ökologische Krise zunehmend Gegenstand von Konflikten und theoretischen Diskursen wurde, konnte meiner Auffassung nach bildungstheoretisch nicht länger ignoriert werden. Das menschliche und gesellschaftliche Verhältnis zur Natur mußte in den Rang „klassischer“ Bestimmungen und Ziele der Moderne und der Aufklärung (Selbstbestimmung, Demokratie, Gleichberechtigung[82]) gehoben werden.

Statt wie Klafki vom dialektischen Zusammenhang von Gesellschaft und Individuum als Basis von Bildung auszugehen, erscheint es mir im Sinne einer erweiterten Basis einer Bildungstheorie sinnvoll, auszugehen von einem Dreieckszusammenhang von Natur, Gesellschaft und Individuum als Grundbestimmungen von Bildung bzw. eines Allgemeinbildungskonzepts.

Eine Bildungstheorie, die der Herausforderung durch die Ökologische Krise gerecht werden soll, bedarf neben der schon geläufigen geschichtsphilosophischen Fundierung einer naturphilosophischen Grundlage. (Becker 1986a, These 1)

Eine solche Fundierung, die dem Ansatz von Klafki (s.u.)[83] und den meisten anderen Bildungstheorien fehlt (vgl. auch 2.6), darf allerdings nicht in einen Ökologismus oder Naturalismus verfallen, der einigen Strömungen der Reformpädagogik und einigen ökologischen Bildungstheorien anhaftet (2.5) und einem historischen Rückfall gleichkommt (vgl. auch Becker, E. 1987, S. 14). Zu den damaligen theoretischen Grundlagen meines bildungstheoretischen Ansatzes gehörten Theorieelemente und Begrifflichkeiten aus einer bestimmten, nichtorthodoxen Interpretation der marxistischen (Natur)Philosophie und der Kritischen Theorie, über die aber in einigen wesentlichen Punkten hinausgegangen wurde. Das Ergebnis meiner damaligen Überlegungen kann man auf einer abstrakteren und konsensfähigeren Ebene wie folgt formulieren:

These 2.3     Vor dem Hintergrund der Ökologischen Krise als globales Phänomen ist eine naturtheoretische Fundierung jeder Bildungstheorie unabdingbar, d. h. „Natur“ sollte neben „Individuum“ und „Gesellschaft“ als dritte Grundbestimmung jeder Bildungstheorie berücksichtigt werden.

Solange diese Fundierung von Bildungstheorien nicht selbstverständlich ist, möchte ich sie ökologisch orientierte Bildungstheorien bezeichnen. Zwischen den drei Grundbestimmungen sind zwar verschiedene Gewichtungen denkbar, normativer Naturalismus oder Ökologismus ist jedoch ausgeschlossen.

Man kann die erweiterte Fundierung auch als Fortentwicklung des Ansatzes Klafkis auf der Ebene der Grundbestimmungen verstehen (vgl. 2.1). Einenaheliegende Konsequenz dieser dritten Grundbestimmung „Natur“ von modernen Bildungstheorien[84] sollte auf der Ebene der Grundfähigkeiten gezogen werden: Aus dem gesamten Diskurs damaliger und späterer Umweltbildung ergibt sich die Notwendigkeit der Fähigkeit eines verantwortbaren, pfleglichen Umgangs und Verhältnisses zur Natur bzw. zur Um- und Lebenswelt[85] – wie immer dies auch inhaltlich beschrieben und begründet wird. Diese unbestreitbar notwendige Fähigkeit könnte ebenfalls als vierte Grundfähigkeit die drei Grundfähigkeiten Klafkis erweitern. Ich nenne sie kurz Umweltfähigkeit.

Inhaltlich wird diese Fähigkeit in meinem theoretischen Ansatz von 1986 sehr weit gespannt und geht über den verbreitenden Begriff des Umwelthandelns hinaus. Zentrale Rolle spielt dabei der Begriff der „Entfremdung“ des Verhältnisses zur Natur. Entfremdung wird, im Unterschied zu anderen Verständnissen dieses Begriffs, soziokulturell verstanden und dient als Grundlage für die Perspektive einer Allseitigkeit im Verhältnis zur Natur und der darauf basierenden ökologisch orientierten, aber nicht naturalistisch verkürzten Bildung. Entfremdung entsteht historisch als Ausdruck zweier gegenläufiger Tendenzen: Einerseits die soziokulturell differenzierten und gesamtgesellschaftlich gesehen zahlreichen und vielfältigen Möglichkeiten des Umgangs mit der Natur, andererseits etabliert sich eine einseitige Herrschaft eines rein instrumentellen, insbesondere naturwissenschaftlich-technischen Verhältnisses zur Natur und Umwelt, die ökonomisch vorangetrieben wird und ‚Nebenwirkungen‘ erzeugt, die die vielfältigen Umgangs- und Lebensmöglichkeiten mit und in der Natur und Umwelt wieder einschränken, verdrängen, ja existenzbedrohende Folgen nach sich ziehen. Auf dieser Argumentationsbasis hatte ich drei Jahre später eine kulturorientierte Argumentation entwickelt:[86]

These 2.4     Kulturelle Orientierung: Nur eine vielfältige, alle Dimensionen des Umgangs und der Beziehungen zur Natur und Umwelt berücksichtigende Bildung kann zur Überwindung der individuellen und gesellschaftlichen Entfremdung zur Natur und Umwelt beitragen.

Diese Argumentationen [87] liefern eine weitere – damals wie heute gültige –Kritik an Klafkis bildungstheoretischen Argumentationen (s. 2.1) hinsichtlich seiner Trennung von Sachbezug („epochaltypische Schlüsselprobleme“) und „vielseitiger Interessen- und Fähigkeitsentwicklung“. Klafki unterstellt offenbar, daß die pädagogische Behandlung eines Umweltthemas ein reines Sachproblem ist, das allein auf der kognitiven Ebene betrieben wird und deshalb keine „vielseitige Interessen- und Fähigkeitsentwicklung“ ermöglicht. In der Geschichte der Umweltbildung finden sich Konzepte, die auf Prozesse setzen, die auf der subjektiven Seite die ganze Person in emotionaler, ästhetischer, praktischer oder ethischer Hinsicht, also ganzheitlich ansprechen (s. 2.3.1). Diese Konzepte werden teilweise mit dem häufig geforderten und ökologisch begründeten Bestreben nach „Ganzheitlichkeit in der Sache“ (vernetztes Denken u. ä.) verknüpft, das zur Aufklärung über Umweltprobleme und zu ihrer praktischen Lösung beitragen soll. Diese konzeptionelle Eigenschaft trifft insbesondere bei einem Teil der Konzepte mit kultureller Orientierung zu (s. 2.7.2). Eine differenzierte Bestimmung des Verhältnisses epochaltypischer Schlüsselproblemen und Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten ist für die Bildungstheorie und Umweltbildung eine konzeptionelle Aufgabe, die im einzelnen unterschiedlich gelöst werden kann. Diese Bestimmung widerspricht nicht der Intention, die Grunddimensionen Klafkis auch unabhängig von den Schlüsselproblemen im Sinne des Rechtes auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ in der curricularen Gestaltung der Schule Geltung zu verschaffen.[88]

2.5  Ökologische Bildungstheorien

Innerhalb der Erziehungswissenschaft gab es in der ersten Hälfte der 80er Jahre nur wenige Versuche, die ökologische Krise theoretisch in einer Weise zu verarbeiten, die man hinsichtlich Intention oder Ergebnis als ökologische Bildungstheorien verstehen kann oder die sich selbst so verstanden haben. Hier werden vor allem der anthropologisch ausgerichtete Ansatz von Kern und Wittig (1982 u. 1985) und der systemökologische Ansatz von Huschke-Rhein (1986) vorgestellt, die jedoch in grundlegenden Aspekten (Anti-Pluralismus, ökologischer Naturalismus, fehlende Subjektorientierung) nicht mit dem hier geleisteten Versuch einer Rekonstruktion eines offenen Verständnisses von (Umwelt)Bildung vereinbar sind.

Einen interessanten, aber abstrakt-anthropologisch bleibenden Versuch der Bestimmung von (ökologischer) Bildung unternimmt Schmitz (1991) in Auseinandersetzung mit so unterschiedlichen Arbeiten zum menschlichen Naturverhältnis wie denen von Theodor Litt und Karl Marx: Selbstentfremdung von der Naturgrundlage des eigenen Lebensvollzugs, Ablösung der Naturbemächtigung von ihrem menschlichen Sinne und Mißachtung der Unverfügbarkeit des Naturzusammenhang sind zentrale analytische Aussagen, aus denen Schmitz die Entfaltung der individuellen Natur des Menschen als Zentrum der Bildung ableitet und gegen die Eigendynamik des Verbundes moderner Naturwissenschaft, Technik und Ökonomie stellt. Schmitz endet damit, daß das Naturverhältnis des Menschen von einer „menschlichen Haltung der Liebe zur menschlichen Natur“ geprägt werden möge (Schmitz 1991, S. 173).

2.5.1  Anthropologie und normative Pädagogik

In ihrem Buch „Pädagogik im Atomzeitalter“ (1982) definieren Kern und Wittig die Öko-Krise als „Gesamtheit der Beschädigungen und Gefährdungen des Haushalts der Natur“ einschließlich der akuten Atomkriegsgefahr. In der „Machtkonkurrenz der europäisch-neuzeitliche Zivilisation“ sehen die Autoren mit Bezug auf C. F. von Weizsäcker die Ursache und erörtern auf dieser Basis Wege zum Frieden unter den Menschen und mit der Natur. Kern und Wittig identifizieren ein weltpolitisches und anthropologisches Defizit der modernen Pädagogik, stützen sich auf den Lernbericht des Club of Rome (2.2.1), postulieren den Vorrang der Bewahrung des Ganzen vor der Verfolgung von Einzelinteressen auf allen Ebenen, kritisieren die emanzipatorische Konfliktpädagogik, aber auch die damals wieder artikulierte konservative Werterziehung. Später stellen Kern und Wittig (1985) die Frage, welche Bildung notwendig sei, damit die Menschheit im Atomzeitalter leben kann. Es geht zwar um die „Freiheit der Person“ als verbindliches Bildungsziel, aber gleichzeitig wird im Pluralismus verschiedener pädagogischer und anthropologischer Ansichten für Menschen im Atomzeitalter eine „tödliche Gefahr“ gesehen. Eine integrierende Anthropologie soll die Pluralität der Bilder vom Menschen aufheben (Kern/Wittig 1985, S. 16f) und im Bildungsprozeß werden der individualpsychologische Aspekt Selbst-„Bildung“ (Selbstwahlakte der Person), der biologische Aspekt Erb-„Bildung“ (Wachstum/Reifung), der soziologische Aspekt Fremd-„Bildung“ (Prägung/Lernen) und der – vielleicht wirksame – offenbarungstheologische Aspekt einer „Gnaden“-Wahl in „sachangemessene Zuordnung“ gebracht (s. Kern/Wittig 1985, S. 20).

Im Vorfeld einer Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) zum Thema „Allgemeinbildung“ stellte Klafki (1985) seinen in diesem Kapitel (2.1) vorgestellten neuen Bildungsbegriff vor. Kern kritisiert dessen liberalen Pluralismus, der sich „als relativistisch verhängnisvoll auswirkt“ und unterstellt eine Unentschiedenheit in Existenzfragen der Menschheit (Kern 1986, S. 7f), die auch auf einer anderen theoretischen Grundlage von Preuss-Laussitz (vgl. 2.3.4) kritisiert wurde. „Ohne Anthropologie und Ethik bleiben die Überlebensfragen der Menschheit unentschieden“ (Kern 1986, S. 11).

2.5.2  Systemökologische Pädagogik

Huschke-Rhein ist Mitherausgeber eines Bandes über „Allgemeinbildung im Atomzeitalter“ (Heitkämper/Huschke-Rhein 1986)[89] und wird später durch sein mehrbändiges Werk einer systemischen bzw. systemökologischen Pädagogik bekannt (z. B. Huschke-Rhein 1988, 1989 u. 1990).[90] Sein bildungstheoretischer Ansatz ist ein Beispiel naturalistischer Argumentation. Gegen die heutige „uniformierte, abstrakte und gleichmachende Allgemeinbildung“, die gerade nicht zur Einheit der Menschheit und zum Frieden führen kann, sondern zum Unfrieden auf allen Ebenen führen muß, setzt Huschke-Rhein als „Gegenmedizin“ die „Allgemeinheit der Natur“:

„Denn die Natur zeigt, daß wenige Grundprinzipien dennoch zu unendlicher Vielfalt führen können und nicht zu einer blöden Uniformierung. [...] Die wahre, bildungswirksame Allgemeinheit kann nie und nimmer auf den Weg weiterer Abstraktheit oder weiterer Spezialisierung gewonnen werden, und dies einfach deshalb, weil der Spezialist sich nicht mehr für die wahre Allgemeinheit des Ganzen interessiert: für den Zusammenhang der Menschen, der Lebewesen und Probleme. Wenn die Menschheit überleben will, wird sie statt mehr Spezialisten mehr „Zusammenhangsforscher“ brauchen. Allgemeinbildung ist ein Überlebensproblem. (Huschke-Rhein 1986, S. 58ff u. 78)

Bildung besteht weiterhin in der Verbindung der drei Horizonte/Ebenen Mensch-Gesellschaft-Natur.[91] Während die traditionelle Systematik seit der neuzeitlichen Wendung zur Vernunft sich auf die beiden ersten Ebenen beschränkte, müssen heute beide Ebenen mit der ökologischen Vernunft in Bezug gesetzt werden: Der Mensch muß sich neu als Vernunft- und Naturwesen begreifen lernen. Bildungsziel kann deshalb niemals die Autonomie sein, sondern nur eine integrative Autonomie durch Integration von Mensch und Gesellschaft in der Ebene Natur. So verstanden wird die – als solche durchaus sinnvolle – dreifache Bestimmung der allgemeinen Bildung durch Huschke-Rhein als Fähigkeit zu vernetzendem Denken und Handeln zu einer naturalistischen Fragwürdigkeit, weil die erst in den letzten Jahrzehnten entwickelten Systemprinzipien und ‑gesetze absoluten ontologischen Rang erhalten. Diese unbeweisbare Annahme[92] dient als entscheidende Legitimation und Begründung dafür, sie unbesehen zur alleinigen normativen Grundlage menschlichen Handelns, insbesondere im pädagogischen Bereich zu machen: Huschke-Rheins Systempädagogik befaßt sich nämlich damit, „die allgemeinen Systemgesetze, die für alle lebenden Systeme und damit auch für den Menschen gelten, als allgemeine Erziehungs- und Bildungsprinzipien zu formulieren und in die pädagogische Alltagspraxis zu übersetzen“, sonst hat die „Menschheit nicht einmal mehr eine Überlebenschance.“ Konsequent werden die drei Humboldtschen Grundbegriffe transformiert: Aus Individualität wird „Selbstsein“ (als Verbindung mit der eigenen Natur), aus Sozialität wird „mit andern sein“ (als Verbindung mit der gesellschaftlich-künstlichen Natur) und aus der Universalität wird „mit allen und allem anderen sein“ (als Verbindung mit der Gesamt-Natur). Desweiteren werden sechs allgemeine Bildungsprinzipien aus den Systemgesetzen bzw. den Grundbegriffen der Systemtheorie abgeleitet: Langfristigkeit (Langzeitperspektive), Reziprozität (Wechselwirkung), Kontext (Umwelt), Komplexität (Vernetzung), Selbstorganisation und Selbsttransparenz (integrative Autonomie), denen wiederum vier Handlungsprinzipien entsprechen (Qualitatives Wachstum, Diversität, Rezyklisierung, Energieminimierung) sowie Handlungsmaximen für jedes pädagogische Handeln: Qualität statt Quantität; Beachtung von Vielfalt: Regionalisierung, Dezentralisierung, Subsidiarität; Mehrfachnutzungen; Sparsamkeit (Huschke-Rhein 1986, S. 85). Als einziges nichtsystemisches Element werden „situative und historische Traditionen als Verhaltensregeln“ zugelassen, die mit den allgemeinen Systemprinzipien vermittelt werden müssen, die den notwendigen Rahmen konstituieren, ohne den menschliche Bildung weder denk- noch realisierbar ist. Das Verständnis von Allgemeinbildung wird dann wie folgt definiert:

Danach wollen wir beschließen, daß nur diejenigen, die die eben genannten allgemeinen Bildungsprinzipien zu Maximen ihres Handelns machen, sich heutzutage „gebildet“ oder gar, da dieses Handeln die Allgemeinheit des Naturbegriffs voraussetzt, „allgemeingebildet“‘ nennen mögen. Zusätzlich wollen wir beschließen, daß es Frieden nicht wird geben können, ohne eine solche Allgemeinbildung. (Huschke-Rhein 1986, S. 86)[93]

2.5.3  Kritik des neuen Universalismus der Bildung

E. Becker (1986a) machte anläßlich der Mitte der 80er Jahre intensiv in Gang gekommenen Bildungsdebatte (s. 2.6.) kritisch auf den entstehenden „pädagogischen Universalismus“ in den neuen Sozialen Bewegungen aufmerksam[94]: Becker sah ein Problem im Übergang vom psychisch tief verankerten, betont lokalen Denken in der Ökologiebewegung und im Konzept des Ökologischen Lernens (2.3.1) zu einem Denken in universalistischen Kategorien einer allgemeinen Umweltbildung oder gar allgemeinen Bildung, die sich integrierend auf die verschiedenen neuen Problemlagen bezieht: Umwelt, Dritte Welt usw. Die Spannung zwischen beiden Polen beinhaltet nicht nur ein schwieriges sachliches, vielleicht unlösbares Problem, es stößt bei den pädagogischen Akteuren – trotz rational kaum abweisbarer Einsicht in die Notwendigkeit – auf existierende psychische Vorbehalte gegen universalistische Projekte und Bildungsauffassungen, die im Verdacht stehen, degenerierte Formen des Neuhumanismus darzustellen (Becker, E. 1986a, S. 257). Für Anhänger der Kritischen Theorie besteht über diesen Ideologieverdacht hinaus das zusätzliche Problem, einen positiv besetzten Bildungsbegriff denken zu können, bei dem mehr als „Halbbildung“ (Adorno) herauskommt. Vor allem kritisiert E. Bek-ker die damaligen Versuche, mit Hilfe von „Supertheorien“ wie allgemeine Systemökologie, Alternative Wissenschaft im Sinne von Capra bis Huschke-Rhein (s. 2.5.2) und modernisiertem Soziobiologismus als ökologisches Denken neue Verstehensgrundlagen der Welt zu schaffen und auf dieser ungesicherten Basis Orientierungen zu gewinnen, die das Überleben der Natur und Menschen sichern sollen: „Präsentiert wird im pseudowissenschaftlichen Gewand eine neue Form des universellen Partikularismus, der scheinbar seine bürgerliche Bornierungen abgestreift hat“ (Becker, E. 1986a, S. 263f). E. Bekker scheint jedoch auch hinsichtlich neuer Bildungsbegriffe, die solchen Bornierungen nicht unterliegen, eher skeptisch zu sein:

Die verschiedenen sozialen Bewegungen erzeugen ihre pädagogischen Ableger und thematisieren die Krise jeweils auf ihre spezifische Weise. Wo die Auswege auf rein pädagogischen Wegen gesucht werden, landet man mitten im Feld der Ideologie, eine zum Problem verniedlichte Krise stößt dann die Diskurse an. (Becker, E. 1986a, S. 264).

Neben der Möglichkeit der Resignation spitzt E. Becker die Positionen der „Möglichkeiten menschlicher Befreiung unter Wahrung der Überlebensaussicht“ von Heydorn zu: „Die Möglichkeitsbedingungen von Überleben, Befreiung und universeller Bildung fallen zusammen“ (Becker, E. 1986a, S. 263f). Das Problem eines Universalismus hat im Kontext des Diskurses über nachhaltige Entwicklung im Verhältnis zu den gleichzeitigen Tendenzen der Lokalität und der Partizipation aktuelle Bedeutung.

2.6  Zur Renaissance der allgemeinen Bildungstheorie

An dieser Stelle soll ein Blick auf die allgemeine Entwicklung des Bildungsdenkens ab Mitte der 80er Jahre geworfen werden und damit zugleich auf eine Zeit, in der die Kategorie Bildung wieder zunehmende Bedeutung als pädagogischer Leitbegriff erlangte. Dabei interessieren die Fragen danach, ob und wie dort die Situation der Ökologischen Krise verarbeitet wurde, und es interessieren Entwicklungstendenzen, die auf die Umweltbildung zurückgewirkt haben oder vielleicht bei der hier versuchten Rekonstruktion Berücksichtigung finden sollten. Bei der Renaissance des Bildungsdenkens damals und in den folgenden Jahren kann man mindestens drei Hauptargumentationsstränge bzw. -ebenen identifizieren (vgl. Hansmann/Marotzki 1988a, S. 25ff):

 

        Den konservativ-ideologisch und ordnungspolitisch motivierten Ruf nach einer neuen Allgemeinbildung.[95]

        Primär bildungspolitisch formulierte Ansätze einer revidierten Allgemeinbildung.

        Erziehungswissenschaftliche Versuche, einen kritischen Bildungsbegriff theoriegeleitet historisch-systematisch zu rekonstruieren und neu zu formulieren.

Ein zusätzlicher Anlaß für die Intensivierung der theoretischen Bildungsdiskussion Mitte der 80er Jahre war sicherlich das Gedenkjahr des 150. Todestages von Wilhelm von Humboldt, der nicht nur im Sinne eines formalen Gedenkens in Anspruch genommen wurde. Die historische Entwicklung des Bildungsbegriffs in Deutschland hatte zuvor zu einer mehrfachen Spaltung geführt. Dem humanistischen Bildungsverständnis, das im Laufe seiner Geschichte zu einem elitären sozialen Attribut bzw. einem Persönlichkeitsideal degenerierte, stand ein Begriff der Allgemeinbildung gegenüber, der sich zu einer bloß formalen Voraussetzung für akademische Berufslaufbahnen entwickelte. Außerdem war eine Vielzahl sehr differenzierter Begriffsvarianten und Wortverbindungen entstanden. Davon weitgehend abgetrennt wurden die verschiedenen Richtungen einer Kritischen Bildungstheorie entfaltet, zu denen man mit einem erweiterten Begriffsverständnis auch einen Teil derjenigen Ansätze zählen könnte, die andere pädagogische Zentralbegriffe verwendeten (vor allem den Begriff Emanzipation) und die vor allem in den 70er Jahren große Bedeutung und Einfluß erlangten (vgl. Tenorth 1986).

2.6.1  Bildungspolitische Reformansätze

Ausgehend von durchaus ähnlichen Zeitdiagnosen wurden Vorschläge veröffentlicht, die z. T. in bewußter Entgegensetzung zu den konservativen Vorschlägen an die sozial-liberale Bildungsreform der 70er Jahre anschlossen oder neue „grüne“ Varianten entwickelten.[96] All diese reformorientierten Richtungen versuchen den Bildungsbegriff inhaltlich in jeweils spezifischer Weise zu füllen und Lernprozesse unter der so definierten Leitkategorie zu reorganisieren.

Es seien einige Entwicklungen im gewerkschaftlichen Bereich beschrieben: Die als Gutachten für die Max-Traeger-Stiftung (GEW und andere Lehrerverbände) erarbeitete Schrift von Klemm, Rolff und Tillman (1985) formuliert Merkmale, die Bildung als Selbstbildung erst ermöglichen sollen: historische politische Zusammenhänge aufzeigen,Wissenschaftsorientierung und Erkenntniskritik fördern, zu Eigentätigkeit anregen, Erfahren mit Erleben verbinden, Zusammenhänge von Lebenspraxis verständlich machen, Beschränkungen von Solidarität abbauen und Lernende stärken. Das Thema Umwelt kommt nur am Rande vor, im Vordergrund steht die „Informationsgesellschaft“. Als Folge dieses Gutachtens veranstaltete die GEW 1986 einen rein schulisch ausgerichteten bildungspolitischen Kongreß Bildung für die menschliche Zukunft. Solidarität lernen – Technik beherrschen – Frieden sichern – Umwelt gestalten (Schweitzer 1986). Der Kongreß hatte das Ziel, „die konkret-utopischen Inhalte, Ziele und Strategien“ offensiver gewerkschaftlicher Bildungspolitik schwerpunktmäßig bezogen auf die im Kongreßuntertitel genannten aktuellen Themen zu umreißen und „überzeugende Zukunftsvorstellungen“ für die große Mehrheit der Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrenden zu entwerfen. Diese Bildung, von der angenommen wurde, daß sie ohne Gesellschaftsreform nicht erfolgreich sein kann, soll alle Fähigkeiten vermitteln, die zur positiven Gestaltung individueller und gesellschaftlichen Zukunft erforderlich sind. Diese Bildung verweist auf die Möglichkeit, daß Menschen lernen können, ihre Interessen zu erkennen und durchzusetzen. Kenntnisse, Einsichten, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Handeln sind Ergebnisse von Bildungsprozessen (sinngemäß aus der Einleitung Schweitzers).

Neben den einführenden Beiträgen von Fetscher (Krise der Gesellschaft und Zukunft der Bildung) und dem GEW-Vorsitzenden Wunder (Herausforderungen und Perspektiven der Bildungspolitik), sind für den umwelt- und friedenspädagogischen Bereich der stark ethisch-moralisch ausgerichtete Beitrag des sozialdemokratischen Politikers Eppler zu nennen („Liebe zum Leben“ als Aufgabe der Bildung) sowie der grün-alternativ ausgerichtete, in 2.3.4 schon vorgestellte Beitrag von Preuss-Lausitz (Thesen zur Friedens- und Umweltpädagogik) und zwei weitere kurze umweltpädagogische Beiträge der naturwissenschaftlichen Fachdidaktiker Stäudel und Freise. Die Beiträge geben insgesamt ein heterogenes Bild ab. Trotz der Kritik von Preuss-Lausitz an den (bildungs)reformorientierten Bildungsvorstellungen wurde in diesem gesellschaftlichen Bereich eine Öffnung gegenüber dem Umweltthema vorgenommenen, die konzeptionell nicht den Diskussionsstand der damaligen umweltpädagogischen Konzepte widerspiegelt. Ob die bescheidenen Wirkungsziele des Kongresses in den folgenden Jahren eingetreten sind, kann zumindest für den Umweltbildungsbereich sehr bezweifelt werden.

Auf der Grenze zwischen Bildungspolitik und kritischer Bildungstheorie kann man den Sammelband von Bernhard und Sinhart-Pallin (1989) ansiedeln, dessen Autorinnen und Autoren sich aus einer linkssozialistischen Perspektive und auf Basis materialistischer und kritischer Bildungstheorien (vorzugsweise die Varianten von Heydorn und Gamm) dem im Titel deutlich werdenden Problem Bildung für Emanzipation und Überleben stellen. Damit waren bildungspolitische Erwartungen an die Partei Die Grünen als jüngste parlamentarische Kraft im damaligen Deutschen Bundestag gerichtet: „Bildungsratschlag. Plädoyer für einen basisdemokratischen Bildungsaufbruch“ (Sinhart-Pallin 1989, S. 212ff).[97]

2.6.2  Kritische Bildungstheorie - Allgemeine Bildung

In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wurden einige größere erziehungswissenschaftliche Versuche der Aktualisierung der Bildungsidee in Buchform veröffentlicht, von denen hier nur auf die von Hansmann und Marotzki (1988b) und Heipcke (1989a) herausgegebene Bände eingegangen wird.[98]

Die Erziehungswissenschaftler Hansmann und Marotzki sahen in dem von ihnen herausgegebenen zweibändigen Sammelwerk die Informationsgesellschaft als Hauptherausforderung für die Erziehungswissenschaft in der gegenwärtige Transformation der Industriegesellschaft. Zudem stehen der Entsinnlichung der Arbeits- und Lebenszusammenhänge, den schnell wachsenden Wissensbeständen und dem steigenden Grad der Verwissenschaftlichung abnehmende Handlungsfähigkeiten in Bezug auf die Lösung fundamentaler Probleme (Ökologie, Arbeitslosigkeit, usw.) gegenüber. Komplexitätssteigerung und erforderliche lösungsbezogene Komplexitätsreduktion befinden sich im Ungleichgewicht. Ohnmacht, Gleichgültigkeit und ethischer Relativismus sind die kontraproduktiven Folgen. Vor dem Hintergrund dieser Situationseinschätzung muß sich nach Ansicht der Herausgeber ein systematisch und problemgeschichtlich rekonstruierter[99] Bildungsbegriff, der sich einer kritischen Theorie der Gesellschaft[100] verpflichtet weiß, systematisch auf das spannungsreiche Verhältnis von Individuum und Gesellschaft beziehen und dabei die prinzipielle Differenz zwischen dem Einzelnen (auf dem normativen Fundament der Selbstbestimmung und der Autonomie des Menschen) und der Gesellschaft aufrechterhalten. Bildung muß gesellschaftliche Problemstände aufzeigen und Umgangsweisen damit entwikkeln; sie muß sich auf den ganzen Menschen beziehen, um rationalistischen Verkürzungen zu entgehen, und muß in einer Welt gesellschaftlicher Widersprüche und Problemlagen sowie widerstreitender Wertorientierungen Fähigkeiten der Kommunikation und Kritik in den Vordergrund stellen und Menschen in die Lage versetzen, in der Auseinandersetzung darüber, was es heißt, ein selbstbestimmtes, mitmenschlich verantwortbares Leben zu führen, die Stimme zu erheben (Hansmann/Marotzki 1988a).

Soweit sich in diesen allgemeinen Formulierungen und in möglichen Konsequenzen Unterschiede zum Bildungsansatz Klafkis ausmachen lassen, liegen sie vor allem in der Verwendung des Begriffs Diskurs, der sich eher an Foucault als an Habermas orientiert und damit eine Pluralität von Bezügen impliziert. Daher gingen die Herausgeber davon aus, daß Bildungstheorie nicht mehr als geschlossenes theoretisches System konzipierbar ist, sondern eher als immer wieder neu zu führender Diskurs, als „Diskurslandschaft“ verstanden bzw. abgesteckt werden sollte (Hansmann/Marotzki 1988b, S. 12f). Dies schlägt sich auch in den beiden Sammelbänden insofern nieder: es handelt sich im wesentlichen um eine Addition von etwa 35 Aufsätzen, die sich allenfalls an einem sehr weiten Rahmenkonzept der Herausgeber orientieren. Ein gemeinsamer Diskurs ist offenbar weder vorangegangen noch später erfolgt, so daß eine „genauere strukturelle und inhaltliche Ausarbeitung“ des neugefaßten Bildungsbegriffs, und auch eine ausgearbeitete Bildungstheorie, mehr als ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung noch aussteht. Ob etwas aus der eigentlich beanspruchten orientierenden Funktion für die Praxis, z. B. in der Schule geworden ist, kann nicht überprüft, aber bezweifelt werden.Die Autoren wandten sich statt dessen wohl anderen Themen zu, z. B. dem Postmodernismus (vgl. 2.6.3).[101]

Die Suche nach der Rolle der Ökologische Krise in den beiden Sammelbänden von Hansmann/Marotzki ergibt folgendes: Band 1 („systematische Markierungen“) umfaßt verschiedene Beiträge in vier kategorialen Kontexten: Arbeit; Wissenschaft und Politik; Subjektivitätskonstitution und Wirklichkeitsverarbeitung; Wertorientierung, Ethik, Religion. Hinsichtlich dieses letzten Kontextes heißt es: „Das alte ethische Problem der Verantwortung wird durch das unabweisbare ökologisch inspirierte Fragen mit aller Brisanz ins Lampenlicht der Diskussion gerückt“ (S. 15). Aus den zwei Stellen der Einleitung, an denen Ökologie bzw. ökologisch vorkommt, kann man schließen, das sich das Problem der Ökologischen Krise in den Augen der Herausgeber auf ein Problem des Umgangs mit allgemeiner und zunehmender Komplexität und ein „altes Problem der Verantwortung“ reduziert, dessen neuere Debatte sich so darstellt:

Ein Zentralproblem der neueren Diskussion über Moral- und Werteerziehung, sowie über Ethik allgemein ist die Frage, wie sich menschliches Handeln strukturiert und ob Orientierungsniveaus menschlichen Handelns als universal behauptet werden können. Während die einen auf die Notwendigkeit des Standpunktes der Moralität bestehen, indem sie z. B. Handeln von den möglicherweise unwiderruflichen Folgen des Handelns her bestimmen und begründen (Verantwortungsethik), behaupten die andern, daß eine reine verantwortungsethische Argumentation menschliches Handeln nicht durchgängig bis in die kleinsten Verästelungen zu begründen und zu orientieren vermag. (Hansmann/Marotzki 1988a, S. 28)

Der einzige Einzelbeitrag, der sich auch auf die ökologische Krise bezieht (Preuss-Lausitz), wird dieser Vorstellung, die aus meiner Sicht reduziert ist, insofern gerecht, als er sich für eine stark wertorientierte (Umwelt)Bildung ausspricht.[102] Damit zusammen hängt allenfalls noch der Beitrag von Claußen (1989), der sich im zweiten Band auf die soziologische Kategorie der Risikogesellschaft im Sinne von U. Beck bezieht.

Als diskursives Projekt angelegt war eine Ringvorlesung mit zahlreichen Klausurtagungen der Universität Kassel zum Thema „Bildung und Zukunft“, die in zwei gleichnamigen Bänden von Heipcke (1989a) und Dauber (1989) dokumentiert wurden. Im Zentrum stand die Frage nach dem Sinn der Bildung in einer bedrohten Welt, die u. U. durch die Katastrophe in Tschernobyl von 1986 geprägt war, die trotz intensiver Diskussionen sehr unterschiedliche, ja z. T. unvereinbare Antworten fand. Wenn Bildung im Sinne eines Verstehens von Welt verstanden wird und darauf zielt, diese mitgestalten zu können, wird vorausgesetzt, daß dies im Sinne einer verstehbaren und zum Menschlichen hin gestaltbaren Welt überhaupt möglich ist. Wo Menschen die Welt sich zur Fremde gemacht haben, herrscht am Ende nur noch die Gewißheit, daß die Lebensbedingungen der Menschen und die Menschheit schlechthin von Menschenhand technisch zerstört und vernichtet werden können. Deshalb kann Bildung nicht blind darauf abzielen, sich an der gewordenen Welt zu bilden; angesichts der Katastrophe müssen sich alle Beteiligten vielmehr der Ratlosigkeit stellen (Heipcke 1989a, S. 7f). Je nach Einschätzung der Versteh- und Gestaltbarkeit wurden von den Beteiligen des Projektes unterschiedliche pädagogische oder bildungstheoretische Schlüsse gezogen, die deutlich zeigen, daß heute von einem gültigen, d. h. allgemein geteilten und verbindlichen Sinn von Bildung nicht mehr gesprochen werden kann:

Diejenigen, welche die Auffassung vertraten, daß wir mehr denn je unser Denken in der Tradition der Aufklärung zu verankern hätten, um mittels einer kritischen, die Fragen von Natur und Umwelt einbegreifenden Gesellschaftstheorie eine Neuorientierung für das verantwortlich handelnde Subjekt gewinnen zu können, sahen die Aufgabe der Erziehung darin, durch kritische Reflexion in gemeinschaftlicher Praxis die gemeinsam geteilten konstitutiven Momente eines zukunftsträchtigen Verantwortungsbewußtseins freizulegen und zu leben. Jene, welche die Überwindung der durch das aufgeklärte Denken geforderten Abspaltungen als Voraussetzung dafür ansahen, daß die Welt wieder verstehbar wird und verstanden werden will, sahen die Aufgabe der Erziehung vor allem darin, Erfahrung von Ganzheit zu ermöglichen, um die notwendige Voraussetzung zur Ausweitung und Integration des Bewußtseins zu schaffen und damit auch ganz andere naturverbundene Fähigkeiten der Weltgestaltung zu eröffnen. (Heipcke 1989a, S. 8)[103]

2.6.3  Postmodernismus

Der oben beschriebene Rekonstruktionsversuch von Bildungstheorie durch Hansmann und Marotzki enthielt insofern schon Elemente eines postmodernen Denkens, als es unter anderem um Diskurs(landschaften) und Pluralität ging – auf letztere wird noch einmal in 2.6.4 eingegangen. Zu Beginn der 90er Jahre wurde vermehrt über das „Ende der Aufklärung“ geschrieben und damit auch vernunftorientierte Bildungsvorstellungen in Frage gestellt. In den Erziehungswissenschaften wurde ebenfalls eine Postmodernismus-Debatte geführt. In anderen Bereichen fand diese schon erheblich früher statt.[104] Die Diskussion um die Postmoderne ist Teil einer sehr heterogenen kulturellen Bewegung von verschiedenen „Postismen“, der es um Relativierung, um Absetzen und Bekämpfung von vorgängigen Denkmustern geht – hier der Moderne (vgl. Steinlechner 1992). Im Kern handelt es sich um Vernunft- und Rationalitätskritiken unterschiedlicher Tiefe und Reichweite. Für den thematischen Kontext dieses Kapitels bietet sich ein Blick auf den Postmodernismus-Diskurs unter anderem deshalb an, weil der ökologische Diskurs,[105] zu dessen theoretische Vorläufer man auch Teile der erkenntnis-, wissenschafts-, gesellschaftskritische Debatte um die Naturwissenschaften in der 70er Jahren zählen kann (vgl. 4.1) selbst sehr unterschiedliche Elemente der Kritik der Moderne enthielt. Insbesondere gilt dies für die kritischen Strömungen der Umweltbildung, in denen der Begriff Postmodernismus jedoch fast nicht verwendet wurde.

Eine besondere inhaltliche Bedeutung für die Grundlegung und Verbreitung des postmodernen Denkens hat die Arbeit „Das postmoderne Wissen“ von Jean-Francois Lyotard (1986), die auch in der Pädagogik rezipiert wurde.[106] Besonders bekannt geworden ist das von Lyotard positiv bewertete „Ende der großen Erzählungen“: Die Emanzipation der Menschheit im Sinne der Aufklärung, das Glücksversprechen des Kapitalismus und das Befreiungsversprechen des Marxismus zählt zu den „Meta-Erzählungen“. Diese narrative Formen der Legitimierung haben ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt und die Verbindlichkeit und Legitimation verloren.[107] Die erziehungswissenschaftliche Rezeption des Postmodernismus-Diskurses befaßt sich primär mit aufklärungs- und subjektkritischen sowie bildungstheoretischen Fragen. Schon in einer der ersten großen Textsammlungen (Krüger 1990) wurden sehr unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen der Postmoderne und Moderne offenbar, die sich in drei Theorietypen hinsichtlich des Verhältnisses zur Moderne einteilen lassen: Diagnose des Endes der Moderne, Moderne als unvollendetes Projekt und als Zwischenweg, „Moderne als Abfolge von unterschiedlichen Modernitätsformationen“, zu dem beispielsweise die reflexive Moderne von U. Beck[108] zählt. Während Winkler (1992) in der Postmoderne erst den Anfang der Pädagogik sieht, hält Klafki ein eindeutiges Plädoyer gegen jeglichen postmodernen „Abschied von der Aufklärung“:

Demgegenüber bin ich der Auffassung, daß die Kernideen der Aufklärung in einem radikalen, d. h. an die Wurzeln gehenden Sinne nach wie vor begründbar gültig, jedoch nicht entfernt hinreichend eingelöst worden sind, daß sie also weitergedacht und weiterverfolgt werden müssen. (Klafki 1990, S. 91).

Unklar ist dabei, ob Klafki damit auch jene Rezeptionsversuche und Zwischenwege ausschließen will, die sich differenziert mit postmodernen Kritiken beschäftigen und die hierin eine Chance einer offenen, undogmatischen Aktualisierung des bisherigen modernen pädagogischen und Bildungsdenken sehen (vgl. Ruhloff 1990, 1997 u. 1998). Auch der von Marotzki und Sünker 1992 herausgegebene Sammelband versteht sich im wesentlichen in einem differenzierten Sinne. Es soll hier nur auf die Beiträge von Marotzki und Scherr und im nächsten Abschnitt zum Pluralismus auf weitere Autorinnen und Autoren eingegangen werden.

Marotzki (1992) versteht den Postmodernismus konstruktiv als Suchbewegung und seine Begriffe nicht im Sinne einer grundsätzlichen begrifflichen Dichotomie zur Moderne.[109] Seine in Anlehnung an Lyotard (1986) identifizierten gesellschaftlichen Herausforderungen (Rationalität, Wissen, Informationstechnologie; Plural der Vernunft und der Rationalität; sprachphilosophischer Thematisierungsrahmen; ontologischer Diskurs[110], ethische Grundlage, Tod des Subjekts) haben auch hinsichtlich der ökologischen Krise Implikationen. Konsequenz ist für ihn die Perspektive eines offenen wissenschaftstheoretischen Modells, das durch Kategorien wie Partikularität/Lokalität Vielheit/Pluralität, Diskontinuität u. a. gekennzeichnet ist.[111] Im selben Band unternimmt Scherr (1992, S. 101ff) den Versuch, Kritische Theorie bzw. Kritische Bildung mit Hilfe der Provokationen der postmodernen Kritik durch selektive Auswahl anknüpfungsfähiger Aspekte weiterzuentwickeln, ohne beispielsweise auf reflexives Wissen als Kritik von Macht zu verzichten oder sich auf eine pauschale postmoderne Verabschiedung von Vernunft sowie eine abstrakte Entgegensetzung von Natur, Sinnlichkeit, Gefühl und intuitiv erfaßte Ganzheitlichkeit einzulassen. Ein Kriterium objektiver Vernünftigkeit von Gesellschaft könnte nach Scherr darin zu finden sein, welche Möglichkeiten der Individuierung jeweilige Formen der Vergesellschaftung zulassen. Scherr erwähnt selbst die Prozesse der Naturzerstörung, die „als Ausdruck partikularer Interessen gelten“ können, die „nicht rational begründbare und verallgemeinerbare sind“. Bildung und speziell Umweltbildung läßt sich damit auf „gesellschaftliche Konfliktlinien beziehen, in denen Gegensätze zwischen partikularen Interessen und der Möglichkeit einer rationalen Gestaltung gesellschaftlicher Lebensverhältnisse aktuell werden.“ Hier stellt sich die Frage der Teilhabe an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen, die durch Machtverhältnisse blockiert wird (Scherr 1992, S. 124f). In analoger Weise lassen sich beispielsweise ganzheitliche Bildungskonzepte nicht auf die Verbindung von kognitiven mit emotionalen und körperlich-sinnlichen Aspekten individueller Entwicklung reduzieren, sondern müssen auch die Erweiterung des Möglichkeitsraums selbstbewußter und selbstbestimmter Lebenspraxis zum Gegenstand machen. Bildung könnte so „Mäeutik von Gegenerfahrungen gegen gesellschaftlich zugemutete Ohnmacht“ sein (Scherr 1992, S. 137f).

Als Übergang zur Pluralismus-Debatte in der Pädagogik im nächsten Abschnitt (2.6.4) sei auf einige, für diese Arbeit relevante Aspekte und Argumentationen von Welsch (1987) eingegangen, der einen „präzisen Postmodernismus“ der „radikalen Pluralität“ sowie eine neue „transversale Vernunft“ definiert und den Postmodernismus als Fortentwicklung der Moderne des 20. Jahrhunderts einordnet („postmoderne Moderne“).[112] Welsch geht zunächst davon aus, daß der Postmodernismus keine Erfindung von Philosophen, Künstlern und anderen Personen ist, sondern unserer Realität und Lebenswelt entspricht, in der es eine Pluralität von Lebensformen, Handlungsmustern, Sozialkonzeptionen, Denktypen, Orientierungssystemen u. ä. gibt.[113] Wahrheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit stehen im Plural, Hegenomie-Anmaßungen werden zurückgewiesen. Die Postmoderne ist postmodern nur gegenüber der alten Moderne, soweit sie in Kategorien der Einheit denkt; gegenüber der Moderne des 20. Jahrhunderts ist sie nur radikaler modern, eine postmoderne Moderne.[114] Den Vorteilen einer größeren Freiheit stehen neue Problemlasten der postmoderne Pluralität und eine neue Sensibilität für diese Problemlasten gegenüber. Für Welsch ist die Postmoderne „wesentlich ethisch grundiert“ und erfordert eine neue Art des Umgangs mit Pluralität. Seine neuartige Konzeption der Vernunft, die er „transversale Vernunft“ nennt, ist positionell zwischen dem Diskursansatz von Habermas und der Betonung der Heterogenität bei Lyotard angesiedelt (Welsch 1987, S. 314): Weder werden Kommunikationsansprüche preisgegeben noch wirkliche Differenz ignoriert. Die neue Vernunft muß ihre Einheit darin finden, daß „materiale Übergänge“ zwischen den unterschiedlichen Rationalitätsformen möglich sind. „Nicht mehr kosmische, sondern irdische, nicht mehr globale, sondern verknüpfende Funktionen“ prägen das Bild der Vernunft (Welsch 1987, S. 295). Unter heutigen Bedingungen eines gesteigerten Pluralismus ist diese Aufgabe der Vernunft nach Welsch „vordringlich und obligat“ und „ist auf drei Ebenen wirksam: in Reflexionen über die Verfaßtheit der Rationalitätsformen und die Möglichkeit von Übergängen; in der Praxis solcher Übergänge; als Medium der Konfiktaustragung zwischen heterogenen Ansprüchen“ (Welsch 1987, S. 304).

Transversale Vernunft, die von „allen substantialistischen, prinzipialistischen und ganzheitlichen Auffassungen freizuhalten oder zu reinigen“ (Welsch 1987, S. 304) ist,

stellt eine Einheitsform dar, die nicht bloß formale Gemeinsamkeiten zwischen Lebensformen verständlich, sondern auch eine materiale Kooperation ihrer möglich macht und die das so tut, daß sie dabei nicht wieder stillschweigend eine Totalisierung einführt und der konventionellen Dialektik von Einheit – der Sistierung des Vielen, um dessen Produktivität es doch ginge – erliegt. Der Konzeption transversaler Vernunft könnte unter Gegenwartsgesichtspunkten ein beträchtliches Lösungspotential zukommen. (Welsch 1987, S. 312f)

Transversale Vernunft operiert in einem Bereich zwischen Modernismus und Postmodernismus, wo Einseitigkeiten nicht unterstützt, sondern korrigiert werden. „Sie knüpft Verbindungen, ohne Einheit zu erzwingen, sie überbrückt Gräben, ohne das Terrain zu planieren, sie entfaltet Diversität, ohne alles zu fragmentieren“ (Welsch 1987, S. 315). Insgesamt zeigen diese Formulierungen die potentielle Relevanz des transversalen Ansatzes einer postmodernen Moderne für den Diskurs zur nachhaltigen Entwicklung, der auf Verbindungen, Übergänge, Anschlußfähigkeiten angewiesen ist.

2.6.4  Pluralismus

Es gibt erhebliche argumentative Überschneidungen des weitverzweigten Postmodernismus-Diskurses mit dem Gedanken eines pädagogischen Pluralismus, der in der Umweltbildung – trotz der in diesem Kapitel ausgebreiteten, real existierenden Pluralität der Ansätze – noch wenig Niederschlag gefunden hat (vgl. 1.4 und Einleitung zu diesem Kapitel 2). Die Frage eines pädagogischen Pluralismus wird einerseits am Beispiel einer von Heyting und Tenorth (1994) herausgegebenen niederländisch-deutschen Publikation auf der Ebene des allgemeinen Bildungsdiskurses thematisiert, andererseits am Ansatz der „Pädagogik der Vielfalt“ von Prengel (1995).[115]

Rang unterscheidet im ersten Sammelband von Heyting und Tenorth zunächst zwischen Pluralität als Vielfalt bzw. Diversität von Wertorientierungen und Lebensformen, Theorien u. ä. und Pluralismus als grundlegende Einstellung, die sich auf verschiedene Bereiche von Diversität beziehen kann und diese jeweils als etwas Begrüßenswertes und Förderungswürdiges sieht (Rang 1994, S. 24f).[116] Es gibt einen Zusammenhang zwischen Pluralität und Pluralismus, denn die Wahrnehmung von Pluralität in einem ausgewählten Bereich ist auch eine Frage der Differenzierung der Sichtweise, somit auch Wirklichkeitskonstruktion. Insbesondere kann sie auch Produkt einer pluralistischen Einstellung sein.[117] Eine verschärfte Vorstellung von Pluralität geht in einem postmodernen Sinne davon aus, daß sie begrifflich grundsätzlich nicht auf dem Weg der Rationalität auf Einheit[118] zurückführbar ist (vgl. 2.6.3). Die verschiedenen Fassungen von Pluralität und Pluralismus bieten unterschiedliche Möglichkeiten (gesellschafts)kritischer Perspektiven.

In der Pädagogik und insbesondere der Bildungstheorie wurde die Rezeption des Pluralismus relativ spät aufgenommen[119] und hat zunächst zu heftigen Kritiken und Gegenreaktionen geführt. Sie bezogen sich bei genauer Betrachtung primär auf relativistische Positionen,[120] die in ihren Implikationen ohnehin mit einem kritischen und reflexiven Bildungsverständnis kaum vereinbar sind.[121] Die Provokationen durch den Postmodernismus-Diskurs haben zwar in der Pädagogik Impulse zugunsten eines pluralistischen Verständnisses hervorgebracht, durchgesetzt hat sich dieses Denken auf breiter Basis meinem Eindruck nach bis heute jedoch nicht. Differenzierte und reflektierte Wege zwischen absolutem Monismus und relativistischem Pluralismus kann man als ‚gemäßigten‘ Pluralismus (vgl. die Position von Rang) nennen. Sie sind hinsichtlich der Konsequenzen für die Bildung(sarbeit) sehr viel anspruchsvoller. Gestützt auf Heyting und Tenorth (1994) werden zur Charakterisierung einer solchen Zwischenposition Merkmale in Form einiger Thesen formuliert:[122]

 

a)      Pluralistische Bildung hat die Aufgabe, die Sensibilisierung für die Wahrnehmung von Unterschieden und die der Diversität zu erhöhen, d. h. die Erkenntnis zu vermitteln, daß man die ‚Welt‘ unterschiedlich interpretieren kann (plurale Konstruktivität).[123]

b)      Pluralität bzw. Diversität, d. h. andere und mögliche Gesichtspunkte, Beschreibungsformen, Interpretationen und Wertungen werden auf ihren jeweiligen soziokulturellen Hintergrund bezogen und selbst zum Thema der Reflexion in Bildungsprozessen gemacht.[124]

c)      Aufgefordert wird zur Explikation und Diskussion sowie zum Vergleich von Argumenten. Dabei wird angenommen, daß die Menschen konzeptuelle Perspektivwechsel vornehmen können.[125] (Eigene) Positionen sollen erweitert, differenziert, ja vielleicht sogar grundlegend korrigiert und damit individuelle und gesellschaftliche Praxis in einem pluralistischen und partizipatorischen Sinn (vgl. Kapitel 3) verändert werden.[126] Dies ist für kritische Bildungsarbeit und insbesondere die Umweltbildung ein wichtiger zusätzlicher Schritt, der über die Verarbeitung der soziokulturellen Konstitution von Erkenntnissen und Interpretationen im Sinne von Merkmal b) hinausgeht und ein notwendiger Schritt, damit eine gesellschaftsverändernde Funktion durch pluralistischer Bildung zum Tragen kommt.

d)      Eine weitere Ebene ist die Entwicklung allgemeiner Kriterien, die über ein bloßes pluralistisches ‚Geltenlassen‘ im Sinne eines kulturellen Relativismus bzw. philosophischen Kontextualismus (vgl. Haaften/Snik 1994, S. 73ff), ein Verstehen anderer und die Veränderung eigner Sichtweisen hinausgeht und einen Rahmen bildet, in dem sich die Pluralität entfalten kann. Die Kriterien sind, auch aus partizipationstheoretischen Gründen, nur aus widersprüchlich verlaufenden, sich auf umfassende Praxiserfahrungen stützende Verständigungsprozesse auf verschiedenen sozialen Aggregationsebenen zu ermitteln. Grundsätzlich gilt diese Argumentation auch für (tendenziell) universalistische Ziele im Bereich von den Nachhaltigkeitsprinzipien (vgl. Kapitel 3) und der Menschenrechte u. ä. Auch diese Ziele stellen temporäre, sozialpragmatische Perspektiven dar, die aufgrund ihrer größeren sozialen Basis und ihrer langandauernden partizipatorischen Erarbeitung stabiler und nur in langen Prozessen veränderbar sind. Es gibt dann zwar „massenhaft funktionierende Verständigungen, aber es gibt keine a priori gegebenen Grundlagen, die sicherstellen können, daß diese Verständigungen (oder wenigsten einige von ihnen) für alle Zukunft gelten werden“ (Luhmann 1992, S. 187f). Es gibt dann aber auch keine Beliebigkeit der mannigfaltigen Interpretationen der Welt.

Diese vier Merkmale a) bis d) eines solchen ‚gemäßigten‘ Bildungspluralismus kann man als allgemeine Stufen von Bildung verstehen, die von einem bloß wahrnehmenden über einen verstehenden und reflektierenden hin zu einem verständigungsbezogenen und Übergänge suchenden, schließlich zu einem verändernden und letztlich kriterienbildenden Anspruch führen. Aus dieser Perspektive kann man pluralistische Auffassungen, soweit sie von einem postmodernen Heterogenitätsprinzip oder auf einem absoluten Relativismus basieren, als unterste Stufe dieser Art eines gemäßigten Pluralismus verstehen. Die oberste Stufe kennzeichnet eine allgemeine kritische Ausrichtung von Bildung. Die Stufen kann man also als Qualitätsstufen des Bildungskonzeptes verstehen.

e)      Pluralismus betrifft beim Lernen auch die Richtung der Abstraktionsprozesse. Statt einer relativistisch-pluralistischen Entscheidung zugunsten der diversifizierenden Konkretionen oder der gegenteiligen unifizierenden Abstraktionen sind Lern- und Erkenntnisprozesse am ehesten durch die Möglichkeit gekennzeichnet ..., daß „Perspektivenwechsel“ und „Übergänge“ vorgenommen werden können durch ein flexibles, bisweilen geradezu spielerisches Hin und Her zwischen „Synthesis“ und „Dysthesis“. (Rang 1994, S. 40)

Spätestens hier werden Ähnlichkeiten mit der postmodern modernen Argumentation von Welsch deutlich (vgl. 2.6.3).

f)      Verschiedene pluralistische Grundsatzpositionen stellen in unterschiedlichem Grade auch den Anspruch und die Möglichkeit einer einheitlichen und verbindlichen Allgemeinbildung in Frage: Im Unterschied zum traditionalen Bildungsbegriff und seinem festen Bildungskanon, impliziert die stärkere Kontext- und Kulturgebundenheit der Inhalte moderner gemäßigt pluralistischer Bildungsbegriffe eine größere Bedeutung der formale Seite. Festgehalten wird in der Regel an übertraditionalen, universalen Denkformen, die in der kritischen Tradition im Sinne aufgeklärter Wissenschaft oder Moral verstanden werden. Darauf basieren dann moderne Vorstellungen von Allgemeinbildung (z. B. Klafki in 2.1), die in dreifachem Sinne allgemein sind: Bildungsideale und -inhalte für alle, allgemeine und universelle Denkformen, alle Bereiche des Denkens. Relativistisch-pluralistische Positionen, die diese Basis auf keiner der drei Ebenen anerkennen, besitzen keine Möglichkeit Allgemeinbildung zu definieren (Haaften/Snik 1994, S. 76-79).

Die Universalität unserer Denkformen kann in einem „genetisch-strukturalistischen“ Sinne zumindest relativiert werden: Dabei wird davon ausgegangen, daß es in verschiedenen Bereichen des Denkens und Urteilens (z. B. im materialen, sozialen, ethischen, ästhetischen, philosophischen und logischen Bereich) Rationalitätsstrukturen gibt, die durch einen mehrstufigen individuellen und kollektiven historischen Entwicklungsprozeß bis hin zu kritischen Positionen zustande kommen.[127] Dann kann insofern an der Vorstellung der Allgemeingültigkeit und damit einer Allgemeinbildung festgehalten werden, als die verschiedenen Formen in eine hierarchische Ordnung von Stufen bis hin zu einer jeweiligen „postkonventionellen Stufe“ gebracht werden können (Haaften/Snik 1994, S. 69ff).

Eine solche Stufung der Bildung hat den Vorteil, daß eine vorab vorzunehmende konzeptionelle Unterscheidung für oder gegen eine kritische Ausrichtung der Gesamttheorie überflüssig ist. Kritische Bildung ist als Potential und Entwicklungsstufe in einem allgemeineren Bildungsverständnis enthalten. Die Realisierung des kritischen Anspruchs entscheidet sich dann erst in der Praxis, also daran, inwieweit es gelingt – in jeweiliger Verbindung zu aktuellen inhaltlichen Fragen (Themen der nachhaltigen Entwicklung, epochaltypische Schlüsselthemen) und unter Berücksichtigung der Lerninteressen und ‑fähigkeiten der Lernenden – höhere Stufen der Bildungs- bzw. Fähigkeitsentwicklung in den verschiedenen Bereichen zu erreichen. Eine solche Sichtweise kritischer Bildung dürfte auf der Theorieebene jedoch umstritten sein, sie widerspricht Vorstellungen, die auf dem Heterogenitätspostulat relativistischer Varianten pluralistischen oder postmodernen Denkens basieren.[128]

Diese Differenzierung der Bildung in Bereiche des Denkens und Urteilens oder in Dimensionen der formalen Fähigkeitsentwicklung (s. Klafki in 2.1 und 5.6) eröffnet durch unterschiedliche Gewichtungen der Bereiche und Dimensionen von Bildung zahlreiche Möglichkeiten innerhalb dieses kategorialen Rahmens.[129] Dazu zählen auch Möglichkeiten, die den Schwerpunkt auf einen einzigen Bereich oder eine Dimension legen, z. B. ästhetische Bildung. Man kann in diesem Sinne auch von einer Pluralität von Bildungspraxen, Bildungsvorstellungen bzw. Bildungstheorien sprechen.

Sünker (1994), der vor allem auf Heydorn (1970) und Lefebvre (1987) zurückgreift, geht es darum, die Pluralismus-Problematik im Kontext des Individualisierungsdiskurses und die Subjekt- oder Autonomieproblematik im Kontext gesellschaftskritisch argumentierender Bildungstheorie und darin eingebundener Utopiepotentiale zu diskutieren. Schon U. Beck hat in seiner Analyse und Darstellung des gegenwärtig konstatierbaren Individualisierungsprozesses betont:

An die Stelle traditionaler Bindungen und Sozialformen (soziale Klasse, Kleinfamilie) treten sekundäre Instanzen und Institutionen, die den Lebenslauf des einzelnen prägen und ihn gegenläufig zu der individuellen Verfügung, die sich als Bewußtseinsform durchsetzt, zum Spielball von Moden, Verhältnissen, Konjunkturen und Märkten machen. (Beck 1986, S. 211)

Vor diesem Hintergrund verdinglichter Strukturen des Alltagslebens gilt es für eine kritische und reflektierte Bildungstheorie die Konstitutionsbedingungen von Subjektivität im Sinne eines realen Pluralismus der Lebensformen und einer emanzipatorischer Entfaltung menschlicher Bedürfnisse zu prüfen. Hier gibt es einen engen Zusammenhang zu einem partizipationsorientierten Bildungsverständnis (vgl. Kapitel 3.).

Um eine allzu naive Begrüßung einer pluralistischen Grundhaltung zu verhindern, sollte eine reflektierte Bildungstheorie darüber hinaus zweierlei berücksichtigen: Dem Gewinn an Subjektivität durch Pluralismus, den Pädagoginnen und Pädagogen begrüßen (müßten), steht zum einen eine größere ‚Unübersichtlichkeit‘ gegenüber. Diese kann bei den Lernenden zu zeitweisen Desorientierungen führen und insofern für die pädagogische Praxis eine zusätzliche Heraus- oder auch Überforderung darstellen.[130] Pluralismus kann zum anderen nach Heid (1994b) eine beliebige Verwendbarkeit begünstigen oder bezwecken, unterschiedliche Interpretationen, Widersprüche und Konflikte entproblematisieren, entpolitisieren oder gar verschleiern, gegen Kritik immunisieren und zur Entlastung von Verantwortung für die Konsequenzen des eigenen Denkens und Handelns beitragen. Dies muß letztlich kein Widerspruch zum Dogmatismus darstellen (Heid 1994b, S. 127). Heid plädiert deshalb dafür, Pluralität durch Kritik zu ersetzen, wobei die Denk- und Redefreiheit des Kritikers sowie der Schutz des Kritikers gegen Sanktionen gewährleistet werden muß. Diese Kritik trifft für die hier favorisierten, reflexionsorientierten pluralistischen Varianten zumindest von ihrem theoretischen Ansatz her kaum zu.

Einen anderen, stärker aus der pädagogischen und bildungspolitischen Praxis stammenden Ausgangspunkt wählt Prengel für ihre „Pädagogik der Vielfalt“: Vor dem Hintergrund der interkulturellen, der feministischen und der integrativen Pädagogik geht es ihr um die Entwicklung eines Bildungsverständnisses, das sich als Beitrag zur Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses, zur Entfaltung kulturellen Reichtums und zum Respekt vor Individualität in der Erziehung versteht.[131] „Kann pädagogisches Handeln der geschlechtlichen, kulturellen und individuellen Verschiedenheit der Menschen gerecht werden, wie kann Pädagogik das demokratische Prinzip der Gleichberechtigung verwirklichen?“ (Prengel 1995, S. 15). Emanzipatorisches Bildungsideal, Kritische Theorie und pluralitätstheoretischen Positionen des Postmodernismus (vor allem Lyotard und Welsch) sind Prengels theoretische Basis.

Die Begriffe Gleichheit und Differenz dienten in der europäischen politischen Geschichte der Legitimation gesellschaftlicher Ungleichheit (konservative Hierarchisierung der Differenzen) und den Emanzipationsbestrebungen, die in der Regel universelle Gleichheit als gesellschaftlich herzustellenden Zustand forderten, faktisch sich jedoch meist nur für die Einlösung bürgerlicher Gleichheitsforderungen für die eigene Gruppe einsetzen. Universelle Fassungen des Gleichheitsprinzips ohne Ausgrenzungen oder Einschränkung auf bestimmte Handlungs- oder Lebensräume sind sehr selten. Auch in den Zukunftsvorstellungen der Emanzipationsbewegungen gibt es nach Prengel kaum Platz für Unterschiedlichkeit, da sie als zu eng an die zu überwindende Ungleichheit gebunden empfunden wurde. Im Hauptstrom demokratischer Denktraditionen in Europa wurde deshalb kein emanzipatorisches Konzept von Verschiedenheit ausgebildet. Zukünftige Gleichheitsvorstellungen müßten sich mehr an Gleichberechtigung, die sich als Bedingung der Möglichkeit von Vielfalt versteht, orientieren (Prengel 1995, S. 35).

Prengel lehnt sich an die Schlüsselerfahrung der Pluralität[132] und das darauf bauende Konzept einer „Radikalen Pluralität“ von Welsch (s. 2.6.3) an, kritisiert jedoch an diesem Konzept zweierlei: Mit Lyotards Heterogenitäts-Theorem vernachlässigt die transversale Vernunft die nicht vollständig auflösbare Inkommensurabilität der Sinnsysteme der verschiedenen Subjekte. Welsch beschränkt sich zu sehr auf eine abstrakt philosophische Theorieebene und auf gesellschaftliche ‚Randbereiche‘ der Architektur, Literatur und Malerei (Prengel 1995, S. 52f).

Für den demokratischen, also egalitären Differenzbegriff[133] Prengels gilt unter anderem folgendes: Differenz beinhaltet immer Offenheit für Unvorhersagbares und Inkommensurables; Differenz bezieht sich auf mehrere Ebenen menschlicher Heterogenität (Mikro- und Makroebenen). Individuelle und kollektive Differenzen sind soziokulturelle Differenzen; Lebensweisen und Kulturen sind in ständiger Veränderung begriffen. Differenzen sind nur als historisch gewordene begreifbar. Die Option für Differenz ist eine Option gegen Hegemonie; es gilt gleiches Existenzrecht für unterschiedliche Lebensformen. Idealisierungen von ausgegrenzten und zu fördernden Gruppen und Lebensweisen sollten vermieden und auf ‚puristische‘ Differenzvorstellungen und Konservierung von Lebensweisen sollte verzichtet werden. „Demokratische Politik und Pädagogik müssen jeweils situationsspezifisch klären, welche Gleichheiten und welche Differenzen sie wollen“ (Prengel 1995, S. 184). Hier ist der partizipatorische Aspekt angesprochen. Im Hinblick auf die Schule geht es Prengel um „den gleichberechtigten Zugang zu den materiellen und personellen Ressourcen der Schule, ... um auf Basis solcher Gleichberechtigung die je besonderen, vielfältigen Lern- und Lebensmöglichkeiten zu entfalten“, der in Form von 17 Thesen konkretisiert wird, z. B.: Selbstachtung und Anerkennung der Anderen, Kennenlernen der Anderen, Entwicklungen zwischen Verschiedenen, innerpsychische Heterogenität, Kollektivität: Gemeinsamkeit zwischen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, Aufmerksamkeit für die individuelle und kollektive Geschichte und für gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen sowie Achtung vor der Mitwelt.[134]

2.6.5  Schlußfolgerung für die Umweltbildung

Pluralistisches Denken in seinen unterschiedlichen Varianten kann man auch auf die Ebene der Konzept- und Theorieentwicklung beziehen und dabei vorhandene und frühere Ansätze als Material verwenden, sie reflektieren, rekonstruieren und eventuell integrieren. Dies bedeutet Verzicht auf ‚harte Alternativen‘ von Theorieentscheidungen (vgl. Rang 1994, S. 32f). Diese Grundhaltung liegt diesem Kapitel bzw. der Arbeit insgesamt zugrunde.

Obwohl die meisten der in den Abschnitten 2.6.1.-2.6.4 gesichteten bildungstheoretischen Ansätze, insbesondere der bildungsbezogene Postmodernismus- und Pluralismus-Diskurs nicht explizit das Mensch-Natur-Verhältnis thematisierten, konnten direkt einige Konsequenzen für die Frage einer ökologischen oder nachhaltigen Orientierung von Bildung abgeleitet oder als Problem formuliert werden. Der zwar nicht kontinuierlich verlaufende, aber immer noch andauernde Bildungsdiskurs verstärkt die hier verfolgte Perspektive einer Umweltbildung, die den zweiten Teil des Begriffs betont (Umwelt-Bildung), ja macht sie zur Notwendigkeit. Insbesondere ist es fortan nicht mehr begründbar, Umweltbildung als konstitutiver Teil einer modernen Bildung von einer pluralistischen Orientierung auszunehmen oder sich im Sinne einer naiven Fortsetzung der Aufklärung zu verstehen. Letzteres traf in der Vergangenheit nur für einige der Konzepte der Umweltbildung zu, die in der Praxis allerdings dominierten (vgl. 2.2-2.5). Damit kann man den grundsätzlich (gemäßigt)pluralistischen, d.h. in oben beschriebenen Sinne verständigungsorientierten Ansatz in dieser Arbeit, der in These 1.13 (Kapitel 1) für die Schule und am Anfang von Kapitel 2 postuliert wurde, als bestätigt ansehen. Allgemeiner gilt:

These 2.5     Umweltbildung ist konstitutiver Teil einer pluralistischen und verständigungsorientierten Bildung. Ihre bildungstheoretische fundierte Fundierung bildet ein Gegengewicht zu jeglichen Instrumentalisierungen.

Die Notwendigkeit eines Pluralismus wird sich jedoch noch durch die weitere Rekonstruktion der Umweltbildung in den folgenden Abschnitten verstärken und sich im Rahmen der Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung und des damit verbundenen Prinzips der Partizipation (vgl. Kapitel 3) als unausweichlich erweisen.

2.7  Umweltbildung in den 90er Jahren

Die Gliederung dieses Abschnittes erfolgt primär einer inneren Logik der Umweltbildung der 90er Jahre, die sich von den alten Kontroversen der 80er Jahre gelöst hat: entlang ausgewählter, potentiell bildungsrelevanter und innovativer Aspekte, die die reichhaltige konzeptionelle Weiterentwicklung der Umweltbildung selbst hervorgebracht hat.[135] In diesem Abschnitt zeigt sich, inwieweit von umweltpädagogischer Seite in den 90er Jahren konzeptionelle Beiträge geliefert wurden, die in der Lage sind, das bis dahin bestehende bildungstheoretische Defizit abzubauen: Inwieweit wurden die allgemeinen Bildungsdiskurse verarbeitet, die im Abschnitt 2.6 dargestellt wurden? Wurde etwa ein Pluralismus der Umweltbildung entwickelt, der mehr ist als die schon lange existierende und in diesem Kapitel dokumentierte Pluralität unverbundener Ansätze? Umgekehrt wird zu prüfen sein, inwieweit durch die konzeptionelle Weiterentwicklung der Umweltbildung Beiträge für eine Weiterentwicklung einer allgemeinen Bildungstheorie bzw. Theorie der Allgemeinbildung geleistet wurden. Folgende zehn Aspekte bzw. Diskussionsstränge der Umweltbildung der 90er Jahre sollen herausgehoben werden:[136]

        Kommunikation (2.7.1)

        Kulturorientierung (2.7.2)

        Gesellschaftskritik – Ökonomie (2.7.3)

        Natur(erlebnis) (2.7.4)

        Öko-Ethik (2.7.5)

        Region – Urbanität und Stadt (2.8)

Der letzte Punkt wird in Kapitel 5 erweitert und vertieft. Hinzu kommen weitere Aspekte, die in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit separat und ausführlich thematisiert:

        Partizipation (Kapitel 3)

        Konstruktivismus (Kapitel 4)

        nachhaltige Entwicklung als Zukunftsperspektive (Kapitel 5).[137]

        Umweltbewußtseins- und Umweltverhaltensforschung (5.5).[138]

Vor allem die ersten sechs Aspekte werden danach überprüft, ob und wie sie einen zu rekonstruierenden pluralistischen oder mehrperspektivischen Begriff von Umweltbildung als Teil eines aktualisierten Bildungsbegriffes und im Kontext einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (Kapitel 5) mitkonstituieren. Speziell gilt es, das Verhältnis zu der Bildungstheorie von Klafki oder zu einer modifizierten Fassung seines Ansatzes im Blick zu behalten. Zunächst möchte ich einen Überblick über einige ausgewählte Versuche in den 90er Jahren geben, eine Bilanz der Umweltbildung zu ziehen und neue Perspektiven zu eröffnen. Dies wurde bereits häufig auf verschiedenen Tagungen versucht, die Klärungen vorantreiben sollten und deren Ergebnisse als Sammelbänden erschienen:

Marahrens und Stuik (1992a): Der Golfkrieg, die sich anstauenden Ohnmachts- und Angstgefühle gegenüber der sich verschärfenden Umweltkrise, die fruchtlosen akademischen Debatten und ausbleibende Erfolge der teilweise institutionalisierten Umweltbildung, das Nichterreichen von etlichen Adressatengruppen u. ä. führten zu einer Tagung, die sich mit Möglichkeiten eines nichtresignativen Umgangs mit der sich ausbreitenden „Endzeitstimmung“ auseinandersetzte. Am Ende standen keine neuen Konzepte, sondern unterschiedliche Vorstellungen und Hinweise für eine zukunftsgerichtete Umweltbildung, deren gesellschaftliche Wirkung insgesamt etwas bescheidener eingeschätzt wurde als in der Zeit zuvor. Auf die Festlegung allgemeingültiger Ziele der Umweltbildung oder qualifikatorischer Anforderungen an Umweltpädagoginnen und Umweltpädagogen wurde bewußt verzichtet, ebenfalls verzichtete man auf ein integrierendes und ‚Rezepte‘ formulierendes Nachwort der Herausgeber. Dennoch wurde die Umweltbildung als politische Bildung verstanden, und zwar in dem Sinne, daß sich Umweltbildung sowohl mit Zukunftsvisionen als auch handlungsbezogen mit mitgestaltungsorientierten Projekten beschäftigt. Umfassende Kooperationen, die Kommunikation und unter anderem daraus resultierende Vieldimensionalität einer offenen Umweltbildung wurden gegen Ausgrenzung und Dogmatismus als grundlegend festgehalten (Marahrens/Stuik 1992b, S. 162ff). Hier finden sich einige Aspekte, die mit denjenigen Tendenzen in Einklang stehen, die in 2.6.3 und 2.6.4 im Kontext einer reflektierten Moderne und gemäßigten Postmoderne und des Pluralismus angesprochen wurden.

Apel (1993): Anlaß war hier eine kritische Bilanz der Erwachsenenbildung und darüber hinaus der Entwicklung der Umweltpädagogik allgemein. Nach einer Aufbruch- und Ausbauphase, die von heftigen Debatten um die richtige Umweltbildung geprägt waren, stand nach Apel nun eine Konsolidierungsphase an, in der neue Perspektiven entwickelt werden müssen. Der von de Haan (1993) in diesem Sammelband unterbreitete Vorschlag eines „kulturorientierten Programms der Umweltbildung“ (ausführlicher in 2.7.2) räumt mit einigen bisherigen Postulaten und Vorstellungen der Umweltbildung mit Hilfe konstruktivistischer und postmodernistischer Argumentationen radikal und provozierend auf.

Seybold/Bolscho (1993): In dieser Festschrift[139] ist aus heutiger Sicht interessant, daß Reichel (1993, S. 32) als Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft forderte, ökonomische, soziale und politische Implikationen ökologischen Denkens und Handelns in der Umweltbildung zu thematisieren. Dies ist ein frühes Plädoyer für eine Bildung für eine nachhaltige Entwicklung, kurz nach der UNCED-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 und der dort beschlossenen Agenda 21 (s. Kapitel 5). In anderen Beiträgen dieses Sammelbandes wird eher der traditionelle Bereich der verstehenden und erlebenden Beziehung zur Natur und der Ökologie unterstützt (s. 2.7.4).

Schreier (1994a): Dieser Buch dokumentiert Referate einer Veranstaltung des Deutschen Umwelttages Wie weiter mit der Umwelterziehung von 1992, die Ausdruck einer als Krise empfundenen Situation der Umwelterziehung war. Der Herausgeber charakterisierte diese Krise durch die damals zu beobachtende politische Abwendung von der Umweltpädagogik, die sich einstellende Ernüchterung über ihre Wirkung und durch eine gewisse Erstarrung der etablierten verbandsbezogenen Umwelterziehung (Schreier 1994a, Vorwort). Schreier rekonstruiert die Geschichte der Umwelterziehung über ihre methodischen Ansätze als Geschichte der didaktischen Auseinandersetzungen mit den Herausforderungen der Sinnesferne der Umweltzerstörung und entwickelt die Perspektive einer ethisch ausgerichteten „Planet-Erde-Philosophie“, mit der Umwelt-Bewußtsein gebildet werden soll (Schreier 1994a, S. 27). Trotz aller Unterschiedlichkeit der Einzelbeiträge dominiert ein Verständnis einer ganzheitlichen, stark naturbezogenen Bildung (s. 2.7.4).

Greenpeace (1995): Nach einem Sammelband zum aktuellen Thema Umweltängste – Zukunftshoffnungen (1992) schaltet sich Greenpeace drei Jahre später zum zweiten Mal mit einer Buchpublikation in die Umweltbildungsdiskussion ein. Mit Bezug auf das Umweltgutachten 1994 des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) wurde nun auf einen umfassenderen Umweltbildungsbegriff gesetzt, der im Kontext einer dauerhaft-umweltgerechten, also nachhaltigen Entwicklung formuliert wird. Dies bedeutet, daß sich Umweltbildung stets mit den regionalen Bedingungen und den individuellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lebensumständen beschäftigen muß. Sonst besteht die Gefahr, mit Appellen auf Individuen zu treffen, die von der Dimension der Probleme überfordert sind, was Ängste, Verzweiflung und Resignation auslösen könnte. Eine Umweltbildung sollte konkret, lebensnah, sozial und vernetzt sein. Sofern sie in der Erfahrungswelt junger Menschen ansetzt und Naturerlebnisse, kulturell unterschiedliche Wahrnehmungen und gemeinsam erarbeitete Handlungsmöglichkeiten einbezieht, kann sich gemeinsames, gesellschaftlich relevantes Erkennen, Handeln und Verantwortungsbewußtsein entwickeln und dies als Gewinn an Lebensqualität erlebt werden. (Greenpeace 1995, S. 8). De Haan und Kuckartz stellten in diesem Band erstmals Ergebnisse der Umweltbewußtseinsforschung vor, die für die Umweltpädagogik ernüchternd und desillusionierend sind (s. Kapitel 5). Aus den Ergebnissen über den Zusammenhang von Umweltbewußtsein und räumlicher Nähe bzw. Ferne leiteten die Autoren die besondere Bedeutung eines lokalen Ansatzes ab, soweit es gelingt, „glaubwürdige Verbindungen zwischen globalen Problemlagen und der nichtmedialen Erfahrungswelt der Kinder und Jugendlichen zu stiften.“ Die Auseinandersetzung mit der Nahumwelt, den lokalen Gegebenheiten (s. 2.8) könnte ein Weg sein zwischen den Fallstricken einer individuumzentrierten Umweltbildung und den Belanglosigkeiten eines ferninduzierten Umweltbewußtseins (de Haan/Kuckartz 1995, S. 28f). Im gleichen Band erklärt Reichel die „ökologische Kompetenz“ zum allgemeinen Bildungsziel[140] und mahnte angesichts gelingender Innovation (in Modellversuchen u. a.) und mißlungener Bildungsplanung eine systematische Umweltbildung(spolitik) an, insbesondere auf regionaler Ebene (Reichel 1995, S. 44ff). Bei aller Unterschiedlichkeit der Beiträge wurde insgesamt das traditionelle Ökologieverständnis deutlich erweitert und soziale und handlungsbezogene Aspekte in den Lernprozessen berücksichtigt.

Schleicher/Möller (1997a): Vor dem Hintergrund der Diskrepanz zwischen dem Postulat der Interdisziplinarität der Umweltbildung und den großen Schwierigkeiten, es in den verschiedenen Praxisfeldern der Bildung zu realisieren, legten die Autorin und die Autoren dieses Bandes einen bescheideneren pädagogischen Ansatz einer mehrperspektivischen Erschließung vor. Darunter wurden nicht nur verschiedene fachlich-wissenschaftliche Zugänge verstanden, sondern auch interessen- und mediendefinierte Perspektiven. Bildungstheoretisch entscheidend ist nun der Vorschlag des bewußten Perspektivwechsels und der Perspektivvernetzung, weil dies die Findung einer eigenen Position erleichtert. Erkenntnistheoretisch wurde damit ein wichtiger Beitrag zur (Re)Konstruktion von Umwelt in einer Situation komplexer und unsicherer Zusammenhänge geleistet (s. Kapitel 4). Politisch wird damit die demokratische Lösung ökologischer Konflikte unterstützt, der Perspektivwechsel bemüht sich um vermehrte Teilhabe (vgl. Kapitel 3) und ökologische Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger (vgl. Möller 1997, S. 309ff). Insgesamt könnte sich der Ansatz produktiv für die Umweltbildung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung erweisen (vgl. Schleicher 1997).

Diese Bilanzen kamen zwar insgesamt nicht zu eindeutigen Ergebnissen, einige Tendenzen lassen sich aus heutiger Sicht aber dennoch ablesen: Während in den 80er Jahren hauptsächlich - z. T. heftige - theoretische Debatten um die richtigen Konzepte geführt wurden, ohne daß sich eine bestimmte Richtung durchsetzen konnte, erhoben die 90er Jahre die existierende und weiter sich steigernde Vielfalt zum faktischen Programm. Außerdem ist eine realistischere Betrachtungsweise der Möglichkeiten der Umweltbildung eingekehrt. Dies kommt auch in dem sich als eine Art Handbuch verstehenden Sammelband Beyersdorf/Michelsen/Siebert (1998) zum Ausdruck, in dem im Vorwort zur „realistischen Wende“ zu lesen ist:

Überblickt man die bisherige Entwicklung der Umweltbildung, so kann man eine Ernüchterung und eine ‚realistische Wende‘ der Öko-Pädagogik feststellen. Umweltbildung - auch als ökologische Qualifizierung - ist zur Normalität geworden, wird aber nicht mehr als Hebel für einen gesellschaftlichen Wertewandel überschätzt. Umweltbildung nimmt die überwiegend pragmatischen Lernmotive und Mentalitäten der Adressatinnen ernst und verzichtet auf gesinnungsethische Belehrungen und Umerziehungsversuche. Umweltbildung erreicht vor allem die bereits ökologisch Aufgeschlossenen und wird vorhandenen Qualifizierungs- und Bildungsbedürfnissen gerecht. Umweltbildung beansprucht nicht (mehr), verbindliche Antworten für ökologische Probleme parat zu haben, sondern sie bietet Lernhilfen für den verantwortlichen Umgang mit solchen komplexen und meist auch kontroversen Problemen an. Zwar kann Umweltbildung auf eine kritische Reflexion der herrschenden Werte und Normen nicht verzichten, aber auf den Anspruch, das »richtige« Bewußtsein zu vermitteln. Didaktisch hat sich die Suche nach einem ‚Königsweg‘ des Lehrens und Lernens als unergiebig erwiesen; statt dessen gilt es, Phantasie für die Mannigfaltigkeit zu wecken. So kommt es nicht darauf an, ein ‚neues‘ Denken zu erfinden, sondern die vorhandenen Lern- und Denkstile aufgabenbezogen zu optimieren. So ist inzwischen auch der Richtungsstreit zwischen institutionalisierter und alternativer Bildungsarbeit bereinigt: selbstorganisierte und schulische Lernaktivitäten verhalten sich komplementär zueinander. Anzustreben ist ein Netzwerk von Bildungsangeboten, das der Vielfalt der ökologischen Aufgaben, Lernanlässe und Zielgruppen gerecht wird. (Beyersdorf/Michelsen/Siebert 1998, S. 5)

2.7.1  Umweltkommunikation

Die soziologisch-systemtheoretische Schrift Ökologische Kommunikation von Luhmann (1986), die der Frage nachging, welche Möglichkeiten moderne, funktional hoch differenzierte Gesellschaften haben, mit den ökologischen Problemen umzugehen, erbrachte – gemessen am damaligen Ökologie-Diskurs – eine ungewöhnliche Sichtweise und Verwendung der Begriffe Umwelt, Kommunikation und Ökologie.[141] In den Konsequenzen wurden vor allem die engen systemischen Grenzen umweltpädagogischer Arbeit und ökomoralischer Ansprüche sowie mögliche Gründe dieser Grenzen aufgezeigt.[142] „Meine These ist, daß die Aufgabe einer ökologischen Lehre und einer ökologischen Unterrichtspraxis eine Frage an die Gesellschaftstheorie ist.“ (Luhmann 1989, S. 30)

Speziell mit der Umweltkommunikation der Umweltpädagoginnen und ‑pädagogen beschäftigte sich in ganz anderer Absicht Kahlert (1990) und entwikkelte in den Folgejahren den Ansatz der verständigungsorientierten Kommunikation. Ausgangspunkt war seine These, daß die hohe Komplexität der ökologischen Probleme die Sachkompetenz und das Orientierungsvermögen jedes einzelnen Menschen, auch das der praktizierenden Umweltpädagogen deutlich überschreitet, so daß faktisch unüberprüfte (Alltags)Vorstellungen Basis des Denken und Handelns sind. Von daher definierte Kahlert gegenüber solchen Alltagsvorstellungen den besonderen Aufklärungsauftrag der umweltpädagogischen Literatur, Informationen und Orientierungen über den Stand unserer Umwelt, über die Ursachen der Umweltkrise und über die Bedingungen eines wirksameren Umweltschutzes zu bieten. In einer detaillierten sozialwissenschaftlichen Untersuchung[143]der bis dahin entstandenen, umfangreichen umweltpädagogischen Literatur stellte Kahlert mit einem vernichtenden Urteil fest, daß dort begriffliche Unklarheiten, implizite pauschale Annahmen über Mensch und Gesellschaft, Einseitigkeiten der Darstellung herrschen und Begründungen für weitreichende Veränderungsansprüche fehlen. Deshalb sei diese Literatur dazu geeignet, die verkürzenden ‚Alltagstheorien‘ über die ökologische Krise nur zu bestätigen, inhaltsleere, unrealistische und unbegründete Ansprüche an den Einzelnen und die Gesellschaft zu fördern und damit einer „gesinnungsorientierten Kommunikation“ Vorschub zu leisten. Nach Kahlert wird dadurch die Verständigung über die Gesellschaft sowie die Verständigung in der Gesellschaft und damit der umweltpolitische Fortschritt behindert, der zunehmend auf eine verständigungsorientierte Kommunikation auf allen gesellschaftlichen Ebenen bis hin zur global-internationalen Ebene angewiesen ist. Da diese Kommunikation im professionellen Bereich auf einem sehr hohen sachbezogenen Niveau läuft, fürchtete Kahlert als Konsequenz eine Zweiteilung der Gesellschaft, die Lösungen politisch unmöglich mache und die im Widerspruch zu den umfassenden Partizipationsansprüchen stehe, die gleichzeitig gewollt werden (s. Kapitel 3). Kahlerts Empfehlung an die Umweltpädagogik lautete, die Kompetenz zur verständigungsorientierten Kommunikation über die Umweltkrise zu erhöhen: durch Verzicht auf allgemeine Begriffe und Kollektivsubjekte („ökologisch“, „entfremdet“, „ganzheitlich“, „der Mensch“, „die Gesellschaft“), durch Begrenzung auf überprüfbare Informationen und Ergebnisse wissenschaftlicher Umweltforschung und durch den Hinweis auf methodische und erkenntnistheoretische Schwierigkeiten und/oder ihren begrenzten Gültigkeitsbereiche von Aussagen.

Während die bloße Ausklammerung von Begriffen, die den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen, meiner Ansicht nach keines der diagnostizierten Probleme löst, sondern technokratischen Lösungen Vorschub leistet, ist die reflektierte und überprüfbare Verwendung von Informationen – wenn sie kein Ausschlußkriterium ist – eine wissenschaftliche und pädagogische Selbstverständlichkeit, die möglicherweise in der Praxis zu wenig Beachtung findet. Die dabei von Kahlert unterstellte Möglichkeit einer gesinnungs- und damit auch wert- und einstellungsfreien Kommunikation entstammt jedoch einem überholten und naiven positivistischen Verständnis von Wissenschaft und Erkenntnis. Im Rahmen einer kritischen und pluralistischen Bildungsarbeit müssen zugrundeliegende Einstellungen bzw. Gesinnungen offengelegt, reflektiert und möglichst auch verändert werden.

Eine grundlegende Kritik an diesem verständigungsorientierten Ansatz (in seiner Fassung bis 1992) leistete de Haan, der Kahlert seinerseits vorwirft, damit eine „wie auch immer von Rationalität und Reflexion geprägte Weltsicht der Kommunizierenden zum Ziel“ zu haben und damit „dogmatisch“ und „gesinnungsorientiert“ zu sein. Den ganzen Ansatz kritisierte de Haan in postmoderner Sprache als „Erzählung von der Verständigung in der Umweltkommunikation“ (de Haan 1993, S. 147). Begründet wird diese Kritik hauptsächlich mit Argumenten des Radikalen Konstruktivismus (zu dessen Kritik s. Kapitel 4), ja es wird von daher sogar Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer Verständigung formuliert, insbesondere angesichts der unterschiedlichen Wissensformen (de Haan 1993, S. 153). In direktem Gegensatz zur Verständigungsorientierung versteht de Haan Umweltkommunikation und Verständigung als „Differenzpflege und Zulassen von umweltbezogenem Handeln auf Basis von Akzeptanz der Sicht und Wünsche von anderen“ (de Haan 1993, S. 154) und rückt mit Bezug auf Luhmann (1992, S. 149ff) das Nichtwissen in den Mittelpunkt der Umweltkommunikation, auch das Nichtwissen über die Folgen des eigenen Handelns, das für ihn das zentrale Dilemma umweltbezogenen Handelns darstellt.

In weiteren Aufsätzen seit 1991 rückte Kahlert die kommunikative Dimension der Umweltbildung verstärkt und in modifizierter Form in den Vordergrund und kommt dabei der eben zitierten Kritik von de Haan faktisch ein Stück weit entgegen (s. u.).[144] Die Bedeutung der Kommunikation, die in den letzten Jahren zu einem zentralen Begriff der Umweltbildung und Umweltpolitik wurde, liegt zunächst darin, daß Umweltprobleme nur dann als existierend angenommen werden, wenn darüber gesellschaftlich kommuniziert wird: die Kommunikation bestimmt die Problemlage.[145] Da nach Kahlert offenbar auch die umweltpädagogische Kommunikation der Dialektik der Aufklärung im Sinne von Adorno/Horkheimer (1980) unterliegt, formuliert Kahlert zugespitzt die These, daß die Umweltkrise weniger eine Herausforderung im Verhältnis des Menschen zur Natur darstellt, als eine Herausforderung an den kommunikativen Umgang darüber (Kahlert 1996, S. 139).

Statt Gesinnungsbildung zu betreiben, eine unmittelbare „Anstiftung des Handelns“ (Kahlert 1996, S. 145) im Hinblick auf bestimmte Handlungsmuster anzustreben, auf allgemeine moralische Verhaltensnormen verpflichten zu wollen[146] oder vordergründigen distanzlosen, unreflektierten umweltpädagogischen Aktionismus und diffus-harmonische Ganzheitlichkeit zu betreiben, schlug Kahlert folgendes vor: Der Schwerpunkt soll zum einen auf die Entscheidungskompetenz als Voraussetzung von Umwelthandeln gelegt, zum anderen sollen die Chancen einer verständigungsorientierten Kommunikation erhöht werden: Ein genaueres Nachdenken und Reden und eine „Verfeinerung des Urteils“ über Umweltprobleme soll in den Vordergrund gestellt werden. Beispielsweise sollen Wertaussagen und Tatsachenfeststellungen auseinandergehalten (was häufig nicht ganz möglich ist) und dabei urteilsleitende Werte, Gefühle und Interessen bewußt gemacht werden. Weiterhin sollen subjektive Risikoeinschätzungen und ‑urteile untereinander verglichen (Kahlert 1992 u. 1996) und möglichst reichhaltige Mehrperspektivität anstrebt werden, die jedoch keine Komplettheitsansprüche beinhaltet. Schließlich soll sich die verständigungsorientierte Kommunikation diskursiv damit beschäftigen, „was in Staat, Gesellschaft und Wissenschaft strittig ist: Einschätzungen, Erklärungen und Lösungen des Umweltdilemmas“, was auch „Systemkritik“ einschließt (Kahlert 1996, S. 155). Jedoch soll diese Thematisierung nur soweit erfolgen, wie sie für die Lernenden bzw. Kommunizierenden nachvollziehbar ist – nach dem Motto „Nur so viel Aufklärung wie Erfahrung möglich ist“ (frei nach von Hentig 1975, S. 128ff).[147]

Kahlert konstatiert, daß das Auseinanderfallen verbindlicher Werte, die immer neu interpretiert werden müssen und die reale soziokulturelle Ausdifferenzierung von Lebenslagen und Lebensstilen, die verschiedene Interpretationen nahelegen, es zunehmend unwahrscheinlich machen, auf die gesellschaftlichen Probleme und Fragen allgemein akzeptierte oder gar richtige Antworten zu finden. Dann schwindet aber die Aussicht auf eine verständigungsorientierte Kommunikation, wie sie Kahlert ursprünglich allzu rationalistisch vorgesehen hatte (s. o.). Die Verständigungsorientierung soll aber nicht einen Konsens vorwegnehmen oder vortäuschen, sondern in den Kommunikationsbedingungen Möglichkeiten der gehaltvollen Dissensaustragung,[148] der Mitwirkung an der Problemdefinition und der Einigung auf Konsensmomente zur Sache erst herstellen oder vorbereiten (Kahlert 1996, S. 147). Pädagogische Umweltkommunikation, die sich von eher zielgerichtet angelegten, alltäglichen oder politischen Kommunikationsformen im Umgang mit Differenzierungen und Dissens unterscheiden sollte, trägt dazu bei, die Selbstbestimmungs- und Partizipationsfähigkeit zu verbessern (Kapitel 3) und verstärkt indirekt die Chance einer erhöhten Qualität der öffentlichen Umweltkommunikation (Kahlert 1996, S. 149).[149]

An dieser Stelle ist es angebracht, etwas zu dem Begriff Umweltkommunikation zu sagen, der zunehmend die sozialwissenschaftliche und politische Umweltdiskussion bestimmt. Seit Umweltfragen zu einem festen Bestandteil öffentlicher Themen geworden sind, ist es sinnvoll die ablaufenden Prozesse in kommunikations- und diskurstheoretischen Kategorien zu betrachten und zu analysieren, denn Umweltthemen werden im wesentlich durch öffentliche Kommunikation gemacht und diese ist – so meine Hypothese – heute der Hauptfaktor der Veränderung des Umweltbewußtseins, nicht des Umweltverhaltens (vgl. de Haan/Kuckartz 1996a, S. 86ff). Von daher ist das Thema ökologische Umweltkommunikation auch für die Umweltbildung von hoher Bedeutung (s. auch de Haan 1995a). Für den schulischen Bereich gilt dies sowohl im Sinne einer zu berücksichtigenden Rahmenbedingung als auch als wichtiges Thema für Lernprozesse.

Brand, Eder und Poferl (1997) haben eine Theorie der ökologischen Kommunikation entwickelt, der es um die Analyse der Reproduktions- und Entwicklungsbedingungen von ökologischen Diskursen geht. Die offensichtliche Eigendynamik der Kommunikation hängt nicht nur von Interessenstrukturen ab, sondern von Normen und Werten, die diesen auch entgegenstehen können. Es wird angenommen, daß Umweltthemen dann reproduziert und hoch bewertet werden, wenn sie in bereits vorhandene gesellschaftliche Interpretationsmuster der Welt passen[150], wenn sie rhetorische Kraft entfalten, wenn sie Resonanz[151] erzeugen und wenn die Beteiligten hinreichend Sinn darin sehen. Die Betonung liegt auf den umweltbezogenen Kommunikationsprozessen der sozialen Akteure und auf den Organisationsprozessen der Umweltdiskursen. Zentrale Bedeutung haben diejenigen sozialen Akteure (Protestakteure, deren Gegenspieler, politische und ökonomische Akteure, Medienakteure), die öffentliche Kommunikation in Gang setzen, vermitteln und durch wirksame Formulierungen und Symbole vorantreiben. Die (Handlungs- und Einstellungsentscheidungen der) Zuhörer von Umweltdiskursen haben in diesem theoretischen Ansatz nur sekundäre Bedeutung, sind nur (passives) ‚Publikum‘, das diese ökologische Kommunikation in sehr unterschiedlicher und nur schwer vorhersehbarer Form verarbeitet. Gleichwohl können die Reaktionen dieses Publikums sehr wichtig werden, da die Rückwirkungen des praktischen Umweltverhaltens die materielle Seite der Krisenentwicklung mitbestimmen.

Man könnte die in der ökologischen Kommunikation entstehenden „Umweltkulturen“ im Sinne einer „kulturalistischen“ Erklärung auf historische Wurzeln zurückzuführen, etwa auf gegenkulturelle Traditionen des westlichen Naturverständnisses (z. B. romantische Traditionen). Dagegen wird von der Diskurstheorie ökologischer Kommunikation angenommen, daß solche historischen Traditionen von sozialen Akteuren nur als „symbolische Ressourcen“ für die Konstruktion einer Umweltkultur benutzt werden, also nur als Hilfsmittel dienen, um eine spezifische „Umweltkultur“ zu produzieren und zu reproduzieren. In diesem Sinne bricht Ökologische Kommunikation die Macht kultureller Traditionen oder relativiert sie zumindest.

Die Umweltprobleme ‚existieren‘ weitestgehend erst nach einer Thematisierung und Beschreibung durch Medien und Experten, die widersprüchliche Fassungen wissenschaftlicher Problemkonstrukte vorlegen – insbesondere im sog. Risikodiskurs. In der öffentlichen, massenmedialen Debatte über komplexe Themen spielen immer mehr „Frames“ in Gestalt von Bildern, Metaphern und Symbolen (Metaphorisierung), aber auch moralische Vorstellungen, kulturelle Traditionen in der oben beschriebenen Funktion als „symbolische Ressourcen“ eine entscheidende Rolle. Geringere Bedeutung hat nach dieser Theorie das, was aus der persönlichen, existentiellen Erfahrung, individuellen Meinungen und Einstellungen, aus eingeübten Mustern der Wahrnehmung der Welt entspringt. Man muß hier die Frage nach den pädagogischen Konsequenzen einer solchen rein soziologischen Sichtweise ziehen. Pädagogisch und politisch falsch oder zumindest kurzschlüssig wäre meiner Auffassung nach die Konsequenz, auf die Ermöglichung von unmittelbaren Erfahrungen zu verzichten. Im Gegenteil sollten sowohl aus pädagogischen (s. 2.8) als auch lokal-partizipatorischen Gründen (s. Kapitel 3) alle Möglichkeiten erschlossen und genutzt werden. Die Tendenz der schwindenden Erfahrungsmöglichkeiten darf nicht ignoriert, sondern sollte pädagogisch ausdrücklich thematisiert werden. Das gleiche gilt auch für das Problem, daß der ökologische Diskurs auch durch Machtverhältnisse bestimmt wird, die in der (Un)Fähigkeit bzw.(Un)Möglichkeit von sozialen Akteuren zum Ausdruck kommen, durch geeignete Kommunikationsstrategien „kulturelle Resonanzenzu mobilisieren. Ob nun„Frames“ und/oder kulturelle Traditionen – mit oder ohne „Kulturalismus“ – als theoretische Grundlage gewählt werden: kritische Bildungsarbeit sollte sich diese konstitutiven Grundlagen bewußt machen und reflektieren.

Im engen Zusammenhang mit der Entwicklung der ökologischen Kommunikationskultur steht der Prozeß der Partizipation von sozialen Akteuren an politischer Meinungs- und Entscheidungsfindung, der auch neue institutionelle Formen, insbesondere der Konfliktregelung hervorbringt.[152] An die Stelle konfrontativer Konflikte treten dialogische Verfahren sozialer Verständigung über unterschiedliche Wahrnehmungen und Bewertungen von Risiken und Problemen, eine reflexive Rationalisierung von Verfahren der Dissensklärung und Konsensfindung an die Stelle reiner Konfrontation. Hier gibt es eine direkte Verbindung zum verständigungsorientierten Umweltbildungskonzept von Kahlert und zu den zugrundeliegenden politischen Motiven.[153]

Bei Klafki ist die kommunikative Seite der Bildung weniger deutlich ausgeprägt. Wegen seiner Ablehnung postmoderner Gedanken (vgl. Anmerkung in 2.6.3) müßte er gegen eine „Dissens- oder Differenzorientierung“ eingestellt sein. Statt einer entsprechenden Kommunikationsfähigkeit finden sich in seiner Bildungstheorie „Argumentationsbereitschaft und ‑fähigkeit“ sowie „Empathie“ (Klafki 1993, S. 63 und 2.1).

2.7.2  Kulturelle Orientierung

Für die kulturelle Dimension der Umweltbildung, die in den 90er Jahren stark an Bedeutung gewann, gab es unterschiedliche Ausgangspunkte, Begründungen und Perspektiven, von denen hier in historischer Reihenfolge fünf Beispiele vorgestellt werden: Becker (1989b u. 1989c), de Haan (1993), Glöckner (1995), Frech und Halder-Werdon (1997) sowie Mertens (1997 u. 1998).

Das Denken der Moderne ist in bezug auf Natur von Gegensätzen geprägt: Natur – Gesellschaft, Natur – Technik, Natur – Mensch und insbesondere Natur – Kultur. Natur kann nur zusammen mit diesen Gegenbegriffen verstanden und definiert werden. Während sie dabei in der dominierenden Strömung modernen Denkens in der Regel der Gesellschaft, der Technik, der Kultur und letztlich dem Menschen untergeordnet wird, verstanden sich große Teile der Umweltpädagogik der 80er Jahre als Gegenbewegung: Sie beanspruchten – wenngleich oft in unreflektierter Weise – sich meistens entweder direkt an ‚der Natur‘ zu orientieren (Ökologisches Lernen) oder die Naturwissenschaften als ihr Hauptgrundlage zu nehmen (Umwelterziehung als Konzept). Diese Tendenz wurde von der Ökopädagogik (2.3.2) kritisiert, die stark von gesellschafts-wissenschafts-, aber auch kulturkritischen Überlegungen und Motiven geprägt war. Mein eigenes umweltpädagogisches Denken im Kontext der Ökopädagogik war von einem dialektischen Verständnis von Natur geprägt, das die kulturelle Dimension in einem bestimmten Verständnis einschloß.[154] 1989 schlug sich dies explizit in einer Doppelveröffentlichung einer umweltpädagogischen Zeitschrift nieder (Becker 1989b u. 1989c), die sich selbst zunehmend bemühte, die kulturell-ästhetische Seite inhaltlich und gestalterisch zu betonen.[155] Auszugsweise werden nun einige Thesen zitiert.[156] Bei dieser Argumentation wurde – was sich damals im wissenschaftlichen Bereich durchzusetzen begann – ein sehr weiter Kulturbegriff verwendet, der die Lebenswelt einschließt: „Gesamtheit der alltäglichen materiellen und symbolischen Lebensweise bis hin zur grundsätzlichen Frage nach der Kunst zu leben bzw. zu überleben“ (Becker 1989b, S. 40):

These 1: Die ökologische Krise ist Ausdruck eines gestörten bzw. entfremdeten Zusammenhangs und Umgangs der Menschen der industriellen Zivilisation mit der Natur in ihrer von ihnen weitgehend selbst gestalteten oder hervorgerufenen Form, d. h. sie ist insbesondere eine fundamentale Krise der modernen Kultur.

These 4: Zur wirklichen Überwindung der ökologischen Krise bedarf es vor allem der Entfaltung neuer, umfassender Kulturen der vielfältigen Beziehungen zur Natur ...

These 5: Ökologisch orientierte Bildungsarbeit sollte vorrangig vielfältige neue Kulturpraxis fördern, die sich des individuellen und gesellschaftlichen Verhältnisses zur Natur und Umwelt bewußt annimmt. Eine solche ökologisch orientierte Kultur- und Bildungsbewegung könnte eine kritisch-transzendierende und vermittelnde Rolle spielen zu und zwischen rationalen ökologisch-politischen Ansprüchen bzw. ‚Notwendigkeiten‘ und subjektiven Bedürfnissen und Interessen der Menschen.

These 6: Eine in obigen Sinne kulturell und ökologisch orientierte Bildung könnte die wichtigsten Erwartungen abdecken, die man überhaupt an Bildung stellen kann, die einen Beitrag zur Überwindung der ökologischen Krise leisten soll, z. B.

        Förderung ökologischer Sensibilität/Wahrnehmungsfähigkeit

        praktisches Erproben von Elementen eines neuen Verhältnisses zur Natur und Entwürfe von Handlungsstrategien

        Gewinnung von utopischen „Leitideen“, die für ein qualitativ neues, vielfältiges Naturverhältnis Orientierungen bieten können (z. B. „Naturallianz“)

        aber auch: (Er)Kenntnis und Reflexion aller Erscheinungsformen und Ursachen des derzeitigen entfremdeten Verhältnisses zur Natur und der angebotenen Alternativen in kritisch-aufklärerischer Absicht.

These 8: Es ist eine Zukunftsaufgabe ökologisch orientierter Bildungsarbeit, die Geschichtlichkeit unserer ökologischen Situation zu begreifen, insbesondere hinsichtlich ihrer soziokulturellen Dimension und Ursachen.

These 9: Naturwahrnehmung und -empfindung (das Naturschöne) sowie die kreative und vielfältige Gestaltung des menschlichen Verhältnisses zur Natur sind für eine offene und lebenswerte Zukunft besonders wichtig. Deshalb ist die ästhetische und künstlerische Seite ein unverzichtbarer inhaltlicher und gestalterischer Bestandteil einer ökologisch orientierten Bildung.

These 10: Das Thema Natur in der Stadt ist ... pädagogisch besonders gut für ökologisch orientierte Bildungsarbeit geeignet, weil die Stadt in dichter Form das Spektrum der Probleme Natur, Kultur, Technik und Gesellschaft in seiner ganzen Komplexität repräsentiert. (Becker 1989b, S. 40-44 und 1989c, S. 56-58) [157]

Die politisch-ökologische Ambivalenz einer solchen kulturellen Orientierung hatte ich damals reflektiert, vor allem für die Fälle einer Beschränkung auf bloße Ästhetisierung oder auf kompensatorische Funktionen, wodurch das gesellschaftliche Naturverhältnis nicht weit genug verändert werden kann.[158]

Am bekanntesten wurde der Vorschlag eines Programms einer kulturorientierten Umweltbildung durch de Haan (1993, S.158ff), das als Alternative zum Modell einer verständigungsorientierten Kommunikation von Kahlert (s. 2.7.1) und anderen „kursierenden Vereinheitlichungsprojekten“ präsentiert wurde. Es ist kaum bestreitbar, daß die Wahrnehmung von ökologischen Phänomenen und deren kommunikative Verarbeitung als ökologische Probleme kulturell und von Konventionen geprägt ist. Ökologische Probleme spiegeln weder Zustände von Natur und Umwelt wider, noch können sie aus objektiven Erkenntnissen über die Natur „da draußen“ abgeleitet werden. Auf Basis einer solchen Sichtweise definierte de Haan Umweltbildung als kulturkritische Auseinandersetzung mit dem „Kulturphänomen Umweltwahrnehmung“. Damit erfolgte einerseits eine Abgrenzung z. B. gegenüber bloßem naturwissenschaftlichen Unterricht, der sich als Ausdruck seiner Modernität auch mit ökologisch-naturwissenschaftlichen Fragen beschäftigt (de Haan 1993, S. 163) und gleichzeitig eine Entlastung der Umweltbildung bewirkt.[159] Andererseits sieht de Haan in der Verwendung eines modernen Kulturkonzepts den Vorteil des Relativismus, der nicht mehr zuläßt, normativ positive oder negative Urteile zu fällen, sondern „einem eher von Toleranz geprägten Gestus in den Auseinandersetzungen zu folgen“ (de Haan 1993, S. 162).

Wir können uns via Umweltbildung über Umwelt verständigen, ohne die Sicht auf Naturphänomene mit anderen teilen zu müssen, in dem wir akzeptieren, wie andere über Natur denken und ihr begegnen, oder aber tolerieren bzw. ablehnen, wie andere in der Umwelt handeln wollen. Letztlich scheint mir derzeit nirgends besser das allenthalben herrschende Nichtwissen im Hinblick auf die Gegenwart und Zukunft unserer Umwelt wie die Unsicherheit hinsichtlich eines umweltgerechten Handelns kommunizierbar als in einer reflexiven Umweltbildung, die Differenzen kultiviert. (de Haan 1993, S. 165)[160]

Im Rahmen dieses Beitrags kritisierte de Haan überdies einige bis dahin als selbstverständlich geltende Postulate der Umweltbildung und stellte sie in Anlehnung an den in 2.6.3 vorgestellten Postmodernismus von Lyotard (1986) und auf Basis einiger Aussagen des Radikalen Konstruktivismus und Postmodernismus als „Erzählungen“ bzw. „Fabeln“ grundlegend in Frage: das gefährdete Überleben der Menschheit als Begründung von Umweltbildung, die Strategie der Hebung des Umweltbewußtseins durch Umweltbildung als Lösung, die normative Gesinnungsorientierung der Umweltbildung und der Verständigung in der Umweltkommunikation. In diesen Argumentationen kommen radikal-konstruktivistische Grundpositionen (s. Kapitel 4) sowie ein Kulturrelativismus bzw. ‑pluralismus zum Ausdruck, in dem de Haan ausdrücklich einen Vorteil gegenüber solchen Konzepten der Umweltbildung sieht, die einen Gesellschaftsbegriff zugrundelegen.

Dieser Beitrag von de Haan war ein wichtiger Impuls für die Selbstreflexion und Fortentwicklung der damals festgefahrenen Situation der Theorie der Umweltbildung in Deutschland, die sich in den 80er Jahren in hartnäckig und mit Absolutheitsansprüchen ausgetragenen, letztlich unfruchtbaren Richtungs- und Begriffsstreitigkeiten ergangen hatte. Obwohl Kulturrelativismus und Konstruktivismus genug Anlaß zur kontroversen Diskussion und konstruktiven Weiterentwicklung der Grundlagen der Umweltbildung bieten, fand ein solcher Prozeß bislang kaum statt.

Auf einer ganz anderen theoretischen Grundlage wurde der kulturbezogene Ansatz von Glöckner (1995) entwickelt. In Abgrenzung von vielen anderen umwelt- und naturpädagogischen Konzepten geht er davon aus, daß es der Umwelterziehung nicht nur um Natur und Überleben gehen darf, sondern um ein menschengemäßes und menschenwürdiges Leben. Deshalb fordert Glöckner, in das zugrundezulegende Umweltverständnis auch „kulturelle Komponenten“ und anthropologische Aspekte einzubeziehen (Glöckner 1995, S. 12). Nach der anderen Seite grenzt sich die Autorin von rein mitwelt-, gesellschafts- und systemorientierten Ansätzen ab. Theoretische Basis ihres Ansatzes ist ein biologisch-kulturökologisches Verständnis von Kultur, das die drei Aspekte Evolution, Korrelativität/Vernetztheit und Selbstorganisation/Eigendynamik umfaßt und evolutionstheoretische, systemische und synergetische Betrachtungsweisen zu integrieren sucht (Glöckner 1995, S. 53ff). Danach gibt es keinen Dualismus von Mensch und Natur oder von Kultur und Natur, sondern Kultur ist integraler Bestandteil der natürlichen Evolution. Dieses Kulturverständnis bringt einige Erkenntnis- und Konzeptvorteile für eine darauf aufbauende Umweltbildung:

Indem anthropologische Bedingungen und als Korrelat die technischen, sozialen, ästhetischen und ethischen Komponentenvon Kultur in die Umwelterziehung Eingang finden, vergrößert sich die Anzahl der in die Problemerörterung eingehenden Faktoren, und damit die Wahrscheinlichkeit, daß die Realität in ihrer Komplexität ein Stück weit exakter abgebildet werden kann und so angemessenere und effektivere Lösungsvorschläge zur Bewältigung der ökologischen Krisensituation gefunden werden können. (Glöckner 1995, S. 173)

Fragwürdig ist aber der erkenntnistheoretische Realismus (vgl. Kritik in Kapitel 4) und die reduktionistische Kulturauffassung. Die Umsetzung im Unterricht, die an illustrierenden Beispielen erfolgt, orientiert sich zu stark daran, abstrakte Theoreme des biologisch-kulturökologischen Ansatzes zu vermitteln.[161] Diese sind nicht in der Lage die pädagogische relevante, konkrete historische Kultur in ihrer soziokulturellen Differenzierung zu erfassen.

Frech und Halder-Werdon (1997) gehen in ihrem Sammelband von der Diskrepanz zwischen Umweltbewußtsein, Umweltwissen und alltäglichem Handeln aus und konstatieren, daß aufklärende, appellative und moralische Vorgehensweisen in der Umweltbildung offenbar nicht ausreichend sind.Diese Kluft wird jedoch nicht als Handlungsdefizit interpretiert, sondern „als Ausdruck von Abwägungsprozessen zwischen konkurrierenden Werten oder als Resultat z. T. irreversibler Faktoren (z. B. Geschlecht, Alter, Wohnort, Einkommen). Damit geraten der Lebensstil, das soziale Milieu und damit verbundene kulturelle Phänomene der Wahrnehmung ins Zentrum der gegenwärtigen umweltpädagogischen Debatte (Frech/Halder-Werdon 1997, S. 10). Nach kritischer Rezeption der Ansätze von de Haan, Glöckner und soziokultureller Aspekte bei Bölts (1995) wird von den Autoren trotz geäußerter Zweifel der als „falsifizierend“[162] charakterisierte kulturorientierte Ansatz favorisiert. Im dritten Hauptteil des Buches, der sich mit dem Verhältnis von Natur und Kultur beschäftigt, werden unterschiedliche Ansätze und Beispiele mit kulturorientierter ökologischer Bildung präsentiert, die auf Basis der beiden Grundsätze „Sinn entfalten“ und „Sinne entfalten“ den „weiten Weg zwischen Kopf und Hand“ überbrücken wollen. Für die Sinne gibt es entweder den Weg über Naturerlebnisse, trotz all der Kritik, die daran geübt werden kann, oder den Weg über Kulturerlebnisse und schließlich Mischformen zwischen diesen herkömmlichen Wegen: durch künstlerische Ansätze aus den verschiedenen Bereichen kann eine reflektierte Betrachtung der Natur angeregt werden.[163] Hier wird gegenüber meinem eigenen Ansatz und dem von de Haan ein engerer Kulturbegriff verwendet.

In einer gewissen Verwandtschaft zur Argumentation von Glöckner steht der humanökologische Ansatz von Mertens.[164] Der Grundgedanke besteht in der Übertragung des allgemeinen biologischen Verständnisses von „ökologisch“ als eine Betrachtungsweise, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen lebenden Organismen und ihrer Umwelt befaßt, auf den soziokulturellen Bereich der Mensch-Umwelt-Interaktionen. Besondere Bedeutung erlangten in den letzten beiden Jahrzehnten Ansätze in der Ökologischen Psychologie (vgl. z. B. Graumann/Kruse/Lantermann 1990) und der Ökologischen Sozialisationsforschung (z. B. Bronfenbrenner 1976, 1981a) sowie in geringerem Umfang auch in der Pädagogik (Konzepte zur Lernumwelt und Sozialisationstheorie). Die individuelle Entwicklung des Menschen wird im Kontext von pluralen, soziokulturell bestimmten Umwelten unterschiedlicher Reichweite betrachtet. Dazu gehören Familie, Freundes- und Bekanntenkreis, Schule, Arbeitsstelle, im Nahbereich bis hin zu der Makroebene der Gesamtkultur u. ä., mit denen sich das aktiv handelnde Individuum in Wechselwirkung befindet und die das „Netzwerk menschlicher Ökologie“ bilden.[165] Pädagogische Konsequenz ist zum einen eine analytische: Pädagogische Aktivitäten und Interaktion müßten auf ihren Umweltkontext auf allen Ebenen (Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem) befragt werden, der den umfassenden und differenzierten Bedingungsrahmen für mögliche Bildungsprozesse darstellt.[166] Zum anderen ist die Schaffung entwicklungsfördernder Umwelten der zentrale praktisch-pädagogische Leitgedanke.[167] Die Faktoren der schulökologischen Lernumwelt (architektonisch, personal, sozial, organisatorisch u. a.) sind inzwischen Gegenstand vieler pluraler, schulreformerischer Überlegungen und Praxisversuche, insbesondere im Kontext der umweltfreundlichen Umgestaltung, Öffnung und regionalen Orientierung von Schulen (s. 2.8). Die eigenen Grundüberlegungen zur Schaffung einer regionalen Infrastruktur für Umweltbildung, die an verschiedenen Stellen der Arbeit angesprochen werden (s. 1.6 und 2.8), könnte man m. E. auch als humanökologische Bemühungen auf der Meso- und Exoebene ansehen. Insgesamt wurde der humanökologische Ansatz einer Ökologie der menschlichen Entwicklung im Sinne von Bronfenbrenner in der Umweltbildung kaum systematisch aufgegriffen, obwohl es dazu im Konzept des Ökologischen Lernens schon früh Ansätze einer Lernökologie gab.[168] Mertens versuchte, eine speziell auch den Bereich der Mensch-Natur-Interaktionen umfassende humanökologische Orientierung als allgemeinen Denkansatz der Pädagogik und der Bildungstheorie aufzubauen, die der zentrale Gegenstand der Umweltbildung ist. Mertens umweltpädagogisches Konzept, das sich an der Kontroverse zwischen Umwelterziehung und Ökopädagogik und dem von ihm als analytische Umweltpädagogik bezeichneten Ansatz von Kahlert abarbeitet, stellt die „ökologische Verantwortung“ als Leitvorstellung in den Mittelpunkt (Mertens 1998, S. 167‑200).[169]

Zum Abschluß möchte ich erwähnen, daß mit derKulturorientierung der Umweltbildung und der realen gesellschaftlichen Multikulturalität auch eine interkulturelle Sichtweise der Umweltbildung an Bedeutung gewinnt. Sie wurde bisher noch kaum beachtet oder gar konzeptioniert; Umweltbildung im Kontext einer globalen nachhaltigen Entwicklung wird daran nicht vorbeikommen (vgl. 5.2.2).[170]

2.7.3  Ökonomie, Kritik der Ökonomie und politische Bildung

Obwohl in der umweltpädagogischen Literatur die These kaum grundsätzlich bestritten wird, daß die Ökonomie als tragendes System des Kapitalismus bzw. der Marktwirtschaft zu den wichtigsten Ursachen der ökologischen Krise gehört[171] und obwohl ökonomische Motive individuelles und alltägliches Umwelthandeln in der Regel stärker bestimmen als erworbene Umwelteinstellungen und umweltpädagogische Ziele, ist die Ökonomie in diesem doppelten Sinne inhaltlich nur ein Randthema der Umweltbildung, vor allem in allgemeinbildenden Bereichen und Praxisfeldern. In der Umwelterziehung bzw. Umweltbildung der 70er und 80er Jahre wurde die Ökonomie ausgespart.[172] Aus einer gesellschaftskritischen Perspektive, wie sie z. B. die Ökopädagogik formuliert hatte (vgl. 2.3.2) oder wie sie vom Standpunkt kapitalismuskritischer materialistischer Bildungstheorien vertreten werden (z. B. Bernhard 1986a, 1995b), wurde das derzeitige ökonomische System als gesellschaftliche Grundlage grundsätzlich abgelehnt oder als mögliche Orientierung umweltpädagogischer Konzepte als „systemimmanente“ Strategie kritisiert. In etlichen neueren kritischen Zeitdiagnosen und sozialwissenschaftlichen Theorien, die für die Umweltbildung relevant sind und z. T. zugrundegelegt wurden, verlor die Ökonomie ihre zentrale Rolle. Deutlich wird dies an dem Diskurs, der durch die Theorie der Risikogesellschaft von U. Beck (z. B. 1986, 1988 u. 1991) ausgelöst wurde (vgl. Claußen 1996). Eine positive Berücksichtigung der Ökonomie ist in der Umweltbildung fast nirgends zu finden.

Insofern gibt es seit Mitte der 90er Jahre einen latenten generellen Widerspruch zum Nachhaltigkeitsdiskurs, der die ökonomischen Aspekte grundsätzlich gleichrangig neben die ökologischen und sozialen Aspekten stellt.[173] Vor allem verträgt sich die mit einer Modernisierungsstrategie der nachhaltigen Entwicklung (vgl. BLK 1999, S. 18f) verbundene, mindestens partielle Einbindung von Strukturen und Motiven der kapitalistischen Ökonomie nicht mehr mit der Grundsatzkritik und der politischen Perspektive einer Überwindung des Kapitalismus als Voraussetzung der Lösung der ökologischen und anderen globalen Menschheitsprobleme.[174] Eine differenziertere Sicht des ökonomischen Systems und seiner gesellschaftlichen Rolle ist erforderlich. Da eine neue Fassung und Rolle gesellschaftskritischer Bildungstheorie ansteht (vgl. Sünker/Krüger 1999), werden bisherige Positionen hier nur kurz dargestellt.

Auch unabhängig vom umweltpädagogischen Nachhaltigkeitsdiskurs rückte das ökonomische Handlungsmotiv des Einzelnen in dem Maße ins Blickfeld, wie die Diskrepanz zwischen den proklamierten Zielen der Umweltbildung und dem tatsächlichen Verhalten zum erklärungsbedürftigen Problem erklärt wurde. Während es bisher eher darum gehen mußte, die Umweltbildung so effektiv zu gestalten, daß ihre Wirkung stärker ist als ökonomische und andere Motive und Hemmnisse, die den weitreichenden ökologischen Zielen entgegenstehen, muß man im Kontext der Nachhaltigkeit die Frage stellen, ob man nicht auch ökonomische Aspekte positiv in die Zielsetzungen einbauen muß.

Für eine ‚realpolitische‘ und ‚realistische Wende‘ sprachen noch andere Motive und gesellschaftliche Entwicklungen: Ende der 80er Jahre gab es bereits Annäherungen von Teilen der Umweltbewegung an die Wirtschaft, z. B. Ökosponsoring. Dies hat seitens der Umweltbewegung und ihrer Bildungsarbeit seine Ursache im chronischen Finanzmangel einerseits und dem Zwang zur Professionalisierung – auch des Bildungsbereichs – andererseits.[175] Außerdem gab es von Betrieben über solche Aktivitäten zugunsten ihres ‚grünen Images‘ auch zunehmende reale Beschäftigung von Teilen der Wirtschaft mit ökologischen Herausforderungen auf betrieblicher Ebene (Ökologisierung), wenngleich dies in der Regel betriebswirtschaftlich-ökonomische Gründe oder mit der Suche nach Marktnischen zu tun hat. Gleichzeitig verbreiterte sich der ökologische Diskurs, getragen von den Medien durch alle politischen Lager und gesellschaftlichen Gruppen (Umweltkommunikation, vgl. 2.7.1), so daß es zu einer erheblichen Erweiterung und inneren Differenzierung dieses Diskurses kam. Man kann dies als eine gesellschaftliche Integration und Normalisierung ansehen, die auf Dauer nicht ohne Folgen für die ökonomische Dimension der Umweltbildung bleiben kann. Zunächst hatte sich der ökonomische Aspekt nochmals in anderer Weise niedergeschlagen:

Der Sammelband von Bernhard und Rothermel (1995) steht unbeirrt in der kapitalismus- und damit ökonomiekritischen Tradition, die von einem Teil der Autorinnen und Autoren dieses Sammelbandes schon ab Mitte der 80er Jahre entwickelt wurde (insbesondere Bernhard 1986 u. Bernhard / Sinhart-Pallin 1989). Ausgangspunkt ist die weitgehend berechtigte Feststellung einer wachsenden Kluft zwischen der Programmatik einer ökologisch orientierten Pädagogik und der Praxis der Umwelterziehung und anderer konkurrierender Konzepte (Ökopädagogik usw.). Die darin zum Ausdruck kommende Enttäuschung über das Scheitern der eigenen „basisdemokratischen Bildungsinitiative“ (vgl. Sinhard-Palin 1989) entspricht durchaus der eigenen materialistischen Einschätzung und Kritik des gesellschaftlichen Systems. Statt aus dem Scheitern ggf. auch bildungstheoretische Konsequenzen zu ziehen, macht dieser Sammelband im wesentlichen den Eindruck eines ‚Jetzt-erst-recht‘: Es wird auf den Begriff der „ökologischen Fundamentaldidaktik“ zurückgegriffen, die der materialistisch denkende Erziehungswissenschaftler Gamm bereits 1977 als pädagogisches Gegenprogramm zum naturzerstörerischen Lebensstil der reichen Industriegesellschaften gefordert hatte. Dieser Ansatz der 70er Jahre wollte mit Hilfe der Selbstaufklärung der bürgerlichen Welt über die Grenzen der außer- und innermenschlichen Natur sowohl die grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft wie die Selbstveränderung individueller Lebensstile erreichen. Mit diesem Band sollten dazu Bausteine für die Entfaltung eines solchen Konzepts entwickelt und in den Kontext aktueller Lebens- und Sozialisationsbedingungen gestellt werden. Der Versuch blieb im Ganzen gesehen auf einer sehr abstrakten gesellschaftstheoretischen und naturphilosophischen Ebene, die im wesentlichen den Stand der Debatte der 80er Jahre wiederholt. Neue, differenzierende Erkenntnisse werden kaum verarbeitet. Es ist von der „Frage nach objektiv notwendigen Wissens- und Erkenntnisebenen hinsichtlich der ökologischen Krise“ die Rede, da die „Krise des Mensch-Natur-Verhältnisses ohne die Analyse der Strukturen und Funktionsweisen unserer Gesellschaft nicht begriffen werden kann.“ (Bernhard 1995b, S. 75) Vor allem verharrt der materialistische Bildungsansatz weiterhin in einer idealistisch zu bezeichnenden Illusion: Durch eine „ursachenorientierte Aufklärung“ über die ökonomische Struktur der Gesellschaft wird der entscheidende Hebel der Veränderung des (Umwelt)Bewußtseins und vor allem der daraus real folgenden gesellschaftsverändernden Praxis gesehen. Erschwerend kommt hinzu, daß eine theoretische Interpretation (als „systematische Rekonstruktion der gesellschaftlichen Verursachungszusammenhänge“)[176] normativ zugrundegelegt wird, die in Bildungsprozessen wegen ihrer Komplexität als Theorien letztlich kaum zu vermitteln sein dürfte. Dazu müßte zumindest die nur postulathaft vorgetragene Forderung nach einer dialektischen Verknüpfung mit den „konkreten Bedürfnisartikulationen menschlicher Subjektivität“, von „Täter-Opfer-Verhältnissen“ u. ä. konkretisiert und in der Praxis eingelöst werden.[177]

Anläßlich einer solchen Position stellt sich die generelle Frage, ob oder inwieweit eine bestimmte gesellschaftstheoretische Position überhaupt inhaltliche Grundlage moderner Bildungsarbeit sein kann oder ob sie vielleicht nur eine analytische Funktion bei der Erstellung einer Bildungstheorie oder einer Einschätzung von Bildungspraxis sein darf. Dies gilt auch für Ansätze Kritischer Bildungstheorie (vgl. die Ausführungen zum Pluralismus in 2.6.4).

In einem sehr voluminös ausgefallenen Sammelband versuchen Claußen und Wellie (1996) der dominierenden Umweltpädagogik, die „unter vollständig unzureichenden Verknüpfungen mit gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Dimensionen“ leidet, eine „nicht instrumentalistisch verkürzte, aufklärerische und programmatische Theorie“ entgegenzusetzen, um über eine solche sozialwissenschaftliche und politische Akzentuierung eine Neuorientierung umweltpädagogischer Diskurse zu erreichen, die sich „gegenüber den Fortschritten emanzipatorischer Bildungstheorie“ nicht länger indifferent verhält (aus dem Vorwort). Die 17 sehr unterschiedlichen Beiträge, die sich z. T. auf unterschiedliche Aspekte und pädagogische Handlungsfelder beziehen, stellen insgesamt einen Aufriß der Problemlage dar. Claussen (1996) nimmt in seinem einleitenden Kapitel als neue Orientierung vor allem die sozialwissenschaftliche Debatte um die „Risikogesellschaft“ und die „reflexive Moderne“ im Sinne von U. Beck auf. Gleichzeitig grenzt Claußen seine Position gegenüber postmodernen Denkansätzen ab (2.6.3), für die er eine „funktionale Äquivalenz“ zu neo-konservativem Denken diagnostiziert (Claußen 1996, S. 22ff) und knüpft an einzelne Argumentationen von Bernhard aus dem oben vorgestellten Band an. Insgesamt wird an einer kritischen Bildungstheorie festgehalten, die sowohl aufklärerisch als auch aufgeklärt die Überwindung der Aporien der Moderne intendiert. Letztlich soll die Theorie ihren „Beitrag zum Leben und Überleben der Menschen“ leisten (Claußen 1996, S. 26ff), ohne die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie in den Vordergrund zustellen.[178]

Auf einer ganz anderen, nämlich der individuellen Ebene, bewegt sich die Frage des Stellenwertes ökonomischer Motive für umweltfreundliches Verhalten und die daraus zu ziehenden umweltpädagogischen Konsequenzen. Innerhalb der Umweltpädagogik hat sich konzeptionell nur Krol (1993ff) mehrfach in Veröffentlichungen damit beschäftigt. Von Erkenntnissen der Ökonomie als Wissenschaft[179] her kritisierte er die dominierende naturwissenschaftlich-individualethisch Ausrichtung der Umweltbildung als verhängnisvoll, da sie auf Selbstbegrenzung und freiwilligen Verzicht hinausläuft und deshalb aus erklärbaren Gründen erfolglos sei. Dagegen kann die Kluft zwischen Umweltbewußtsein und nach wie vor wenig umweltverträglichem Verhalten im üblichen umweltpädagogischen Verständnis nur durch ein noch immer unzureichendes Umweltbewußtsein erklärt werden oder muß als Paradoxie unverstandenbleiben. Krol sieht darin eine generelle Tradition pädagogischen Denkens, das über Wissens und Wertvermittlung ein Bewußtsein anstrebt, dieses kurzschlüssig mit angestrebten Verhaltensdispositionen identifiziert und darin immer ein Argument für ein entsprechendes Verhalten sieht. Das in einigen Bereichen bewährte individualethische Paradigma stößt in bestimmten Entscheidungssituationen an Grenzen, die durch verbesserte pädagogisch-methodische Arrangements nicht zu überspielen sind: zum ersten sind Umweltprobleme häufig unbewußte Nebenfolgen von ganz andern Tätigkeiten und Absichten, die sich nicht ohne weiteres ersetzen oder ökologischen Zielen unterordnen lassen; zum zweiten erfordert die Durchsetzung einer individualethisch ausgerichteten Umweltmoral häufig die Wahl einer teuren, unbequemen, zeitaufwendigen, insgesamt aus individueller Sicht ungünstigen Alternative. Zum dritten gibt es das soziale Dilemma, das z. B. darin besteht, daß individuell umweltfreundliches Verhalten nicht unbedingt Verbesserungen der Umwelt erbringt, sondern sogar anderen zusätzlich umweltunfreundliches Verhalten ohne Sanktionen ermöglicht (z. B. beim Autofahren). Auf Basis einer solchen Argumentation schlägt Krol vor, zusätzlich ein sozialökonomisch-ordnungsethisches Paradigma einzuführen, das Handlungs- und Anreizbedingungen schaffen soll, auf das die Menschen in systematischer Weise reagieren. Dabei geht es ihm nicht nur um monetäre, sondern auch um soziale Anreize, moralische Prinzipien, Strafandrohungen in einem ordnungsrechtlichen Regelungssystem u. ä., soweit diese verhaltenskanalisierende Wirkungen erwarten lassen oder haben (Krol 1998, S. 277). Statt vergeblich pädagogisch zu versuchen, individuelle Handlungsmoral gegen bestehende Anreizstrukturen aufzubauen und zu stärken, sollte sich die Umweltbildung für eine Veränderung wichtiger (institutioneller) Rahmenbedingungen einsetzen. Es geht Krol darum, vorausgesetzte individuelle Moral durch geänderte, insbesondere ökonomische Anreizstrukturen zu stützen.

Der Ansatz könnte eine Möglichkeit darstellen, konzeptionell innerhalb der Umweltbildung dem Prinzip der Nachhaltigkeit[180] Geltung zu verschaffen, das die Integration ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte postuliert; insofern kommt diesem Ansatz besondere Aktualität zu. Er scheint jedoch allen Ansätzen einer generellen Kritik ökonomischer Aspekte unter gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen zu widersprechen, auch wenn Krol zunächst zwischen wissenschaftlicher Ökonomie und praktischem Verhalten im Wirtschaftsleben unterschieden hatte. Denn nach gängiger radikaler Kritik am Kapitalismus wird ein wirtschaftliches Prinzip in Frage gestellt, das inzwischen in alle Lebensbereiche und das Denken der Individuen eingedrungen ist. Es stellt sich die Frage, welche neuen Anreizstrukturen innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems durchsetzbar sind. In eine partiell ähnliche Richtung gehen übrigens die Konsequenzen aus der umweltpsychologischen Debatte, die in den 90er Jahren größere Bedeutung erlangte und sich mit den Bedingungen für verändertes Umweltverhalten befaßte (s. 5.5).

2.7.4  Naturerlebnis - Ganzheitliche Bildung

In den 70er und 80er Jahren erlangten unterschiedliche Formen der Orientierung auf Natur[181] in der Umweltpädagogik hohe Bedeutung (z. B. Göpfert 1987). Sie wurden vor allem in bestimmten Bereichen außerhalb der öffentlichen Bildungsinstitutionen praktiziert, wo sie bis heute weit verbreitet sind. Diese Ansätze knüpfen z. T. an die ältere Tradition der Naturschutzerziehung oder an reformpädagogische Strömungen[182] an und haben häufig eine ganzheitliche Orientierung. Obwohl die generelle Haupttendenz des theoretischen Diskurses in den 90er Jahren eher von einer Naturorientierung der Umweltbildung wegführte, gab es eine relativ große Zahl theoretischer Veröffentlichungen[183] dazu, die z. T. nachträgliche Reflexionen und Theoretisierungen lange existierender Praxis darstellen, bei Maaßen (1994) und Winkel (1995) trifft dies sogar biographisch zu.[184]

Maaßen, der sich vor dem Hintergrund persönlich betriebener langjähriger Umwelt- und Naturschutzarbeit und deren pädagogischer Umsetzung, theoretisch am fundiertesten mit dem Naturerleben beschäftigt hat, arbeitete verschiedene Konzepte des Naturerlebens auf und versuchte die meistens nur implizit vorhandenen Grundlagen freizulegen. Dabei stellt er als Gemeinsamkeit fest, daß im Zentrum immer die sinnlichen Wahrnehmungen und die konstituierenden Leistungen des Subjekts sowie die funktionalen Bezüge zum Naturschutz stehen, die allerdings nirgends genauer beschrieben oder gar belegt werden. Charakteristisch ist außerdem der Verzicht auf gesellschaftsverändernde Zielsetzungen (Maaßen 1994, S. 108ff). Naturerleben ist eine pädagogische Antwort auf die ökologische Krise und das Interessanteste, was die Pädagogik seit der Reformpädagogik hervorgebracht hat. Dies ist die Kernaussage Maaßens (1994, S. 3ff), die er theoretisch zu begründen versucht und sie dadurch einer rational-argumentierenden und streitenden Diskussion aussetzt. Auf dieser Basis setzt Maaßen sich für eine „subjektive“ Wende der Umweltpädagogik ein und wendet sich gleichzeitig gegen einige andere ihrer Richtungen: Dem „strukturell-gesellschaftskritischen Ansatz“ wirft er vor, das Subjekt als Eigensinniges zu übersehen und es auf einen „passiven Realisator vorgegebener ökologischer Notwendigkeiten“ zu reduzieren, die von den Menschen vielfach als fremd, aufgezwungen und bestenfalls asketisch wahrgenommen werden. Gegen eine mediale und rein begriffliche Vermittlung von Natur und Mensch argumentiert Maaßen aus anthropologischen Gründen. Schließlich führt die selbstkritische Bestandsaufnahme der Praxis und Theorie des Naturerlebens zu Abgrenzungen gegenüber Erlebnispädagogik und -kauf sowie zum Aufzeigen von Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Ansatzes. Neben Gemeinsamkeiten der verschiedenen naturerlebnispädagogischen und verwandter Ansätze identifiziert Maaßen zwischen ihnen auch viele und grundlegende Differenzen, z. B. hinsichtlich der folgenden Aspekte: Ausmaß und Qualität des Zugangs zur Natur, Verhältnis zu wissenschaftlichen Zugängen und metaphysischen Systemen, Stellenwert von Naturwahrnehmung, Wahrnehmung der Naturästhetik sowie ökologische Zielsetzungen.

Naturerleben als „individuelle und damit einzigartige Aneignung der Natur“ wird von Maaßen anthropologisch und gleichzeitig als eine zweck- und herrschaftsfreie Annäherung an die Natur verstanden. Es handelt sich um einen kommunikativen Prozeß, in den die Natur als gleichberechtigte Partnerin einbezogen ist (Maaßen 1994, S. 14) und der der Natur materiell nichts entnimmt. Angesichts des dominierenden nutzenden und ausbeutenden Umgangs in den Industriegesellschaften muß deshalb die Möglichkeit des Naturerlebens durch umweltpolitische Entscheidungen ermöglicht werden.

Auch wenn man die Wünschbarkeit von Naturerlebnissen teilt, die mindestens für einen großen Teil der Bevölkerung in differenzierten Formen zweifellos ein Bedürfnis darstellen, muß die Aussage und die damit verbundene Vorstellung, daß es sich beim Naturerleben um ein Modell eines alternativen Umgangs im Sinne von Frieden und Aussöhnung mit der Natur handelt, aus mehreren Gründen als problematisch angesehen werden:

        Gerade wenn die Naturerlebnisse politisch für die ganze Bevölkerung ermöglicht werden sollen – was logisch konsequent wäre – kann man gesellschaftlich nicht mehr von einem zweckfreien Umgang reden, der die Natur nicht verändert. Da dann das Gegenteil eintritt, hebt sich das Naturerleben selbst auf – eine Dialektik der Versöhnung mit der Natur, die sich unter demokratischen Verhältnissen in ihr Gegenteil verkehrt.[185]

        Ein Blick auf die Geschichte des menschlichen Umgangs mit der Natur zeigt, daß es keinen zweck- und herrschaftsfreien Umgang mit der Natur gibt, den man als anthropologische Konstante ansehen könnte. Dies trifft auch für das Naturerleben zu, das in den sich verbreitenden Formen (z. B. naturbezogene Formen des Tourismus und Freizeitsports) eine sehr moderne, individuelle und ständig vielfältiger werdende Form des Umgangs mit der Natur ist. Sie stellt eine eindeutige Reaktion einer immer größeren Anzahl von Menschen auf die dominierenden, intensiven und zu Verstörungen führenden Naturnutzung und -zerstörungen dar. Darin mag der Mensch als Naturwesen zum Ausdruck kommen, aber es handelt sich historisch und individuell um sehr unterschiedliche Ausprägungen.

        Angesichts der propagierten subjektiven Wende der Umweltpädagogik scheint mir der offenbar zugrundegelegte erkenntnistheoretische Realismus gegenüber der Natur fragwürdig zu sein. Gerade hier erscheint ein konstruktivistisches Verständnis angemessener, das von subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen ausgeht, ohne daß damit die Existenz einer eigenständigen Natur in Frage gestellt wird (vgl. Kapitel 4).

Maaßen erkennt angesichts der ökologischen Krise zwar die Notwendigkeit einschneidender Änderungen im individuellen und kollektiven Handeln an, lehnt aber jegliche Indoktrination ab und setzt der Umweltbildung enge Wirkungsgrenzen, da sie „als Pädagogik keine grundsätzlichen Lösungen oder Teillösungen erbringen“ kann. Das pädagogische Naturerleben versteht er als eine sensibel anzubietende Möglichkeit einer anderen Aneignung von Natur, die sehr individuell realisiert wird (Maaßen 1994, S. 8-13). Naturerlebnis und die mit ihr verbundenen phänomenologisch-hermeneutischen Zugänge zur Natur stehen in Kontrast zu den Naturwissenschaften. Sie sind nach Maaßen (1994, S. 219) Ausdruck einer reflexiven Moderne im Sinne von U. Beck und stellen durch die sinnliche und sinnhafte Dingerfahrung wichtige Beiträge zur Bildung dar, die sonst vernachlässigt werden. Im Unterschied zu einigen anderen Ansätzen einer Naturerlebnispädagogik erweist sich der sehr reflektierte und fundierte Ansatz von Maaßen insgesamt als durchaus anschlußfähig für das hier angestrebte bildungstheoretische Rahmenkonzept für Umweltbildung.

Winkel (1995) geht davon aus, daß angesichts der ökologischen Krise radikales Umdenken, ein „neuer Mensch“ erforderlich ist: „Denken, Fühlen und Handeln, also Wissen, Gewissen und Tun müssen sich in die neuen Bedingungen einordnen lernen.“ Dazu dient Winkel ein betont ganzheitlicher Ansatz[186], der die Theorie seiner 30jährigen Praxis[187] in diesem Bereich darstellen soll. Bei seinem Ansatz soll die Bildung von Werten und Normen im Vordergrund stehen. Orientierungspunkt ist nicht nur die Ökologie, sondern der ganze Mensch, ja der ganze Planet.[188] Das „Pflegerische“ dient als übergreifendes Erziehungsziel und hat nach Winkel den Vorteil einer gewissen Unabhängigkeit von Weltanschauungen. Es umfaßt „die Solidarität mit Pflanzen, Tieren, Menschen“ und ihre jetzigen und zukünftigen Bedürfnisse und beschreibt in umfassenden Sinne eine Gesundheitserziehung mit dem Ziel eines gesunden Menschen in einer gesunden Gesellschaft und einer intakten Umwelt. Insgesamt ist das Pflegerische der Ratio zugänglich (Winkel 1995, S. 55). Auf dieser Basis wird ein ganzheitlicher Ansatz entfaltet, der über das übliche Verständnis weit hinaus geht: Er umfaßt nicht nur ein Dutzend Sinne (z. B. auch Vital- oder Lebenssinn, Wärmesinn, Ich-Sinn u. a.), sondern auch die Dimensionen des Mythos, des Kultus und der Religion, alle ästhetisch-künstlerischen Äußerungen des Menschen, aber auch die Naturwissenschaften und die Konfliktbewältigung. In der textlichen Darstellung löst Winkel dieses umfassende Verständnis von Ganzheit(lichkeit) in eine Reihe auf – die Herstellung der Ganzheit wird der Phantasie der Lesenden zugemutet (Winkel 1995, S. 19). Die überraschend auftauchende (neue) Religiosität wird als unbedingte Voraussetzung einer erfolgreichen Umweltbildung angesehen, sie kann funktional auch durch eine „neue Philosophie“ ersetzt werden, in jedem Fall muß das Pflegerische als oberstes Prinzip die Integration in einer pluralistischen Gesellschaft gewährleisten (Winkel 1995, S. 228). Es bleibt bei diesem sich ausschließlich auf Bewußtseinsstrukturen beziehenden Ansatz unklar, inwieweit das Ganzheitlichkeitsprinzip normativ verstanden wird. Davon hängt die Anschlußfähigkeit an den hier zugrundegelegten pluralistischen Bildungsbegriff ab, die jedoch nicht ausgeschlossen ist.

Etwas ähnliches gilt für die „ganzheitliche Bildung“ Möhrings (1997), die ein integrales Bewußtsein anstrebt, das menschheitsgeschichtlich hinsichtlich geistiger Existenz und Weltbewältigung die fünfte Stufe der sich steigernden Bewußtseinsstrukturen darstellt. Sie soll die „mentale Stufe“ ablösen, die vor 2500 Jahren in dem antiken Griechenland ihren Anfang genommen hat und vom Dualismus Mensch und Natur geprägt ist, der mit einem ganzheitlichen, mitweltlichen Denken, über Ehrfurchtsethik (als noch mentale Zwischenstufe) bewußtseinsintensivierend überwunden werden muß. Arbeit an sich selber, z. B. durch Meditation (Zen-Buddhismus), direkte Kontakte mit der Vielfalt und den Lebensäußerungen nichtmenschlicher Lebensformen an Lernorten der regionalen Naturlandschaft, Suche nach dem ökologischen Selbstempfinden im Sinne des tiefenökologischen Ansatzes, Taoismus, aber auch systemtheoretisches Denken u. ä. (biophil-ökozentrierte Mitweltpädagogik) sind die Charakteristika. Es handelt sich also um einen Ansatz, der Ähnlichkeit mit den Rezeptionen von Capras „Wendezeit“ (1983) hat. Die angestrebte Überwindung des rationalen in Richtung des integralen Bewußtseins[189] erfolgt in unmittelbaren, selbstbestimmten und kooperativen ganzheitlichen Prozessen eines „persönlich bedeutsamen Lernens“, das selbstverständlich nicht im herkömmlichen Schulsystem stattfinden kann.

Ökologische Pädagogik ist für Kleber (1993) keine andere zusätzliche Pädagogik, sondern stellt den Versuch dar, die Prinzipien pädagogischer Fragestellungen im Sinne von Benner (1983) und Ballauf (1970) und die dazugehörigen theoretischen Ansätze zu ökologisieren (Kleber 1993, S. 203). Da pädagogisches Denken notwendig anthropozentrisch und ökologisches Denken primär biozentrisch bzw. planetarisch orientiert ist, kann ökologisch pädagogisches Denken nach Kleber nur durch eine Verschränkung der planetarischen mit der anthropozentrischen Perspektive gelingen. Diese Perspektive ist – bei Strafe des Untergangs im Sinne von Benner (1987) – nicht nur für die Pädagogik, sondern für die menschliche Gesamtpraxis notwendig (Kleber 1993, S. 195). Bezugspunkt ist für Kleber die von dem Naturwissenschaftler Lovelock (1982) bereits Anfang der 70er Jahre entwickelte Gaia-Hypothese der Erde als Lebenssystem in einer nichtmystifizierten Interpretation[190]. Diese Hypothese ist für ihn Basis eines nichtanthropozentrischen Weltbildes, das zusammen mit anderen, jedoch damit kompatiblen Weltbildern Basis einer ökologischen Bildung sein soll. Kleber setzt dabei auf globale integrative Konzepte, „um über Gruppen und Kulturen hinweg konsensfähig zu sein. Das Geschäft pädagogischer Praxis ist die Vermittlung in Pluralismen von Weltbildern und Ethiken[191], immer im Rahmen der Notwendigkeiten des Lebenssystems unseres Planeten“ (Kleber 1993, S. 197).

Eigenverantwortlichkeit im eigenen Oikos und globale Mitverantwortlichkeit als Fakt des unentrinnbaren Eingebundenseins in das Lebenssystem des Planeten sind weitere Grundzüge einer ökologischen Bildung, die über den Primat der Bewußtseinsbildung letztlich ein „Mitlebenlernen“ ermöglichen soll. „Die ökologisch gebildete Person tritt in allen Lebenslagen, vor allem in ihren Alltagsgeschäften für die Förderung des menschenförderlichen Zustandes unseres Lebenssystems ein. Sie bemüht sich, ständig neu Mitleben zu erlernen und zu praktizieren. Sie ist schrittweise zu immer weitergehendem Verzicht bereit. Sie ist der profilierte Bürger für eine ökologisch wirtschaftende Gesellschaft.“ Andererseits kann ökologische Bildung, die als Prozeß entsprechende Persönlichkeitsstrukturen und Verhaltensdispositionen hervorbringen soll, letztlich nur freie Selbstbildung sein – darin besteht die Aporie ökologischer Bildung (Kleber 1993, S. 203).[192]

Als Dimension einer bildungsorientierten Umweltbildung sind solche Ansätze unverzichtbar, da sie wesentliche Beiträge zu einer umfassenden Persönlichkeitsbildung liefern können (s. 2.9).

2.7.5  Ökoethische Entwicklung

Nichtanthropozentrische, naturbezogene und z. T. auch ganzheitliche Bildungskonzepte haben in der Regel ausgeprägte ethische Orientierungen, die häufig dogmatische Tendenzen zeigen. Dies gilt mit Einschränkungen auch für den in 2.7.4 beschriebenen Ansatz von Kleber, der zwar für einen Pluralismus von Ethiken eintritt, jedoch die Kompatibilität mit einem fortgeschrittenen naturwissenschaftlichen Weltbild (wie das der Gaia-Hypothese) zur unbedingten Voraussetzung macht. Die sonstige umweltpädagogische Ethikdebatte (z. B. Schreier 1994) hat in den 90er Jahren bis zum Beginn des Nachhaltigkeitsdiskurses gegenüber den Beiträgen in den 80er Jahren keine grundlegend neuen Gedanken hervorgebracht. Döbler (1992, 1996) gehört zu den wenigen wissenschaftlichen Vertretern, die sich bilanzierend und reflektierend mit Fragen der Wertvermittlung in der Umweltbildung auseinandergesetzt haben. Zuvor möchte ich noch einige Grundgedanken aus meiner eigenen, allerdings schon älteren Studie vorstellen (Becker 1989a), die überraschende Ähnlichkeiten zu den Argumenten von Döbler haben. Angesichts eines intensiven, aber unübersichtlichen Ökoethik-Diskurses in den 80er Jahren hatte ich es damals für dringend erforderlich angesehen, diesen Diskurs im Hinblick auf mögliche Konsequenzen für eine emanzipatorische Umweltbildung bzw. ökologische Bildung aufzuarbeiten – der Gesamtbereich von Theorie und Praxis der Umweltbildung war damals wie heute durch ein deutliches Defizit an ökoethischer Reflexion gekennzeichnet. Sowohl hinsichtlich der Ethik als auch hinsichtlich der parallel sich entfaltenden neuen Bildungsdebatte gab es aus emanzipatorischer Sicht grundlegende Vorbehalte, weil unterschiedliche neo-konservative Tendenzen das Diskussionsfeld zu dominieren schienen. Das positive Ergebnis meiner Analysen und Erörterungen war ein Ansatz einer sozialökologischer Ethik, die soziale Gerechtigkeit und allianzartiges, vielfältiges Verhältnis zur Natur diskursiv verknüpfen und als Teil von Bildung verstehen sollte. Dabei war ich zusätzlich der Frage nachgegangen werden, ob der damalige Diskurs über moralische Entwicklung in einer pluralistischen Gesellschaft sich mit einer solchen sozialökologischen Ethik verbinden läßt und einer ökoethischen Erziehung bzw. Bildung wenigstens fruchtbare Anregungen liefern kann. Der Diskurs über moralische Entwicklung hatte seinen Ausgang von den Arbeiten von L. Kohlberg genommen und sich bewußt von konservativen und allzu normativen Vorstellungen abgegrenzt: Moralische Erziehung wurde je nach Konzeptvariante als Empathieförderung, als Wertklärung oder als Erziehung zur Gerechtigkeit verstanden. Meine eigene Idee war damals, diese Überlegungen auf die individuellen und gesellschaftlichen Naturbeziehungen zu erweitern. Dazu ein vier Punkte umfassendes Zitat:

–     Die notwendige Sensibilisierung für die Entfremdung der Naturbeziehungen, für den moralischen Gehalt von Situationen, für die moralischen Folgen von Handlungen und die handlungsmotivierende Betroffenheit könnte vor allem durch pädagogische Förderung der Empathie-Entwicklung erreicht werden (unter anderem durch sinnliche Erfahrung und Wahrnehmung).

–     Eine weit verstandene Wertklärung könnte einerseits das eigene Verhältnis zur Natur – einschließlich seiner unbewußten Antriebe - im Kontext sozialer Beziehungen und kultureller Muster auf den verschiedenen Ebenen und mit all seinen inneren Widersprüchen bewußt machen; andererseits könnten mit einem solchen Ansatz alternative Wertvorstellungen und Möglichkeiten der persönlichen Umsetzung vermittelt werden – insgesamt eine wichtige Hilfe zur Selbsterforschung auf dem Wege zu einer umfassenden Bildung.

        Die kognitive Entwicklung in immer differenzierteren und umgreifenderen Denkstrukturen fördert das moralische Reflexionspotential, d. h. das Nachdenken über gerechte und ökologisch sinnvolle Lösungen und unterstützt die Bildung eines zunehmend konsistenteren Systems von Wertvorstellungen. Dies impliziert auch die Befähigung zur Teilnahme an einem auf Konsens abzielenden moralischen Diskurs.

–     Die anzustrebende, integrierte Verbindung zu den verschiedenen Ebenen des praktischen Handelns und seiner Realisierungsbedingungen soll begründete Motivation zu individuellem und kollektivem Handeln erzeugen und damit einer solchen moralischen Erziehung ihren eigentlichen Sinn geben: Emanzipation und Selbstverwirklichung im Rahmen einer Perspektive nichtentfremdeter Naturbeziehungen und begründeter Zukunftshoffnungen. Pädagogische Arbeit knüpft dabei an solche Elemente moralischen Denkens und Handelns an, die sich im Rahmen des Wert- und Einstellungswandels bereits entfalten.(Becker 1989a, S. 155f)

Der von zahlreichen unauflösbaren Kontroversen und Unklarheiten gekennzeichnete Diskurs über Ökoethik und ökomoralische Entwicklung konnte der Pädagogik keine eindeutigen Grundlagen oder gar Handlungsanweisungen liefern. Da emanzipatorische pädagogische Praxis ohnehin nicht in der direkten Vermittlung festliegender Normen bestehen kann, sondern in einer konstruktiven und kritischen Auseinandersetzung damit, hatte ich diesen Umstand damals wie heute nicht als Nachteil angesehen.

Döbler (1992 u. 1996), der später auch eine Bestandsaufnahme vornahm und auch Perspektiven entwickelte, stellte fest, daß in der Umweltpädagogik

        Methoden, Ergebnisse und Diskussionszusammenhänge sozialwissenschaftlicher Werteforschung bisher kaum rezipiert und auf die Intentionen, Methodik und Lerntheorien der Umweltbildung bezogen wurden

        hauptsächlich biozentrische Konzepte der Umweltethik benutzt wurde

        bisweilen Umwelterziehung auf ein Bestandteil allgemeiner Moralerziehung reduziert wurde

        Erkenntnisse der (sozial)philosophischen Diskussion der 70er Jahre zu erkenntnistheoretischen und ethischen Problemen der Mensch-Natur-Beziehungen nicht rezipiert wurden

        die Diskussion der 80er Jahre zur Genese und Struktur sozio-moralischer Urteilsniveaus (Kohlberg-Debatte) nicht auf öko-moralische Urteilskompetenzen bezogen wurde (vgl. Becker 1989a)

        weitgehend unklar blieb, welche Werte anzustreben, zu stärken oder zu unterstützen wären und inwiefern und in welchen institutionalisierten Lernprozessen solche Werte dann vermittelt werden können (Döbler 1996, S. 162f).

Vor dem Hintergrund zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung, stellte Döbler die Frage, inwieweit es gemeinsame ökologische Wertorientierungen gibt, die das Handeln bestimmen. Statt

umweltpädagogische Werteerziehung lediglich instrumentell als Umsetzung ökologischer oder gesellschaftlicher Sollvorstellungen zu konzipieren [...] ist zu beachten, daß Werte an spezifische kulturelle und sozio-politische Kontexte gebunden sind und in individuellen Interpretationsleistungen aktualisiert werden müssen, um subjektive Orientierungen innerhalb pluralisierter Lebensentwürfe zuzulassen. [Deshalb ist es erforderlich, an die] Fähigkeiten und Einstellungen, aber auch die alltäglichen Strategien der Lernenden anzuknüpfen und von diesen ausgehend eine Erweiterung der Reflexions-, Argumentations- und Handlungskompetenzen anzubahnen. (Döbler 1996, S. 165)

Sowohl auf personaler als auch sozialer Ebene wird von Werten und Einstellungen erwartet, daß die Beschäftigung mit ihnen einen Beitrag zur rationalen Konfliktlösung über angemessene, weil verantwortungsbewußte Ziele innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft und einer Demokratie korrespondierenden Politik leistet. Die pädagogische Herausforderung besteht nach Döbler darüber hinaus darin, Einsichten der Moralpsychologie (über die Prozesse der Ausbildung von Werten und Einstellungen) und -philosophie (über die Reflexion von Geltungsansprüchen) indoktrinationsfrei zu berücksichtigen und das Ganze einer bildungstheoretisch zu reflektieren (Döbler 1996, S. 175f).[193]

Die Nachhaltigkeitsidee, der über die Ökoethik hinaus weitergehende ethische Normen zugrundeliegen,[194] setzt nun für die Umweltbildung eine neue Ethikdebatte auf der Tagesordnung. Kein Platz gibt es mehr für anti-anthropozentrische Positionen, die früher im Mittelpunkt der Kontroverse standen.[195] Die real existierende Pluralität und der umfassende und weltweite Partizipationsanspruch lassen auf der theoretischen Ebene keinen Dogmatismus und nach allen bisherigen Überlegungen auch keine ‚gesinnungsethische‘ Ausrichtung mit Verbindlichkeitsanspruch mehr zu. Auf diese noch neue Problemstellung, die in der Bildungsdebatte und in der Umweltbildung bisher kaum diskutiert wurde und die schwierige ethische und pädagogische Fragen beinhalten, kann hier nicht eingegangen werden. Antworten auf diese Herausforderungen moderner Bildung sind wohl im Sinne einer Wertklärungs- und ‑reflexionsstrategie zu erwarten und zu erarbeiten.

2.8  Lokale Umweltbildung

Es war immer ein fast unumstrittenes didaktisches Postulat der Umweltbildung bzw. der Umwelterziehung, sich mit dem lokalen Umfeld in handlungsorientierter Form zu beschäftigen[196] und als Schule möglichst externe Kooperationspartner zu finden. Dennoch konnte in Deutschland bisher nirgends eine systematische flächendeckende Praxis entwickelt werden. Vor allem gilt dies für den hier vorrangig interessierenden städtischen Bereich (s. auch 2.8.1), bei dem man – gemessen an den vielfältigen und pädagogisch günstigen Möglichkeiten – ein großes Defizit der Umweltbildung mit entsprechenden politischen Implikationen konstatieren muß, das ich mit der folgenden These zusammenfassen und anschließend kurz begründen möchte:[197]

These 2.6     Die Umweltpädagogik in Deutschland ist im Hinblick auf stadtbezogene Theorien, Konzepte, Umsetzungsstrategien und vor allem erfolgreiche und wirkungsvolle Praxis vor Ort noch sehr unterentwickelt. Sie ist deshalb zur Zeit nicht in der Lage, einen relevanten Beitrag zur Entwicklung einer zukunftsfähigen Stadt zu leisten.

Betrachtet man die Hauptquellen der in diesem Kapitel dargestellten historischen Entwicklung der Umweltpädagogik, dann stellt man mehr noch in der Praxis als der Theorie ein starke Orientierung auf eine außerstädtische Natur fest, die z. T. mit ‚zivilisationskritischen‘ und ‚naturromantischen‘ Traditionssträngen verbunden ist. Ein reformpädagogisch begründetes Beispiel ist das des Regionalen Lernens (2.8.3). In der Theorie der Umweltbildung hängt diese Einseitigkeit auch mit ihrem gesellschaftswissenschaftlichen Defizit zusammen. Auf der Ebene allgemeiner umweltpädagogischer und ‑didaktischer und fachdidaktischer Literatur findet man fast keine Thematisierung der Stadt als Lebensraum und Lebensform mit den spezifischen Problem- und Handlungsfeldern, noch weniger findet man hinsichtlich einer lokalen Ebene.[198] Insofern ist die Situation der stadtbezogenen Umweltbildung nicht überraschend, zumal es vermutlich auch einen Zusammenhang mit einer ähnlichen Tradition der Bildungstheorie in Deutschland gibt (s. Exkurs 2.8.2).

Es gibt etliche engagierte Umweltpädagoginnen und Umweltpädagogen in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, die gute Arbeit leisten und auch städtische Problemfelder angehen. In Zukunft erfolgt dies vielleicht stärker unter dem Vorzeichen einer nachhaltigen Stadtentwicklung und im Kontext der Prozesse der Lokalen Agenda 21 (s. 3.5). Aber die inhaltlichen und organisatorischen Möglichkeiten isolierter Lehrkräfte sind sehr begrenzt, ihre Wirkung auf das gesamtgesellschaftliche Umweltbewußtsein oder gar -verhalten und eine nachhaltige Entwicklung dürfte schon wegen der geringen Zahl der erreichten Adressaten leider noch vernachlässigungswert sein.

2.8.1  Modellversuche in der Stadt

Die wenigen existierenden Ansätze mit städtischer Ausrichtung, die über individuelle Praxis oder die von kleinen Gruppen von Lehrkräften in reformorientierten Bildungseinrichtungen hinausreichen, befinden sich im Status von temporären Modellversuchen. Diese bieten zwar Impulse und ermöglichen wichtige Erfahrungen, eine Zukunft als Regelpraxis und gar deren gesellschaftliche Verbreiterung (Transferproblem) ist überall ungesichert. Erwähnt seien hier nur einige mir wichtig erscheinende Aspekte aus einigen Projekten[199] in Berlin, Frankfurt/Leipzig, Hannover, Marburg, Hamburg und Osnabrück sowie in Zürich als Beispiel aus der Schweiz. Gemessen an den enormen Herausforderungen stellen diese Projekte gesamtgesellschaftlich bescheidene Anfänge dar, in denen dennoch wichtige Erfahrungen gemacht und Grundlagenfragen thematisiert werden.

In Berlin hatte der vom BUND getragene Modellversuch „Schulische Umweltbildung im Ballungsraum des wiedervereinigten Berlin (SchUB)“ an ca. 20 Partnerschulen und mit einigen außerschulischen, in der stadtnahen Natur liegenden Umweltzentren, schulische Praxis vor allem auf der Ebene innerschulischer Organisationsformen unterstützt und begleitet sowie ein interschulisches Netzwerk für Umweltbildung aufgebaut.[200]

In Frankfurt und Leipzig stand der Partizipationsgedanke im Mittelpunkt eines zwölf Schulen umfassenden Modellversuchs „Kinder planen ihren Stadtteil“ und ist in Frankfurt Teil eines umfassenden kommunalen Programms „Umweltlernen“, das seinen Ausgang von dem Engagement verschiedener Dezernate der Frankfurter Stadtverwaltung nahm.[201]

In Hannover ging es im Modellversuch Schulische Umweltbildung – Entwicklung schulbezogener integrativer Umweltbildungskonzepte in der Sek. I im wesentlichen um die psychologische Ebene von Lernprozessen der Lernenden und Lehrenden im Kontext einer psychoanalytisch und gesellschaftlich aufgeklärten Bildungstheorie, die sich teilweise auch auf lokale und damit städtische Probleme bezogen hatte (vgl. z. B. Pieschl 1993 u. Ilien 1994).

Das Marburger Modell ist ein regionales, schulbezogenes Reformprojekt, das sich nicht nur inhaltlich auf die Region bezieht, sondern sich um reale Verankerung durch institutionelle Kooperation und Vernetzung der Lernorte bemüht. Das Lernorte-Netz, das vom Klassenraum bis zu regionalen Außenstationen reicht, wird auch von der Lehreraus- und -fortbildung genutzt. Als örtlicher Mittelpunkt dient ein Jugendwaldheim, das außerhalb der Stadt liegt (vgl. Bölts 1993 u. 1995). Die theoretische Grundlegung ist nur vorläufig geleistet, sie basiert einerseits auf Vorstellungen einer „ökologischen Zivilisierung“ des Mensch-Natur-Verhältnisses im Sinne von Kösters (1993), gemäß den gesellschaftskritischen Ausgangspunkten von Bölts verstanden als „zweite Aufklärung“ (Bölts 1995, S. 96ff), andererseits auf praxeologischen Vorstellungen sowie bildungstheoretischen Zielen von Heydorn und Klafki (insbesondere seinen „epochaltypischen Schlüsselproblemen“). Zentrales Ziel ist eine „ökologisch-soziale Grund- und Allgemeinbildung für alle Schülerinnen und Schüler“, die insbesondere ein „ökologisch-soziales Lernen“ in offenen Situation und in der Region umfaßt.[202]

In Hamburg wurde im Rahmen eines primär auf universitäre Ausbildungsperspektiven orientierten Projekteverbundes eine Lernortdidaktik entwickelt, die unter anderem das bisher ungenutzte Bildungspotential kommunaler Umweltplanung entdeckt hatte.[203] Es ging dabei vor allem um ökologisches und vorsorgendes Handeln, Gestalten, Planen und um ökologische Partizipation im Ballungsraum. Der theoretische Hintergrund des Lernortansatzes wurde in einem mehrdimensionalen Sinne vor allem von Schleicher (1992) formuliert: Sein allgemeiner Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, daß jegliches Lernen immer in räumlichen (und zeitlichen) Umwelten stattfindet und von daher geprägt ist. Dies ist ein Gedanke, der in Bildungstheorie, Pädagogik, aber auch Umweltpädagogik zu wenig bedacht wird.[204] Daraus läßt sich die Forderung ableiten, den alltäglichen Lebenszusammenhang pädagogisch zu nutzen.[205] Für die umweltpädagogische Eignung von Lernorten hat Schleicher Struktur- und Qualitätsmerkmale entwickelt, die sich auf die räumliche, sachliche, kommunikative Dimension sowie die Konflikthaltigkeit und adressatenspezifische Relevanz beziehen. Außerdem hat Schleicher eine zweidimensionale „Bestimmungs- und Erschließungsmatrix“ für Lernorte vorgelegt, die die ökologische Relevanz, pädagogische Qualitätsmerkmale, den didaktischen Zugang sowie Bearbeitungsmerkmale enthält. An Lernorten sollen beispielsweise Zielantagonismen und konkurrierende Wertorientierungen deutlich werden können, Fähigkeiten zur Analyse intransparenter (System)Zusammenhänge erworben sowie ein verantwortungsbewußtes Abwägen von Handlungsalternativen und unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten kritisch reflektiert oder erprobt werden können. Erfahrungsgeleitete Handlungskompetenzen und verantwortungsbewußte Handlungsbereitschaft im Alltagsbereich werden zwar gesellschaftlich immer wichtiger, können jedoch von der Schule und anderen Bildungseinrichtungen nicht vermittelt werden, da dort die überkommene rein fachliche Struktur noch immer dominiert. Für ein lernortbezogenes Aufbauen von diesen Kompetenzen sprechen nach Schleicher folgende Erkenntnisse: Die Kompetenzen können weder durch familiäre oder berufliche Erziehungs- und Ausbildungsfunktionen erbracht werden; die alltäglichen Auseinandersetzung mit Naturräumen für Jugendliche werden seltener; schließlich finden alltägliche Umweltbelastungen im Nahbereich weniger Beachtung als Umweltbelastungen, über die medial berichtet wird. Im Hinblick auf überregionale Problemlagen haben solche Kompetenzen exemplarischen Charakter, dabei muß auf Transfermöglichkeiten geachtet werden.[206] Lernortbezogenes Arbeiten läßt sich nach Auffassung Schleichers mit unterschiedlichen umweltpädagogischen Ansätzen verbinden, so daß beide Seiten daraus Gewinn ziehen.

In einem Forschungsprojekt in der Schweiz wurde von Kyburz-Graber/Rigendinger/Hirsch-Hadorn(1997)[207] in Zusammenarbeit mit Teams von Lehrkräften aus fünf Schulen der Sekundarstufe II ein Konzept für die Umsetzung sozio-ökologischer Umweltbildung in die Schulpraxis entwickelt und erprobt. Es basiert auf der Überlegung, daß Bildung Umweltfragen als Probleme der Lebenssituation und Handlungssituationen der Jugendlichen, die in der Regel auf lokaler Ebene liegen, thematisieren muß. Dabei ist die Mitgestaltung in Form einer teilnehmenden Lehr- und Lernkultur im Bildungsprozeß selbst zu verwirklichen. Dies gilt besonders deshalb, weil Jugendliche im Alter von 15 bis 20 Jahren auf der Suche nach einer eigenen Identität sind und die Fähigkeit erlernen sollten, die eigene und die gesellschaftliche Zukunft partizipativ mitzugestalten. Dies führt zu folgenden Leitvorstellungen (Kyburz-Graber 1997a):

        Den Ausgangspunkt bilden reale Handlungssituationen und die Problemwahrnehmung der Beteiligten.

        Im Zentrum der lokal verbindlichen und unmittelbar erfahrungsbezogen Umweltbildung steht die Wissensproduktion der Jugendlichen durch eigenes Nachforschen.

        Statt auf Aktionismus und schnelle Lösungen richtet sich Umweltbildung auf ein Wahr-Nehmen, Nach-Denken, Hinter-Fragen, Bewerten, Urteilen, Kommunizieren, Ertragen von Spannungen.

Dieser handlungsorientierte, reflexive partizipative Ansatz sozio-ökologischer Umweltbildung wird ausdrücklich – als eine der ersten neueren Konzepte in der Literatur – in den Kontext nachhaltiger Entwicklung gestellt. Kyburz-Graber u. a. grenzen sich von erziehenden Lernprozessen und politisch-pragmatischen Vorstellung instrumenteller Bildung ab. Statt dessen wird derAnsatz als zentrale Bildungsaufgabe im Sinne einer pädagogischen Bildungsidee verstanden (Klafki, Benner). Sie bezieht sich „auf den Menschen als moralisches und zur Selbstbestimmung fähiges Subjekt, auf sein Wissen, seine Fähigkeiten zu urteilen, zu abstrahieren, zu reflektieren und auf seine Handlungskompetenzen.“ Umweltbildung befaßt sich spezifisch mit den Mensch-Umwelt-Bedingungen, „mit den kollektiven und individuellen Bedingungen sowie Zwecken menschlichen Handelns, mit seinen Auswirkungen auf natürliche und soziale Systeme in der Umwelt und den Rückwirkungen auf das Handlungssystem und seine Menschen“ (Kyburz-Graber u. a. 1997, S. 41). Die Autorin verfolgt unter anderem folgende Ziele: adäquates Verständnis von Umweltproblemen; Urteilsfähigkeit; Fähigkeit zur Abstraktion situationsspezifischem Wissens; Fähigkeit, unterschiedliche Interessen, Werte und Normen in der modernen Gesellschaft zu erkennen, sich in sie einzufühlen und angesichts ihrer Folgen für Natur und Menschen zu reflektieren; Fähigkeit, Mitverantwortung für die Gestaltung der Gesellschaft und der natürlichen Umwelt zu tragen, wozu auch kommunikative Kompetenz erforderlich ist.

Umweltbildung betrifft als Bildung zwar das Individuum und kann als Folge von Selbstreflexion sehr wohl einen unmittelbaren Effekt auf das Handeln der Person ausüben, ihr persönliches Alltagshandeln im Sinne der Nachhaltigkeit zu verändern. Inhalt der Bildung ist jedoch nicht das individuelle Verhalten, sondern die sozio-ökologische Dimension der Umweltproblematik. (Kyburz-Graber u. a. 1997, S. 41-43)

Mein eigener Ansatz in Osnabrück, das Projekt NUSO, ist durch die betont urbane und lokale Orientierung charakterisiert und bemüht sich um den Aufbau einer lokalen umweltpädagogischen Infrastruktur (Umweltbildungszentrum, Lokale Vernetzung, Lokale Agenda 21 u. a.). So sollen bessere Voraussetzungen für eine breit wirkende und inhaltlich anspruchsvolle Umweltbildung vor Ort geschaffen und dadurch Beiträge zu einer zukunftsfähigen Stadt- und Regionalentwicklung geleistet werden. In der Langfassung des Namens NUSO („Natur und Umweltbildung in der Stadt Osnabrück“) kommt bereits die programmatische Orientierung auf die Stadt zum Ausdruck. Hinsichtlich seiner praktischen Seite wurde NUSO bereits in 1.6 kurz vorgestellt.

2.8.2  Exkurs: Die Stadt in der Geschichte der Pädagogik

Die konstatierten Defizite einer städtischen Orientierung führen zur allgemeinen Frage, wie sich die Pädagogik in ihrer eigenen Geschichte mit der Stadt beschäftigt hat. Die zeitliche Parallele zwischen der Herausbildung einer bürgerlichen Pädagogik und der modernen Stadt sowie strukturelle Analogien geben zur Hypothese Anlaß, daß die moderne Pädagogik auf der Ebene der realen Bildungsentwicklung Ausdruck und Spiegelbild sich zunehmend differenzierender und auseinanderentwickelnder städtischer Lebensverhältnisse sowie ihrer Krisen war und ist – bis hin zur aktuellen ökologischen Krise.

Auffallend ist die mit der Ausdifferenzierung städtischer Lebensformen einhergehende zunehmende Zersplitterung der Gegenstände pädagogischer Vermittlung und eine Nichtthematisierung der Stadt als Gesamtheit unterschiedlicher gesellschaftlicher Lebensformen. Daß städtisches Leben immer mehr zur reinen Privatangelegenheit wurde, macht bis heute einen wesentlichen Teil seiner Attraktivität aus, ist aber gleichzeitig Ursache vieler grundlegender Probleme. Bezeichnenderweise wurde die Stadt als Ganze nur in ihren Krisen thematisiert (z. B. in den Lebensreformbewegungen) und nur dann von Strömungen der Pädagogik aufgegriffen (z. B. der Reformpädagogik), jedoch im wesentlichen nur im Sinne einer Ablehnung und einer Abkehr vom städtischen Leben.[208] Da die zugrundeliegenden Krisenerfahrungen und pädagogischen Konsequenzen nur von einem kleinen Teil der städtischen Bürger geteilt wurden, waren die Lösungsmodelle nur Veränderungsstrategien für Minderheiten, die städtisches Leben insgesamt nicht veränderten. Unter den Bedingungen der aktuellen Krise und ‚unübersichtlicher‘ städtischer Strukturen ist weder eine Fortsetzung rein privatistischer Lebensformen und dazu passender herkömmlicher Bildung möglich, noch bietet eine sich primär ‚aufs Land‘ beziehende Bildung und Umweltpädagogik allein eine Perspektive (vgl. Becker 1993a). Wie bereits aus verschiedenen Blickwinkeln begründet, muß es in der aktuellen historischen Epoche Ziel einer zukunftsfähigen Pädagogik sein — im Bruch mit der Bildungstradition und der Haupttradition einer stadtabgewandten Umweltbildung — explizite Bezüge zu städtischen Lebensformen, zu städtischer Natur und dortigen realen Problemen herzustellen und so zur (Wieder)Gewinnung von neuen Vorstellungen von Urbanität beizutragen.[209] Hier liegt die Zukunft der Umweltbildung! Noch deutlicher wird dies im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung (s. Kapitel 3 und 5).

2.8.3  Regionales Lernen

Einen reformpädagogischen Hintergrund hat im Unterschied zu allen anderen in 2.8.1 vorgestellten Ansätzen das Konzept des Regionalen Lernens, das von Salzmann in einer Reihe von Aufsätzen theoretisch entwickelt und fundiert wurde.[210] Der theoretische Ausgangspunkt und Ansatz liegt nicht speziell in der Umweltbildung, sondern ist Teil eines Versuches einer „Reaktualisierung“ reformpädagogischer Gedanken. Damit verbunden ist das Ziel, zur Reform der Schule in Deutschland mit einem dialektischen Weg zwischen „Renaissance- und Fortschrittsparadigma“ beizutragen. Dabei ist das Konzept im pädagogisch-praktischen Kontext des inzwischen überregional bekannten Lernstandortes Noller Schlucht entstanden.[211] Er umfaßt unterschiedliche pädagogische Praxisbereiche und hat die Funktion eines Regionalen Umwelt-(bildungs)zentrums im südlichen Osnabrücker Raum übernommen.[212] Von daher ergibt sich die Bedeutung für die Umweltbildung.[213]

Im Mittelpunkt steht eine pädagogische Reaktualisierung und Substituierung des historisch ‚vorbelasteten‘ und pädagogisch genutzten Heimatgedankens (Salzmann 1987)[214] und eine aktuelle Verknüpfung mit partiell ähnlichen Zielen verfolgenden Strömungen der Umwelterziehung. Zur Orientierung pädagogischen Handelns werden in systematischer Analyse pädagogische Positionen der Reformpädagogik herausgearbeitet und in ein dialektisch-polares Spannungsverhältnis zu ihrem jeweiligen gedanklichen Gegenpol gesetzt. Mit dieser Strukturidee des Regionalen Lernens sollen die Polaritätsdimensionen zeit- und situationsgemäß dialektisch vermittelt werden. Die bisherige Einseitigkeit von Ansätzen, insbesondere des Heimatgedankens mit seinen Dimensionen der Vertrautheit und Nähe, sollen durch Vermittlung in Richtung Universalität, Globalität, Fremdheit, Distanz u. ä. vermieden werden.[215] Regionales Lernen umfaßt aber nicht nur die räumlich konkretisierte Dimension eines Lebensweltbezugs, sondern schließt auch „größere Horizonte (z. B. Europa)“ ein.[216] Dies betont Salzmann immer wieder in seinen Schriften, denn eine ausschließliche Orientierung an der eigenen Lebenswelt führt leicht zur „Heimatideologie und zum Regionalismus“:

Die Verwurzelung in der eigenen, primären Lebenswelt, der Heimat, gibt den Menschen die Kraft, Europa nicht als Verunsicherung, als Gefahr, sondern als persönliche und kulturelle Bereicherung zu erfahren. Umgekehrt ist die europagerichtete Orientierung notwendig, um die Ausrichtung auf die Heimat, die ja den anthropologisch notwendigen Geborgenheitsraum schafft, nicht zur Idylle oder zur Heimatideologie verkommen bzw. einengen zu lassen. (Salzmann 1995c, S. 328)[217]

Begründet wird dies im wesentlichen auf einer identitätstheoretischen Ebene: Im Mittelpunkt steht eine regionale Identität, die „gute Chancen für die Entwicklung der sozialen und persönlichen Identität und damit der Ich-Identität“ bietet. Eine regionale Identität ist dann gegeben, wenn „sich jemand besonders intensiv mit einer Region als seiner Lebenswelt verbunden weiß und sich in vielen Punkten mit ihr identifiziert“ (Salzmann 1995c, S. 328). Die Identifikation ist um so stärker, je mehr Gelegenheit besteht, an der Entstehung und Gestaltung mit zuwirken (Salzmann 1989c, S.41). Dies läßt sich als ein Plädoyer für eine moderne Partizipation auf der regionaler Ebene interpretieren. (vgl. 3.4.3).

Im Sinne des Denkens in Polaritäten muß zur Regionalen Identität in ergänzender, korrigierender und relativierender Absicht eine europäische hinzukommen. Die Vermittlung der beiden Seiten wird von Salzmann als eine zentrale politische und pädagogische Aufgabe unserer Zeit angesehen: „Pädagogisch gesehen kommt es also darauf an, die regionale Identität mit der europäischen Identität zu einer spannungsreichen, aber produktiven Synthese zu verbinden.“ (Salzmann 1995c, S. 328)[218] Trotz der Schwierigkeiten der begrifflichen Fassung der regionalen Identität, der Kritik daran und daraus resultierender Notwendigkeit der soziokulturellen Differenzierung (vgl. Kapitel 3), rückt Regionalität in den Rang einer bisher wenig beachteten Dimension der Bildungstheorie. C. Meyer spricht im Falle eines handlungsorientierten Verständnisses sogar von einem Modell zeitgemäßer Allgemeinbildung im Sinne Klafkis (Meyer, C. 1996, S. 153).[219]

Salzmann geht davon aus, daß das Regionale Lernen der Umwelterziehung besondere Chancen bietet: Der Bezug zur Region, d. h. eigenen Lebenswelt, sorgt dafür, daß umwelterzieherische Überlegungen in das Gesamt der sozialen und kulturhistorischen Entwicklungen einer Region eingeordnet werden. So wird die Umwelt nicht nur als natürliches System, sondern auch in ihrer Verflochtenheit mit historisch gewachsenen sozialen und technisch-ökonomischen Systemen gesehen. (Salzmann 1995c, S. 323f). Region wird in Abgrenzung zu Heimat und Umwelt definiert. Unter Umwelt wird „eine systemisch-funktionale Beziehung zur Lebenswelt“ verstanden. „Umwelt ist ein System von Systemen, die miteinander vernetzt sind und zu denen auch das System Mensch gehört. Die Umwelt ist unter funktionalem Aspekt die biologisch materielle und soziale Lebensgrundlage für den Menschen“ (Salzmann 1995c, S. 325).

Eine Besonderheit des Konzeptes des Regionalen Lernens im Sinne von Salzmann ist eine bestimmte Form und Funktion der Institutionalisierung an Lernstandorten neuen Typs und der Aufbau eines regionalen Netzes von Lernstandorten.[220] Im Unterschied zu Lernorten, die überall sein können (vgl. das Hamburger Lernortkonzept von Schleicher (1992) in 2.8.1), definiert Salzmann Lernstandorte wie folgt:

Zum Lernstandort wird ein Lernort dann, wenn dieser durch gezielte pädagogisch-didaktische und methodische Bemühungen adressatengerecht aufgearbeitet und für aktive Erkundungs- und Lernprozesse interessierter Gruppen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen erschlossen wird und auf Dauer zur Verfügung steht. [Eine weitere Art von Lernstandorten] entsteht dann, wenn für eine bestimmte, überschaubare Region in dafür geeigneten Räumen ein Informationszentrum für Kinder, Jugendliche und Erwachsene eingerichtet wird, in dem diese – z. B. durch attraktiv gestaltete Ausstellungen – angeregt werden, die Umgebung aktiv zu erforschen und zu erkunden. Ein solches Informationszentrum soll also die Besucher aktivieren, neugierig machen, anregen, die Nahwelt unter historischem, biologischem, geographischem oder geologischem oder auch unter dem Aspekt des Umweltschutzes zu erwandern bzw. zu erkunden (Salzmann 1987b, S. 287f).

2.9  Umrisse eines ‚integrierten Konzeptes‘

Die Rekonstruktionsarbeit dieses Kapitels hatte nicht den Zweck ein eindeutiges integriertes Konzept von Umweltbildung zu finden, zumal dies vor dem Hintergrund eines hier favorisierten gemäßigten und verständigungsorientierten Pluralismus im Sinne von 2.6.4 ohnehin nicht möglich ist. Intention war vielmehr, über die geleistete Rekonstruktionsarbeit ein offenes Rahmenkonzept zu suchen, das die wichtigsten bisherigen Ansätze und Diskussionsstränge in einer relativierten Form als Dimensionen umfaßt. Am Ende dieses Kapitels kann es sich jedoch nur um eine Zwischenbilanz handeln, da ein Rahmenkonzept der Umweltbildung unter den Bedingungen der nachhaltigen Entwicklung (Kapitel 5) eine Erweiterung erfahren muß.

Im Umweltbildungsdiskurs gab es nur wenige Versuche, integrierte Konzepte zu entwickeln, die nicht gleichzeitig beanspruchten, andere wesentliche umweltpädagogische Richtungen auszuschließen oder sogar dogmatisch nur die eigene, vielleicht eindimensionale Position für die alleinig richtige zu halten. Zwei Versuche sollen im folgenden vorgestellt werden, der von Pongratz (1995) und der des Niedersächsischen Kultusministeriums (1993).[221]

Pongratz (1995) entwickelte einen integrativen Ansatz ökologischer Bildun, indem er Leitkategorien unterschied, die für sich noch keine konsistente Grundlage ökologischer Pädagogik sind, aber mit unterschiedlicher Gewichtung in den verschiedenen umweltpädagogischen Ansätzen vorkommen:

1.      Verantwortlichkeit: Ökologische Pädagogik als ethischer Appell

2.      Betroffenheit: Ökologische Pädagogik als heilsamer Schock

3.      Handlungsfähigkeit: Ökologische Pädagogik als Verhaltensorientierung

4.      Informiertheit: Ökologische Pädagogik als Wissenserwerb

5.      Ganzheitlichkeit: Ökologische Pädagogik als Integrationsversuch

6.      Wahrnehmungsfähigkeit: Ökologische Pädagogik als Sensibilisierung

7.      Widerständigkeit: Ökologische Pädagogik als gesellschaftspolitische Aufklärung.

Zur Identifizierung solcher Ansätze soll statt einer Rekapitulation der historischen Entwicklung ein systematischer Zugriff versucht werden (Pongratz 1995, S. 163). Zu diesem Zweck unterscheidet Pongratz in Anlehnung an friedenspädagogische Ansätze vier Grundkonzeptionen:

        Rufer in der Wüste: idealistisch-appellativer Ansatz

        das Ganze als Summe der Teile: individualistisch-einübender Ansatz

        die Welt im Wassertropfen: systemisch-ganzheitlicher Ansatz

        Eingriff ins Industriesystem: gesellschaftskritisch-aufklärerischer Ansatz.

Ökologische Bildung, die Pongratz als Kritische Bildung in Anlehnung an Heydorn[222] versteht, wird durch Begriffe wie Spontanität, Reflexivität, Differenz, Kritik und Autonomie charakterisiert. Ökologische Bildung kann nicht auf eine der Grundkonzeptionen reduziert werden, sondern soll nun über all diese Ansätze hinausgehen und sich auf das Alltagsbewußtsein und -handeln beziehen: Ökologische Bildung als (widerständiger) Erfahrungsprozeß.[223]

Ein pragmatisches plausibles, aber nicht explizit begründetes Konzept für schulische Umweltbildung formuliert das Niedersächsische Kultusministerium im Rahmen der Empfehlungen zur Umweltbildung in allgemeinbildenden Schulen. Dieses Konzept zeichnet sich durch große Offenheit aus, die von staatlicher Seite angemessen ist, formuliert im Kern ein Rahmenkonzept zur Orientierung für die Praxis, das durch sechs thesenartige „Aufmerksamkeitshinweise“, die ihrerseits wieder untergliedert sind, charakterisiert wird:

1.      Umweltbildung ist Teil von Allgemeinbildung.

2.      Umweltbildung erfordert eine innovative Ausrichtung des Lernens: Vielfalt der Sichtweisen und Bewertungen, Interdisziplinarität und Kooperation – Öffnung der Schule, vorausschauendes und vernetztes Denken, Probehandeln – Umgang mit Risiken, Ganzheitlichkeit.

3.      Umweltbildung orientiert sich an dem subjektiven Erleben: Persönlichkeit stärken – Hoffnungen begründen, identifikatorische Naturerlebnisse ermöglichen, Wahrnehmungsfähigkeit verfeinern.

4.      Umweltbildung ist politische Bildung: Verständnis für ökonomisch-ökologische Zusammenhänge und wissenschaftlich-technologische Entwicklungen.

5.      Umweltbildung muß Bestandteil einer Ethik der Verständigung sein: von der Gesinnungs- zur Verständigungsethik, ethische Bildung als Frage der Glaubwürdigkeit.

6.      Umweltbildung realisiert sich in konkreten Handlungsfeldern: umweltfreundliche Schule, Umweltverträgliche Haushalts- und Lebensführung, Bezug zur kommunalen und regionalen Umweltentwicklung, umweltverträgliches Arbeiten und Wirtschaften. (Niedersächsisches Kultusministerium 1993, S. 8-17).

Eine ähnliche Liste erhält man, wählt man die Diskussionsstränge und Hauptkonzepte der Umweltbildung, wie sie in meiner historischen Rekonstruktion seit Beginn der 90er Jahre in Erscheinung getreten sind. Auf Basis der bildungstheoretischen Fundierung und der Auseinandersetzung mit dem (pädagogischen) Postmodernismus und dem (pädagogischen) Pluralismus[224] ergibt sich folgende Liste von Dimensionen oder Merkmalen und die anschließende Interpretation:[225]

        Umweltbildung als Teil von Allgemeinbildung

        Umweltbildung als Umweltkommunikation

        Umweltbildung mit einer kulturellen Orientierung

        Umweltbildung als politische Bildung (einschließlich Ökonomie und ihrer Kritik)

        Umweltbildung als Naturerlebnis - Ganzheitliche Bildung

        Umweltbildung als ökoethische Entwicklung

        Lokale und urbane Umweltbildung.

In allen drei Beispielen zeigt sich, daß eine bildungstheoretische Grundlage gewählt wird und Umweltbildung ein Teil eines umfassenderen Bildungsverständnisses ist. In allen drei Fällen handelt es sich um integrierte, mehrdimensionale, plurale und in unterschiedlichem Maße offene Konzepte, wobei die Dimensionen und Merkmale unterschiedlich bestimmt wurden. Man kann aus den drei Listen pragmatisch leicht eine gemeinsame Liste erstellen, z. B. dadurch, daß der 2. Punkt des Niedersächsischen Kultusministeriums in meine Liste aufgenommen wird, vielleicht in der modifizierten Formen eines innovativen und ökologischen Lernens und mein 7. Punkt allgemeiner wie der Punkt 6 des Niedersächsischen Kultusministeriums formuliert wird. Mit leichten sprachlichen Veränderungen und Veränderungen der Reihenfolge ergibt sich dann folgende Liste[226]

        Umweltbildung als ‚ganzheitlicher‘ Umgang mit Natur

        Umweltbildung mit kulturellen Orientierung

        Umweltbildung als politische Bildung

        Umweltbildung als Umweltkommunikation

        Umweltbildung als ökoethische Entwicklung

        Umweltbildung in konkreten lokalen Handlungsfeldern

        Umweltbildung als innovatives und ökologisches Lernen

        Umweltbildung als Teil von Allgemeinbildung.

Die beiden letzten Punkte, in denen ich eher Merkmale eines Rahmenkonzeptes sehe, haben insofern einen Sonderstatus gegenüber den ersten sechs Punkten, den Dimensionen, als sie nur teilweise unabhängig von ihnen sind: Die allgemeinbildende Ausrichtung eines Umweltbildungskonzeptes wächst mit der Zahl der Dimensionen, die in dem jeweiligen Konzept in den Mittelpunkt gestellt werden – über die damit verbundene größere Zahl der angestrebten allgemeinen Fähigkeiten. Außerdem ist dieses Merkmal am Ende der bildungsorientierten Rekonstruktion in diesem Kapitel selbstverständliches und unverzichtbar. Die wichtige „innovative und ökologische Orientierung“ der Lernprozesse ist im wesentlichen Teil der didaktischen Umsetzung der Dimensionen 2-6.

Diese (oder eine ähnliche) Liste von Dimensionen und Merkmalen soll als eine erste normative Ebene das Rahmenkonzept einer plural(istisch)en Umweltbildung definieren, das konsensfähig sein sollte, z. B. als Basis der schulischen Umweltbildung. Die Pluralität liegt in folgenden Aspekten:

        Gewichtung der Dimensionen

        Begründung der Dimensionen, ihrer Gewichtung und ihrer Zusammenhänge

        inhaltliche und didaktische Konzeptionierung der einzelnen Dimensionen

        Stufung der einzelnen Dimensionen (vgl. Haaften/Snik 1994 in 2.6.4).

Außerdem muß dieses Modell, bei dem der neue Diskurs über Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ noch nicht berücksichtigt wurde (s. Kapitel 5) entwicklungsfähig sein. Unter dieser Voraussetzung gilt zusammenfassend:

These 2.7     Die sechs Dimensionen (kulturelle Orientierung, politische Bildung, Umweltkommunikation, Ökoethik, ganzheitlicher Umgang mit Natur, lokale Handlungsfelder) und zwei Merkmale (Allgemeinbildung, innovatives und ökologisches Lernen) charakterisieren ein gesellschaftlich tragfähiges Rahmenkonzept für Umweltbildung. Einzelkonzepte müssen zwar alle diese Dimensionen berücksichtigen, sie können aber unterschiedlich begründet, gewichtet, gestuft, inhaltlich gefüllt und didaktisch umgesetzt werden.

Zur grafischen Veranschaulichung der Vorstellung eines allgemeinen Rahmenkonzeptes und von speziellen Ausprägungen davon wähle ich einen mehrzackigen Stern, wobei die Zacken die obigen Dimensionen und Merkmale repräsentieren. Dies führt zunächst zu einem achtzackigen Stern, der in einer symmetrischen Form das Modell einer idealtypischen, gleichgewichtigen Berücksichtigung dieser acht Punkte im Rahmenkonzept darstellt. Einzelne Konzepte der Umweltbildung aus der Literatur oder Bildungspraxis lassen sich durch unterschiedliche Ausprägungen der Dimensionen und Merkmale mit diesem grafischen Modell charakterisieren und auch anschaulich vergleichen. Verschiedene Gewichtungen können durch unterschiedliche Größen der Zacken grafisch dargestellt werden, es müssen jedoch alle Zacken mit einer Minimalgröße vorhanden sein, wenn das damit symbolisierte Konzept den oben genannten normativen Anforderungen an eine moderne Umweltbildung gerecht werden will. Ich möchte jedoch eine modifizierte grafische Umsetzung des allgemeinen Modells vorschlagen, die nur sechs Zacken enthält (s. Abb. 2.1 bis 2.3), die die sechs Dimensionen repräsentieren. In gewisser Weise kann man die Fläche des Sterns als Symbol und Gradmesser für den Allgemeinbildungscharakter des jeweiligen Konzeptes ansehen.

Die mehrdimensionale Konstruktion als verbindlicher Konsens und seine gesellschaftliche Umsetzbarkeit setzt jedoch eine pluralistische Grundeinstellung der Umweltbildungsakteure zur Umweltbildung voraus, die vor dem Hintergrund fast 30jähriger Geschichte der Umweltbildung alles andere als selbstverständlich ist. Ein pluralistisches Rahmenkonzept, das allein über diese Dimensionen und Merkmale definiert wird, hätte jedoch nochziemlich


Abb. 2.1 Sechsdimensionales integriertes Rahmenkonzept für Umweltbildung

 


formalen Charakter. Auf einer zweiten Ebene der Konstruktion eines Rahmenkonzeptes sollte es deshalb auch um Inhalte gehen. Das Rahmenkonzept des Niedersächsischen Kultusministeriums umfaßt beispielsweise 13 fächerübergreifende und umweltbezogene Themenbereiche, die zur pädagogischen Behandlung in der Schule empfohlen werden. Diese sind nicht ‚epochaltypisch‘, eher könnte man sie  als ‚zeittypische ökologische Schlüsselthemen‘ bezeichnen, sie werden zur Zeit wieder gründlich in Richtung Nachhaltigkeit überarbeitet. Diese wichtige inhaltlich-curriculare Seite eines Rahmenkonzeptes soll an dieser Stelle ausgeklammert werden (s. dazu auch 5.9.4). Bedingt durch konzeptionelle Vielfalt und verstärkt durch die unhintergehbare Frage der Partizipation (vgl. Kapitel 3) und der Zielsetzungen (insbesondere Schlüsselkompetenzen, s. 5.6) gilt jedoch: [227]

 


Abb. 2.2 Lokales, auf Naturerfahrungen orientiertes Beispielkonzept

These 2.8     Eine eindeutige inhaltliche-curriculare Bestimmung der Umweltbildung ist ebenso wenig möglich wie eine verbindliche Fixierung von Zielen oder anzustrebenden Schlüsselkompetenzen. Auf Basis einer pluralen Verständigung gehören beide Bereiche zu einem Rahmenkonzept für Umweltbildung.

Es stellt sich darüber hinaus die Frage, ob es nicht noch einen weitergehenden wertbezogenen Konsens geben kann oder soll, der hinsichtlich des Verhältnisses zur Natur zu suchen wäre, weil dieses in der Umweltbildung unverzichtbar eine Sonderrolle einnimmt.[228] Aus meinen eigenen Überlegungen (s. 2.4 und These 2.4), läßt sich folgende These ableiten:[229]


Abb. 2.3..Kommunikativ-kulturell und politisch ausgerichtetes Beispielkonzept               von Umweltbildung (im Kontext einer Lokalen Agenda 21)

These 2.9     Die individuellen und gesellschaftlichen Naturverhältnisse und -beziehungen bilden die inhaltliche Basis eines integrierten, pluralen Rahmenkonzepts für Umweltbildung (soziokulturelle Umweltbildung).

Inhaltlich wurde eine solche soziokulturelle Perspektive der Umweltbildung von mir bereits in den 80er Jahren vertreten [230] Wenn man die Kategorie „individuelle und gesellschaftliche Naturverhältnisse und -beziehungen“ hin-reichend abstrakt versteht, lassen sich darunter einerseits unterschiedliche wissenschaftliche Fundierungen und Ausprägungen der Naturverhältnisse[231] und -beziehungen subsumieren. Andererseits gibt es etliche Argumentationen (z. B. aus dem christlich-religiösen Bereich) aus vollständig anderen Theorie- und Denktraditionen, die man ebenfalls als Konkretisierung dieser Kategorie verstehen könnte.

Innerhalb eines solchen, diskursiv vielleicht genauer oder etwas anders zu bestimmenden, offenen Rahmens könnten unterschiedliche Bildungsvorstellungen entfaltet werden. Dadurch könnte sich das Postulat einer relativen Eigenständigkeit der Pädagogik mehr Geltung verschaffen, die sich primär als Sachverwalterin des Anspruchs jedes (jungen) Menschen auf Entwicklung seiner Möglichkeiten versteht – hier im Umgang bzw. Verhältnis zur Natur und Umwelt. Es ist weder möglich noch pädagogisch wünschenswert, ein tragfähiges neues Bildungskonzept aus der Perspektive einer einzigen ökologischen, gesellschaftlichen, pädagogischen oder sonstigen Theorie abzuleiten.[232] Es wird sich zeigen, daß dies im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung erst recht gilt, die in den Kapiteln 3 und 5 behandelt wird. Es kann im Sinne des Partizipations- und Pluralismusgedankens keine Festlegung darüber hinaus geben, daß die Naturverhältnisse und -beziehungen in einer unterschiedlich faßbaren Perspektive, die man kulturell nennen kann, verbindliches Thema von Bildung sein müssen. Diese Bestimmungen eines pluralen Rahmenkonzeptes sind verträglich mit den in 2.4 vorgeschlagenen Merkmalen, die dort in Auseinandersetzung und Erweiterung von Klafkis Theorie der Allgemeinbildung gewonnen wurden: (Verhältnis zur) Natur als dritte Grundbestimmung von Bildung (These 2.3), Umweltfähigkeit als weitere, zu erwerbende Grundfähigkeit, mit dem ‚Umweltproblem‘ auf der inhaltlichen Ebene angemessen umzugehen. Das Umweltproblem ist eines der epochaltypischen Schlüsselprobleme und wird als Problem der „Gesamtheit der individuellen und gesellschaftlichen Naturverhältnisse und -beziehungen“ verstanden.

 



[1]       Sie wurde in 1.4 vorläufig begründet (These 1.13). Unter bildungstheoretischen Gesichtspunkten wird der Pluralismus als mögliche grundlegende Position für die Umweltbildung in 2.6.4 thematisiert und auf einer generelleren Ebene begründet (s. 2.6.5).

[2]      Dies in der Literatur verbreitete Muster hat zur unübersichtlichen konzeptionellen Gesamtsituation der Umweltbildung beigetragen, die die Verbreitung, Aneignung und erfolgreiche Anwendung der Umweltbildung erschwert hat (These 1.4 in 1.1.2 und Fußnote 27).

[3]       Reißmann (1996) sieht in einem Umweltbildungskonzept im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung die Möglichkeit, leichter verschiedene bisherige Einzel(grund)konzepte der Umweltpädagogik von der Naturerlebnispädagogik bis zur kulturorientierten Umweltbildung zu integrieren. Eine in der Konsequenz ähnliche Position werde ich am Ende dieses Kapitel 2 vorbereiten und in Kapitel 5 im Kontext der Nachhaltigkeit genauer begründen.

[4]       Die folgenden methodischen Überlegungen zur Rekonstruktionsarbeit dieses Kapitels nehmen anregend Gedanken auf, die Hansmann und Marotzki (1988b, S. 10-12) in ihrem zweibändigen Projekt Diskurs Bildungstheorie mit dem problemgeschichtlichen und systematischen Zugang zugrundegelegt haben (s. Fußnote 99 in diesem Kapitel), unterscheiden sich jedoch in den unterschiedlichen Problemstellungen. Die Rekonstruktion der beiden Autoren bezieht sich ausschließlich auf Theorien und Diskurse, die nur bedingt ein Spiegel der realen Praxis darstellen. Auch in meiner eigenen Rekonstruktion kann die reale Praxis der Umweltbildung nicht systematisch berücksichtigt werden. Meine darüber einfließenden Aussagen und Bewertungen entspringen meinem guten Überblick über diese Praxis, der sich aus folgenden Quellen speist: Beschreibungen in der Literatur, zwanzigjährige Einbindung in die überregionale Kommunikation über Umweltbildung, die ebenso langen eigenen Erfahrungen im Bereich Hochschule, Lehreraus- und -fortbildung sowie Verbindungen zur schulischer Praxis in Osnabrück. Dies alles führte zur ständigen Reflexion und Veränderung meiner eigenen beruflichwissenschaftlichen Praxis und Theorieentwicklung. Ein sehr viel weitergehendes Verständnis von Rekonstruktion der Umweltbildung ließe sich aus dem Methodischen Kulturalismus ableiten. Die hohen Ansprüche einer normativen Begründung aus der Lebenspraxis scheinen angesichts der Diversität dieser Lebenspraxis jedoch kaum einlösbar zu sein.

[5]       Der Dimension Urbanität (s. Fußnote 5) wurde kein eigenes Kapitel gewidmet, sie kommt an verschiedenen Stellen vor, z. B. in 2.8, (s. auch Becker 1991d, 1994b, 1996b, 1997b und 1998a). Ähnliches gilt für die Dimension Regionalität und Lokalität, die konstitutiver Bestandteil einer großen Zahl von eigenen Veröffentlichung ist, die in dieser Arbeit an verschiedenen Stellen zitiert oder erwähnt werden.

[6]       Damit sind alle grundlagentheoretischen Aspekte gemeint, die das Verhältnis zur Natur betreffen: Naturphilosophie, Wissenschafts- und Erkenntnistheorie hinsichtlich Natur u. ä. Hilgenheger (1997b) spricht von einem „antinaturalistischen Vorurteil“, das er aus der Geschichte des Naturverhältnisses begründet. Eine z. T. stark auf die innere und äußere Natur bezogene Argumentation findet sich in großen Teilen der historischen Reformpädagogik (vgl. Ludwig 1997).

[7]       Der systematische, d. h. von den aktuellen Problemen der ökologischen Krise bzw. der nachhaltigen Entwicklung ausgehende, nicht-affirmative und der theorie- und problemgeschichtliche Zugang fallen hier weitgehend zusammen. Denn bei den ökologischen Problemlagen handelt es sich immer um nicht eindeutig bestimmte Sichtweisen (Wirklichkeitskonstruktionen, s. Kapitel 4), die sich als argumentative Grundlagen auch in der Entwicklung und Praxis der Umweltbildung niederschlagen. Eine historisch erheblich weiter ausholende problem- und theoriegeschichtliche Rekonstruktion der Umweltbildung wäre in dem Sinne denkbar, daß man sie als Rekonstruktion des Verhältnisses von Pädagogik und Natur (genauer gesagt: den gesellschaftlichen Naturverhältnissen, s. 2.4 und 4.1) versteht. Diese Rekonstruktion würde insbesondere in der historischen Pädagogik der Aufklärung, der Reformpädagogik, der naturwissenschaftlichen Bildung, aber auch der nationalsozialistischen Pädagogik reichhaltiges Material finden. Dies kann hier nicht ausgeführt werden – vgl. die Ansätze bei Trommer (1993) und Hilgenheger (1997b).

[8]       Für die Einteilung und die Zuordnung einzelner Ansätze oder konzeptioneller Strömungen in diesem Abschnitt sowie die Reihenfolge der textlichen Darstellung gibt es keine eindeutigen Kriterien. Dies beeinträchtigt zwar die problembezogene Rekonstruktion nicht, könnte aber die Nachvollziehbarkeit erschweren.

[9]       Auf die von Giesecke (1997) mit 12jähriger Verzögerung vorgetragene Fundamentalkritik werde ich in 5.7 eingehen.

[10]     Dies ist ein entscheidender Unterschied zu etlichen anderen Ansätzen und Beiträgen zur Bildungstheorie und ist wohl mit ein Grund für die weite Verbreitung seiner im übrigen verständlich formulierten Theorie. Didaktische Aspekte werden in dieser Arbeit allerdings nur am Rande behandelt.

[11]     Die Bezeichnung kritisch wird dabei vorläufig in einem weiten, gesellschaftskritischen Sinne verstanden, d. h. Bildung steht im Kontext des Zieles einer vernünftigen Gesellschaft mit mündigen Bürgerinnen und Bürgern und nimmt auch verschiedene ältere Theorietraditionen, also Kritische Theorie der Frankfurter Schule, Kritische Erziehungswissenschaft und Teile der marxistisch-materialistischen Ansätze auf (vgl. auch Sünker/Krüger 1999).

[12]     Einen interessanten Zusammenhang dieser Fähigkeiten gibt es zum Lernbericht des Club of Rome (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979) – vgl. 2.2.1 und Fußnote 26 in diesem Kapitel.

[13]     Zum Problem des Allgemeinen in der Bildungstheorie s. auch die Aufsätze des gleichnamigen Sammelbandes von Pleines (1987) und von Huschke-Rhein (z. B. 1986), dessen systemischer Ansatz in 2.5.2 vorgestellt wird. Klafki entwickelt hier seinen aus den 50er Jahren stammenden Ansatz einer Kategorialen Bildung, die einen Weg zwischen „materialen“ und „formalen“ Bildungstheorien zu gehen beansprucht (vgl. Klafki 1978, S. 74ff). Die Diskussion über Postmoderne (2.6.3), Pluralismus (2.6.4) und Konstruktivismus (Kapitel 4) wird zeigen, daß der Punkt der Bestimmbarkeit von Gemeinsamkeit nicht mehr selbstverständlich ist, z. T. sogar abgelehnt wird, zumindest jedoch differenziert betrachtet werden muß: Es zeichnet sich ab, daß es auch um die Bestimmung der Grenzen der Gemeinsamkeiten geht, d. h. auch um die Akzeptanz von Unterschieden als wichtige permanente Aufgabe von Bildung.

[14]     Weitere Schlüsselthemen Klafkis: Friedensfrage; Nationalitätsprinzip, Internationalität und Interkulturalität; wachsende Weltbevölkerung; gesellschaftlich produzierte Ungleichheiten; Verhältnis der Industriegesellschaften zu den sog. Entwicklungsländern; Gefahren und Möglichkeiten der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und Kommunikationsmedien; menschliche Sexualität und Geschlechterverhältnis.

[15]     In der ersten Fassung von 1985, die den Titel „Konturen eines neuen Allgemeinbildungskonzepts“ hatte, gab es eine größere Zahl von Problemstellungen (Klafki 1985b, S. 21). Darüber hinaus hat Klafki(1997, S. 14-18) ansatzweise auch eine Verbindung zur Debatte um nachhaltige Entwicklung hergestellt, ohne seine Grundsatzposition zu verändern.

[16]    Damit bietet Klafkis Ansatz einen weiteren Vorteil: Vergleichs- und Anschlußmöglichkeiten zur Debatte um Schlüsselkompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung.

[17]     Auch hier gibt es Unterschiede zu der Fassung aus dem Jahre 1985, bei der stärker die verschiedenen fachlichen Zugänge als polare Ergänzungen zu den Schlüsselthemen im Vordergrund standen (Klafki 1985a, S. 24ff).

[18]    Bereits in den 70er Jahren wurde bei Lehrplanrevisionen in einigen Bundesländern und in einzelnen Fächern der Umweltgedanke berücksichtigt. Die damalige sozial-liberale Bundesregierung hatte im Rahmen einer erstmals entwickelten umweltpolitischen Programmatik die Bedeutung umweltbewußten Verhaltens als allgemeines Bildungsziel erkannt (vgl. Umweltschutz 1972).

[19]     Über die Einzelheiten dieser Frühgeschichte und der weiteren internationalen Entwicklung bis heute gibt es zahlreiche Darstellungen in der Literatur, aus jüngerer Zeit z. B. Bolscho/ Michelsen (1997) und Lob (1997). Breidenbach (1996, S. 200ff) formuliert theoretisch orientiert eine moderat-kritische Sicht, vor allem am instrumentellen Grundverständnis der Umwelterziehung zum umwelt- und entwicklungspolitischen Hintergrund; s. 3.1.1.

[20]     Diese Arbeitskonferenz, die von der Deutschen UNESCO-Kommission, dem Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften der Universität Kiel (IPN) und dem Bayrischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen durchgeführt wurde, war die erste Nachfolgeveranstaltung von einem der 68 UNESCO-Mitgliedsstaaten, die 1977 an der Tiflis-Konferenz nebst 30 internationalen Organisationen beteiligt waren (vgl. Eulefeld/Kapune 1979).

[21]     Zur Situation der Umwelterziehung in der DDR, die mit der bundesdeutschen nicht vergleichbar war, s. 2.2.3.

[22]     Dieser Beschluß, der eine Art Grundsatzempfehlung für die zuständigen Bundesländer war, ersetzte den bis dahin gültigen der KMK vom 30.9.1953 über Naturschutz und Landschaftspflege sowie Tierschutz. Die praktische Bedeutung und Umsetzung für die Schule, die bisher nicht aufgearbeitet worden ist, scheint nicht sehr groß gewesen zu sein und hat sich als naturschützerischer und heimatorientierter Unterricht niedergeschlagen; zur damaligen Kritik s. Schmidt P. W. A. 1978. P. Meyer (1986, S. 67ff) u. a. kritisierten später die konzeptionelle Begrenzung auf individuelles Handeln und dazu erforderlich angesehener Aufklärung, die ihrer Auffassung nach auch auf die genannte, weiterwirkende Tradition zurückgeht. Zur Ausbreitung des Umweltthemas in den Lehrplänen der 70er Jahre vgl. Bolscho (1979a u. 1979b). Die Umsetzung des Beschlusses von 1980 in den Bundesländern erfolgte z. T. erheblich später.

[23]     Sie nahmen z. T. heftige und polemische Formen an: „Etikettenschwindel“; „Erfindung von Pädagogen zur Rettung ihrer Profession“ o. ä. (Ökopädagogik 1984); „versuchte Perfektionierung der Naturbeherrschung“ (de Haan 1984b, S. 78). Die meisten Kritiker unterstellten der Umwelterziehung eine Wirkung, die sich heute als vollkommen unrealistisch erweist. Es gab aber auch massive Gegenkritik (z. B. Mertens 1989, vgl. 2.3.2).

[24]     Dieser wichtige Aspekt wurde in der kritischen Rezeption des Lernberichts viel zu wenig beachtet.

[25]     Der Partizipationsgedanke gehört zu den zentralen Postulaten der nachhaltigen Entwicklung und damit auch einer sich darauf beziehenden zukunftsorientierten Umweltbildung. Diesem Postulat wird deshalb ein eigenes Kapitel gewidmet (Kapitel 3).

[26]     Die Ähnlichkeit zwischen dem Lernbericht des Club of Rome und Elementen der Theorie einer Allgemeinbildung von Klafki wird noch größer, wenn man sich vergegenwärtigt, daß im Lernbericht unter Partizipation eine Haltung verstanden wird, die durch „Kooperation, Dialog und Empathie“ (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979, S. 36) gekennzeichnet ist und daß Integration als dialektischer Gegenbegriff von Autonomie auch Kooperation, Gemeinschaftsbildung und Solidarität umfaßt (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979, S. 68ff). Im Lernbericht tauchen auch die von Klafki für die Grundfähigkeiten und weiteren Fähigkeiten verwendeten Begriffe auf. Klafki erwähnt den Lernbericht jedoch nicht.

[27]     Dieser Lernbericht wurde damals als individualistisch, gesellschaftlich nicht weitgehend genug, ja als kontraproduktiv kritisiert (z. B. Treml 1981). Positiv aufgenommen wurde der Bericht damals in den Erziehungswissenschaften, z. B. von Kern und Wittig (1982). Sie stellten allerdings ein anthropologisches Defizit fest.

[28]     Zu der möglichen aktuellen Bedeutung des Lernberichts hat sich Breidenbach geäußert (1996, S. 180ff).

[29]     Ob für die pädagogische Arbeit die Einsicht in die grundsätzliche Konstruktivität der Wirklichkeit, die in Kapitel 4 thematisiert wird, hier eher entlastend wirkt oder ob das Gegenteil eintritt, also die Komplexität durch eine Vielzahl von subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen sogar noch gesteigert wird, ist eine weitere, pädagogisch und politisch wichtige Frage.

[30]     Zur Globalisierung vgl. Beck (1998b) und andere Schriften dieses Autors, Kapitel 3, insbesondere 3.4.3.

[31]     Vgl. Peccei/Pestel 1983, Meadows/Meadows/Randers 1992. Es sei dahingestellt, ob dies Ausdruck einer der abgeflauten ‚Bildungseuphorie‘ auf internationaler Ebene ist.

[32]     Neben dem Begriff Umwelterziehung wird vor allem anfangs noch von Umweltschutzunterricht, Umweltschutzerziehung und Didaktik der Ökologie gesprochen. Auf andere, in unterschiedlichen Richtungen und Fragestellungen ausgearbeitete, schulbezogene Überlegungen und Konzepte, die in Buchform aus den 70er Jahren und Anfang 80er Jahren vorliegen, z. B. Menesini/Seybold (1978), Heck (1978), Riedel/Trommer (1981), Ewers (1981), Klein (1981), Schmack (1982), Zingelmann (1980) kann hier nicht eingegangen werden. Vgl. auch Bolscho/Eulefeld/Seybold (1980a).

[33]     Thiel (1996) hat sich dieser Problematik in neuerer Zeit in sehr kritischer Form gewidmet.

[34]     Eine Weiterentwicklung und Konkretisierung curricularer Ansätze fand seither kaum statt, was zur Stagnation der schulischen Umweltbildung beigetrugt. Vgl. These 1.3 in 1.1.2, die Diskussion um konzeptionelle Defizite der schulischen Umweltbildungen in 1.1.5 sowie Abschnitt 5.9, wo es umfassender um curriculare Aspekte der Umweltbildung geht.

[35]     Zingelmann (1980) hat immerhin das Prinzip der Kooperation in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt.

[36]     Dieser Vergleich gibt Anlaß zu der Vermutung, daß Klafkis pädagogische Rezeption der Umweltpädagogik sich auf die frühe Umwelterziehung und den Lernbericht des Club of Rome beschränkt (2.2.1).

[37]     Dies zeigt einerseits die Auswertung von über einhundert Aufsätzen (Marcus 1993). Eine systematische Gesamtdarstellung einer Umwelterziehung in der DDR scheint es nicht gegeben zu haben, geschweige denn eine Aufarbeitung im Rückblick. Einen Versuch einer Bilanz stellte die Tagung Erbe und Möglichkeiten der Umwelterziehung in den neuen Bundesländern im Jahre 1992 in Schnepfenthal dar.

[38]     Eine der zentralen Mängel der Umweltpolitik und -erziehung war die Geheimhaltung der Umweltdaten, ohne die eine solche den Tatsachen nicht gerecht werdende Umweltpolitik und Ideologieproduktion nicht hätte durchgeführt werden kann.

[39]     Es sei angemerkt, daß die Perspektive einer nachhaltigen Entwicklung in Gestalt des UN-Berichts Our Common Future (Brundtlandbericht) von begrüßt wurde (s. Kapitel 3.1.1). Als erstes europäisches Land führte die DDR im März 1989 dazu bereits eine nationale Auswertungskonferenz durch – s. das Interview mit Groschupf in der Zeitschrift Dialoge (1989, S. 7f) mit dem Titel Umwelterziehung – Investitionen für die Zukunft.

[40]     Die stark ideologisierenden Formulierungen verdecken, daß es in mehreren Punkten solcher Argumentationen analoge Überlegungen und Äußerungen in Westdeutschland gab.

[41]     Vgl. Zabel (1978) und Zabel in: Unabhängiges Institut für Umweltfragen (1992), Streibel (1988). Hier dürften engagierte Biologielehrkräfte, Naturschützerinnen und Naturschützer eine große Rolle unabhängig von der staatlichen Politik und Ideologie gespielt haben.

[42]     Vorbildfunktion für ähnliche Ansätze hatte hier die freie Volkshochschule Whyler Wald, die im Kontext des langjährigen Widerstandes gegen das badische Atomkraftwerk Whyl ab 1975 entstanden ist (vgl. Beer 1978, S. 95ff und 1982, S. 90ff).

[43]     Strohm (1977) war eine der ersten umweltpädagogischen Publikationen aus der Anti-AKW-Bewegung, die in einem Verlag erschien.

[44]     Diese damals unüberbrückbare Konfrontation hatte auch spezielle Ausprägungen und kulturelle Hintergründe in Deutschland: Vgl. Brand/Büsser/Rucht (1986), Rucht (1994) und Brand/Eder/Poferl (1997).

[45]     Hier gibt es Ähnlichkeiten zu dem ökologisch-psychologischen Ansatz von Bronfenbrenner (1976, 1981a), der sich auf die im ursprünglichen Begriff oikos enthaltene Bedeutung Haus stützt und dann unter Ökologie eine vom Menschen selbst gestaltete und gestaltbare Umwelt versteht. Menschliche Entwicklung definiert Bronfenbrenner als „die Entfaltung der Vorstellung der Person über ihre Umwelt und ihr Verhältnis zu dieser, als ihre wachsende Fähigkeit, die Eigenschaften ihrer Umwelt zu entdecken, zu erhalten und zu verändern“ (Bronfenbrenner 1981a, hier zitiert nach der Auflage von 1989, S. 25). In der Umweltpädagogik wurde dieser Ansatz nur wenig rezipiert. Mertens (1998) hat auf einer ähnlichen Basis inzwischen einen humanökologischen Ansatz entwickelt, der eine allgemeine Grundlage für die Pädagogik und Umweltbildung darstellen soll (s. 2.7.2).

[46]     Dauber stellt seinen Ansatz auch in einen kritischen entwicklungspolitischen und ‑pädagogischen Zusammenhang und in die damalige „Entschulungsdebatte“, die unter anderem durch die zahlreiche Arbeiten von Illich (z. B. 1972, 1978) bestimmt wurde. Illich war auch ein scharfer Kritiker der Umwelterziehung (Illich/Sachs 1984).

[47]     Vgl. Heger/Heinen-Tenrich (1983). Heinen-Tenrich und Meyer (1985) arbeiteten gegenüber Dauber gerade die Möglichkeiten der politischen Erwachsenenbildung heraus, bestanden aber auf dem „Eigenrecht des Lernens“. Siebert (1985), der – weil er „ökologisch“ nicht als Eigenschaft des Lernens ansieht – tritt für ein „Ökologie Lernen“ ein (Michelsen/Siebert 1985).

[48]     Vgl. z. B. Heidorn (1982) im Blick auf den naturwissenschaftlichen Unterricht, dazu Lohmann (1982), Ruppert (1983 u. 1984), Manke (1985, 1986). Auch ich versuchte mich zeitweise in universitären Lehrprojekten daran zu orientieren (vgl. Becker 1983 u. 1987).

[49]      Damit tragen diese halbinstitutionalisierten Nachfolger des Ökologischen Lernens zu einer regionalen Öffnung des Schulwesens und damit zu dessen Modernisierung bei (s. 5.10.1). In der Konsequenz wird damit das Bildungs- und Schulverständnis in einer neuen regionalen Dimension fortentwickelt (2.8).

[50]     Ein Beispiel eines vom theoretischen Ansatz her reformpädagogisch geprägten Konzeptes ist der Ende der 80er Jahre entstandene Lernstandort Noller Schlucht in Dissen, südlich von Osnabrück, der inzwischen auch die Funktionen eines Regionalen Umweltbildungszentrums (RUZ) übernommen hat (s. Salzmann/Meyer/Bäumer 1995), genauer in 2.8.3.

[51]     Hier scheint die schon in 2.1 erwähnte Differenz zu Klafki zu bestehen, der offenbar eine generelle Trennung zwischen den subjektiv zu entfaltenden Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten und dem inhaltlichen, materialen Teil der Bildung als ‚Pflichtprogramm‘ sieht. Ein Modell, das in Richtung einer Ganzheitlichkeit geht, wurde von Mikelskis (1993) auf Basis von „Erkenntnispolaritäten“ entwickelt und seinem Konzept einer Umweltbildung zugrundegelegt (s. 2.3.3).

[52]     Der bundesweit agierende Verein zur Förderung im Bildungsbereich e. V. gab von 1981 bis 1987 die Zeitschrift Ökopäd. Zeitschrift für Ökologie und Pädagogik heraus und veranstaltete regelmäßig bundesweite Tagungen.

[53]     Trotz des breiten Spektrums des Ökologischen Lernens traf diese Kritik mit unterschiedlicher Gewichtung weit verbreitete Grundtendenzen und -probleme.

[54]     In Ökopäd erschienen unter anderem zahlreiche theoretische Beiträge, die die Diskussion vorantrieben, z. B. Daxner (1981), de Haan (1982), de Haan/Ruppert (1983), Heinen-Tenrich/Meyer (1985), Siebert (1985), Manke (1986), Preuss-Lausitz (1986a). Selbst innerhalb der Redaktion von Ökopäd gab es kein einheitliches Verständnis von Ökopädagogik.

[55]     Vor allem an der strittigen Frage eines kritischen und dennoch konstruktiven Praxisbezuges ökopädagogischer Theorieentwicklung und ihrer publizistischer Vermittlung zerbrach letztlich das Projekt Ökopäd – aus meiner heutigen Sicht unter anderem zum Schaden einer möglichen kritischen Fortentwicklung der damaligen schulischen Umweltbildung. Ökopäd wurde Ende 1987 eingestellt.

[56]     Die Bezeichnung Hauptwerk habe ich deshalb gewählt, weil es vermutlich das in der umweltpädagogischen Literatur am häufigsten zitierte Werk darstellt.

[57]     Vgl. beispielsweise die sehr einseitige Interpretation in der Rezension des Hauptwerks in der Zeitschrift Ökopäd von Gehrmann (1985), der Mitglied der Ökopäd-Projektes war. An der Unfähigkeit, mit der inneren Pluralität der Ökopädagogik, dialogisch und produktiv umzugehen, zerbrach die Ökopäd-Redaktion letztlich.

[58]     Zeitgleich und unabhängig zu diesem Artikel von Beer und de Haan hatte ich – entsprechend der damaligen Diskussion – mit etwas anderer Argumentation dieselbe Dreiteilung vorgenommen, sie jedoch perspektivisch durch eine vierte Gruppe ergänzt, für die ich die Bezeichnung ökologisch orientierte Bildung vorgeschlagen habe (Becker 1986a, S. 57-62 und in 2.4). Die inzwischen für die umweltpädagogische Theorie- und Praxisentwicklung längst unfruchtbar gewordene Dreiteilung wird noch lange Zeit in der umweltpädagogischen Literatur verwendet, ohne daß damit immer die selben Begriffsbedeutungen übernommen werden.

[59]     Auffallend ist, daß an der theoretischen Debatte um Ökopädagogik keine Frauen beteiligt waren, obwohl feministische Positionen zum Naturverhältnis in diese Debatte gepaßt hätten (s. Fußnote 181 zum Ökofeminismus in 2.7.4). Dies gilt weitgehend auch für die umweltpädagogische Theoriedebatte bis Anfang der 90er Jahre.

[60]     Der Begriff Ökopädagogik wird von den meisten Kritikern in einem sehr weiten Verständnis gebraucht, oft als Oberbegriff über ein meist nicht genauer definiertes Spektrum von umweltpädagogischen Ansätzen. Später übernahmen zunehmend die Begriffe Umweltbildung und Umweltpädagogik diese Funktion.

[61]     Bernhard baut seine Kritik zu einem materialistischen, bildungstheoretischen Ansatz aus (vgl. z. B. 1987, 1990, 1995a u.1995b), auf den in 2.7.3 noch eingegangen wird.

[62]     Verstanden als Kritik an der Einseitigkeit individualisierender, psychologisierender Alltags- und Bedürfnisorientierungen, die primär im Bereich des Ökologischen Lernens zu finden waren, stimmt die Kritik partiell mit der von Seiten der Ökopädagogik überein. Eine differenzierende Gegenkritik zu Bernhard hatte ich damals unter der Zwischenüberschrift Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten veröffentlicht (in: Becker 1986a, S. 61-62).

[63]     In der Tat gab es damals Positionen, die aus einer abstrakten Grundsatzkritik an Technologie, Wissenschaft, Industriegesellschaft und ihrem Bildungssystem allzu kurzschlüssige pädagogische Konsequenzen zog, etwa in Form einer Ablehnung von allen Ansätzen, die in irgend einem Sinne funktional für die genannten Bereiche oder die Industriegesellschaft insgesamt sein könnten. Mertens identifiziert in grober Vereinfachung die Ökopädagogik mit solchen eindimensionalen und daher fragwürdigen Positionen oder interpretiert mißverständliche Formulierungen in diesem Sinne (Mertens 1989, S. 179f). Zur eigenen Position von Mertens s. auch Fußnote 66 und 2.7.2.

[64]     Hard legt als umweltpädagogische Literatur nur Beer/de Haan (1984) zugrunde, dennoch trifft seine Kritik fast die ganze umweltpädagogische Literatur.

[65]     „Kognitiv bedeutet das z. B.: Gerade die Nicht-Einheit, die Empirie- und Gesellschaftsferne, die Risse, den Plural, die Ungereimtheit und das Paradoxe, die Ambivalenz und die Propagandistik, ja, den latenten Terror in den auf Einheit und Ganzheit hin angelegten Begriffen exponieren – Von ‚Natur‘ und ‚Ökologie‘, ‚Person‘ und ‚Gewissen‘“ (Hard 1989, S. 206) „Kurz: Die beschriebene Neigung zu Entdifferenzierungen und Ganzheiten tendiert dazu, auf politisch-pädagogischer Ebene Zwang, in kognitiver und ästhetischer Hinsicht Kitsch zu produzieren“ (Hard 1989, S. 207).

[66]     Mertens begründet seinen Vorschlag, den er als konstruktive Vermittlung zwischen Ökopädagogikund Umwelterziehung versteht (s. auch Mertens 1990), mit der Behauptung, daß Umwelterziehung in ihrer jetzigen Gestalt bereits Ökopädagogik sei – wobei er bewußt ein vollständig anderes Begriffsverständnis unterlegt. Die Stärke der Umwelterziehung sieht Mertens gerade darin, daß sie „bewußt unter den Rahmenbedingungen des Industriesystems konzipiert“ wurde. Allerdings müßte die Problemstellung der Umwelterziehung ausgeweitet werden: „Welche humanen Ausdrucksgestalten verantwortlichen Naturumgangs sind erzieherisch zu vermitteln, kraft deren der Mensch der Industriegesellschaft einen sinnhaft-glückenden Daseinsvollzug in Ansehung des Eigenwertes der Natur begründet?“ (Mertens 1989, S. 180). Als konzeptionelle Fortentwicklung legt Mertens später einen humanökologischen fundierten Ansatz von Bildung und Pädagogik allgemein und Umweltbildung im besonderen vor (Mertens 1997 u. 1998, s. auch 2.7.2).

[67]     Solche Tendenzen haben bei de Haan, der maßgeblich den Begriff Ökopädagogik geprägt hat, dazu geführt, diesen Begriff aufzugeben (de Haan 1993, Fußnote 2). Siebert (1995) hält dagegen in einem konstruktivistischen Argumentationskontext an der reflexiven Ökopädagogik fest.

[68]     Auch Heids Kritik an dem umweltpädagogischen Ansatz an der „Betroffenheit“ und an der instrumentalisierenden Formulierung von Verhaltensweisen als direkte pädagogische Ziele entspricht wiederum ökopädagogischem Denken.

[69]     Vgl. in dem Zusammenhang die Frage der gesellschaftlichen Konstitution und Konstruktion von Natur(wissenschaft) in Kapitel 4, insbesondere den dort vorgestellten Ansatz der gesellschaftlichen Naturverhältnisse (4.1) und meine Position aus dem Jahre 1986 in 2.4.

[70]     In 2.5 wird es zusätzlich um natur- oder ökologiebezogene Bildungsansätze gehen, die eher außerhalb der Umweltbildung im erziehungswissenschaftlichen bzw. bildungstheoretischen Bereich entstanden sind.

[71]     Vor allem werden Kern und Wittig (1982) (s. 2.5.1) und der Lernbericht des Club of Rome (Botkin/Elmandjra/Malitza 1979) (s. 2.2.1) kritisiert.

[72]     Dieser Vermittlungsgedanke steht durchaus dem späteren Ansatz der Umweltbildung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung nahe.

[73]     Dieser Mangel stammt aus der zugrundegelegten, sich auf Habermas stützende Version einer Kritischen Pädagogik, die – wie die traditionell sozialistische Theorie – von der Vorstellung der Befreiung des Menschen durch vernünftige instrumentelle Beherrschung der äußeren Natur ausgeht. Die genannten anderen Vertreter der Kritischen Theorie wurden in der emanzipatorischen Pädagogik weit weniger rezipiert.

[74]     Warum dies naturalistisch als allseitige und als umfassende Ökologisierung des Lernprozesses bezeichnet wird, ist unklar, zumal explizit reformpädagogische Motive einfließen. Der Gedanke der Charakterisierung eines pädagogischen Konzepts durch Polaritäten findet sich auch bei Salzmann, der mit Hilfe seines wesentlich umfassenderen Polaritäten(profil)modells sein reformpädagogisch fundiertes Konzept des Regionalen Lernens (und der Umwelterziehung) definiert (Salzmann 1995d). Bei Salzmann liegt allerdings ein anderes Verständnis von Umwelterziehung zugrunde (s. auch Meyer, C. 1996, S. 29-50 und 2.8.3).

[75]     Diese Vermutung speist sich aus einem Überblick über Beispiele, die in der Literatur dokumentiert sind; eine systematische Auswertung wurde nicht übernommen.

[76]     Es handelt sich um die erste von vier Thesen zur Ökopädagogik de Haans.

[77]     An der Basis der Partei der Grünen und in ihrem pädagogischen Umfeld gab es damals auf regionaler und Landesebene etliche Überlegungen, Konzeptentwürfe und Tagungen zu einem neuen, grün-alternativen oder ökologischen Bildungsverständnis, deren Ergebnisse jedoch nicht in öffentlich zugänglichen Publikationen verbreitet wurden und die in der weiteren Entwicklung offenbar ihre Bedeutung verloren.

[78]     Beispiel ist die gleichnamige Auftakttagung Zukunftsaufgabe Umweltbildung in Niedersachsen im Jahre 1988, das vom dortigen, damals neu eingerichteten Umweltministerium organisiert wurde. Später folgte ein breit angelegtes Programm für den Schulbereich (vgl. Niedersächsisches. Kultusministerium 1993).

[79]    Ein Teil dieses Diskurses wird erst in 2.5 und 2.6 dargestellt, weil meine eigene Position sich primär an 2.2 und 2.3 anschließt.

[80]     Dies kommt schon im Titel Nicht nur ökologische Akzente setzen. Bildungstheoretische Perspektiven angesichts der Ökologischen Krise deutlich zum Ausdruck. Eine erste Fassung entstand für den Vorbereitungsreader einer Tagung im Jahr 1986 in Frankfurt („Bildungstag“) und war Diskussionsgrundlage, die später erweitert und modifiziert wurde. Im Mittelpunkt des Aufsatzes stehen zwölf längere Thesen.

[81]     Dieser Gedanke einer ‚bereichsübergreifenden‘ Perspektive, die in den folgenden Thesen nicht weiter angesprochen wird, ist direkt an die aktuelle Debatte um Bildung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung anschließbar (vgl. Kapitel 5). Während diese Perspektive damals die Position einer kleinen intellektuellen Minderheit darstellte, ist die Position heute, in sehr allgemeiner Ausprägung, in offiziellen, internationalen Dokumenten nachzulesen, die von fast allen Staaten dieser Welt unterzeichnet wurden (Agenda 21). Einen fundamentalen inhaltlichen Unterschied gibt es jedoch im Bereich der Ökonomie, auf die im Anschluß an die Thesen eingegangen wird.

[82]     Daß diese obersten Ziele Produkte historischer Entwicklung und sozialer Auseinandersetzungen sind, sieht man am Beispiel der späten und allmählichen Anerkennung, daß die Gleichberechtigung der Frauen nötig ist. Ähnliches muß für das Verhältnis zur Natur in einem längeren Prozeß eingelöst werden.

[83]    Für Klafki gilt offenbar, daß ökologische Probleme nur im Rahmen des „dialektischen Zusammenhang[s] zwischen den personalen Grundrechten, wie sie etwa die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen und der Grundrechtskatalog unserer Verfassung umschreiben, und der Leitvorstellung einer fundamental-demokratisch gestalteten Gesellschaft, einer konsequent freiheitlichen und sozialen Demokratie“ (Klafki 1993, S. 51) gelöst werden können.

[84]     Aus heutiger Sicht beinhaltet dies den nachhaltigen Umgang mit Natur, Um- und Lebenswelt. Diese Überlegungen zu Fähigkeiten, Kompetenzen u. ä. werden in 5.6.3ff fortgesetzt. Auch Klafki (1997) hat sich inzwischen mit der Nachhaltigkeitsdebatte und den dort diskutierten Leitbildern beschäftigt, darauf werde ich in 5.1.1 eingehen.

[85]     Die Formulierung verantwortbarer Umgang wird dabei in einem weiten Sinne, d. h. nicht ausschließlich im Sinne einer bestimmten Verantwortungsethik verstanden und scheint mir offener zu sein als andere denkbare Bezeichnungen wie schonender, ökologischer, humaner, oder pfleglicher Umgang u. ä. (s. Michelsen 1990). Der Begriff drückt jedenfalls aus, daß er mit einem – wie auch immer bestimmten – sozialen Prozeß seiner genaueren Bestimmung zu tun hat. Die Hinzunahme von Um- und Lebenswelt ist in einem bestimmten, hier nicht allgemein voraussetzbaren Verständnis der Mensch-Natur-Verhältnisse (individuelle und gesellschaftliche Naturverhältnisse, s. 4.1) redundant und dient hier nur einer verdeutlichenden Beschreibung. In 5.6 werde ich eine Modifikation der gesamten Liste der drei bzw. vier Grundfähigkeiten vorschlagen. Nach Einbezug des aktuellen und zukunftsorientierten Prinzips der Nachhaltigkeit (s. Kapitel 3) könnte auch von einem nachhaltigen Umgang mit der Natur gesprochen werden.

[86]     S. 2.7.2 und Becker (1986a, vor allem aus These 9) sowie Becker (1989b, S. 39ff).

[87]    Ähnliche Argumenten können auch aus der Sicht anderer umweltpädagogischer Ansätze, z. B. des Ökologischen Lernens(2.3.1) vorgetragen werden.

[88]     Die bisher geäußerte Kritik versteht sich als konstruktiver Beitrag zur Modifikation und Weiterentwicklung des Ansatzes von Klafki. Im Unterschied dazu stellt die Kritik von Giesecke (1997) den Ansatz Klafkis vollständig in Frage, weshalb mit dieser Kritik in 5.7 eine Auseinandersetzung stattfindet.

[89]     Dieser und weitere Beiträge des Sammelbandes von Heitkämper und Huschke-Rhein (1986) (s. 2.6), die offenbar im Kontext der AG Friedenspädagogik der DGfE entstanden sind, begründen angesichts der Überlebensbedrohung, die auf fragwürdig-diffuse Zeitdiagnosen („Entseelung“, „Machtergreifung der Technologien“ u. ä.) zurückgeführt wird, auf verschiedene Weise die Notwendigkeit einer neuen Allgemeinbildung, die „mit den alltäglichen, hautnahen Erziehungsproblemen unserer Zeit“ verbunden werden muß, keine neutrale Position einnehmen darf und zur Versöhnung von Mensch, Natur und Gesellschaft beitragen soll. Eine grundlegende Kritik an diesen und ähnlichen stark normativen und anthropologischen Ansätzen liefert Ciupke (1988, S. 59ff).

[90]     Auf die Rezeption des allgemeinen erziehungswissenschaftlichen Diskurses zu Systemtheorien, der auch in dieser Zeit stattfand (z. B. Oelkers/Tenorth 1987), soll über den speziellen Ansatz von Huschke-Rhein hinaus, hier verzichtet werden.

[91]     Diese drei Säulen entsprechen meiner eigenen Argumentation im letzten Abschnitt, der grundsätzliche Unterschied resultiert aber aus der in der weiteren Argumentation deutlich werdenden Natur-Dominanz in Gestalt ihrer absolut und real angenommen abstrakten Systemgesetze.

[92]     Konstruktivität der Erkenntnis (s. Kapitel 4): Die kulturalistische und erkenntniskritische Kritik an den ‚heimlichen‘ naturalistischen Grundlagen des Radikalen Konstruktivismus impliziert seine Blindheit gegenüber den eigenen Grundlagen. Es sei angemerkt, daß Huschke-Rhein im Kontext des pädagogischen Konstruktivismus als systemischer Konstruktivist in Erscheinung tritt, z. B. in Voß (1997 u. 1998).

[93]     Ausführlicher finden sich diese Gedanken im ersten Band seiner Systemischen Pädagogik (Husche-Rhein 1988), eine Kritik im nächsten Abschnitt von Becker E. (1986a, 1986b u. 1987). Ansonsten scheint der systemökologisch-pädagogische bzw. systempädagogische Ansatz in der pädagogischen Konstruktivismus-Debatte wieder als systemisch-konstruktivistischer Ansatz an Bedeutung zu gewinnen (s. Huschke-Rhein 1989).

[94]     Sie betreffen am Rande auch meine bildungstheoretischen Überlegungen von damals, die in 2.4 dargestellt wurden, vgl. die explizite Bemerkung in Becker, E. (1987, S. 15) und die dortige Fußnote 14.

[95]     Im Gefolge des Bonner Forums Mut zur Erziehung (1978) sollte den negativen Begleiterscheinungen der zunehmenden Verwissenschaftlichung und Pluralisierung der Gesellschaft entgegentreten werden. Da diese Positionen in keiner Weise zu den emanzipatorischen und kritischen Grundintentionen dieser Arbeit beitragen können und im übrigen kaum theoretisch formulierte Arbeiten hervorgebracht haben (vgl. Steinlechner 1992), werden sie hier nicht weiter verfolgt.

[96]     In bezug auf die Evangelische Kirche s. Goßmann 1985, auf die Gewerkschaften s. Klemm/ Rolff/Tillmann 1985 u. Schweitzer 1986, auf die SPD s. Ebert/Herter 1986; in bezug auf das Spektrum der Grünen und ihres Umfeldes aus den sozialen Bewegungen s. z. B. die Überlegungen zur Neuformulierung eines ethisch-normativen Bildungsbegriffs in Dick/Keese-Philips 1986 und 3.4.

[97]     Auf eine Fortentwicklung dieser Theorierichtung im Jahre 1995 wird in 2.7.3 eingegangen.

[98]     Der von Tenorth (1986) herausgegebene Band, der sich auf die Frage der Allgemeinbildung bezieht, hat lediglich in wenigen Einzelbeiträgen (z. B. der schon in 2.5.3 herangezogene Beitrag von E. Becker) einen emanzipatorischen oder kritischen Anspruch. Die Beiträge in Pleines (1987) sind Vorträge der AG Pädagogik und Philosophie der DGfE, die auf deren 10. Kongreß zum Thema Allgemeinbildung gehalten wurden. Sie beschäftigen sich mit dem Problem des Allgemeinen und der Vernunft auf einem Abstraktionsniveau, das für die umweltbezogene Fragestellung in diesem Kapitel weitgehend unergiebig ist. An dieser Stelle sei auch der praxeologische Ansatz von Benner (1987)zu nennen, der Bildung als „nicht-affirmative“ im Rahmen seiner Allgemeinen Pädagogik auf sehr abstrakt-theoretischen Niveau definiert, ohne konkret auf historische Problemsituationen einzugehen. Auf Klafkis bildungstheoretischen Ansatz (1985a) wurde bereits in 2.1 eingegangen. Er unterscheidet sich jedoch in einigen grundlegenden Aspekten von den anderen theoretischen Ansätzen und Orientierungen in 2.6.2 - 2.6.4 und steht in seinen Konsequenzen damaligen und aktuellen Bildungsreformbestrebungen nahe.

[99]     Systematische Aneignung geht von den Problemen der gegenwärtigen Gesellschaft aus, um die gesellschaftlichen Bedingungen der Ermöglichung und Behinderung von Bildung zu studieren, Widersprüche zu entdecken u. ä. – dies macht ihre kritische, emanzipatorische Ausrichtung aus. Problemgeschichtliche Aneignung als diachrone Dimension einer Theorie behandelt ihre zeitliche Genese. Einerseits erfolgt Aufklärung der Problemgeschichte durch Rückfragen von einer gegenwärtigen Position aus, andererseits ist Problemgeschichte immer (Selbst)Besinnung, d. h. aus der Geschichte wird versucht, die gegenwärtige Problemlage zu verstehen. Aus diesem dialektischen Ansatz wurden Anregungen für die Rekonstruktionsarbeit in diesem Kapitel gezogen (s. Einleitung dieses Kapitels).

[100]   Z. B. Peukert (1987, 1988a, 1988b, 1992). Auf die zahlreichen und sehr unterschiedlichen Beiträge einer Kritischen Bildungstheorie, die sich auf die Kritische Theorie der Frankfurter Schule stützen, kann hier nicht eingegangen werden. Insbesondere ist zwischen den Arbeiten von Adorno, Peukert, Gamm und Heydorn auf der einen Seite und denjenigen Erziehungswissenschaftlern bzw. Bildungstheoretikern auf der anderen Seite unterschieden, die sich eher auf die Grundlagen von Habermas beziehen, zu denen m. E. auch Klafki gehört.

[101]   Die vermutlich bestehende Unmöglichkeit einer umfassenden, nicht notwendig einheitlichen Bildungstheorie hat auch wissenschaftsinstitutionelle Gründe, die das Selbstverständnis von forschenden Individuen als zentrales Dogma einschließen. Das anspruchsvoll geplante Projekt wird in einer Rezension von Thumm (in der Zeitschrift für Entwicklungspädagogik (ZEP), H. 1 (1989), S. 38f) wie folgt zusammenfassend etwas zu negativ kommentiert: „Originäre Akzente, die über das Bildungsdenken der Vergangenheit hinausführen, sind kaum zu entdecken ... leider findet keine systematische Rekonstruktion der sehr unterschiedlichen Bildungssemantik statt.“

[102]   Die grundsätzliche Position von Preuss-Lausitz wurde bereits in 2.3.4 dargestellt.

[103]   Beispiele: Dauber, der in 2.3.1 als Vertreter eines Ökologischen Lernens vorgestellt wurde, tritt für Ganzheitserfahrungen ein. Schmied-Kowarzik fordert eine Revolutionierung der zerstörerischen Praxis zum Sittlichen, die seiner Auffassung nach nur durch bzw. als Bildung und politische Praxis geschehen kann. Krause-Vilmar begreift Bildung auch und vor allem als Wiedergewinnen jener Freiheit und Kultur der Ich-Stärke, die notwendig sind, um an der Gestaltung einer menschlichen Zukunft überhaupt mitwirken zu können.

[104]   Eine frühe Auseinandersetzungen mit postmodernen Behauptungen des Endes der Pädagogik leisten Benner und Göstemeyer (1987), die darin eine „Affirmation der Dialektik der Aufklärung“ vermuten. Die breite begriffsgeschichtliche Ausfächerung des Begriffs der Moderne von Helmer (1993) in einem Band (Koch/Marotzki/Peukert 1993), der sich um eine Annäherung zwischen Philosophie und Pädagogik in der Frage einer möglichen Revision der Moderne bemüht, zeigt die Schwierigkeit des Begriffes Postmoderne. Ähnliches gilt für Hug (1996): „Eine griffige Charakterisierung postmoderner Erziehungswissenschaft erscheint gegenwärtig vor allem aus Gründen der unterschiedlichen Problembeschreibung, der Heterogenität möglicher Aufgaben und methodischer Zugänge sowie der Aktualität und der zunehmenden Häufigkeit des Stichwortes unmöglich und unumgänglich zugleich.[...] Als wichtige Merkmale und Anhaltspunkte postmoderner Erziehungswissenschaft lassen sich insbesondere das Votum für Offenheit, Beweglichkeit und Ästhetisierung im Denken, die Kritik eingespielter Denkgewohnheiten der Moderne, die Wendung gegen jegliche Art von Monopolansprüchen, die flexible Wahl der Bezugsrahmen und Leitvorstellungen, der regionale Charakter der Bemühungen und eine gewisse Bescheidenheit in den Ansprüchen, die Neugewichtung von Differenz und Dissens und der Stellenwert sensitiver und kontextorientierter Vorgangsweisen sowie diskursanalytischer und (de)konstruktivistischer Methoden beschreiben“ (Hug 1996). Welsch (1987) rekonstruiert die Geschichte des Begriffs Postmoderne und bezieht sich dabei auf entsprechende Phänomene in der Philosophie, Soziologie, Literatur, Architektur und in anderen Künsten. Auf seine Position wird am Ende dieses Abschnitts nochmals eingegangen.

[105]   Zu dem theoretischen Öko-Diskurs sind in den 80er Jahren in Deutschland weit über hundert Bücher erschienen.

[106]   Auf die Position Lyotards wird weiter unten in diesem Abschnitt in der Rezeption von Marotzki (1992) eingegangen.

[107]   Auch de Haan verwendet in seinem, fast alle Vertreter der Umweltbildung provozierenden Aufsatz von 1993 dieses Vokabular, um einige Postulate der Umweltbildung in Frage zu stellen, z. B. die „Erzählung von der Notwendigkeit der Umweltbildung aufgrund des gefährdeten Überlebens der Menschheit“ (de Haan 1993, S. 119).

[108]   Vgl. z. B. Beck/Giddens/Lash (1996).Die verschiedenen Varianten von Theorien der reflexiven Moderne, die sich wiederum von den radikalen Postmodernismus-Vorstellungen abgrenzen, haben im Kontext dieser Arbeit unter anderem den Vorteil, die ökologische Frage als Kernbereich ihrer Ansätze aufgenommen zu haben. Eine umfassende Rezeption in den Erziehungswissenschaften und der Umweltbildung steht noch aus. Im Kontext des Nachhaltigkeitsdiskurses wird in 3.2.6 (Partizipation), 3.4.1 (Stadtentwicklung und Urbanität) und 5.4 (Bildung für nachhaltige Entwicklung) nochmals auf Ansätze reflexiver Modernisierung zurückgegriffen.

[109]   Da auch Lyotard selbst die Postmoderne nicht als das Ende der Moderne sieht, eignet sich seine selektive (postmoderne Form der) Rezeption für eine Aktualisierung der Moderne.

[110]   Vgl. den Konstruktivismus-Diskurs in Kapitel 4.

[111]   Marotzki nennt dieses Modell in Anlehnung an Adorno „Konstellation“ und stellt es dem „Holismus“ gegenüber, für den die konträren Kategorien wie Einheit/Ganzheit, Kontinuität, Universalität charakteristisch sind. Damit sind auch Gefahren wie Atomismus, Relativität und Orientierungslosigkeit verbunden, mit denen produktiv umgegangen werden muß (Marotzki 1992, S. 210-212).

[112]   Diese Neubestimmung des Postmodernismus erfolgt vor dem Hintergrund, daß Welsch den diffusen und z. T. oberflächlichen Charakter sowie die Beliebigkeit der langjährigen Debatte des Postmodernismus kritisiert, dessen Begriff Welsch eigentlich als „mißverständlich“, „unglücklich“ und „verzichtbar“ hält, weil er suggeriert, daß die Moderne vorbei sei und Antimodernes künftig die Tagesordnung bestimmen werde. Der Postmodernismus transformiert durch seine Provokationen die Moderne (Welsch 1987, S. 319).

[113]   „Im Zeitalter des Flugverkehrs und der Telekommunikation wurde Heterogenes so abstandslos, daß es allenthalben aufeinandertrifft und die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zur neuen Natur wurde. Real ist die Gesamtsituation der Simultanität und Interpenetration differenter Konzepte und Ansprüche entstanden. Auf deren Grundanforderungen und Probleme sucht der postmoderne Pluralismus zu antworten. Er erfindet diese Situation nicht, sondern reflektiert sie. Er schaut nicht weg, sondern sucht sich der Zeit und ihren Herausforderungen zu stellen ... Die Postmoderne ist diejenige geschichtliche Phase, in der die radikale Pluralität als Grundverfassung der Gesellschaft real und anerkannt und in der daher plurale Sinn- und Aktionsmuster vordringlich, ja dominant und obligat werden. Diese Pluralisierung wäre, als bloßer Auflösungsvorgang gedeutet, gründlich verkannt. Sie stellt eine zuinnerst positive Vision dar. Sie ist von wirklicher Demokratie untrennbar“ (Welsch 1987, S. 4f).

[114]   In dem Sinne einer konsequenten Fortentwicklung pluralistischer Tendenzen innerhalb der Moderne ist der Begriff radikale Pluralität verständlich. Bezogen auf einen Pluralismus-Diskurs (s. 2.6.4), der eine (absolut) relativistische Position meistens als radikal bezeichnet, ist dieser Begriff von Welsch, der einen anderen Bezug hat, jedoch irreführend.

[115]   Die zunehmende faktische Multikulturalität unserer Gesellschaft hat in jüngster Zeit zur verstärkten grundsätzlichen Thematisierung eines pluralistischen Bildungsverständnis geführt, s. hierzu Gogolin/Potratz u. a 1998 in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (1999, H. 2). Darauf wird in 5.2.2 kurz eingegangen.

[116]   Das plurale Geltenlassen verschiedener Möglichkeiten kann pragmatisch notwendig oder sinnvoll sein, wenn es keine eindeutigen Entscheidungskriterien gibt oder sie in einer Handlungs‑ oder pädagogischen Situation faktisch nicht zur Verfügung stehen, etwa aufgrund von Wissensdefiziten oder fehlender Prognostizierbarkeit von Entwicklungen. Diese Problemlage ist für ökologische Problemsituationen oder anderen Erscheinungen der Risikogesellschaft geradezu typisch und ein Stück weit von soziokulturellen Kontexten und persönlichen Einstellungen unabhängig.

         Als Kritik an theoretischem Monismus und Dogmatismus und als Verteidigung von Vielfalt hat der Pluralismus in Philosophie und Erkenntnistheorie schon eine sehr viel längere Tradition, z. B. Kritischer Rationalismus (Popper) und die „Theorie der offenen Gesellschaft“ sowie Paul Feyerabends Erkenntnistheorie „Anything goes“ als „Erkenntnis für freie Menschen“ (vgl. Heyting/Tenorth 1994, S. 5ff). Pluralismus und Dogmatismus müssen sich nicht unbedingt widersprechen (vgl. Heid 1994b, S. 125).

[117]   Dennoch erfordert das Erkennen von Pluralität auch die Vorstellung einer Einheit des betreffenden, diversifizierten Bereichs, dem auf einer höheren Abstraktionsebene auch Gemeinsamkeiten zugemessen werden müssen. Eine Beispiel ist die vieldiskutierte Pluralität der Lebensstile, für die es nicht nur allgemeine Begriffsdefinitionen gibt, sondern auch gesellschaftliche Gemeinsamkeiten, zumindest im Sinne von jeweils gesellschaftlich dominierenden Lebensweisen (vgl. Reusswig 1994). Hier zeigen sich Zusammenhänge zur erkenntnistheoretischen Vorstellung von der Konstruktivität der Wirklichkeit und zum Konstruktivismus, der in Kapitel 4 ausführlich behandelt wird.

[118]   Tenorth unterscheidet drei Arten, wie Einheit hergestellt werden kann: a) Pädagogik als Weltanschauung, b) Pädagogik als Berufsweisheit, c) Pädagogik als Wissenschaft. Eine weitergehende Frage ist, ob es auch eine in diesem Sinne pluralistische Wissenschaft gibt, ob es also nebeneinander verschiedene Rationalitätsvorstellungen gibt oder geben kann. Von wissenschaftlich schlüssigen Argumentationen könnte dann mehr nicht angenommen werden, daß sie in anderen sozialen Kontexten eine zwingende oder überzeugende Kraft besitzen. Im Falle eines wissenschaftsinternen und Wahrheitspluralismus befürchtet F. Heyting (1994, S. 101-103) die Gefährdung der Praxisrelevanz von Wissenschaft.

[119]   Besonders spät erfolgte sie in Deutschland, wo ein stark ausgeprägtes Einheitsdenken vorherrschte. Dies hat wohl mit der deutschen Geschichte und der gesellschaftlichen Funktion von Bildung darin zu tun und wurde auch nicht durch die Existenz konkurrierender Ansätze in Frage gestellt (vgl. Heyting/Tenorth 1994, S. 15ff).

[120]   Dem pädagogischen Pluralismus wird vor allem vorgeworfen: Förderung verantwortungsloser Gleichgültigkeit, Widerspruch zu Sicherheits- und Orientierungsbedürfnissen (besonders bei Kindern), Förderung bzw. Verschärfung der ohnehin bestehenden „Unübersichtlichkeit“, Fehlen allgemeiner übergreifender Geltungen und Kriterien, Widerspruch zum Wahrheitsanspruch, Gefahr von Solipsismus, Provinzialisierung des Denkens (Rang 1994).

[121]   Nach Haaften/Snik (1994) wäre eine „Entprovinzialisierung“ des Denkens im Sinne von Adorno, die für einen kritischen Bildungsbegriff konstitutiv ist, nicht möglich.

[122]   Die relativistischen Positionen des Pluralismus werden in diesem Band z. T. auch „radikal-pluralistisch“ genannt. Die „radikale Pluralität“ von Welsch (1987, s. 2.6.3) ist in diesem Sinne jedoch gemäßigt (vgl. Fußnote 116).

[123]   Für Rang (1994, S. 35ff) ist eine solche interpretativ‑konstruktivistische Wendung der entscheidende Unterschied zu herkömmlichen Lernprozessen. Diese finden selbst in ihren individualisierenden Formen ihre Grenze in den korrespondenztheoretischen (abbildtheoretischen) Vorstellungen, die weithin im Denken der Menschen und den Bildungsinstitutionen herrschen. Nach diesen Vorstellungen handelt es sich immer um schrittweise Annäherungen an objektive Wahrheiten der äußeren Realität und die Entdeckung der Wahrheit.

[124]   Dies gilt pädagogisch prinzipiell für alle Entwicklungsstadien – alters-, situations- und gegenstands- und adressatenspezifisch in unterschiedlicher Akzentuierung.

[125]   F. Heyting, die die Bedeutung eines relativistischen bzw.„sozialkommunikativen“ Pluralismus für die Erziehungswissenschaft und pädagogische Praxis anerkennt, sieht aber die negative Konsequenz darin, daß man dann nicht mehr spezifisch wissenschaftliche Aussagearten und Urteilsformen definieren und abgrenzen kann (Heyting, F. 1994, S. 105f). Heyting entwickelt daher die darüberhinausgehende Vorstellung eines „konzeptuell-konstruktivistischen Pluralismus“ (er wird in einem erkenntnistheoretischen Kontext auch in 4.9 vorgestellt.), dem es nicht mehr um subjektive oder soziale Entwicklungs-, sondern um logisch-argumentative Zusammenhänge geht. Ein konzeptuell-konstruktivistischer Pluralist geht von der Möglichkeit aus, dasselbe Geschehen auf der Basis unterschiedlicher, nicht aufeinander rückführbarer konzeptueller Ausgangspunkte zu beschreiben.

[126]   Vgl. auch Haaften/Snik (1994, S. 68f). Eine solche inhaltliche Thematisierung des ‚Relativismus‘, der auch schon für das Merkmal b) zutrifft, ist nach Rang (1994, S. 42ff) ein wichtiger Beitrag zur Überbrückung der ‚materialen‘ und ‚formalen‘ Seite von Bildung. Die zunehmende einseitige Akzentuierung ‚formaler‘ Bildung, besonders auch in der Reformpädagogik (gilt nicht für Dewey) interpretiert Rang als eine unreflektierte Reaktion auf Diversität und den sich spätestens seit dem 19. Jahrhundert ausbreitenden soziokulturellen Relativismus. Die vorfindlichen Begründungen mit bildungs- und/oder lerntheoretischen, mit anthropologischen und manchmal auch mit politischen Argumenten (‚Bildsamkeit‘, ‚Selbsttätigkeit‘ und ‚Autonomie‘) nennt Rang dagegen eine Selbsttäuschung.

[127]   Es wird hier nicht der Vermutung nachgegangen, daß die Gliederung der Bereiche des Denkens und Urteilens überholt ist.

[128]   Ansätze einer gestuften Entwicklungs- und Bildungsvorstellung können hier nicht weiter verfolgt werden, vgl. z. B. die Arbeiten zur moralischen Entwicklung (Oser/Althof/Garz 1986) und zur sozialökologische Ethik (Becker 1989a).

[129]   Man könnte zusätzlich verschiedene Stufen der Entfaltung der Bereiche und Dimensionen vornehmen.

[130]   Solzbacher (1990b, S. 397f) betont daher („Wie pluralismusfähig ist der Mensch?“) im Kontext der politischen Bildung die Notwendigkeit eines Grundkonsenses von gemeinsamen Werten und Positionen als Kern eines reorganisierten Pluralismus. Dieser Kern soll unterschiedlich begründet werden können, wodurch „wieder ein plurales Element in der Substanz entsteht.“ Vom Kern sollen mehrere Abweichungen möglich sein. In diesem Sinne ist politische Bildung zwar neutral, aber nicht wertneutral bezogen auf den Grundkonsens. Solzbachers Position eines Pluralismus richtet sich gegen hedonistische und relativistische Vorstellungen von Pluralismus sowie generell gegen Vorstellungen aus dem Umkreis der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule.

[131]   Prengel bezieht sich dabei unter anderem auf die Grundidee des grün-alternativen Bildungsbegriffs von Preuss-Lausitz (1988a), der in 2.3.4 vorgestellt wurde. Diese Grundintention von Prengel stimmt weitgehend mit meiner eigenen, sich auf den Umweltbildungsbereich beziehenden Intention überein (s. Einleitung zu diesem Kapitel).

[132]   Vgl. die Lichtmetapher von Welsch, die darin besteht, „daß ein und derselbe Sachverhalt in einer anderen Sichtweise doch ihrerseits keineswegs weniger ‚Licht‘ besitzt als die erstere – nur ein anderes. Licht, so erfährt man dabei, ist immer Eigenlicht. Das alte Sonnenmodell – die eine Sonne für alles und über allem – gilt nicht mehr, es hat sich als unzutreffend erwiesen“ (Welsch 1987, S. 5).

[133]   Differenz ohne Gleichheit bedeutet gesellschaftlich Hierarchie, kulturell Entwertung, ökonomisch Ausbeutung. Gleichheit ohne Differenz bedeutet Assimilation, Anpassung, Gleichschaltung, Ausgrenzung von ‚Anderen‘.

[134]   „Pädagogik der Vielfalt impliziert die respektvolle ‚dialogische‘ Annäherung nicht nur an andere Menschen, sondern auch an die Mitwelt in Biologie, Physik ... Eine gemeinsame Wertvorstellung ist grundlegend: die Liebe zum Leben in seiner Vielfalt“ (Prengel 1995, S. 192f). Diese Aussage zur Vielfalt in der Umweltbildung ist etwas dürftig ausgefallen, auch wenn Umweltbildung nicht Thema der Arbeit von Prengel war.

[135]   Es ist hier weder möglich noch sinnvoll, Vollständigkeit hinsichtlich der umfangreich vorliegenden Literatur zu erreichen und zwar in einem dreifachen Sinne: Weder können alle Ansätze berücksichtigt, noch können oder sollen sie vollständig wiedergegeben werden. Es soll hier auch kein ‚fertiger‘ Ansatz als Ergebnis vorgelegt werden. Es handelt sich eher um material- und aspektreiche (Vor)Überlegungen und Reflexionen für eine Fortentwicklung der Theorie der Umweltbildung.

[136]   Z. B. hat Michelsen (1998e, S. 62) eine andere Liste von Diskussionssträngen der Umweltbildung; diese Liste enthält einige meiner Punkte nicht. Solche Listen lassen sich nicht eindeutig bestimmen oder gar abgrenzen; bei Michelsen sollen sie nur eine Orientierung bieten, bei mir sollen sie primär zu einer bildungstheoretischen Rekonstruktion der Umweltbildung beitragen.

[137]   Kapitel 5 baut vor allem auf Kapitel 3 auf und nimmt viele Aspekte aus 2.7 und anderen Teilen des Kapitels weiterführend auf.

[138]   Dieser ebenfalls wichtige Aspekt wird hier nur kurz in Form einiger Ergebnisse der diesbezüglichen soziologischen und sozialpsychologische Forschung angesprochen und dort lediglich auf die Frage der Effektivität der Umweltbildung bezogen.

[139]   Anlaß dieses Bandes war der 65. Geburtstages Günter Eulefelds, der von den 70er Jahren an einer der wichtigsten konzeptionellen Vertreter der inzwischen schon klassisch zu bezeichnenden Umwelterziehung ist.

[140]   Die in der Theorie der Allgemeinbildung enthaltene Frage von Fähigkeiten (bzw. Kompetenzen) (s. 2.1) wird in 5.6 im Kontext einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung unter dem Begriff Schlüsselkompetenzen ausführlicher diskutiert.

[141]   Umwelt ist Umwelt von Systemen als Kommunikationseinheiten; Ökologie ist nicht die Beschreibung des Ökosystems: „Ökologie ist für die heutige Gesellschaft eine Form, eine Semantik, eine Beschreibung, mit der die Gesellschaft sich selbst auf Grenzen ihres eigenen Könnens und auf Betroffenheit im Verhältnis zur Umwelt aufmerksam macht, sich sogar alarmieren kann. Es geht also um eine Art, im System über die Differenz von System und Umwelt zu kommunizieren“ (Luhmann 1989, S. 19).

[142]   Luhmann schätzt die Möglichkeiten des Erziehungssystems, zum individuellen Umweltbewußtsein und zur Lösung der ökologischen Probleme beizutragen, als ziemlich gering ein (Luhmann 1986, S. 193ff u. 1989, S. 25ff). Eine frühere Bilanzierung der Schrift Ökologische Kommunikation für die Umweltbildung leistete Rohde (1992). Neben den politischen Nachteilen und den Problemen der pädagogisch unakzeptablen Entsubjektivierung, sieht er mögliche „Reflexionsgewinne“: „tiefere Durchdringung der gesellschaftlichen Komplexität, Aufzeigen pädagogischer Grenzen, Handlungsmöglichkeiten und ‚Nischen‘, Beziehen eines relativ ‚ganzheitlichen Standortes‘, der es ermöglicht, ökologische und gesellschaftliche Vernetzungen besser zu verstehen....“ (Rohde 1992, S. 401).

[143]   Zwei Prämissen gehen in Kahlerts Untersuchung ein. Da es keine allgemeine Theorie der Umweltkrise gibt und auch in Zukunft kaum geben wird, weil dies eine allgemein akzeptierbare Theorie von der Gesellschaft voraussetzen würde, schlägt Kahlert pluralistische Ansätze vor. Wegen der notwendigen Bewertung von Fakten kann es zwar weder eine objektiv richtige Beschreibung der Umweltkrise noch einen objektiv richtigen Weg aus der Umweltkrise geben, dennoch könne oder solle man – so Kahlert – einzelne Aussagen überprüfen, ob sie spekulativ oder begründet sind, ob sie auf einem zu einfachen Modell der Wirklichkeit aufbauen, ob Werturteile als Tatsachenbeschreibung auftreten und die Aussagen gegen ein gesichert geltendes Wissen verstoßen oder sie diesem Wissen entsprechen. Hier gibt es Ähnlichkeiten zu dem konzeptuell-konstruktivistischen Pluralismus von F. Heyting, der in 2.6.4 beschrieben wurde.

[144]   Die Kritik von de Haan erwähnt Kahlert (1996 oder früher) eigenartiger Weise nicht. Er legt seine offenbar deutlich veränderte Sichtweise von Verständigungsorientierung nicht explizit und selbstkritisch offen, was kein gutes Beispiel seines eigenen reflexiven Anspruches ist.

[145]   Umweltrisiken und -einschätzungen stellen vieldimensionale Konstrukte (vgl. Kapitel 4) dar, die von intuitiven Wahrnehmungen, Interessen, Wissen, Motivationen, Wertungen (insbesondere unterschiedlichen Ursachenzuschreibungen) und Kommunikationsprozessen in einer sich zunehmend ausdifferenzierenden Gesellschaft beeinflußt werden. Risiken lassen sich nicht aus dem objektiven Zustand der Natur und Umwelt herleiten, Umweltprobleme können nicht beliebig herbeikommuniziert werden. Z. B. kann ohne naturwissenschaftlich-technisch feststellbare erhöhte Strahlenemission nicht über Kernenergie als Umweltproblem kommuniziert werden.

[146]   Vgl. den Abschnitt 2.7.5 über eine ethische Ausrichtung der Umweltbildung.

[147]   Trotz dieser Einschränkung und der geäußerten Bedingung, daß der Ausgangspunkt der Kritik gesichert ist und die Problemdefinitionen nicht allzu simplifizierend sind, scheint mir hier doch ein heimliches Abrücken von dem ursprünglichen Verzicht auf allgemeine Begriffe und Aussagen vorzuliegen.

[148]   Hier reduziert sich der konzeptionelle Unterschied zu de Haan (s. obige Kritik) womöglich auf den Unterschied zwischen der Differenz in der Einheit und der Einheit in der Differenz bzw. auf den im Umgang mit Differenzen. Der Unterschied dürfte für die pädagogische Praxis oder gar ihre Wirkung auf die Lernenden eher von sekundärer Bedeutung sein.

[149]   Da die Partizipationsdebatte (vgl. Kapitel 3) inzwischen auch das Nachdenken über einen anderen politischen Umgang mit Differenzen und Dissens angeregt hat, könnte der Unterschied zwischen politischer und pädagogischer Sphäre in Zukunft wieder geringer werden.

[150]   Vgl. den radikal-konstruktivistischen Begriff Passung (4.6).

[151]   Luhmann (1986, S. 40) versteht in seiner Systemtheorie darunter: „Der Zusammenhang zwischen System und Umwelt wird ... dadurch hergestellt, daß das System seine Selbstreproduktion durch intern zirkuläre Strukturen gegen die Umwelt abschließt und nur ausnahmsweise, nur auf anderen Realitätsebenen, durch Faktoren der Umwelt irritiert, aufgeschaukelt, in Schwingung versetzt werden kann. Eben diesen Fall bezeichnen wir als Resonanz.“ Der Begriff der Resonanz wird im Sinne von gegenseitigen „Anschlußfähigkeiten“ von geistigen und gesellschaftlichen Entwicklungen auch als Begründung für den Aufbau dieser Arbeit verwendet (s. 1.2).

[152]   S. z. B. Rheingans (1997) und Rheingans/de Haan/Kuckartz (1998) zu den Kommunikationsformen in den Initiativen und Prozesse der Lokalen Agenda 21; Beispiele zu einigen Themenfeldern finden sich bei de Haan (1996d u. 1998g).

[153]   Eine ganz andere Ebene der (individuellen) Kommunikation, nämlich die auf elektronischen Wege gewinnt durch das Word Wide Web (www) an Bedeutung, deren Konsequenzen jedoch noch nicht absehbar sind. Vgl. Apel (1997b) und de Haan/Kuckartz (1998b).

[154]   Vgl. auch Becker (1986a) und Abschnitt 2.4. Ein bildungspraktischer Hintergrund für eine kulturelle Orientierung erwuchs aus meinen kultur- und museumspädagogischen Interessen, und entsprechenden kontinuierlichen Aktivitäten und Lehrangeboten seit ca. 1981 in Osnabrück (s. Becker 1986c, 1988 u. 1990b).

[155]   Letzteres traf in einem ausgeprägteren Sinne schon auf die nur bis 1987 erschienene Zeitschrift Ökopäd zu, an der ich bis 1986 mitgearbeitet hatte (2.3.2).

[156]   Der Text weicht in seinen Formulierungen sprachlich etwas vom veröffentlichten Text ab, den die Redaktion der Zeitschrift bearbeitet hatte. These 5 entspricht zusammen mit der hier weggelassenen These 2 inhaltlich der These 2.4 aus diesem Kapitel zur „kulturellen Orientierung“ der Umweltbildung.

[157]   Eine präzisierte Formulierung von These 2 findet sich in in 2.4.

[158]   Die Argumentation thematisierte das Verhältnis von Kultur und Ökologie im Kontext der Frage nach einer ökologischen orientierten Bildung, prägte dazu jedoch keinen eigenen Begriff für eine neue Umweltbildung.

[159]   In dieser Formulierung ist die Kulturorientierung enger angelegt als die Rolle der kulturellen Dimension einer ökologisch orientierten Bildung im Sinne meines eigenen, oben umrissenen Verständnisses.

[160]   Offen bleibt, wie dadurch Maßstäbe für Veränderungen gewonnen werden können bzw. ob sich auf einer solchen Basis überhaupt Veränderungen realisieren lassen.

[161]   Diese Zielsetzung der vorgelegten Entwürfe für eine unterrichtspraktische Umsetzung wird schon in der Themenformulierung deutlich: „Zur Natur des Menschen gehört die Kultur“ (Glöckner 1995, S. 178ff), „Technikentwicklung als Koevolution von Natur und Kultur“ (S. 209ff), „Der Mensch kultiviert seine natürlichen Verhaltensweisen“ (S. 255ff), „Kultur bewertet und kanalysiert die biologisch bedingte Ausstattung“ (S. 295ff).

[162]   Demgegenüber gestellt wird eine „Verifikationsstrategie“, die den „wahren“ Weg und damit Sicherheiten zu erkennen versucht. Als Beispiel wird der Ansatz von Bölts (1995) diskutiert, der in der Interpretation der Herausgeber die „Aneignung von Orientierungswissen“ anstrebt, das auf klaren Begriffen von Natur und Gesellschaft, der reflektierten Rolle der Bildungsinstitutionen und einem angemessenen Verständnis der individuellen und sozialen Lage der Betroffenen basiert. Das Konzept von Bölts wird in 2.8 primär unter dem Aspekt eines regionalen Ansatzes vorgestellt.

[163]   „Während bei einem Naturerlebnis das unmittelbare Hier und Jetzt des Gegenstandes im Vordergrund steht, können kulturelle Methoden die Natur reflektierter, distanzierter, differenzierter, historischer und trotzdem sinnlich erfahrbar und ökologisch sensibilisierend thematisiert werden“ (Frech/Halder-Werdon 1997, S. 18). Wie weit das Spektrum kulturorientierter Ansätze sein kann, sieht man an dem Beitrag von Schleske (1995, S. 235), der eine einheitsstiftende „Ökologie des Herzens“ fordert, „eine ökologisch inspirierte Kultur unseres Bewußtseins im Sinne ganzheitlichen, ‚holistischen‘, organismischen und biokybernetisch vernetzenden Denkens, Wahrnehmens und Handelns“.

[164]   Dazu Glaeser/Teherani-Krönner (1992, S. 9): „Während Humanökologie sich als Lehre der Mensch-Umwelt-Interaktionen versteht, deren Traditionen in verschiedenen Natur- und Sozialwissenschaften wurzeln, untersucht Kulturökologie die besondere Ausgestaltung der Mensch-Natur-Beziehungen als Folge kultureller Leistungen. In beiden Fällen werden Gesellschaft und Kultur als unabhängige Variablen angesprochen, womit eine weitgehende Überlappung deutlich wird. Der Unterschied - abgesehen von der auch vorhandenen biologisch-naturwissenschaftlichen Tradition der Humanökologie - besteht vor allem darin, daß Kulturökologie als Teilgebiet der Anthropologie und der Ethnologie sich stets - von der Thematik bis zur Methodologie - auf diese etablierten Fachwissenschaften berufen kann, während Humanökologie weniger eine Fachdisziplin vorstellt als ein in verschiedenen Wissenschaften angesiedeltes Erkenntnisinteresse. Humanökologie ist somit disziplinär weniger gefestigt als Kulturökologie, divergenter, aber eben auch weiter und offener für unterschiedliche Ansätze. Überdies vertreten Humanökologen oft eine ethisch-normative Ausrichtung und verknüpfen gesellschaftliches, auf Natur bezogenes Handeln mit einer moralischen Begründung, etwa der Verantwortung für Natur, und deren Umsetzung in Politik.“ Zur Bedeutung der Humanökologie im Bereich der Umweltethik und -politik vgl. auch Glaeser (1989).

[165]  Im Unterschied zu den älteren „behavioristischen und strukturfunktionalistischen Vorstellungen einer bloß passiven menschlichen Prägung durch gesellschaftliche Faktoren“ wird der Mensch nun als „produktiv realitätsverarbeitendes Subjekt“ verstanden (Mertens 1998, S. 10).

[166]  Querverbindungen gibt es auch zu sozialpsychologischen Ansätzen und Modellen der soziokulturellen Wirklichkeitskonstruktion – vgl. Frindte (1995), der in 4.7 im Kontext des Konstruktivismus-Diskurses dargestellt wird.

[167]  „Ein humanökologisch orientierter Bildungsansatz hebt sonach auf stimulierende Umwelten ab, die als umfassendes Netzwerk von sozial positiven Kontakten und Spielräumen die sich bildende Person auf dem Wehe vielfältiger Rollenübernahme und Aktivität dazu motiviert, ihre Vorstellungen von sich selbst und ihrer Lebenswelt in einer Weise zu erweitern und zu differenzieren, daß sie nun auch selbst gestaltend eingreifen und sich diese Welt zu eigen machen kann“ (Mertens 1998, S. 128).

[168]  S. 2.3.1 und Fußnote 45.

[169]  Einige Grundgedanken des umweltpädagogischen Ansatzes von Mertens wurden schon in 2.3.2 dargestellt.

[170]  Eine Ausnahme ist Strey/Bahadir (1999). Zur Interkulturellen Bildung s. Auernheimer (1996), Nieke (1995), Gogolin/Krüger-Potratz/Meyer (1998) u. a.

[171]  Schon in Eulefeld/Frey/Haft u. a. (1981) wurden ausführlich marktwirtschaftsorientierte und kapitalismuskritische Analysemodelle des Umweltschutzes als Grundlage der curricularen Argumentation gegenübergestellt und harmonistisch als sich nicht notwendig ausschließend betrachtet. Weitere Konsequenzen hatte diese analytische Grundlage für das inhaltliche Konzept jedoch nicht.

[172]  Die Motive des Aussparens mögen sehr unterschiedlicher Art gewesen sein. Offenbar gab es keine Umweltpädagoginnen und -pädagogen, die ökonomischen Aspekten eine positive Rolle in der Bildungsarbeit zukommen lassen wollten, obwohl diese Aspekte in den bildungspolitischen Dokumenten, wie der KMK-Beschluß von 1980 (KMK 1980), enthalten sind: So sollen die Schülerinnen und Schüler unter anderem einerseits „die Verflechtung, ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Einflüsse erkennen, die zu gegenwärtigen Zustand unserer Umwelt geführt haben“, andererseits „erkennen, daß die Sorge für die Umwelt die Auseinandersetzung mit Interessengegensätzen einschließt und deshalb eine sorgfältige Abwägung von ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten notwendig ist“ (KMK 1982, S. 4). Die Erwähnung der Ökonomie in solchen amtlichen Dokumenten entspringt politischer Argumentation und ist Ausdruck eines Kompromisses.

[173]  Die verschiedenen Ansätze unterschieden sich unter anderem durch unterschiedliche Gewichtungen der ökonomischen bzw. der anderen Dimensionen (s. 3.1.3 und 3.2.1).

[174]   An dieser Stelle stellt sich allgemeiner auch die Frage, ob oder wie sich Krisen- und Untergangsszenarien, die mit absoluten Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse, der ethischen Einstellungen unter anderem verbunden werden, sich mit nichtdoktrinärer und pluralistischer Bildung vereinbaren lassen (vgl. Gagel 1994). Dies betrifft große Teile der Umweltpädagogik (vgl. dazu Kahlert 1990, Göppel 1991). Gagel setzt im Kontext der politischen Bildung auf kleinschrittiges Vorgehen im Kontext realer gesellschaftlicher Verhältnisse, Kahlert auf Kommunikation, Göppel auf Naturwahrnehmung und ästhetische Bildung. Diese Frage wird in 5.4 nochmals im Kontext des Diskurses über nachhaltige Entwicklung als Strategie reflexiver Modernisierung aufgenommen.

[175]  Zur Rolle der Öko- und Umweltbewegung und ihre Institutionalisierung für die Umweltbildung vgl. Beyersdorf (1998).

[176]  Innerhalb der gemeinsamen Grundlage „Kritische Theorie“ wird keine einheitliche Position vertreten. Fragwürdig ist die dogmatische und polemisch formulierte Abgrenzung gegenüber anderen Ansätzen. Typisch für die Argumentation ist der Schlußsatz eines Aufsatzes in diesem Sammelband, in dem die Möglichkeiten der Bildung sehr überschätzt werden: „Die Bewältigung des ökologischen Problems aber wird nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit kritische Erziehungs- und Bildungstheorie erkennbar werden lassen kann, daß die Überwindung sämtlicher lebensfeindlicher Momente die radikale Veränderung der kapitalistischen Weltökonomie und die Auflösung der Herrschaftszentren voraussetzt.“ (von Damsen 1995, S. 188). Ausführlicher wurden diese Erkenntnisse bereits früher veröffentlicht (von Damsen 1988).

[177]  Eine detailliertere, sich auf theoretische Grundlagen und etliche diskussionswürdige Einzelheiten einlassende Auseinandersetzung hätte für mich deshalb Bedeutung, weil ich in den 80er Jahren selbst Positionen vertreten hatte, die damit partiell übereinstimmen. Vgl. meine Kritik (Becker 1986a, S. 61f) der damaligen Position von Bernhard, die sich im Grundsatz bis heute nicht geändert hat. Da ein solches Vorhaben den Rahmen dieser Arbeit jedoch überschreiten würde, muß darauf verzichtet werden.

[178]  Dieser interessante, neuere sozialwissenschaftliche Zeitdiagnosen reflektierende Ansatz wird erheblich dadurch beeinträchtigt, daß der Autor auf den fast 100 Seiten einen Schreibstil praktiziert, der ein inhaltliches Verständnis des Textes extrem erschwert. Eine systematische Diskussion von Konsequenzen für die politische Bildung in einer modernen Demokratie leistet Claußen (1997) danach in einer „Streitschrift“.

[179]  Krol unterscheidet beim Begriff Ökonomie zwei Bedeutungen: das praktische Wirtschaftsleben einerseits, in dem es in ökologischer Perspektive darum geht, ökologische Aspekte oder Interessen gegen wirtschaftliche Interessen zu stärken oder durchzusetzen, und das wissenschaftlich-ökonomische Denken andererseits, das sich generell mit Knappheitsproblemen beschäftigt. Die zweite Bedeutung beschränkt sich nicht nur auf Güter oder monetäre Aspekte, sondern es kann auch um Umweltqualitäten gehen. Ökonomie modelliert Umweltprobleme als Verwendungskonflikte, zu deren Behandlung es appellative, planerisch-zuteilende oder anreizschaffende Rahmenbedingungen erzeugende Strategien gibt, die Krol präferiert (Krol 1998).

[180]  Krol gibt in diesem Zusammenhang einen Hinweis, der für Umweltpädagogen sicherlich einen noch ungewöhnlichen Gedankengang darstellt: „Wenn von der Ökopädagogik zu Recht immer wieder auf die Externalisierung der "ökologischen Kosten" unseres Lebensstils hingewiesen wird, dann darf sie umgekehrt bei ihren Verhaltenspostulaten nicht die sozialen und ökonomischen "Kosten der Verhaltensänderungen" externalisieren.“ (Krol 1994). Krol versteht unter Ökopädagogik hier allgemein Umweltbildung.

[181]  In diesem Zusammenhang zu nennen ist auch die in sich wiederum heterogene Strömung des Ökofeminismus, die starke Ähnlichkeiten mit naturbezogenen, ganzheitlichen und tiefenökologischen Denkansätzen hat. An die Stelle der Kritik am Anthropozentrismus als Ursache der Ökologischen Krise tritt die Kritik an den männlichen, patriachalischen oder chauvinistischen Formen der Naturbeherrschung und entsprechenden Naturbildern. Von daher gibt es eine spezifische Tradition der Kritik der Naturwissenschaften - vgl. z. B. Heinsohn (1999), Winterfeld (1997), Hickel (1992), M. Maurer (1989). Der Ökofeminismus hat aber keine ausgearbeiteten umweltpädagogischen Ansätze hervorgebracht, wenngleich sich aus seinen Postulaten spezifisch wissenschaftskritische, ganzheitliche und Subjektivität betonende Konzepte ableiten ließen. Zur Bedeutung der Weiterentwicklung des Feminismus zum Gender-Ansatz für die Umweltbildung s. Franz-Balsen (1998) und 5.2.2.

[182]  Darüber hinaus gibt es Versuche in der neueren Umweltbildung explizit an die Reformpädagogik oder reaktualisierte Formen von ihr anzuknüpfen, z. B. Hasenclever (1993), Salzmann/Meyer/Bäumer (1995), Meyer, C. (1996) (vgl. Regionales Lernen in 2.8.3).

[183]  Vgl. Maaßen (1994), Winkel (1995), Müller, G. J.(1995), Möhring (1997), m. E. auch Kleber (1993) u. a. Zu den theoretisch anspruchsvolleren Ansätzen kann man noch die früheren Veröffentlichungen von Trommer (z. B. 1988, 1992 oder Trommer/Noack 1997) und Janßen (1987 u. 1988) zählen, die hier jedoch nicht vorgestellt werden.

[184]  Die Wirkung naturerfahrungsbezogener Ansätze auf das Umweltverhalten hat Bögeholz (1999) empirisch untersucht (s. auch 5.5).

[185]  Für eine einzelne naturerlebnispädagogische Aktion hat Maaßen ansatzweise auf dieses Problem hingewiesen (s. Maaßen 1994, S. 217).

[186]  Unter Ganzheitlichkeit wird hier die praktische Ganzheit jedes Menschen gegenüber sich selbst, der jeweiligen Situation und der konkreten Umwelt des Menschen verstanden (Winkel 1995, S. 15).

[187]  Winkel war seit 1961 Leiter des Schulbiologiezentrums Hannover.

[188]  Ein Beispiel ist für Winkel die planetarische Ethik von Kleber (1993), die auf dem Gaia-Prinzip beruht. Darauf wird weiter unten in diesem Abschnitt eingegangen.

[189]  Vgl. die Grundsatzkritik von Bernhard (1999, S. 44ff).

[190]  Gaia ist die griechische Bezeichnung für eine Erdgottheit. Die im Rahmen der Mars-Forschung (!) entstandene Hypothese besagt im wesentlichen, daß das Leben, das sich in einer günstigen kosmisch-planetarischen Phase entwickelte, aktiv die Atmosphäre und die Oberfläche des Planeten gestaltete und geeignete physikalisch-chemische Bedingungen schuf – z. T. gegen die kosmische Entwicklung des Planeten. Mit dem Fortschreiten der kosmischen Entwicklung sei nun ein immer größerer Aufwand des Lebenssystems und eine immer umfangreichere Steuerung der Lebensvorgänge zum Überleben notwendig. Das einzige Problem der Menschen in diesem planetarischen Lebenssystem scheint jedoch die krasse Überbevölkerung und die Landwirtschaft zu sein (Kleber 1993, S. 79).

[191]  Tichy (1998, S. 255) kritisiert an dieser Position, daß sie „die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen auf eine bestimmte Position verengt hat“ und daß Kleber dadurch „weder der Pluralität der Lebensbereiche noch der Vielfalt ethischer Gesichtspunkte angemessen Rechnung tragen“ kann.

[192]  Von daher ist es verständlich, daß Kleber auf Ansätze der Permakultur als Selbstversorgungs- und potentielles Bildungsprinzip und in der Schule dann auf Schulgärten als zentralem Erfahrungsraum für ökologische Bildung setzt (Kleber 1993, S. 136ff). Im Unterschied dazu soll ein anderes Konzept von Mitweltpädagogik (Müller, G. J. 1995), das stark biologisch-didaktisch ausgerichtet ist, in zivilisationsferner Natur umgesetzt werden.

[193]  Zur neueren didaktischen Diskussion der Ethik im Rahmen des Schulunterrichts (Ethik, Werte und Normen u. ä.) versucht beispielsweise Tichy (1998) die „Vielheit der Ethik“ anzuerkennen und dennoch eine Einheit ihrer Didaktik herzustellen. Diskutiert wird auch der Themenbereich Ökologische Ethik (Tichy 1998, S. 252-267). Ziel ist hier nicht primär die Hervorhebung ethischer Gesichtspunkte, sondern die Förderung der Fähigkeit, den ethischen Aspekt in ein angemessenes Verhältnis zu anderen Aspekten zu setzen. Denn Ethik kann nach Tichy weder Antworten auf letzte Fragen geben noch ein Mittel zur Lösung individueller, gesellschaftlicher und globaler Probleme darstellen.

[194]  Vor dem Hintergrund der ethischen Grundlagen der Nachhaltigkeitsdebatte (vgl. Kapitel 3) erweisen sich meine oben beschriebenen sozialökologischen Überlegungen aus dem Jahre 1989 als ein durchaus zukunftsweisender Ansatz.

[195]  Altner (1998), ein engagierter theologischer Vertreter einer Mitweltethik, sieht eine unmittelbare Nähe zwischen der biozentrischen Ethik von Albert Schweitzer und dem Prinzip der Nachhaltigkeit bzw. der Biodiversitätskonvention der UNO von 1992.

[196]  Ein verwandter Ansatz ist die Lebensweltorientierung, der in den 80er Jahren in der Erwachsenenbildung große Bedeutung erlangte.

[197]  Diese These entspricht der These 1 in Becker (1998a, S. 242). Auf die Frage der dennoch vorhandenen Zukunftsperspektiven einer urbanen Umweltbildung wird unter dem Aspekt der Partizipation und Modernisierung vor allem in 3.4 und 3.5 eingegangen.

[198]  Dies zeigt beispielsweise ein Blick auf die Literatur der letzten Jahre, also seit Mitte der 90er Jahre, z. B. bei den ausdrücklich auf die Zukunft der Umweltbildung bezogenen Sammelbänden Schreier (1994a), Greenpeace (1995) u. a. Selbst in der fachdidaktischen Literatur der Biologie und Geographie findet man nur wenige Beiträge zu diesem Themenbereich.

[199]  Bei den deutschen Projekten handelt es sich um BLK-Modellversuche oder Förderprojekte der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Konzepte, Zwischen- oder Endergebnisse von diesen und anderen Projekten sind leider nur teilweise veröffentlicht, so daß eine genaue externe Kenntnis erschwert ist. Außerdem bestand kein systematischer Erfahrungsaustausch, der für die beteiligten Projekte, für eine allgemeine Konzeptentwicklung und die Verbreitung stadtbezogener Ansätze sehr wichtig wäre. Auf ein außerhalb der Stadt Osnabrück (Dissen) liegendes Beispiel und Konzept (Regionales Lernen) wird in einem eigenen Abschnitt (2.8.3) eingegangen.

[200]  Vgl. die vom Modellversuch herausgegebenen Hefte „AnSchUB. Das Forum für Schulische Umweltbildung in Berlin“, insbesondere die Hefte 1/96-3/96, die eine öffentliche Abschlußbilanz und eine Darstellung möglicher Perspektiven darstellen.

[201]  Vgl. Stadtschulamt Frankfurt am Main (1995), Breh (1995), Crost (1995). Das anspruchsvolle Programm wurde jedoch zum größten Teil schon sehr bald ‚auf Eis gelegt‘.

[202]  Eine genauere, geplante theoretische Grundlegung soll in Richtung einer „Experimentellen Anthropologie zur Gestaltung der Mensch-Natur-Beziehungen im Sinne der .... ökologischen Zivilisierung“ (Bölts 1995, S. 227) gehen.

[203]  Aus der Arbeit in Hamburg sind eine Fülle von Veröffentlichungen entstanden, z. B. Schleicher 1992, Hoebel-Mävers 1992 und Gärtner 1992.

[204]  Vgl. den humanökologischen Ansatz von Mertens (1998) und die „Ökologie menschlicher Entwicklung“ von Bronfenbrenner (1981a), die beide in 2.7.2 erwähnt werden.

[205]  Schleicher macht auch den pädagogischen Kontext des Lernortansatzes deutlich, in dem er ihn mit älteren Ansätzen der Reformpädagogik (z. B. Dewey), mit aktuellen Diskussionen um Handlungsorientierung und mit Ansätzen des beruflichen Pädagogik in Deutschland, aber auch mit internationalen Tendenzen und Entwicklungen (z. B. in England) in Verbindung bringt (Schleicher 1992, S. 41ff).

[206]  Vgl. die aktuelle Debatte um die Schlüsselkompetenzen im Kontext einer nachhaltigen Bildung (s. 6.6).

[207]  Es sind eine Reihe von kleineren Veröffentlichungen dazu vorangegangen z. B. Kyburz-Graber (1997a, 1997b u. 1998).

[208]  Man kann diese Hyopthese, der hier nicht weiter nachgegangen werden kann, komplementär verstehen zu der These von de Haan (1996b): „In der europäischen Bildungsgeschichte ist die Stadt ein tragischer Raum“ und sinngemäß: Bildung vollzieht sich fernab vom öffentlichen städtischen Leben, in der Innerlichkeit, in der stadtfernen Natur auf dem Lande.

[209]  Dazu kann unter anderem ein historischer Blick zurück in der eigenen Stadt dienen (vgl. Becker 1991a-d), die es auch in sinnlicher Form und hinsichtlich des in ihrer verkörperten, spezifischen Verhältnisses zur Natur zu ‚lesen‘ lernen gilt (Becker 1991e, 1993a u. 1994b).

[210]  Die zahlreichen Veröffentlichungen dazu beginnen etwa 1987. Die wichtigsten theoretischen Schriften finden sich als Wiederabdrucke in der Aufsatzsammlung Salzmann/Meyer/ Bäumer (1995), eine Auswahl weiterer Schriften in der Literaturliste.

[211]  Der Lernstandort Noller Schlucht liegt im westlichen Niedersachsen bei Dissen, etwa 30 Kilometer südlich von Osnabrück.

[212]  Dieser doppelte Hintergrund kommt deutlich in Salzmann/Meyer/Bäumer (1995) zum Ausdruck. Neben den erwähnten theoretischen Grundlagen Salzmanns (z. B. 1995a, 1995b und weitere vier Schriften) finden sich hier etliche praxisbeschreibende Aufsätze des Regionalen Lernens. Einige Aspekte dieses Ansatzes, insbesondere seine geistesgeschichtliche Verortung des Regionalen Lernens und identitätstheoretische Aspekte werden in der Dissertation von C. Meyer (1996) vertiefend geleistet. Die folgende kurze Skizzierung einiger Gedanken verzichtet auf einen genauen Quellenbeleg im Einzelfall, da sich dafür jeweils mehrere Stellen in den zahlreichen Veröffentlichungen von Salzmann finden lassen. Weitere Informationen zur Noller Schlucht auch im Internet: http://www.lkos.de/argos/ nolle/index.html.

[213]  Dieser Ansatz meines Fachbereichskollegen Salzmann hat mich darin bestärkt, meinen eigenen Schwerpunkt, der bereits Ende der 70er Jahre entstanden ist, im städtischen Bereich zu konzentrieren. Auf diese Weise konnte sich bis heute eine produktive, gegenseitige komplementäre Ergänzung der Ansätze entwickeln. Die theoretischen Grundlagen und Begründungen des Regionalen Lernens und die meines eigenen Ansatzes einer lokalen und urbanen Umweltbildung, dessen Grundlagen in dieser Arbeit systematisiert dargestellt werden, unterscheiden sich allerdings erheblich. Auf einen expliziten Vergleich soll hier jedoch weitgehend verzichtet werden. Ursprünglich gab es auch ein Konzept „Lernstandort Altstadt“ (Salzmann 1989b), das jedoch nicht realisiert werden konnte und im Unterschied zur vorrangigen Natur- und Umweltorientierung des ländlichen Umweltzentrums und Lernstandorts Noller Schlucht eine kulturell-historische Orientierung aufweisen sollte.

[214]  Dies erfolgt anfangs in einer Zeit, in der vorübergehend bundesweit der Heimatgedanken kontrovers diskutiert wurde. Trotz seiner konservativen Herkunft wurden damals auch emanzipatorische und marxistische Interpretationen (z. B. den Heimatbegriff von Ernst Bloch) entwickelt und es fanden sich unterschiedliche pädagogische Befürworter der Heimatidee. Von den zahlreichen Publikationen seien nur genannt: Knoch/Leeb (1984), Kiper (1986), Widerspruch (1987), Hasse (1989) und die umfangreichen Sammelbände zum Thema: Bundeszentrale für Politische Bildung (1990a u. 1990b).

[215]  Darüber hinaus wird das Polaritätenprofil als praktisches Planungsmodell zur zentralen gedanklichen Konstruktion des sich in Theorie und Praxis entfaltenden Regionalen Lernens verwendet (Meyer, C. 1996, S. 32).

[216]  Nach C. Meyer (1996, S, 80) versucht das „Regionale Lernen eine Gegenwirkung gegen Tendenzen in Richtung auf Individualisierung, übersteigerte Selbstverwirklichung und Egoismus“ aufzubauen, gleichzeitig wird das Regionale Lernen „als klassisches postmodernes pädagogisch-didaktisches Konzept“ angesehen – unter anderem. wegen der Vermittlung ästhetischer Umweltwahrnehmungen und Erfahrungen (Meyer, C. 1996, S. 52-79) (vgl. dagegen 2.6.3).

[217]  Dennoch bezeichnet Bernhard (1999, S. 45f) in seiner späten und polemischen Kritik das Regionale Lernen wegen des Heimatbegriffes nicht nur als neo-konservativ, sondern unterstellt eine gefährliche Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut und behauptet pauschal, jeglicher Regionalismus habe in pädagogischen Diskursen anti-aufklärerische und anti-emanzipatorische Wirkungen. Nicht soweit geht die politische Kritik von Hüttner (1999) an jeglicher regionalen Orientierungen, die sich unter anderem auf eine undifferenzierte Verwendung regionaler Identität bezieht. (vgl. Kritik am Lokalen/Regionalen in 3.4.3).

[218]  Die identitätstheoretische Fundierung des Begriffs Regionales Lernen vertieft C. Meyer (1996) über eine historische Rekonstruktion des Heimatbegriffs und identifiziert dabei eine emotional-existentielle anthropologische Grunddimension, die aber dem Begriff Regionales Lernen andererseits entzogen zu sein scheint, da er sich über die „rational-strukturelle Dimension der individuellen Lebensweltbeziehung“ definiert (Meyer, C. 1996, S. 136).

[219]  Wie bei allen Konzepten mit weitreichenden Zielen, stellt sich die Frage, inwieweit diese Ziele, hier die regionalen Identitätsbildung und die damit konzeptionell verbundene universale Dimension, erreicht werden können. Besondere Chancen bot das mehrjährige Projekt „Renaturierung des Noller Bachs“, an dem Schulklassen langfristig und aktiv beteiligt wurden (genauere Beschreibung unter partizipatorischen Aspekten in 3.9.2). Theoretische Vorüberlegungen zu einer Evaluation finden sich bei C. Meyer (1996, S. 187ff).

[220]  Letzteres ist – z. T. auf Salzmanns Initiative und auf Basis seines Konzeptes – inzwischen im Osnabrücker Landkreis in einer besonders ausgeprägten Form realisiert worden, wenn auch die Konzepte der verschiedenen, im Lauf der Zeit entstandenen Einrichtungen inzwischen von ihren Trägern eigenständig weiterentwickelt wurden und sich nun z. T. erheblich unterscheiden. Informationen zu den Umweltbildungszentren und ihren Standorten im Osnabrücker Raum finden sich in Hurrelbrink/Köller (1999) und unter http://www.lkos.de/ argos/index.html.

[221]  Als weiteren Versuch der Integration kann man auch den Ansatz von Reißmann (1996 und 1998a) verstehen („Entwurf eines Rahmenkonzeptes“), der schon die Nachhaltigkeitsdebatte einbezieht. Auf diesen Ansatz wird in 5.6.5 im Kontext des Diskurses über Schlüsselkompetenzen eingegangen. Reißmann ist im Niedersächsischen Kultusministerium schon viele Jahre für Umweltbildung zuständig.

[222]  „Bildung zielt auf die allseitige Entfaltung des Menschen als eines bewußten Wesens. Natur und Geist sind darin gleichzeitig aufbewahrt und wollen miteinander versöhnt werden“ (Heydorn 1980, S. 291). Insofern sieht Pongratz den Begriff Ökologische Bildung als eigentlich tautologisch an, denn sein Anliegen kreist um die Möglichkeit menschlicher Befreiung unter Wahrung der Überlebensaussicht und zielt auf Bewußtseinsbildung.

[223]  Pongratz, der seine Überlegungen hauptsächlich auf die Erwachsenenbildung ausrichtet, bezieht sich dabei auf Beer (1984, 1987), der seinerseits stark das Ökologische Lernen geprägt und die Ökopädagogik mitentwickelt hatte (vgl. 2.3.1). Nicht klar wird, inwieweit sein Konzept Offenheit besitzt und andere Kombinationen der Grundkonzepte zuläßt (vgl. Pongratz 1995, S. 163).

[224]  Der Diskurs über Postmoderne und Pluralismus hat bei all den dabei zu findenden argumentativen Differenzierungen für mich gezeigt, daß ein moderner Bildungsbegriff in einem – nicht absolut relativistischen – Sinne reflektierend und kommunizierend pluralistisch angelegt sein muß, was auch die Möglichkeit von partiellem Dissens einschließt. Dies gilt auch für die Umweltbildung als konstitutiver Teil von allgemeiner Bildung.

[225]  Zumindest meine eigene Liste hat nicht den Anspruch, eine vollständige oder gar die einzig richtige Liste zu sein. Aus Kapitel 3 werde ich z. B. die Konsequenz ziehen, den partizipatorischen Aspekt als weitere Dimension hinzufügen. Weitere sinnvolle Merkmale ergeben sich aus dem Nachhaltigkeitsdiskurs, dem Thema von Kapitel 5.

[226]  Man kann die vier strategische Positionen umfassende Liste von Pongratz m. E. auch so interpretieren, daß sie in der folgenden Liste enthalten ist.

[227]  Ein ähnliches Mehrebenenmodell eines Rahmenkonzeptes hat im Entwurf auch Reißmann (1998a) vorgelegt.

[228]  Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, daß ich das Verhältnis zur Natur in der obigen Liste von Dimensionen und Merkmalen an die erste Stelle gesetzt habe.

[229] Eine Vertiefung dieser These vor dem Hintergrund des Konstruktivismus-Diskurses findet sich in Kapitel 4 (vgl. These 4.4)

[230]  Die bisher meines Wissens in der Literatur nicht verwendete Bezeichnung soziokulturelle Umweltbildung hat den begrifflichen Vorteil, mit einem vorangestelltem Adjektiv auszu-kommen. Die Namensgebung ist jedoch sekundär, da die Entwicklung ohnehin in Rich-tung Nachhaltigkeit weitergegangen ist (vgl. Kapitel 3 und 5).

[231]  Eder (1988), Schmied-Kowarzik (1989, 1993, 1995a u. 1995b), Sesink (1993 u. 1995). Eine allgemeinere Argumentation entwickelt Egon Becker mit seiner „Theorie der gesellschaftlichen Naturverhältnisse“, die er seit Ende der 80er Jahre mit Mitarbeitenden des „Instituts für sozialökologische Forschung“ in Frankfurt entwickelt hat (Becker, E. 1996b) und auf die ich selbst in späteren Veröffentlichungen Bezug genommen habe (vgl. 4.8).

[232]  Eine kritische Anmerkung zur Tendenz der „Universalisierung der Bildung“ formuliert E. Becker (1986a, s. 2.5.3).